E-Book, Deutsch, 160 Seiten
Reihe: kids in BALANCE
Fessel Ein Stern namens Mama
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-86739-270-9
Verlag: BALANCE Buch + Medien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 160 Seiten
Reihe: kids in BALANCE
ISBN: 978-3-86739-270-9
Verlag: BALANCE Buch + Medien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
'Wenn die Menschen gestorben sind, werden sie zu Sternen, hat Mama gesagt. Natürlich weiß Louise, dass Sterne eigentlich kleine Himmelskörper sind. Aber schließlich ist das Weltall noch nicht so ganz erforscht. Kann also immerhin sein, dass Mama jetzt tatsächlich ein Stern ist, der vom Himmel runterleuchtet und deshalb immer bei ihnen sein wird, oder?'
Karen-Susan Fessels berührender Trauerklassiker, vielfach ausgezeichnet und in zahlreiche Sprachen übersetzt, erzählt vom Abschiednehmen und vom Umgang mit Trauer und Tod – ein Buch für Kinder ab neun Jahren, aber auch für die ganze Familie.
Für Kinder ab vier Jahren ist das gleichnamige Bilderbuch besonders geeignet.
Zielgruppe
Empfehlenswert für Kinder ab neun Jahren, ihre Familie sowie für Familienzentren, Beratungsstellen, Kindergärten, Schulen und therapeutisch Tätige.
Autoren/Hrsg.
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DER KNOTEN
Heute Morgen bin ich aufgewacht und habe als Erstes auf den Kalender geguckt, der neben meinem Bett hängt. Noch acht Tage, dann habe ich Geburtstag. Ich werde elf. Janni sagt, dass der elfte Geburtstag ein ganz besonderer ist. Das sagt er aber jedes Mal, wenn ich Geburtstag habe. Letztes Jahr zum Beispiel. Wir haben alle um den Tisch rumgesessen und Abendbrot gegessen, Mama, Papa, Ruben, Janni und ich. Und plötzlich hat Janni gesagt: »Alle Achtung, Louise wird zehn! Das ist ungeheuer bedeutsam!« Dazu hat er ein ganz wichtiges Gesicht gemacht und die Stirn gerunzelt, und ich musste lachen, weil er so komisch ausgesehen hat. Da hat Janni streng geguckt und gesagt: »Lach nicht, Louise, der zehnte Geburtstag ist ein ganz besonderer!« Und als ich gefragt habe, warum, hat er geantwortet: »Na, weil man nur einmal zehn Jahre alt wird! Das stelle man sich mal vor: Ein einziges Mal im ganzen Leben wird man zehn Jahre alt! Wenn das mal kein ganz besonderer Geburtstag ist!« Papa hat sich an die Stirn getippt und gegrinst, und Mama musste auch lachen, genau wie ich. Nur mein kleiner Bruder Ruben hat ein bisschen dumm geguckt. Aber das ist kein Wunder, denn Ruben war da erst fünf, und manche Witze hat er damals eben noch nicht so richtig verstanden. Aber ich glaube, diesmal hat Janni wirklich recht, wenn er sagt, dass mein elfter Geburtstag ein ganz besonderer ist. Es ist nämlich mein erster Geburtstag ohne Mama. Mama ist vor drei Monaten gestorben, und deshalb ist sie jetzt nicht mehr hier, bei uns, sondern ein Stern am Himmel. Mama ist jetzt ein Stern. Natürlich weiß ich, dass Sterne eigentlich kleine Himmelskörper sind, die von der Sonne angestrahlt werden oder so. Aber schließlich hat Mama selber gesagt, dass sie ein Stern wird. Und außerdem ist das Weltall ja noch gar nicht so ganz erforscht. Kann also doch immerhin sein, dass die Menschen tatsächlich zu Sternen werden, wenn sie gestorben sind, so wie Mama behauptet hat. Papa glaubt es ja irgendwie auch. Dass Mama ein Stern ist. Ab und zu, abends, wenn es dunkel ist, geht er mit Ruben und mir raus in den Garten, und dann stehen wir da und gucken hoch in den Himmel. »Seht ihr die Sterne da oben?«, hat Papa uns gefragt, als wir das zum ersten Mal gemacht haben. »Einer davon ist Mama. Mama ist jetzt ein Stern und leuchtet zu uns herunter.« »Und welcher?«, wollte Ruben wissen. Papa hat den Kopf geschüttelt. »Ich weiß nicht genau. Es sind einfach zu viele. Aber einer davon ist Mama, das weiß ich genau.« »Und wie weit weg sind die Sterne?«, habe ich gefragt. Da hat Papa eine ganze Weile geschwiegen, und dann hat er den Arm um mich gelegt und mich fest an sich gedrückt. »Unendlich weit weg, weiter als wir jemals gehen können«, hat er geantwortet. »Wir können zwar nicht zu den Sternen hin, aber sie können uns sehen.« »Und kommt Mama wirklich nie wieder?«, hat Ruben gefragt. Das fragt er immer noch manchmal, wenn wir von Mama reden, und dann werde ich jedes Mal ganz traurig. »Nein«, hat Papa gesagt. »Mama kommt zwar nicht wieder zurück, aber sie bleibt für immer da oben. Und deshalb ist sie auch nicht ganz fort, versteht ihr? Mama ist für immer da oben und leuchtet zu uns herunter. Und eines Tages, wenn wir sterben, dann werden wir selber zu Sternen und leuchten den anderen Menschen.« »Aber ist Mama nicht einsam da oben?«, hat Ruben gefragt, und Papa hat den Kopf geschüttelt. »Nein, Ruben«, hat er geantwortet. »Guck doch, da sind ganz viele Sterne um sie herum. Die haben es so gemütlich da oben wie ihr beide in euren kuschligen Betten. Und jetzt wird es höchste Zeit, dass ihr euch da hineinlegt.« Eigentlich darf ich länger aufbleiben als Ruben, aber an jenem Abend bin ich gerne so früh ins Bett gegangen. Ich habe mich tief in die Kissen gekuschelt und aus dem Fenster geguckt, und so, wie ich da gelegen habe, konnte ich sogar ein paar Sterne sehen, ganz weit oben am Himmel. Und ich glaube fast, einer davon ist Mama gewesen. Janni hat versprochen, mir nächste Woche wieder einen richtig tollen Geburtstagskuchen zu backen mit Kerzen und Marzipanherzen und allem Drum und Dran. Genau wie letztes Jahr. Janni kann echt tolle Kuchen backen, er ist der beste Kuchenbäcker in der ganzen Stadt. Janni behauptet, dass er sogar der beste Kuchenbäcker auf der ganzen Welt ist, aber ob das stimmt, weiß ich nicht. Schließlich war ich noch nicht auf der ganzen Welt, wie soll ich so was dann wissen? Aber eins weiß ich: Janni ist der liebste Onkel auf der ganzen Welt. Dabei ist er eigentlich gar nicht mein richtiger Onkel, so wie Onkel Lutz, der Bruder von Papa. Aber das macht nichts. Janni ist trotzdem mein Onkel. Mein Lieblingsonkel sogar. Janni ist der beste Freund von Mama. Das war er schon, als die beiden noch klein waren, und Janni sagt, das bleibt auch so, egal ob Mama nun ein Stern am Himmel ist oder sonst was. Janni meint, genauso, wie Mama meine Mama bleibt, für immer und ewig, genauso bleibt sie auch für immer und ewig seine beste Freundin. »Das war so und das bleibt so, basta, punktum und aus!«, sagt Janni, und es gefällt mir, wenn er das sagt. Mama hat immer aufgepasst, dass Janni sich die Haare rechtzeitig hat schneiden lassen. Janni hat normalerweise ganz ratzeputzekurze Haare, ungefähr so lang, wie ein Streichholz breit ist. Und immer, wenn sie ein bisschen länger geworden waren, hat Mama früher zu Janni gesagt: »Mensch, Janni, du musst dir mal dringend wieder die Haare schneiden lassen!« Dann hatte Janni beim nächsten Besuch wieder ratzeputzekurze Haare. Na ja, weil Mama ja nicht mehr da ist, pass ich jetzt jedenfalls darauf auf, dass Janni sich rechtzeitig die Haare schneiden lässt. Ab und zu messe ich seine Haare mit einem Streichholz nach, und wenn sie länger sind, als der Streichholzkopf breit ist, dann sage ich zu Janni: »Mensch, Janni, du musst dir mal dringend die Haare schneiden lassen!« Und schwupp! – Beim nächsten Mal hat er wieder ganz kurze Haare. »Ach, wenn ich dich nicht hätte, dann sähe ich jetzt schon aus wie ein Pudel«, sagt Janni manchmal, und dabei zieht er eine solche Schnute, dass ich jedes Mal lachen muss. Janni schneidet oft komische Grimassen, und man weiß dann gar nicht, ob er ernst meint, was er gerade sagt. Aber ein bisschen ernst meint er es meistens doch. Ich glaube, das mag ich besonders gerne an Janni: dass er oft so fröhlich ist. Mit Janni kann ich immer viel lachen, anders als mit den anderen Erwachsenen. Die sind immer so ernst, vor allem jetzt, seit Mama gestorben ist. Aber auch schon vorher. Angefangen hat das, als Mama krank geworden ist. Da haben fast alle Erwachsenen meistens nur noch ernst geguckt und geseufzt und so komisch leise geredet. Die Nachbarn und die Ärzte und die Krankenschwestern im Krankenhaus. Sogar meine Lehrerin, Frau Schlömer. »Wie geht es dir denn, Louise?«, haben sie mich gefragt und dabei so furchtbar ernst geguckt. Manchmal habe ich gedacht, dass sie mich lieber gefragt hätten, wie es meiner Mutter geht, aber dass sie sich das nicht so richtig trauten. Jedenfalls haben alle immer nur noch ernst geguckt, und ich habe mich schon ganz schlecht gefühlt, wenn ich mal im Garten laut gelacht habe und die Nachbarin über den Zaun zu mir rübergesehen hat. Aber Mama selber war oft fröhlich. Auch als sie schon so schlimm krank war und im Krankenhaus lag. »Das Leben ist schön, Louise«, hat Mama gesagt, bei einem der letzten Male, wo ich sie besucht habe. »Auch wenn alles ganz traurig und düster aussieht und man weinen muss und Schmerzen hat: Es gibt so viel schöne und lustige Sachen im Leben. Vergiss das nie.« Dann hat sie mich angelächelt und mir in die Seite gepufft, so wie früher, und ich musste ein bisschen lachen, obwohl ich schrecklich traurig war, weil ich da schon gewusst habe, dass Mama bald stirbt. Oma war auch dabei und hat mich ganz komisch angeguckt, so, als ob sie das nicht gut fände, dass ich jetzt lache. Aber ich glaube, Mama fand das in Ordnung. Sie hat auch ein bisschen gelacht, und manchmal, wenn ich wieder einmal besonders traurig bin, denke ich daran, wie Mama da ausgesehen hat: müde und krank und trotzdem irgendwie fröhlich. Mama ist an Krebs gestorben. Es gibt viele unterschiedliche Sorten von Krebs, und viele Leute sterben auch daran, aber das habe ich damals, als es angefangen hat, noch nicht gewusst. Aber damals habe ich eben viele Sachen noch nicht gewusst. Ich habe noch nicht mal so richtig mitbekommen, wie es eigentlich angefangen hat mit dem Krebs. Bis Mama den Krebs bekommen hat, war sie immer gesund. Eigentlich war Papa viel öfter krank als Mama. Papa hat oft Kopfweh gehabt oder Grippe, meistens hat er sich bei Ruben oder mir damit angesteckt. Manchmal haben wir alle drei krank im Bett gelegen. Dann hat Mama uns allen der Reihe nach Tee und Grießbrei gebracht und den Kopf geschüttelt. »Oh, lauter kranke Hühner! Eins kränker als das andere! Ein Wunder, dass ich noch auf den Beinen stehe!« Aber sie selber ist nie krank geworden. Mama war immer gesund, und deshalb war es besonders merkwürdig, als sie dann auf einmal doch krank geworden ist. Da war ich noch neun und in der dritten Klasse. Eines Tages, ein paar Wochen vor den Sommerferien, kam ich aus der Schule nach Hause, und Mama war nicht da. Stattdessen saß Janni in der Küche und wartete auf mich. Janni passte öfter mal auf Ruben und mich auf, wenn Mama was anderes zu tun hatte, deshalb habe ich mich...