E-Book, Deutsch, 448 Seiten
Fenwick Ein Sommer in Cornwall
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-641-13149-4
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 448 Seiten
ISBN: 978-3-641-13149-4
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Liz Fenwick hat schon an vielen Orten auf der Welt gelebt. Doch schließlich ist die dreifache Mutter ihrem Herzen gefolgt und nach England gezogen. Denn wirklich zu Hause fühlt sie sich nur in ihrem Cottage in Cornwall, wo auch ihre Romane beheimatet sind.
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Eins
Osterville, Cape Cod, Massachusetts
Ich stand vor dem großen Spiegel und erkannte die Frau nicht, die darin erschien.
»Ausatmen«, befahl Sophie, meine beste Freundin. »Wie viel Gewicht hast du seit der letzten Anprobe verloren?«
»Keine Ahnung.« Das Kleid hing an mir herab. »Könnten wir es nicht irgendwie ausstopfen?«
Sophie griff in ihr eigenes Kleid und zog zwei Gelkissen aus dem Mieder. »Hier, nimm die.«
Ich starrte wieder in den Spiegel und wartete, während sie die Knöpfe auf der Rückseite meines Kleids öffnete. Ich bot keinen schönen Anblick. Dass ich an meinem Hochzeitstag so aussehen würde, hatte ich mir nicht vorgestellt. Eine strahlende Braut sah anders aus.
»Ich kapiere einfach nicht, warum du dieses Kleid trägst.«
»Bitte nicht schon wieder! Mutter hat sich eben dafür entschieden.«
Sophie verdrehte die Augen. »Ich weiß, ich war dabei. Dieses Kleid hätte Rose gestanden und vielleicht sogar deiner Mutter, aber doch nicht dir! Das bist einfach nicht du!«
Ich holte tief Luft und schob die Einlagen in mein Korsett. Meine Brüste wurden zwar hochgedrückt, doch ein wirklich pralles Dekolleté bekam ich dadurch nicht. Sophie machte sich wieder an meinen Knöpfen zu schaffen. Ich wusste genau, was sie meinte. Das Kleid war viel zu verspielt und überladen, ich sah darin aus wie ein Kleiderständer im Baisermantel.
»Entschuldige, dass ich Rose erwähnt habe.«
»Ist schon okay.«
Sophie umarmte mich schnell. Zusammen blinzelten wir gegen die Tränen an. Ich trug viel zu viel Wimperntusche, um jetzt losheulen zu können.
»Seid ihr so weit?« Jane, meine Mutter, kam ohne anzuklopfen ins Zimmer gestürmt und musterte mich von Kopf bis Fuß. Ich hielt den Atem an.
»Du siehst …« Mutter trat auf mich zu und zupfte den Ausschnitt über meinem gepolsterten Busen zurecht. »… perfekt aus.«
»Danke.« Ein weiterer Blick in den Spiegel bestätigte mir, dass ihre Worte eine Lüge waren. Mutter stand neben mir und betrachtete unser Spiegelbild. Ich überragte ihre grazile Gestalt in dem zartlila Kleid, das ihr blondes Haar hervorragend zur Geltung brachte. Ähnlich war nur unser Mund, ich hatte ihre vollen Lippen geerbt. Rose war Mutters Ebenbild gewesen, klein, zierlich, hell, ich dagegen war eher ein dunkler, schlaksiger Typ.
»Ich wusste, dass ich mit dem Kleid richtiglag. Es steht dir viel besser als das, was du dir ausgesucht hattest.«
Ich nickte. Ihr zu widersprechen brachte zu diesem Zeitpunkt gar nichts; ich hatte viel zu lange damit gewartet.
Kein Lüftchen wehte durch die Blätter der Birken, von denen die Kirche eingerahmt wurde. Wäre nicht das Geplapper von drinnen zu hören gewesen, hätte man fast meinen können, die Zeit stünde still. Ich stand vor dem Eingang und versuchte zu atmen. Die Luft war schwül, drückend. Trotz des Dunstschleiers lag die Temperatur bei über fünfunddreißig Grad. Wie konnte es Anfang Juni in Cape Cod nur so heiß sein?
»Alles klar?«, fragte Dad, der von hinten an mich herantrat und meinen Ellbogen nahm.
Ich runzelte die Stirn, dann drehte ich mich um und grinste ihn an.
»Nervös?« Er schaute auf die Uhr. Es war Punkt drei. Jeden Augenblick würde die Musik wechseln und ich meinen letzten Gang als unverheiratete Frau antreten. Vorsichtig spähte ich durch die Tür und den Mittelgang entlang. Die Kirche war mit einer Unmenge von rosa Blumen geschmückt – Hunderten von Lilien, um genau zu sein. Der Altar war kaum zu sehen hinter den zahllosen Blüten, die in sämtlichen Nuancen dieser grauenhaften Farbe leuchteten. Blassrosa war vorherrschend. Ich hatte Rosa immer schon gehasst. Vielleicht hätte ich das sagen sollen, aber ich hatte es versäumt.
Neben dem Altar stand John, mein Verlobter: groß, blond und absolut umwerfend, doch auch er hatte sich der Farbe nicht entziehen können: Der Kummerbund seines Smokings war auf die rosa Kleider der Blumenmädchen abgestimmt. Wie Aufziehpuppen wuselten sie um meine Knie herum, stark riechende rosa Lilien in den kleinen Fäusten.
Ich hielt meinen Brautstrauß ein Stück von mir weg. Der Duft von Lilien nahm mir jedes Mal den Atem, doch in der Hitze war es noch schlimmer. Als ich aufschaute, begegnete ich dem Blick meines Vaters.
»Woran denkst du, Jude?«
Ich beugte mich vor und lehnte für eine Sekunde meinen Kopf gegen seine Schulter. »An den Garten, den wir in Abu Dhabi angelegt haben.«
»Da war es auch so heiß wie hier im Moment.«
»Ja, das war es.« Abu Dhabi war etwas ganz Besonderes gewesen. Rose war noch wohlauf gewesen, als wir dort gelebt hatten, Mutter weniger hektisch und der Garten ein Traum. Ich meinte, den Duft von Wachsblumen und nachtblühendem Jasmin zu riechen. »Ich habe den Garten geliebt.«
»Ich auch.« Dad zog seinen Kummerbund zurecht. Für mich in meinem dünnen Kleid war die Hitze schon zu viel, für meinen Vater im Smoking musste sie schier unerträglich sein.
»Es war der erste, den wir von Grund auf gestaltet haben.«
»Das ist schon so lange her.« Er legte seine Hand auf meinen Arm.
»Fast zwanzig Jahre.« Die Musik setzte aus. Ich spürte, wie sich der Druck von Dads Hand verstärkte. Mein Mund wurde trocken.
»Bist du bereit?«, fragte er.
Ich nickte, doch dann sah ich Mutter, die wild Richtung Chorempore gestikulierte.
»Falscher Alarm.« Dad zückte ein Taschentuch und wischte sich die Stirn. Die Rosenknospe in seinem Knopfloch ließ schlaff den Kopf hängen. Ich berührte sie vorsichtig.
»Wir sind einfach nicht für diese Hitze geschaffen«, erklärte Dad und steckte sein Taschentuch ein, »weder die Rose noch ich.«
»Ich liebe Rosen.« In meiner Kehle bildete sich ein Kloß.
»Sie wäre entzückt gewesen.« Er ließ den Blick durch die Kirche schweifen. »Im Geiste ist sie bei uns.« Er nahm meine Hand und drückte sie. »Deine Mutter geht das Mittelschiff entlang. Ich sehe besser mal nach, was der Grund für die Verspätung ist.«
Rasch eilte er zu Mutter und geleitete sie zurück an ihren Platz. Die Kirche war gesteckt voll mit fünfhundert herausgeputzten Menschen. John und ich kannten vielleicht die Hälfte von ihnen, doch nur etwa hundert davon waren Freunde. Meine Eltern hatten sich nicht lumpen lassen, und ich hatte es nicht übers Herz gebracht, ihnen Zügel anzulegen. Schließlich war das ihr größter Traum. Seit nunmehr achtzehn Jahren war ich ihr einziges Kind, und das war das Mindeste, was ich ihnen schuldete. Sie würden niemals Rose’ Hochzeitstag erleben, das hier war ihre einzige Chance, eine Riesenparty zu schmeißen.
Meine Eltern standen neben der vordersten Bankreihe und steckten die Köpfe zusammen. Die versammelten Gäste tuschelten leise. Auch die sonst so schlichten Kirchenbänke waren hinter den üppigen Blumengirlanden kaum mehr zu erkennen. Kein noch so kleines Detail war der Aufmerksamkeit meiner Mutter entgangen.
Ich schloss die Augen, spielte nervös mit meinem Bettelarmband und fragte mich, was wohl los sein mochte. Der Höcker des Kamel-Anhängers war schon ganz flach, so oft hatte ich darüber gerieben und mir gewünscht, Rose wäre noch bei mir. Sie war sieben Jahre älter gewesen als ich, und ich hatte sie vergöttert. Wenn sie jetzt hier wäre, wenn die Nierenerkrankung ihr nicht das Leben genommen hätte, wäre ich bestimmt nicht derart aufgeregt, und Mutter hätte nicht so einen Wirbel veranstaltet.
Die Musik wechselte, und ich öffnete die Augen. Wo war Dad? Sollten wir nicht zusammen den Mittelgang entlangschreiten? Rasch suchte ich mit den Augen die Kirche ab. Da war er und beruhigte Mutter. Er drückte ihr einen Kuss auf die Schläfe und zog sich zurück.
Ein Wagen fuhr draußen vor. Die Tür öffnete sich, und ein stämmiger Knöchel wurde auf dem Asphalt platziert. Ich sprang die Stufen hinunter, um Großtante Agnes aus dem Wagen zu helfen, doch sie scheuchte mich mit ihrem Gehstock weg und wartete auf den Fahrer, der bereits um den Wagen herum und ihr zu Hilfe eilte.
»Ich bin froh, dass ich nicht zu spät bin.« Der Fahrer reichte ihr ihren zweiten Gehstock, und Großtante Agnes kämpfte sich die Stufen der Kirchentreppe hinauf. Ich ging neben ihr her, bereit, sie falls nötig zu stützen. Mit vierundneunzig lebte sie noch in ihrer eigenen Wohnung, obwohl alle außer mir auf sie einredeten, sie solle endlich in ein Altersheim ziehen.
»Du musst nicht so ein Aufhebens um mich machen, Jude«, bellte sie mich an. »Es ist mir gelungen, bis zu deinem Hochzeitstag am Leben zu bleiben, also werde ich es auch noch bis in die Kirche schaffen.«
Ich bewunderte ihre Tatkraft, doch trotz ihres ausdrücklichen Wunsches, allein die Stufen hinaufzugehen, hielt ich Ausschau nach einem der Zeremonienmeister, die gleichzeitig als Platzanweiser fungierten. Es entsprach zwar nicht gerade der Tradition, dass die Braut ihre Gäste platzierte, doch Agnes war etwas Besonderes, also würde ich Mutters Unmut in Kauf nehmen und genau das tun.
An der Kirchentür blieben wir stehen. Meine Großtante holte tief Luft, während sie mich von Kopf bis Fuß musterte. »Nette Schuhe. Grässliches Kleid. Hat mit Sicherheit deine Mutter ausgesucht. Sie hatte schon immer einen ganz eigenen Geschmack.«
Ich öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch dann klappte ich ihn wieder zu.
»Du bist ein...




