E-Book, Deutsch, 336 Seiten
Ferchländer Sterbenstörtchen
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-96041-490-2
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, 336 Seiten
ISBN: 978-3-96041-490-2
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Süß, köstlich, tödlich
Hanna und ihre Schwestern haben eines gemein: ein schlechtes Händchen in der Wahl ihrer Ehemänner. Doch eine Trennung ist eine mühsame Prozedur. Als ihre sterbenskranke Mutter
ankündigt, nur jenen Töchtern etwas zu vererben, die zum Zeitpunkt ihres Todes ohne Mann Kind, kommt Bewegung in die Sache. Während Hanna noch zögert, die Scheidung einzureichen, stirbt der erste Schwager ...
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Ehe man sich’s versieht
Alle glücklichen Bräute ähneln einander, jede unglückliche Braut hingegen ist auf ihre eigene, ganz persönliche Weise unglücklich. Am Morgen meiner Hochzeit wog ich neunundvierzig Komma fünf Kilogramm, meine BH-Größe war auf 75B geschrumpft, das Brautkleid saß wie eine zweite Haut. Ich hätte im siebten Himmel sein müssen, hatte ich es doch tatsächlich geschafft, mich auf Kleidergröße 36 hinunterzuhungern. Und dennoch entkam mir beim Blick in den Spiegel ein Schrei, laut genug, um die örtliche Feuerwehr zu alarmieren. Auf meinem Rücken hatte sich über Nacht ein rätselhafter Ausschlag gebildet, rot sprenkelte er sich in kleinen, unregelmäßigen Quaddeln vom Gesäß an aufwärts und zwischen den Schulterblättern hindurch bis knapp unter den Hals. Meine Rückseite sah aus wie eine Seekarte, auf der einige kleine Inseln eingezeichnet waren. Mama und Gerda stürzten praktisch gleichzeitig ins Zimmer. »Was ist passiert, um Gottes willen?«, keuchte Mama. In einer Hand hielt sie einen ihrer grünen Lockenwickler, der sich anscheinend frühzeitig gelöst hatte, mit der anderen raffte sie den Morgenmantel vor ihrem üppigen Busen zusammen. Als sie meine entstellte Hinteransicht in voller Blüte erblickte, seufzte sie: »Du meine Güte«, und ließ den Lockenwickler fallen. Gerda sagte zunächst gar nichts, sie glotzte mich nur ungläubig an. Erst als im Nebenzimmer ein jämmerliches Gequäke einsetzte, fand sie ihre Sprache wieder. »Na bestens, jetzt hast du Luki geweckt.« Seit dieses Baby auf der Welt war, hatte sie nichts anderes mehr im Sinn. Alles, was ihr einmal wichtig gewesen war, schien ihr nun egal zu sein. Dabei hatte Mama nur wenige Wochen vor Lukis Geburt unserer kleinen Schwester Paula das Leben geschenkt, und obwohl sie schon so alt war, machte sie kein solches Getue um ihr Baby. »Der hört schon wieder auf«, herrschte Mama sie an. »Das hier ist im Moment das dringlichere Problem.« Mamas Mitgefühl trieb mir erst recht die Tränen in die Augen. Schluchzend warf ich mich aufs Bett. Niemand außer einer Mutter hätte das Kauderwelsch verstehen können, das ich in das Kissen heulte. »Natürlich wirst du heiraten«, tröstete sie mich. »Wir lassen uns etwas einfallen.« »Hab ich dich nicht davor gewarnt, ein rückenfreies Kleid auszusuchen, bei deinen Hautproblemen?« Diese besserwisserische Bemerkung meiner Schwester war das Letzte, was ich jetzt brauchen konnte. Ich krallte die Finger ins Kopfkissen, packte das Teil und schleuderte es ihr ins Gesicht. Ich glaube, ich wäre ihr an die Gurgel gefahren, wenn unsere Mutter nicht dazwischengegangen wäre. »Geh und kümmere dich um dein Balg!«, herrschte sie Gerda an. »Wir reden später.« »Er ist kein Balg!«, schrie Gerda und knallte die Tür hinter sich zu. Mamas Wortwahl überraschte mich trotz meines Kummers. Der Makel eines in Sünde gezeugten Kindes haftete ohnehin schmerzlich an meiner Schwester, schließlich war sie immer unsere Heiligste gewesen. Die Sonntage, an denen sie der Messe ferngeblieben war, ließen sich garantiert an einer Hand abzählen. Umso verwunderlicher war es für die Gemeinde gewesen, als ausgerechnet die fromme Gerda bei ihrer Vermählung nicht nur ein Brautbukett, sondern auch ein kleines Bäuchlein vor sich hertrug. Gerda hatte enorm darunter gelitten, dass so manches junge Mädchen während der Zeremonie hämisch grinste und man am Stammtisch ungeniert von ihrem »Rauschkind« sprach, das sie von der Saison mitgebracht hatte. Anders konnte man es sich einfach nicht erklären, warum die schöne, stolze Hotelierstochter sich ausgerechnet von diesem dahergelaufenen Idioten von einem Masseur hatte schwängern lassen, einem Piefke, der aussah wie ein verhungerter Schiffbrüchiger. Dabei hätte sie zu Hause doch jeden haben können. Auch wir waren aus allen Wolken gefallen, aber ich wusste, dass es nicht der Alkohol gewesen sein konnte, denn Gerda trank nicht. Sie verabscheute Betrunkene, nicht nur wegen Papa. Zu oft hatte sie in der Gaststube miterleben müssen, wie der Schnaps biedere Ehemänner in hilflos lallende oder aggressive Tiere verwandelte. Für mich gab es daher nur eine Erklärung: dass Reinhold begnadete Hände hatte. Wahrscheinlich hatte er den katholischen Moralpanzer meiner Schwester kurzerhand wegmassiert und sie auf diese Weise rumgekriegt. Dass er sie dann heiraten musste, wurde nicht einmal diskutiert. Und so kam es, dass eineinhalb Jahre zuvor Gerdas Brautkleid den Umständen entsprechend weit weniger sexy gewesen war als meines. Diese Tatsache brachte mir in meiner Situation keine Erleichterung. Im Gegenteil – es war zum Heulen. Warum gönnte mir das Schicksal nicht, wenigstens ein einziges Mal in meinem Leben schlanker und hübscher zu sein als meine Schwester? Mamas harte Worte hatte sie trotzdem nicht verdient. Immerhin half Gerda später tatkräftig mit, meinen Auftritt zu retten. Nachdem die beiden den Ausschlag mit Salben und Puder beruhigt hatten, machten sie sich an die Deko. Aus einer Gardine bastelten sie mir eine Stola, und die Seitenschleife, die meine – unter unmenschlichen Entbehrungen erworbene – Wespentaille hätte betonen sollen, wurde ruckzuck nach hinten versetzt. Ich ließ alles willenlos über mich ergehen. Das lag wohl auch an der Überdosis Baldriantropfen, die Mama mir verabreicht hatte. Dennoch war ich mir des Ergebnisses vollauf bewusst: Mein verführerisches Rückendekolleté wurde mit einer Schleife zu Grabe getragen. Mit einer gigantischen Masche über dem Po und einem Vorhang um die Schultern trat ich vor den Traualtar. Die Hochzeitsgesellschaft starrte zwei Stunden lang auf ein Päckchen, das der Bräutigam demnächst auswickeln würde. Steif und verbissen umklammerte ich meinen Brautstrauß, weil die Schlaufe bei jeder kleinsten Bewegung am Ausschlag rieb und ihn erneut zum Jucken brachte. Selbst Willis Hochzeitskuss, der Augenblick, den ich monatelang herbeigesehnt hatte, brachte – im Angesicht des Herrn und vieler sensationslüsterner Hochzeitsgäste – nur kurzfristig Erleichterung. Erst an der Hochzeitstafel konnte ich das erste Mal ein wenig entspannen, da sich die Aufmerksamkeit der Versammlung nun auf das Essen und nicht auf meine heimlichen Kratzversuche an der Stuhllehne richtete. Als Papa allerdings in seiner heuchlerischen Rede vom »schönsten Tag im Leben einer jungen Frau« schwafelte, hätte ich ihm am liebsten die Sektflöte an den Kopf geworfen, Rollstuhl hin oder her. Aber wie immer schluckte ich meine Gefühle tapfer hinunter und zwang mich zu einem Lächeln. Zumindest auf den Fotos wollte ich glücklich aussehen. Wenn ich sie mir später wieder ansah, würde ich mein Unglück längst vergessen haben und der schlimmste Tag meines Lebens in die Verklärung der Vergangenheit getaucht sein. Was für eine naive Vorstellung! Dreißig Jahre später und ebenso viele Kilogramm schwerer hatte ich Probleme ganz anderer Natur, und mir war, als wäre mein Hochzeitstag eventuell doch einer der schönsten Tage unserer Ehe gewesen. Während der Hautarzt den Ausschlag damals den Hormonen zugeschrieben hatte, waren meine Pickel heute vorwiegend dem Küchendunst und der Schokolade geschuldet. Darüber hinaus quollen an allen möglichen Stellen meines Körpers üppige Rollen hervor, die von keiner Schleife der Welt verdeckt werden konnten. Das »Bing-Bong« der Schwingtür schubste mich aus meinen trübseligen Gedanken zurück in den Alltag. »Einmal das Steakmenü, einmal das Schulterscherzerl mit Rahmspinat, aber statt der Rösti Pommes, ein Cordon bleu ohne Käse – wohlgemerkt, ohne Käse! Und ein Kinderschnitzerl für den alten Georg. Und zwar pronto, wenn’s geht.« Willi warf mir die Kassenbons an die Speisetheke. Sie in die dafür vorgesehene Klemmleiste zu stecken, das war meinem Herrn Gemahl schon wieder zu viel Aufwand. Erst letzte Woche war ein Zettel unter die Anrichte geflattert, und natürlich war dann wieder ich schuld gewesen, als der Gast sich bei ihm beschwerte, weil er so lange aufs Essen warten musste. »Mit oder ohne Erdäpfelsalat?« Die Antwort kannte nur der Wind, welchen die Türflügel erzeugten, durch die Willi bereits ins Gastzimmer zurückgeschwungen war. Das bedeutete für mich also: Brille hervorkramen, putzen, weil völlig verschmiert, entsprechenden Bon suchen und mühsam nachlesen. Aufpassen, dass das Steak am Grill in der Zwischenzeit nicht zu durchgebraten wurde. Zu dumm, dass meine Köchin Marie sich ausgerechnet heute krankgemeldet hatte. Mein Lehrbub, der kleine Nedzad, war zwar sehr bemüht, aber er hatte von traditioneller österreichischer Küche wenig Ahnung und lernte nur langsam. Ich war schon froh, wenn er den Salat ordentlich putzte. Seufzend plattierte ich ein Schnitzel, belegte es mit einer Scheibe Schinken, klappte es zusammen und zog es durch Mehl, Ei und Brösel. Ob Gäste eigentlich wussten, wie viel Mehrarbeit Extrabestellungen dem Küchenpersonal machten? Das Steak fürs Menü hatte nun auch genug geruht. Aber wo blieb Willi? Hatte er die Klingel nicht gehört, oder war er wieder einmal am Flirten? Wenn er nicht bald erschien, war das Fleisch zäh wie Leder. »Komm ja schon. Was bist denn so nervös heute – nur weil die Verwandtschaft kommt?« Willi schnappte sich das Steak und einen gemischten Salat. »Die Schnitzel kannst auch gleich holen«, rief ich ihm nach, aber da hatte ihn die Schwingtür bereits wieder ins Lokal gestoßen. Dafür segelte Lenka, das blonde Gift, mit der nächsten Bestellung herein. »Einmal Mänie eins, Rostbraten mit frische Zwiebel, einmal Hirtenspieß und zweimal Schweinsbraten mit Knedel und Sauerkraut.« Sie...