Feroz | Vom Westen nichts Neues | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 6527, 220 Seiten

Reihe: Beck Paperback

Feroz Vom Westen nichts Neues

Ein muslimisches Leben zwischen Alpen und Hindukusch

E-Book, Deutsch, Band 6527, 220 Seiten

Reihe: Beck Paperback

ISBN: 978-3-406-80762-6
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Emran Feroz ist der Afghane aus Tirol, der heute in Deutschland lebt. Er bewegt sich seit seiner Kindheit zwischen den Welten. In seinem Buch erzählt Feroz die ganz besondere Geschichte eines Lebens zwischen Alpen und Hindukusch – und entschlüsselt die gefährlichen Klischees des Westens über die muslimische Welt.

Feroz’ Vater kam Ende der 1970er mit dem Bus aus Kabul nach Europa. Eigentlich wollte er dort nur studieren und im Anschluss wieder nach Afghanistan zurückkehren. Doch dann marschierten die Sowjets in seiner Heimat ein, und so blieb Vater Feroz in Tirol: der erste Afghane, den das Land sah. Sein Sohn Emran wuchs in den 90ern in Innsbruck auf. Dass er die Landeshymne auswendig konnte und Tiroler Dialekt sprach, reichte nicht aus, um anerkannt zu werden. Während seine türkischen und kroatischen Schulfreunde in den Sommerferien Heimaturlaub machten, herrschte in Afghanistan Krieg, der die Familie Feroz stets einholte. Und nach 9/11 wurde aus dem Tiroler Emran auf einmal der verdächtige Afghane und potenzielle Terrorist. Jahre später entdeckte er als Journalist und Menschenrechtsaktivist jenes Land, das laut den Zuschreibungen anderer seine Heimat sein sollte, und gewann dadurch einen neuen, kritischen Blick auf den Westen. In seinem Buch blickt Emran Feroz auf seine Tiroler Kindheit zurück, erzählt die Geschichte seiner vielfältigen Familie und seines politischen Erwachsenwerdens – und entlarvt den Rassismus des Westens im Umgang mit der muslimischen Welt. Die abermalige Machtübernahme der Taliban in Kabul und der neue Gaza-Krieg vertiefen dabei eine Kluft, die nur ein echter Brückenbauer zu überwinden weiß.
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Vorwort
In meiner afghanischen Heimat herrscht seit fast einem halben Jahrhundert Krieg. Das Wort «coup d’état», im Afghanischen meist Koh Dataa ausgesprochen, gehörte zu den ersten politischen Vokabeln, die ich gelernt habe. Meine Eltern meinten damit die friedliche Machtübernahme Daoud Khans, der 1973 die afghanische Monarchie abschaffte, und vor allem den blutigen Putsch der linksstalinistischen Demokratischen Volkspartei Afghanistans, durch den 1978 Tausende von Menschen ermordet oder vertrieben wurden. Danach waren die friedlicheren Zeiten am Hindukusch endgültig vorbei. Im Jahr 2019 schlenderte ich über den Markt von Kabul und naschte getrocknetes Obst, als ich mit einem älteren Mann ins Gespräch kam. Der Weißbart hieß Mohammad Naseem, trug eine typisch afghanische Pakol-Mütze und war früher ein Krieger. In den 1980er-Jahren kämpfte Naseem als Kommandant auf Seiten der islamistischen Mudschaheddin, die damals im Krieg gegen die Sowjetunion vom Westen und zahlreichen muslimischen Staaten unterstützt wurden. Zu Weihnachten 1979 hatten sowjetische Truppen das Land überfallen. Doch das Kämpfen war nicht das Einzige, das Naseem gelernt hatte. Er war auch ein Intellektueller, der u.a. in Frankreich und Deutschland Jura studiert hatte, weshalb er noch einige Fetzen Französisch und Deutsch beherrschte. Unter der Ägide des afghanischen Königs Zahir Shah waren er und zahlreiche andere junge Männer noch ins Ausland geschickt worden, damit sie mit Fachkenntnissen zurückkehrten, um ihr Land voranzubringen. Doch viele Studenten, die nach Europa, in die USA, in die arabische Welt oder in die Sowjetunion gingen, wurden dort auch politisch indoktriniert. Nachdem sie in ihre Heimat zurückgekehrt waren, fingen sie an, sich zu bekriegen und Afghanistan ins Chaos zu stürzen. Der König bereute sein Modernisierungsprojekt später bitter. Ex-Kommandant Naseem auf dem Kabuler Markt dazu kurz und bündig: «Unser Land wurde von fremden Gedanken und Ideologien durchlöchert.» Bis heute konnte sich die afghanische Gesellschaft davon nicht erholen. Allein während der zehnjährigen sowjetischen Besatzung des Landes starben rund zwei Millionen Afghanen und Afghaninnen, weitere Millionen wurden zu Geflüchteten. Nachdem der letzte Soldat der Roten Armee das Land im Jahr 1989 verlassen hatte, versank das Land in einem Bürgerkrieg, der abermals Hunderttausende Menschen das Leben kosten und die Großstädte des Landes zerstören sollte. 1996 errichteten die Taliban ihr Schreckensregime. 2001, nach den Anschlägen des 11. Septembers, marschierten die USA und ihre Verbündeten ein, nur um nach zwanzig Jahren brutaler Kriegsführung mit vielen Toten überstürzt abzuziehen und das Land abermals den Extremisten zu überlassen. Das afghanische Blutvergießen war auch ein Resultat unterschiedlicher Ideologien und Weltanschauungen, die aufeinanderprallten. Geschürt wurden die Konflikte nicht nur von der UdSSR oder militanten Islamisten, sondern auch in Washington, London und anderswo. Mit dem Beginn des globalen «War on Terror» der Amerikaner war Samuel Huntingtons These vom «Kampf der Kulturen» in aller Munde. Die anglosächsische Politelite machte keinen Hehl aus ihren Absichten mit Blick auf Afghanistan. Man sprach von Rache, Vergeltung oder einem «Kreuzzug» gegen die afghanischen und später auch irakischen Barbaren. Die Gegenwart verträgt keine weiteren Spalter und Hetzer, sondern braucht Brückenbauer, Weltenerklärer – oder Tarjuman, Übersetzer. Viele von «uns» Afghanen waren irgendwann in ihrem Leben schon mal als Übersetzer tätig. Meist in jungem Alter für unsere Eltern, Geschwister und andere Verwandte oder für Geflüchtete vor Gerichten oder bei der Polizei. Da prallen Welten aufeinander. Ich kann mich noch an den Innsbrucker Asylbeamten erinnern, der in seiner Mittagspause die Machtübernahme der rechtsextremen FPÖ herbeisehnte. Kurz zuvor hatte ein geflüchteter Hazara aus Afghanistan der anderen Beamtin, die ebenfalls ganz schön rechte Parolen schwang, und mir von Krieg und Bombenterror erzählt, wie er einst in seiner Heimatprovinz Ghazni fast von einer Granate getroffen wurde. «Der HC g’winnt hoffentlich und dann isch des vorbei!» «HC», damit war der damalige FPÖ-Chef und spätere Vizekanzler Heinz-Christian Strache gemeint. Der Satz des Beamten klang in diesem Kontext mehr als zynisch. Seine Kollegin ergänzte in meine Richtung: «De erzählen immer irgendwas … ob des stimmt?» Bei so viel Menschenfeindlichkeit und Verachtung fühlte ich mich in «meinem» Innsbruck auf einmal sehr fehl am Platz. Ich war nicht der erste Übersetzer in meiner Familie. Mein Vater hatte mich überhaupt erst dem Landesgericht als Übersetzer vorgeschlagen, etwa für die Tage, an denen er selbst verhindert war. Im Gegensatz zu vielen anderen afghanischen Familien, die ich später kennenlernte und die meist auf ihre heranwachsenden Kinder angewiesen waren, um bei Ämtern vorzusprechen oder Formulare auszufüllen, war mein Vater die deutsche Stimme in unserem Haus. Er hatte in Kabul ein deutsches Gymnasium besucht und beherrschte die Sprache schon, als er Ende der 1970er-Jahre nach Europa kam. In meinen ersten Lebensjahren sprach mein Vater mit mir nur Deutsch. Es war meist ein hochgestochenes Deutsch, mit vielen technischen und politisch konnotierten Begriffen. Neben meinem Vater gab es natürlich noch den Übersetzer der Familie schlechthin, meinen Großvater, der einst in Kabul als «Tarjuman Saheb» («Herr Übersetzer») bekannt war und neben den afghanischen Sprachen Farsi und Paschto vor allem auf Englisch arbeitete. Er übersetzte unter anderem die Werke Shakespeares, damit auch die Afghanen «Hamlet» oder «Othello» lesen konnten. Außerdem war er für die US-Botschaft in Kabul tätig, wo er regelmäßig bei wichtigen Empfängen zur Stelle sein musste und einmal sogar Henry Kissinger, dessen Weltanschauung er wohl kaum teilte, traf und für ihn übersetzen musste. Großbaba, wie mein Vater ihn in Gesprächen uns gegenüber nannte, war für viele seiner Landsleute ein Welterklärer. Leider ging vieles, was er geschrieben hatte, im Krieg verloren und wurde vernichtet. In einigen Onlinearchiven konnte ich allerdings einige seiner Artikel über Kolonialismus, die Weltkriege und Geopolitik wiederfinden. Auch er war ein Brückenbauer. Eines meiner Lieblingsfotos zeigt ihn Wasserpfeife rauchend gemeinsam mit einem Freund aus Kabul, einem Turban tragenden Sikh. Während in anderen Ländern Minderheiten gejagt wurden und in Europa der Holocaust stattfand, diskutierten im Salon meines Großvaters Muslime, Sikhs und Juden freundschaftlich und respektvoll über die Zukunft ihrer Heimat. Und dann war da auch noch Maamaa Waheed, mein Onkel, der Bruder meiner Mutter, der bis zu seiner Ermordung im November 2019 der internationalen Presse in verschiedenen Kriegszeiten mehr als drei Jahrzehnte lang zu erklären versuchte, was in Afghanistan vor sich ging. Maamaa Waheed hatte in Kabul studiert, als sich junge Islamisten und Kommunisten auf dem Campus der Universität bekriegten. Später, als die Sowjets einmarschierten und Afghanistan besetzten, schloss er sich – wie Mohammad Naseem und zahlreiche andere Afghanen – den Mudschaheddin an. Doch kurze Zeit später verlegte er sich darauf, das Schicksal seiner Heimat mit Stift und Feder zum Besseren wenden zu wollen. Im Exil in Peschawar lernte er nicht nur Abdullah Azzam, den einstigen Mentor bin Ladens, kennen, sondern auch Journalisten aus aller Welt, pakistanische Dichter oder afghanische Intellektuelle, die wie er zu Geflüchteten geworden waren. Auf der Beerdigung meines Onkels versammelten sich später Menschen verschiedenster politischer Richtungen, darunter ehemalige kommunistische Putschisten, Ex-Taliban, Vertreter der Kabuler Regierung, demokratische Universitätsprofessoren, säkulare Publizisten, Salafisten, Schiiten und Kleriker aller Schichten, Ethnien und Klassen sowie das einfache Volk. Man hätte nicht sagen können, wem mein Onkel angehörte, weil er sich ihnen allen irgendwie verbunden fühlte. «Du bist ein Kosmopolit, weil du zwischen zwei Welten lebst und beide verstehst», sagte mir einst mein Philosophielehrer am Gymnasium in Innsbruck. Damals wusste ich nur wenig mit dieser Zuschreibung anzufangen. Für viele andere Menschen mit afghanischen Wurzeln trifft sie ebenfalls zu. Der Historiker Tamim Ansary wuchs in Queens, New York, als Sohn einer Amerikanerin mit finnischen Wurzeln auf. Sein Vater hingegen gehörte zu den ersten Stipendiaten Zahir Shahs. Ansarys Identität liegt heute irgendwo zwischen Big Apple und Kabul. Nach den Anschlägen des 11. Septembers versuchte er, der englischsprachigen Welt zu erklären, warum die Afghanen keine Barbaren seien, ...


Emran Feroz, geboren 1991, berichtet seit Jahren aus und über Afghanistan, für die New York Times, die taz und zahlreiche weitere Medien. Feroz ist Gründer einer virtuellen Gedenkstätte für zivile Drohnenopfer; 2021 wurde er für seine Arbeit mit dem österreichischen Concordia-Preis in der Kategorie Menschenrechte ausgezeichnet. Zuletzt erschien sein SPIEGEL-Bestseller "Der längste Krieg. 20 Jahre War on Terror" (2021).


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