E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
Wie man lernt, den Bayern zu lieben (fast so wie er sich selbst)
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-8437-1415-0
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Weitere Infos & Material
I.
Das Wesen des Bayern Der Bayer: ein vielschichtiges Wesen voller Widersprüche, Eigenheiten und seelischer Aufwinde und Abgründe. Auf der anderen Seite ist er eine ganz wunderbare Spezies, die – hat man erst einmal ihre Seele entschlüsselt – das eigene Leben durchaus bereichern kann. Ihnen muss bloß, bevor Sie sich mit einem Bayern kurzschließen, glasklar sein, wie diese urtümlichen Menschen funktionieren und wie die ihnen zugrundeliegenden seelischen Baupläne aussehen. Ein Schnelldurchlauf durch die bayerische Seele
Klischeesäue werden durch Bayern getrieben, dass es eine wahre Freude ist: Da gibt es Blasmusik, Bier, das Oktoberfest, den FC Bayern, BMW, die CSU und natürlich die Tracht, bei der die Frauen ihre Dirndl-Dekolletés mit Blumen und Männer ihre »Wadln« – also die Waden – schmücken. Doch was den Bayern wirklich außergewöhnlich macht, ist sein Gemüt – seine Seele. Schließlich besitzt die bayerische Mentalität eine erstaunlich vielfältige Ausprägung, die von Realitätsnähe, Schicksalsergebenheit und Einfachheit ebenso geprägt ist wie von Sturheit, Ignoranz und unerbittlichem Kampfeswillen. »Mia san mia« – nichts drückt die bayerische Seele und das bayerische Lebensgefühl so gekonnt aus wie diese drei kleinen Worte, von denen zwei sogar identisch sind. »Wir sind wir« heißt das. Das klingt einfach, hat aber schwerwiegende Folgen. Mit dieser Formel macht der Bayer dem Rest der Welt klar, dass er das Alphawesen schlechthin ist und ihm somit keiner etwas kann. Klar, den lieben Gott toleriert der Bayer gerade noch als himmlischen Maximus Majestatis, der über ihm thront. Früher gab es dazwischen noch den König und Franz Josef Strauß, aber die gibt es ja beide nicht mehr. Dann aber folgt schon der Homo Bavaricus. Danach dann – mit gebührendem Abstand – die Deutschen und der Rest des Weltbürgertums. Ich will es gar nicht verhehlen: Ein bisschen kann ich schon verstehen, wenn Sie als Nichtbayer mit diesem »Mia san mia« das eine oder andere Problem haben. Damit sind Sie nicht alleine. Andererseits macht genau dieses ausgeprägte Selbstbewusstsein den Charme des Bayernlandes aus – sagt man. Warum ziehen jedes Jahr Tausende hierher und halten es dann auch noch jahrelang hier aus? Sprich: Dieses »Mia san mia« klingt offenbar erst mal schlimmer, als es gemeint ist. Man sagt ja, wenn ein Preuße in Bayern stirbt, kommen 100 zur Beerdigung – und 90 bleiben dann da … Womit wir wieder bei den in der bayerischen Seele verankerten Widersprüchen wären. Und da gibt es noch viele mehr. Einerseits sind Tradition und Kultur für den Bayern schon fast dogmatische Verpflichtung; andererseits ist er durchaus aufgeschlossen für echten Fortschritt (ja, in Bayern wurden schon Halbleiter produziert, als man das woanders noch für einen Haushaltsgegenstand hielt). Einerseits ist er misstrauisch gegenüber Fremden, die er nicht kennt, andererseits jedoch durchaus offen für »gscheide Leit«, also für »brauchbare Leute«, bei denen es dann auch keine Rolle spielt, wie sie aussehen, wo sie herkommen und was genau sie arbeiten – solange sie »gscheid« arbeiten, ob nun im Mittelfeld beim FCB oder als Messdiener in Rosenheim. So gesehen wirkt das »Mia san mia« also gar nicht wirklich schlüssig, sondern klingt – zumindest auf den ersten Blick – ein bisschen engstirnig, irgendwie überzogen, manchmal auch arrogant und dogmatisch. Aber wie gesagt: nur auf den ersten Blick. Denn es ist durchaus empfehlenswert, ein bisschen genauer auf die Schaltpläne der bayerischen Seele zu schauen. Dann werden Sie sehen, was es mit dem Bayern (und Bayern) letztlich auf sich hat – und Sie mit ihm bestens koexistieren können. Der Stolz
»Bayern ist vielleicht das einzige deutsche Land, dem es durch materielle Bedeutung, durch die bestimmt ausgeprägte Stammeseigentümlichkeit und durch die Begabung seiner Herrscher gelungen ist, ein wirkliches und in sich selbst befriedigendes Nationalgefühl auszubilden.« Das sagte schon Otto von Bismarck. Mit anderen Worten: Seit irgendwann einmal eine Amöbe ihren Arsch aus dem Urschlamm hievte, ist der Bayer stolz. Er ist stolz auf seine Herkunft, seine Geschichte, seine Kultur, die schöne Natur seiner Heimat, deren wirtschaftlichen Erfolge und natürlich auf die vielen Traditionen und Brauchtümer. Das sei ihm gegönnt, denn zumindest nach eigener Ansicht hat der Bayer dieses alpenländische Paradies, in dem er lebt, selbst geschaffen und erfolgreich ausgestaltet. Mit seinen Händen und seinem Hirnschmalz. Und mit einer Portion Sturheit. Freilich stellt sich dem geneigten Beobachter die Frage: Ist dieser Stolz angebracht? Die Geschichte des Bayern reicht weit zurück – wenn auch nicht ganz so weit, wie er oft meint. Trotzdem meinen viele Bayern, dass es sie eigentlich »scho imma« gibt. Dieses »schon immer« schließt übrigens explizit den Zeitraum mit ein, als es auf der Welt ordentlich zu sintfluten begann. Zur Beweisführung wird dann gerne der berühmte mittelalterliche Geschichtenschreiber Aventinus herangezogen, der den Bayern wohlwollend attestierte, in Noahs Arche der Apokalypse getrotzt zu haben. Zugegeben, die Vorstellung ist natürlich hübsch: »Ui, schaug, wias wedat!«, sagt der Bayer – »Schau mal, wie es schüttet«. Und die Bayerin (auf der Arche wurden Mitfahrgelegenheiten ja nur paarweise vergeben) antwortet: »Heagod noamoi, do kummt wos obi. Guad, dos wias no neig’schafft ham!« ( »Herrgott noch einmal, da kommt wirklich was runter. Gut, dass wir es noch hier eingeschafft haben.«) In Wahrheit sind solche Überlieferungen natürlich Unsinn. Sie sind »a Schman«, wie der Bayer es ausdrückt, also »ein Schmarrn«. Die bayerischen Wurzeln haben vielmehr ein klein wenig später begonnen zu sprießen: Der Stamm der Bajuwaren ist schlicht und einfach aus einem bunten Mischmasch verschiedenster Menschen entstanden, die sich ungefähr auf dem Gebiet des heutigen Bayern getroffen, einander für größtenteils sympathisch befunden und sich zwecks gemeinsamer Zukunftsplanung schließlich zusammengeschlossen haben. Das war etwa zu Zeiten der Völkerwanderung um 375 nach Christus, als Leute aus Böhmen herüberkamen und die Gegend zwischen den Alpen und der Donau als präferiertes, weil friedliches, Siedlungsgebiet auserkoren haben. Dort trafen sie auf den einen oder anderen versprengten Römer, der nach dem Ende der Besatzung durch Kaiser Augustus hiergeblieben und nicht ins sonnige Rom zurückgekehrt war. Dazu gesellten sich dann noch einige Kelten, Langobarden, Ostgoten sowie Reisende aus aller Welt, die das Land auf Ostwest- oder Nordsüdrichtung durchquerten und sich, wohl ob der Schönheit des Landstrichs, spontan dazu entschlossen haben, dazubleiben. So oder so ähnlich ist der Stamm der Bajuwaren entstanden. Wenn man so möchte, ist Bayern also einer der ersten Multikultistaaten der Welt – was durchaus eine Erfolgsgeschichte ist, auf die man als Einheimischer stolz sein kann. Die meisten Bayern würden bei dieser eben kurz skizzierten Gründungshistorie durchaus mitgehen. Bei anderen historischen Ereignissen dagegen zeigen sie weniger Geschmeidigkeit. Dass es zum Beispiel ungefähr um 555 nach Christus ein bayerisches Staatsherzogtum gegeben haben soll, das unter den Merowingern Teil des fränkischen Herrschaftsbereichs wurde, wird wie selbstverständlich als geschichtliche Fußnote abgetan. Denn die Franken gehören ja gefühlt eigentlich gar nicht zu Bayern (auch wenn sie sich heute auf bayerischem Staatsgebiet tummeln – sehr zum Leidwesen der Franken selbst). Ausgerechnet diese Franken sollen sich einst die Bajuwaren gewissermaßen einverleibt haben? Das ist für den bayerischen Stolz ebenso schwer zu schlucken wie ein lauwarmes Schnitzel an der Autobahnraststätte. Ähnlich verklärt wird hierzulande auch die Tatsache, dass die Erlaubnis, das Königreich Bayern auszurufen, später ein Geschenk Frankreichs war. Und das kam nicht mal von Herzen. 1805 durften sich die Bayern nämlich hauptsächlich deshalb die Königskrone in Paris abholen, weil es Napoleon gefiel, Preußen und Österreicher gleichermaßen mit der Ausrufung der bayerischen Monarchie zu ärgern. Und schließlich war es dann auch mit der Gründung des Freistaats so eine Sache. Zu dem ist Bayern 1918 nämlich vor allem deshalb geworden, weil die neue revolutionäre Regierung um Kurt Eisner, ein Sozialist (!) und Berliner (!!), die Idee dazu hatte. Gewissermaßen war es also weniger die eigene staatspolitische Innovationsbereitschaft, sondern schlichtweg »a Saupreiß« – sogar ein roter Preuße! –, der den Bayern zu demokratischer, freistaatlicher Eigenständigkeit verholfen hat. Wer mag darauf schon stolz sein? Die Erwähnung von solchen Details wird drum gerne unter den historischen Teppich gebürstet, vermutlich auch deshalb, um das Bayernland nur ja nicht in die Ecke fremdbestimmter, gesichtsloser Gebilde wie Nordrhein-Westfalen zu rücken. Immerhin ist das Traditionsland Bayern ja trotz diffuser Geschichtsinterpretation das älteste ununterbrochen existierende Staatswesen auf deutschem Boden und hat so gut wie alle Staatsformen durchgemacht, von der Diktatur bis zur Demokratie – und nichts konnte dem Land und seinen Menschen wirklich etwas anhaben. Der Bayer, kernig und unbehauen, war einfach nicht totzukriegen. So ist er bis heute: Ob Machtwechsel oder Katastrophen, mit einem stoischen Seufzer, der meistens klingt wie »Ja mei« (das kann man nicht übersetzen), nimmt er die Aufs und Abs des Lebens gelassen hin. Und was heißt das jetzt für Sie? Wie gehen Sie um mit dem Stolz...