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E-Book

E-Book, Deutsch, 281 Seiten

Figdor / Seidner SPURENSUCHE

# rätsel # testament # psychoanalyse # agathe # lochness
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7549-9398-9
Verlag: neobooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

# rätsel # testament # psychoanalyse # agathe # lochness

E-Book, Deutsch, 281 Seiten

ISBN: 978-3-7549-9398-9
Verlag: neobooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



In der Wohnung ihrer verstorbenen Tante Agathe haben Mond - an seinem Namen lebenslang leidender Psychoanalytiker - und sein Bruder Jupp in einem Geheimfach einen an sie gerichteten Brief gefunden. Darin spricht die Tante von einem 'lebensverändernden Erlebnis' und einer 'Obsession', deren Fortführung ihre 'geliebten Neffen' nicht bereuen würden - ohne jedoch zu verraten, worum es sich handelt ... Ein beigelegtes Foto lässt Jupp, Mond und dessen Freundin Andrea die Suche nach Agathes geheimem zweiten Leben in Schottland, am Ufer des legendären Loch Ness beginnen. Angebliche Sichtungen des sagenumwobenen Ungeheuers, überraschende Begegnungen, Monds psychoanalytische Kombinationsgabe und Andreas detektivisches Talent bringen immer neue Puzzlesteine zutage. Die Spuren führen zurück in Monds und Jupps Elternhaus, weiter nach Berlin, ins Wien der Zwischenkriegszeit, zum Fragment eines alten 8mm-Films, zu einem vergriffenen Buch eines kleinen amerikanischen Verlages, ins Alte Testament, nach Tunesien .... Für Leserinnen und Leser, die intellektuelle Abenteuer lieben, Freude an psychoanalytischer Spurensuche finden und Lust an einer augenzwinkernden Geschichte voller Überraschungen von Menschen mit ihren alltäglichen Lieben, Sehnsüchten, Träumen und Gefühlsambivalenzen haben.

Helmuth Figdor ist Psychoanalytiker, Kinderpsychotherapeut und Erziehungsberater in Wien, lehrt an der Universität Wien und an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Autor zahlreicher Fachbücher. Karin Seidner ist Psychotherapeutin, Schriftstellerin und Leiterin 'Kreativer Schreibworkshops', lehrt an der Universität Wien, der Donau-Universität Krems und Webster University. ¼ der Performancegruppe 'grauenfruppe'. Zahlreiche Veröffentlichungen und Literaturpreise.
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1. Agathes Vermächtnis


„Mond!“

Er sah auf. Offenbar war sie weitergegangen, während er die alten Stiche in der Auslage des Altwarengeschäfts betrachtet hatte. Sie stand an der nächsten Ecke und winkte. Und es war wie immer: Ein paar Leute hatten sich, als sie rief, zu ihr umgedreht, andere schauten absurderweise zum Himmel, als würden sie es für möglich halten, dass sich der Mond mit einem Mal neben die Mittagssonne gesellt hätte. Trotz seiner inzwischen 41 Jahre konnte er sich an diese Reaktion der Menschen nicht gewöhnen und würde es wohl auch nie können. Und würde seinen Eltern auch nie verzeihen, dass sie ihn Mond getauft hatten. Warum nur? Und warum ihn? Immer hatte er seine beiden jüngeren Schwestern um ihre ganz normalen Namen beneidet. Nun gut, ganz alltäglich waren Penthesilea und Emergenza auch nicht, aber bei ihren Mitschülerinnen hießen sie einfach Lea und Emmi. Ihn aber riefen sie Mondgesicht, später Kugel, obwohl er damals nicht dick war, höchstens ein bisschen dick. Mit zwölf nahm er erfolgreich ab, was aber auch nichts nützte, denn nun wurde er zum Kipferl. In der dritten Klasse Gymnasium hatten sie eine Projektwoche zum Thema Sucht. Am letzten Tag hatte – wie hieß er doch? – die glorreiche Idee, den Deutschlehrer mit breitem Grinsen zu fragen, wie denn das wäre, wenn einer mondsüchtig sei. Hysterisches Auflachen der ganzen Klasse. Und alle drehten sich zu ihm um und, was noch viel schlimmer war, zu der vor ihm sitzenden Anna, in die er sehr verliebt war und die seinen schüchternen Annäherungsversuchen bislang immer mit durchaus ermutigender Koketterie begegnet war. Ab da hieß er nur mehr Süchtl, und Anna ging ihm merklich aus dem Weg, weil sie sich nicht als mondsüchtig verspotten lassen wollte. Und es schien ganz so, als wäre sie nicht auf die Spötter wütend, sondern auf ihn, als trüge er die Schuld. Jedenfalls fand die noch gar nicht recht erblühte Romanze ein jähes Ende. Noch heute erfasste ihn eine Welle des Hasses gegen – richtig: Josef hieß er! Ausgerechnet der hatte es nötig mit seinem Namen, dieser Josseldussel, Seppeldepp, dieser…

Du lieber Gott, was soll denn das, schalt er sich selbst. Wie kann man so infantil sein? Das ist fast dreißig Jahre her! Und alles nur, weil ein paar blöde Passanten zum Himmel schauen! Einem übrigens strahlend blauen Himmel eines herrlichen, warmen Sommertages, ein paar Schritte weiter eine schöne, begehrenswerte Frau, die auf ihn wartet – und er lässt sich von den dummen Regungen eines Dreizehnjährigen zu Boden drücken! Aber offenbar scheinen sich Phantasien und Gefühle halsstarrig jedem Reifungsprozess zu widersetzen.

„Mo-ond, so komm doch!“

Die kleine Terz ihres Rufes hatte zur Folge, dass die Leute ihren neugierigen Blick nun vom Himmel weg auf ihn richteten, als er auf Andrea zuging. Tapfer versuchte er, Scham und Ärger abzuschütteln. Ganz war ihm das Abschütteln allerdings noch nicht gelungen, als er sie erreichte.

„Musst du mich unbedingt vor allen so rufen?“ flüsterte er ihr zu.

„Aber wieso denn nicht? Du hast doch den schönsten Namen der Welt!“ Sie drückte ihm dabei einen zärtlichen Kuss auf die Wange. Erfolglos versuchte er, seiner Miene auch weiterhin wenigstens einen Anflug von Vorwurf zu verleihen – ihre warme Stimme, der Kuss und ihr zärtliches Lächeln ließen die letzten Reste dunkler Gefühle dahinschmelzen. Er umarmte sie und küsste sie auf die Stirn. „Und, was machen wir jetzt?“ fragte er, während er ihre Hand nahm.

„Jetzt gehen wir essen, ich hab einen Riesenhunger! Am liebsten hätte ich eine Pizza – gehen wir doch ins „La Luna“!“ schlug sie fröhlich vor. Er wollte ihr die Freude nicht verderben und nickte – etwas verzagt – er hatte eine Abneigung gegen dieses Restaurant, nicht nur des Namens wegen, sondern weil zu allem Überdruss die Hintergrundmusik meist aus einer Endlosschleife der Mondscheinsonate bestand – Andrea schien das aber gar nie bemerkt zu haben. Mit einem kaum vernehmbaren Seufzer schloss er sich ihren zielstrebigen Schritten an. Die soeben noch euphorische Stimmungslage war wie weggeblasen und er haderte schon wieder mit seinem Namen. Anscheinend konnten keine fünf Minuten vergehen, in denen er nicht daran dachte, es war zum Verzweifeln.

Eine Zeitlang hatte er überlegt, eine Namensänderung vorzunehmen, seine damalige Freundin hatte ihm diesbezüglich gut zugeredet, doch hatte er sich mit dem Argument widersetzt, dass sie, obwohl sie Sonja hieß und Sonni gerufen wurde, ja auch keinen Impetus verspürte sich umzubenennen.

„Wo bist du denn heute mit deinen Gedanken?“ lachte Andrea. Sie waren schon beim Restaurant angelangt, aber er war blindlings weitergelaufen und sie hatte ihn nur mit Mühe einholen können. „Oder möchtest du wo anders hingehen?“

In diesem Moment erscholl eine sonore Männerstimme von der gegenüberliegenden Straßenseite:

„Mond! Mond! Ja, das gibt’s doch nicht! Hallo, Mond!“

„Nein, nicht auch das noch!“ stieß er hervor und schloss die Augen. Er brauchte gar nicht hinüberzusehen, zu vertraut war ihm diese Stimme.

„Wer ist das?“ Andrea erschrak ein wenig, als sie seinen unglücklichen Gesichtsausdruck wahrnahm. Doch bevor er noch antworten konnte, hatte der fröhliche Rufer schon die Straße überquert und umarmte Mond stürmisch, der mit seinen hilflos hängenden Armen in diesem Augenblick wie eine malträtierte Stoffpuppe aussah.

„Ich bin Jupp, Monds älterer Bruder“, wandte er sich an Andrea, „und du musst Sonja sein! Mond hat mir ja schon so viel von dir erzählt.“

‚Nein, nicht auch das noch!’ Diesmal seufzte er diesen Satz nur unhörbar in sich hinein. Wie oft würde er ihn an diesem Vormittag noch sagen oder denken müssen? Diesmal freilich hatte er eine gewisse Berechtigung, denn Andreas fröhliche Miene verfiel augenblicklich. Natürlich wusste sie, dass es vor ihr andere Frauen gegeben hatte, und schließlich lag ihre eigene Scheidung erst ein paar Monate zurück. Aber sie kannten sich erst zu kurz, als dass sie über ihre früheren Beziehungen gesprochen hätten. Namenlos gehörten sie einem anderen Leben an, das im Licht ihrer Verliebtheit vorderhand dunkel geblieben war. Sonja. Als ob die Nennung dieses Namens in ihrer beider Vergangenheit hineingeleuchtet und sie in die Gegenwart geholt hätte. Alte Bilder begannen in ihr aufzusteigen, Bilder, die mit Eifersucht, Schmerz und Misstrauen zu tun hatten. Sie waren zwar noch nicht deutlich erkennbar, blieben noch unbestimmt irgendwo in der Magengegend, waren dort aber deutlich als Stich zu spüren.

„Schau, schau, Sonja also“, versuchte sie die aufkeimende trübe Stimmung mit bemühtem Lächeln wegzuwischen. „Mrs. Sunshine und Mr. Moon“ trällerte sie, „wie schön, wie passend!“ Irgendwie schaffte es aber die kleine Melodie, ihr die gute Laune wieder zurückzugeben. Vielleicht lag es ja auch nicht an der Melodie, sondern daran, dass die beiden sich in dem alten Schlager ja nie trafen? Andererseits steigerte das nur die Sehnsucht der beiden … Nein, sie mochte sich diesen schönen Tag nicht vermiesen lassen. „Freut mich, dich kennenzulernen, Jupp. Allerdings bin ich Andrea!“ Und nun wirkte ihr Lächeln auch nicht mehr aufgesetzt. Ja, sie begann, die Komik der Situation sogar zu genießen, als sie die völlig verdatterten Gesichter der beiden Männer wahrnahm.

„Oh tut mir leid, Andrea! Tut mir leid Mond! Da bin ich diesmal wohl ins Fettnäpfchen getreten.“

‚Was heißt diesmal?’ ging es Mond durch den Kopf. Wann ist jemals von seinem Bruder etwas Angenehmes gekommen? Freilich war dieser Gedanke ungerecht und Mond wusste das, nur… nur… Also, das Problem war… Jupp hieß natürlich nicht wirklich Jupp. Der Vater hatte seinen ältesten Sohn Jupiter getauft. Während er, Mond, in seinen jungen Jahren eher klein war und zur Rundlichkeit neigte, war sein Bruder schon im Kindergarten stets der Größte und Stärkste, so als wären ihre Namen eine Prophezeiung gewesen. Und niemand kam auf die Idee, ihn anders als Jupiter zu nennen, etwa Juppi oder – englisch ausgesprochen – Tschappi. Einmal hatte er es versucht, mit dem Ergebnis einer zwei Tage lang geschwollenen Wange. Nach dem Tod des Vaters, Jupiter war zwölf, er selbst neun Jahre alt, änderte sich freilich das Verhältnis der Brüder. Jupiter, der ab diesem Zeitpunkt sich selbst nur mehr Jupp nannte, wurde Mond gegenüber freundlich und fürsorglich, und es entwickelte sich allmählich eine ausgesprochen enge und herzliche Beziehung zwischen den beiden. Nur hin und wieder, wie an einem Tag wie heute, brach die alte Rivalität wieder auf…

Jupps Lachen riss ihn aus seinen Grübeleien „Könnt ihr mir verzeihen?“ Dabei nahm er Mond und Andrea bei der Hand.

Jupps wiedergewonnene gute Laune wirkte ansteckend. Andrea stimmte spontan in sein herzliches Lachen ein, und auch bei Mond zerstoben die dunklen Wolken. Das hatten die Brüder immer schon gekonnt: über sich selbst lachen und sich von der Selbstironie des anderen anstecken lassen.

„Möglicherweise“, erwiderte Mond lächelnd, „wenn du entsprechende Buße leistest!“

„Einverstanden! Ich denke, unsere Gesichter der letzten beiden Minuten würden sich blendend für eine Slapstick-Szene eignen. Wir beginnen einfach noch einmal von vorne. Einverstanden?“

„Einverstanden“, erwiderte Andrea. „Und zwar?“

„Hallo Andrea!“ Jupp strahlte sie an. „Schön, dich kennen zu lernen. Jedesmal, wenn mir mein Bruder von Sonja erzählte, sagte ich zu ihm: »Mond, sie passt einfach nicht zu dir!«“ Er küsste Andrea auf...



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