E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Ferchichi / Staiger Auch wir sind Deutschland
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-86413-222-3
Verlag: riva
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht.
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
ISBN: 978-3-86413-222-3
Verlag: riva
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Anis Mohamed Youssef Ferchichi, der den meisten Menschen unter seinem Rappernamen Bushido bekannt ist, beschreibt in diesem Buch anhand von persönlichen Beobachtungen und Erinnerungen das Leben von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland, die noch immer als Ausländer wahrgenommen werden, obwohl sie zum Teil bereits in dritter Generation hier leben.
Ferchichi weiß, was es heißt, in einem reinen Ausländerviertel mit eingeschränkten Perspektiven groß zu werden. Er berichtet aus seiner eigenen Jugend und beschäftigt sich mit der Frage, warum so viele Kinder aus der Unterschicht das Interesse an der Schule verlieren, warum die "Ausländer" immer nur in Gruppen anzutreffen sind, wie arabische Frauen ihre eigene Stellung innerhalb der Gesellschaft behaupten und was wirklich in den orientalischen Cafés passiert, jenen geheimnisvollen Orten, an denen anscheinend Selbstjustiz geübt wird und die als Sinnbild der Parallelkultur schlechthin gelten. Ferchichi greift die drängendsten Fragen der Migrationsdebatte auf und entwirft das authentische Bild eines jungen Menschen, der zwischen den Kulturen aufgewachsen ist und doch seinen Weg gemacht hat.
Meinungsstark zeigt er das Bild einer neuen Generation von deutschen Staatsbürgern, die durch ihre kulturelle Vielfalt diesem Land so viel zu bieten haben, dass die Angst, Deutschland würde sich irgendwann abschaffen, vollkommen unbegründet ist. Auch er kennt die Schwierigkeiten eines multikulturellen Zusammenlebens und will sie auch gar nicht verschweigen. Trotzdem ist er sich sicher, dass dieses Land die besten Voraussetzungen dafür hat, diese Probleme zu lösen – Deutschland schafft das!
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Einleitung
Als ich im November 2011 den Medienpreis für Integration, den sogenannten Integrationsbambi, bekommen habe, schlugen die Wellen hoch. Die Medien flippten aus. Wie kann man nur, wie ist das möglich? Was hat dieser Arsch mit Integration zu tun? Warum ausgerechnet der, dieser schmutzige, intolerante, rassistische, schwulenfeindliche und arrogante Sack? Warum der? Warum der? Warum ausgerechnet der? Nun gut. Sagen wir es mal so: Vielleicht habe ich den Preis für Integration tatsächlich nicht verdient und vielleicht hätte man diesen Preis viel besser und viel verdienter an jedes x-beliebige Jugendhaus in Berlin-Neukölln oder Hamburg-Ossendorf vergeben sollen. Auf der anderen Seite aber: Warum nicht an mich? Habe ich es in dieser Gesellschaft nicht geschafft, als Kind eines Ausländers nach oben zu kommen? Ganz nach oben? Habe ich es als Junge aus der unteren Mittelschicht nicht geschafft, dauernd in der Bild-Zeitung zu stehen, in der Gala oder der Bunten und sogar vor dem Brandenburger Tor aufzutreten? Habe ich es als Angehöriger einer anderen Klasse nicht geschafft, dorthin zu kommen, wo sich die Burdas, Springers, Schröders, Merkels und Sixts dieser Welt tummeln? Habe ich das alles nicht geschafft? Habe ich nicht das Einzige geschafft, was diese Welt versteht und was noch immer das Integrationsmedium Nummer eins ist: Ich bin zu Geld gekommen? Habe ich mich nicht nach oben gearbeitet, bin ich nicht reich und gesellschaftlich das geworden, was man gemeinhin als prominent bezeichnet? Folgt man dieser Logik, dann habe ich diesen Preis voll und ganz zu Recht bekommen. Folgt man irgendeiner anderen Logik, einer Sozialarbeiterlogik, einer menschlicheren Logik, einer bildungsbürgerlicheren Logik, dann mag die Kritik zu Recht geäußert werden, aber solange es in dieser Gesellschaft um Geld, Macht und Einfluss geht – seid doch einfach still. Ich bin euer bestintegrierter »Quotenkanake« schlechthin. Ich bin euer persönlicher Albtraum. Ein junger, unbequemer Ausländer – mit sehr viel Geld! Als im April 2013 der Stern eine Geschichte über mich veröffentlichte, war ich wieder auf der Titelseite. Nun wurde mein Reichtum infrage gestellt. Nun ging es nicht mehr um die Frage, ob ich es gesellschaftlich nach oben geschafft hatte, sondern wie und mit welchen Leuten, und es wurden Gerüchte laut, ich hätte mich an die Mafia verkauft. Den Vergleich »ein Frank Sinatra in Jogginghosen« fand ich hierbei äußerst gelungen, auch wenn mich die Story nur ein paar Wochen nach dem Tod meiner Mutter ein wenig auf dem falschen Fuß erwischte. So lustig, wie ich ansonsten darauf hätte reagieren können, war mir zu diesem Zeitpunkt einfach nicht zumute. Abgesehen davon, stand in dieser Geschichte nichts drin, was nicht schon vorher an Vorwürfen gegen mich und meine Freunde existiert hatte, außer dass der Stern mit einer Generalvollmacht aufwarten konnte, die ich einem Freund und Geschäftspartner ausgestellt habe. Dass diese lediglich für ein gemeinsames Immobilienprojekt in Rüdersdorf gilt und zudem beschränkt ist, hat der Stern wohlweislich weggelassen. Mir kam das alles ein wenig hysterisch vor und nach der ganzen Lobhudelei der letzten Jahre, nach den Preisen und Auszeichnungen hatte ich den Eindruck, dass man mir wieder mal einen Dämpfer verpassen wollte. Vielleicht störte es manchen, dass ich als Vorzeigeintegrierter immer noch mein Maul aufmache und so rede, wie die Leute auf der Straße eben reden. Vielleicht hätte ich noch netter, noch freundlicher und noch dankbarer auf die ganze Zuneigung reagieren sollen, die mir entgegengebracht wurde. Aber warum? Ist es etwas Besonderes, wenn man als Ausländer in dieser Gesellschaft akzeptiert wird? Ich denke, nicht. Ich denke, das müsste eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, und genau so verhalte ich mich und genau so verhält sich auch mein Freundeskreis. Dass dies als Frechheit ausgelegt wird – das ist dann vielleicht euer Problem. Wenn man mir nun den Vorwurf machen will, dass ich mein Geld in andere Geschäftszweige stecke und der Rapper jetzt auch noch im Immobiliengeschäft Profit macht, dann sollte man vielleicht auch so manchem vermeintlich seriösen Konzern vorwerfen, dass er Geld in Streubomben und Landminen investiert. Dann sollte man doch bitte schön den Kapitalismus an sich auf die Anklagebank setzen. Hate the game, don’t hate the player. Aus diesem Grund denke ich, dass ich und diese Gesellschaft, in der ich lebe, Gesprächsbedarf haben. Nach dem Preisverleihungsdebakel, als die Stern-Geschichte erschien, habe ich mir ein paar Gedanken gemacht. Ich habe über dieses sperrige Wort »Integration« nachgedacht und was es denn genau bedeuten soll. Natürlich kann man mir in diesem Zusammenhang vorwerfen, dass ich ja gar kein richtiger Ausländer bin mit meiner deutschen Mutter, bei der ich die meiste Zeit aufgewachsen bin, aber was will man mir damit sagen? Dass ich nichts dazu sagen darf, weil ich dazu nichts zu sagen hätte? Das denke ich nicht. Meine Mutter ist Mitte der 70er-Jahre aufgebrochen aus dem streng katholischen und erzkonservativen Würzburg, hat einen Tunesier geheiratet und mit ihm ein Kind bekommen. Was war das für ein Skandal! Zwanzig Jahre lang hat die Familie meiner Mutter nur das Notwendigste mit uns gesprochen. Kein freundliches Wort. Keine Anrufe. Keine Glückwünsche. Keine Hilfe. »Was will sie denn mit so einem Kameltreiber?«, hieß es und von Integration war weit und breit keine Spur. Das ist noch nicht einmal vierzig Jahre her und das war in diesem Land. Warum sollte ich dann also nicht über Integration sprechen dürfen? Warum soll ich dafür keinen Preis bekommen, wenn ich das alles überwunden habe? Nach meiner Geburt in Bonn sind wir nach Berlin gezogen. Zuerst nach Kreuzberg in die Yorckstraße, später nach Neukölln. Hobrechtstraße. Sonnenallee. Ganz in der Nähe liegt die berühmte Rütli-Schule. Ausländerwelt. Wieso soll ich nicht über Integration sprechen dürfen, wenn ich es rausgeschafft habe aus dieser Welt, in der die meisten Menschen die Wahl zwischen Dönerverkäufer und Gemüsehändler haben? Wieso soll ich nicht über Ausländer, Gastarbeiter, Migranten und »Kanaken« sprechen dürfen, wenn ich doch dort aufgewachsen bin und ein Thilo Sarrazin sich dazu äußern darf, obwohl er da nicht aufgewachsen ist und vielleicht auch niemals dort war und diese ganzen Menschen gar nicht kennt? Wieso soll ich keinen Preis dafür bekommen? Nur weil ich nicht studiert habe und noch immer so rede wie die »Kanaken« in Neukölln? Die dummen Kameltreiber, Kümmeltürken, Schwarzköpfe, Kebabfresser und Muruks, die tagtäglich in den Medien vorgeführt werden als ständige Bedrohung, als Problemfälle, als Stachel im Fleisch des biodeutschen Volkes. Die Ausländer! Und wenn ich in diesem Buch von Ausländern rede, dann meine ich genau die. Leute, mit denen man besser nichts zu tun haben will, die Unterschicht. Diejenigen, die immer Probleme machen, die kriminellen Großfamilien, die Intensivstraftäter, um die sich die Schulen und Sozialarbeiter kümmern sollen, von denen man hofft, dass sie irgendwie die Kurve kriegen, die aber bitte schön nicht in den noblen Vororten Häuser kaufen, sondern lieber in ihren Gettos bleiben sollen. »Bushido hat ein Haus in Lichterfelde-West. Warum ist Bushido so bürgerlich geworden?«, fragt sich die Presse und unterstellt mir, dass ich zum Spießbürger geworden sei. In Wahrheit sind die zuständigen Zeitungs- und Fernsehredakteure lediglich davon angekotzt, dass sie selbst in solchen Vororten groß geworden sind und dass sie immer schon in dieser Spießerwelt gelebt haben. Und jetzt plötzlich steht der schwulenfeindliche »Kanake« auf der Nachbarterrasse und schlachtet dort wahrscheinlich seine Lämmer. Genau das mache ich und ich genieße jeden Tag eure verstörten Gesichter und freue mich darüber, dass ich hier leben darf in eurem Spießergetto, denn das ist Integration. Das ist echte Integration und deshalb habe ich dafür jeden beschissenen Bambi dieser beschissenen Welt verdient. Mit all den Vorwürfen, die nach der missglückten Bambi-Verleihung plötzlich auftauchten, stellte sich mir dann zuletzt auch die Frage, was das eigentlich sein soll, diese Integration. Bin ich jetzt tatsächlich integriert, nur weil ich dieses Haus in Berlin-Lichterfelde habe und in einem deutschen Spießervorort wohne? Ja, bin ich. Bin ich integriert, wenn ich aufgrund meines Glaubens, meiner Kultur und meines Männlichkeitsbildes ein gewisses Unbehagen beim Thema Homosexualität spüre? Nein, bin ich nicht, denn das wurde mir ja öffentlich vorgeworfen. Ist ein bayerischer Bauer, der aufgrund seines Glaubens, seiner Kultur und seines Männlichkeitsbildes Schwule scheiße findet und seinen Sohn mit der Mistgabel schlagen würde, wenn der sich outen würde, ist so ein Mensch in die deutsche Gesellschaft integriert? Aber ja, denn er ist ja deutschen Blutes. Bin ich integriert, wenn ich in meinen Texten Berliner Straßensprache spreche und die Sprache, die die Jungs auf dem Bau sprechen, egal, ob Türken, Moslems oder Deutsche? Offensichtlich ja. Bin ich integriert, wenn ich Steuern bezahle, bei Rot an der Ampel halte, die Gesetze dieses Landes respektiere und am Freitag in die Moschee zum Beten gehe, weil ich denke, dass Allahs Gesetze über den von Menschen gemachten Gesetzen stehen? Man kann es nicht sagen. Bin ich integriert, wenn ich mit Verbrechern und Dieben abhänge, die allesamt Banker und Börsenspekulanten wären, wenn sie in einem anderen Stadtteil geboren worden wären? Schließlich besitzen sie die gleiche Art von Energie, die...