Fifield | Kim | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 416 Seiten

Fifield Kim

Nordkoreas Diktator aus der Nähe

E-Book, Deutsch, 416 Seiten

ISBN: 978-3-89684-566-5
Verlag: Edition Einwurf GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Wer ist Kim Jong-un? Die Karikatur eines Staatsmannes mit seltsamer Frisur? Ein unkalkulierbarer Tyrann, Herr über 25 Millionen geknechtete Untertanen und die Atombombe? Oder ein Machtpolitiker, der sein erstarrtes Land vorsichtig reformiert? Um das Leben des nordkoreanischen Diktators ranken sich Mythen und Legenden, allzu viel blieb bisher im Dunkeln. Anna Fifield, vielfach ausgezeichnete Journalistin der 'Washington Post', ist als Erste eine faszinierende Nahaufnahme Kim Jong-uns gelungen. Detailliert und kenntnisreich rekonstruiert sie dessen Leben und seine politischen Ambitionen. In jahrelanger Recherche hat sie Informationen zusammengetragen und überprüft. Dabei konnte sie auf vielfältige Quellen aus dem unmittelbaren Umfeld der Herrscherfamilie zurückgreifen: auf Tante und Onkel des Diktators, die heute in den USA leben, den langjährigen Sushi-Koch und Freund des jungen Kim, Dissidenten aus Nordkorea sowie Fluchthelfer in China und viele andere. Mit gesunder Skepsis und journalistischem Gespür zeichnet Fifield das Porträt des wohl seltsamsten Regimes der Welt - isoliert und zugleich weltpolitisch bedeutend - und seines Herrschers, dem es gelungen ist, im Karussell der Mächtigen eine Rolle zu spielen.

Anna Fifield ist Journalistin und Ostasien-Expertin. Die gebürtige Neuseeländerin leitet aktuell das Büro der 'Washington Post' in Peking, zuvor hatte sie für die 'Post' aus Japan und den beiden Koreas berichtet und war Korrespondentin der 'Financial Times' in Seoul. Insgesamt hat sie aus mehr als 20 Ländern, darunter Iran, Irak und Syrien, berichtet und Nordkorea dutzende Male bereist. Sie spricht Koreanisch und gilt als führende Expertin für dieses verschlossene Land. 2016 berichtete sie als Erste live via Facebook aus Pjöngjang.
Fifield Kim jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


Prolog Ich saß an Bord der Air Koryo, Flugnummer 152, nach Pjöngjang, um meine sechste Reise in die Hauptstadt Nordkoreas anzutreten. Zugleich war es mein erster Besuch, seit Kim Jong-un, der Führer in der dritten Generation, die Macht übernommen hatte. Es war der 28. August 2014. Als Journalistin nach Nordkorea zu reisen, ist immer eine besondere und abenteuerliche, aber auch bedrückende Erfahrung; doch dieser Besuch sollte noch surrealer werden als meine früheren Visiten. Es fing schon damit an, dass ich neben Jon Andersen saß, einem 140 Kilo schweren Profi-Wrestler aus San Francisco, der unter dem Namen Strong Man in den Ring steigt. Er ist dafür bekannt, dass er seinem Gegner erbarmungslos in den Nacken grätscht oder ihn in die Höhe hebt und brutal zu Boden schmettert, Nettigkeiten, die unter Wrestling-Fans als »Diving Neckbreaker« und »Gorilla Press Drop« bekannt sind. Ich landete neben Andersen in der Business Class (ja, die staatliche Fluglinie des kommunistischen Landes bietet unterschiedliche Klassen an), weil mich ein Passagier um meinen Economy-Platz bat, um neben seinem Freund sitzen zu können. Andersen und ich machten es uns in den roten Sitzen der betagten Iljuschin bequem, die mit ihren weißen Zierdeckchen auf den Kopfpolstern und den Goldbrokatkissen, die auf jedem Sitz liegen, an Großmutters Lehnsessel erinnern. Andersen war einer von drei amerikanischen Wrestlern, die ihre besten Tage hinter sich hatten und nun in Japan ihr Glück versuchten, wo sie aufgrund ihrer schieren Größe noch als die Topattraktion auftreten können, die sie zu Hause längst nicht mehr sind. Doch sie probierten auch gern mal was Neues aus, und so waren die drei unterwegs zu einer Show, wie es sie noch nicht gegeben hatte: die ersten International Pro Wrestling Games in Pjöngjang, ein Wochenende voller Events rund um diese Kampfshow, organisiert von Antonio Inoki, einem Japaner mit kantigem Kinn, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, den Frieden durch Sportveranstaltungen zu fördern. Beim Start erklärte mir Andersen, er sei neugierig darauf, wie Nordkorea wirklich sei, jenseits der Klischees, die in den amerikanischen Medien verbreitet wurden. Ich brachte es nicht übers Herz, ihm zu sagen, dass er eine seit Jahrzehnten eingeübte Farce erleben würde, die eigens zu dem Zweck aufgeführt wurde, damit kein Besucher jemals das wahre Nordkorea zu Gesicht bekam und mit einem Einheimischen sprechen oder eine gewöhnliche Mahlzeit essen konnte. Als ich Andersen das nächste Mal sah, trug er enge schwarze Lycra-Shorts, die an Unterhosen erinnerten und quer über dem Hintern das Wort STRONGMAN zeigten. Er stürmte mit wilden Gesten in die Sporthalle Ryugyong Chung Ju-yung, wo ihn 13 000 sorgfältig ausgewählte Nordkoreaner erwarteten. »Hier kommt Macho-Mann!«, plärrte es aus den Lautsprechern. Ohne Anzug wirkte er viel größer. Ich staunte über seinen Bizeps und die straffen Muskeln, die aus seiner Haut zu platzen schienen wie Wurst aus der Pelle. Ich konnte mir kaum vorstellen, wie das auf die Nordkoreaner gewirkt haben musste, deren Land eine Hungersnot mit Hunderttausenden Opfern erlebt hatte. Im nächsten Moment tauchte ein noch imposanterer Wrestler auf, Bob Sapp, eingehüllt in ein mit Pailletten und Federn geschmücktes Cape. Das Outfit hätte besser zum Mardi Gras in New Orleans gepasst als ins stocknüchterne kommunistische Pjöngjang. »Machen wir sie fertig!«, rief Andersen Sapp zu, und die zwei Amerikaner stürzten sich auf zwei viel kleiner wirkende japanische Wrestler. Etwas derart Schräges und Aberwitziges hatte ich in Korea noch nicht gesehen: amerikanisches Schmierentheater im Zentrum der übelsten Propagandahauptstadt der Welt. Das Publikum, an Täuschungen gewöhnt, durchschaute bald, dass alles sorgfältig inszeniert war und es hier mehr um Unterhaltung als um Sport ging. Und so lachte es herzlich über die Show. Ich hingegen blickte nicht mehr durch, was hier echt war und was nicht. Bei meinem letzten Besuch, im Winter 2008, war ich mit den New Yorker Philharmonikern gekommen. Die Reise war mir damals wie ein Wendepunkt in der Geschichte erschienen. Das renommierteste Orchester der Vereinigten Staaten trat in einem Land auf, dessen Fundament der Hass auf Amerika war. Die Bühne war von den Flaggen Amerikas und Nordkoreas eingerahmt, und das Orchester spielte George Gershwins »Ein Amerikaner in Paris«. »Eines Tages schreibt ein Komponist vielleicht ein Werk mit dem Titel Ein Amerikaner in Pjöngjang«, sagte der Dirigent Lorin Maazel vor dem nordkoreanischen Publikum. Später gab das Orchester auch »Arirang« zum Besten, ein herzerweichendes koreanisches Volkslied über das Gefühl des Verlassenseins, das die ebenfalls ausgesuchten Einwohner Pjöngjangs sichtlich ergriff. Doch es kam zu keinem Wendepunkt. Im selben Jahr erlitt Nordkoreas »Geliebter Führer« Kim Jong-il einen schweren Gehirnschlag, der ihn für den Rest seines Lebens zeichnete. Von da an konzentrierte sich das Regime nur noch auf eines: dafür zu sorgen, dass die Kim-Dynastie an der Macht blieb. Hinter den Kulissen nahmen Pläne Gestalt an, Kim Jong-ils jüngsten Sohn, der zu diesem Zeitpunkt erst vierundzwanzig Jahre alt war, zum nächsten Führer Nordkoreas zu küren. Der Welt sollte diese Krönung erst zwei Jahre später verkündet werden. Als es so weit war, hofften einige Beobachter, Kim Jong-un werde sich als Reformer erweisen. Schließlich war er in der Schweiz zur Schule gegangen, hatte den Westen bereist und den Kapitalismus kennengelernt. Wer wollte daran zweifeln, dass er etwas davon auch nach Nordkorea bringen würde? Ähnliche Hoffnungen hatte man gehegt, als im Jahr 2000 in Syrien der in London ausgebildete Augenarzt Baschar al-Assad das Ruder übernahm, und später, als Kronprinz Mohammed bin Salman in Saudi-Arabien an die Macht kam, der das Silicon Valley kannte und Frauen das Autofahren erlaubte. Auch im Fall von Kim Jong-un sah es zunächst gut aus, dachte Jon Delury, ein Chinaexperte an der Yonsei University in Seoul. Er hielt nach Anzeichen Ausschau, dass der junge Führer Nordkorea Reformen und Wohlstand bescheren würde, ähnlich wie Deng Xiaoping 1978 in China. Doch im Allgemeinen überwog eine ganz andere Hoffnung: die Hoffnung, dass das Ende nahe sei. Von dem nahen Seoul bis zum fernen Washington prophezeiten viele Regierungsvertreter und Beobachter dem Land kühn – einige hinter vorgehaltener Hand, andere recht lautstark – schwere Instabilität, einen Massenexodus nach China, einen Putsch, den unmittelbar bevorstehenden Kollaps. All diese Untergangsszenarien einte ein Gedanke: Es konnte doch nicht sein, dass es dem Regime gelang, die Macht zum dritten Mal auf einen totalitären Führer namens Kim zu übertragen, schon gar nicht auf einen Mittzwanziger, der teure europäische Schulen besucht hatte und Fan der Chicago Bulls war – dafür aber weder über militärische noch politische Erfahrung verfügte. Victor Cha, der in der Regierungszeit von George W. Bush als Chefunterhändler in Nordkorea gewesen war, sagte in der New York Times voraus, das Regime werde in wenigen Monaten, wenn nicht Wochen, zusammenbrechen. Niemand äußerte eine so klare Prognose wie Cha, aber er war nicht der Einzige, der so dachte. Die meisten Beobachter Nordkoreas sahen das Ende nahen. Dass Kim Jong-un der Aufgabe gewachsen war, wurde allgemein angezweifelt. Auch ich hatte meine Bedenken. Ich konnte mir Nordkorea nicht unter einem dritten Kim vorstellen. Ich verfolgte nun schon seit Jahren aufmerksam die Entwicklung des Landes, aus der Nähe und aus der Ferne. 2004 hatte mich die Financial Times als Korrespondentin nach Seoul geschickt, um über beide Koreas zu berichten. Es war der Beginn einer großen Leidenschaft. In den folgenden vier Jahren reiste ich zehnmal nach Nordkorea, darunter fünfmal für Reportagen aus Pjöngjang. Ich besichtigte die verschiedenen Kim-Gedenkstätten, interviewte Regierungsvertreter, Geschäftsleute und Professoren – stets in Begleitung der unvermeidlichen Aufpasser des Regimes. Sie sollten sicherstellen, dass ich nichts zu sehen bekam, was das sorgfältig für mich arrangierte Bild stören konnte. Die ganze Zeit über hielt ich Ausschau, ob nicht doch irgendwo die Wahrheit hervorschimmerte. Sosehr sich das Regime bemühte, es war unübersehbar, dass es am Boden lag. Nichts war, was es zu sein schien. Die Wirtschaft war marode. Den Augen der Menschen war die Angst abzulesen. Der Applaus für Kim Jong-il, den ich aus fünfzig Meter Entfernung vom Stadion hörte, klang wie eine Tonkonserve. Dieses System konnte unmöglich in dritter Generation weiterbestehen. Oder etwa doch? Die Experten, die umfassende Reformen voraussagten, behielten unrecht. Jene, die den unmittelbar bevorstehenden Kollaps voraussagten, behielten unrecht. Ich behielt unrecht. Im Jahr 2014, nach sechs Jahren Abwesenheit von der koreanischen Halbinsel, reiste ich als Korrespondentin der Washington Post erneut in das Land. Wenige Monate nachdem ich meinen neuen Posten bezogen hatte, Kim Jong-un war damals schon beinahe drei Jahre an der Macht, kam ich nach Pjöngjang, um über das Wrestling-Turnier zu berichten. Was nimmt man im Journalismus nicht alles auf sich, um ein Visum für Nordkorea zu bekommen. Ich war sprachlos. Zwar hatte ich gehört, dass die Hauptstadt einen Bauboom erlebte, aber von seinen Ausmaßen hatte ich keine Ahnung. Praktisch in jeder zweiten Straße wurde ein Wohnturm oder ein anderes Gebäude hochgezogen. Bei meinem...


Anna Fifield ist Journalistin und Ostasien-Expertin. Die gebürtige Neuseeländerin leitet aktuell das Büro der "Washington Post" in Peking, zuvor hatte sie für die "Post" aus Japan und den beiden Koreas berichtet und war Korrespondentin der "Financial Times" in Seoul.
Insgesamt hat sie aus mehr als 20 Ländern, darunter Iran, Irak und Syrien, berichtet und Nordkorea dutzende Male bereist. Sie spricht Koreanisch und gilt als führende Expertin für dieses verschlossene Land. 2016 berichtete sie als Erste live via Facebook aus Pjöngjang.


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.