Fengler | Die Ballerina | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 406 Seiten

Fengler Die Ballerina

Historischer Roman
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-8412-1326-6
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Historischer Roman

E-Book, Deutsch, 406 Seiten

ISBN: 978-3-8412-1326-6
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Liebe und Leid einer umschwärmten Tänzerin Berlin 1744. Friedrich der Große gilt nicht nur als genialer Militärstratege - er ist auch ein Liebhaber der schönen Künste. Mitten in die Stadt läßt er die prachtvolle Oper Unter den Linden erbauen. Leider fehlt ihm ein Star für seine Bühne, denn welche Tänzerin mag sich ins noch reichlich provinzielle Preußen bequemen? Kurzerhand läßt der König eine Ballerina aus Venedig entführen: Die schöne Barbara Campanini wird von seinen Agenten nach Berlin verschleppt. Dort bringt die eigenwillige Frau schon bald die Stadt und den Hofstaat des Königs in Aufruhr. 'Pirouetten zwischen Paris, Venedig und Berlin. Tanz als Flucht und Möglichkeit der Selbstverwirklichung. Wie selbstverständlich wird der Leser in die Welt des höfischen Theaters hineingezogen.' Maxi



Susanne Fengler, 1971 in Dortmund, geboren, ging zunächst an eine Schauspielschule in New York und studierte dann Kommunikationswissenschaft in Berlin. Nach ihrer Promotion arbeitete sie zwei Jahre lang für eine große Partei und lehrte Kommunikationswissenschaft in der Schweiz. Zurzeit ist sie Professorin für Internationalen Journalismus an der Universität Dortmund und lebt in Berlin. Als Aufbau Taschenbuch erschienen von ihr die Romane 'Fräulein Schröder' und 'Die Ballerina'.

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1


Es ging wie immer um den Schuh, Viazemskys Hirngespinst, diesen obskuren chaussure à point, und es war wie jedesmal derselbe betont belanglose Satz, mit dem Viazemsky versuchte, sie dazu zu überreden, ihn auszuprobieren.

»Mein neues Modell ist fertig. Ich glaube, das ist jetzt der Durchbruch. Willst du ihn nicht rasch einmal überziehen?«

Barbara sah ihn an. Sie mußte lachen, denn es war immer dieselbe Ausrede, mit der sie ihn abwimmelte. Warum fragte er sie überhaupt noch?

»Heute geht es nicht«, antwortete sie leichthin. »Ein anderes Mal vielleicht.« Dieses andere Mal würde es wohl nie geben. »Ich habe heute Vorstellung.«

»Du glaubst nicht an mich.« Viazemsky spielte den Beleidigten.

»An dich schon. Aber nicht an deinen Schuh.«

»Das ist ein und dasselbe«, entgegnete Viazemsky streng.

Sie hätte es wissen müssen, denn er tat nun schon seit Wochen wieder sehr geheimnisvoll, und dann war klar, daß zwangsläufig der Tag kommen würde, an dem er ihr stolz seinen neuen Schuh präsentierte. Sie hätte gleich nach der Probe nach Hause fahren sollen, aber aus Gewohnheit schaute sie jeden Tag nach der Oper bei ihm in seiner Werkstatt vorbei, um ein wenig zu plaudern, bevor sie sich für die abendliche Vorstellung ausruhte.

Außerdem roch es hier so gut nach Leim, Holz und Tinkturen. Durch die vergitterte Luke schien die warme Septembersonne in den Keller hinab, und es machte immer wieder Spaß, in dem Durcheinander zu stöbern, das Viazemsky hier unten angerichtet hatte. Holzstücke, Sägen, Feilen und Stoffe türmten sich überall, auf den Stühlen, Bänken und in den Regalen, und selbst der goldene Rahmen um das Gemälde von Barbara diente als Ablage für Nägel.

Das Bild war jetzt vier Jahre alt, angefertigt zu Weihnachten 1739, als Barbara gerade, mit sechzehn, ihr sensationelles Debüt als erste Tänzerin der Pariser Oper gefeiert hatte. Die Kellerluft war der Leinwand schlecht bekommen: Sie wellte sich, und die Farbe war bereits an einigen Stellen gesprungen – eigentlich eine Schande, denn das Gemälde war damals im Salon des Fürsten von Ligne gezeigt worden, wo ganz Paris es bewundert hatte, dieses Bildnis der Mademoiselle Barbara Campanini, Primaballerina des Pariser Balletts, mit den dunklen, orientalischen Augen, schweren Lidern und langen Wimpern, den schwarzen Haaren, die sie gegen die Mode der Zeit stets à la nature, ohne Perücke, trug, dem frischem Teint und dem feinem Lächeln. Neben ihrem Bild hingen technische Skizzen, Federzeichnungen von Beinen und Füßen, teils verblaßt, teils noch ganz frisch.

Zbigniew Viazemsky, ihr Meister und Impresario, hatte sich hier in dem großen Mietshaus an der Rue de Gascogne eine Werkstatt gemietet, um sich unbehelligt seinen Forschungen widmen zu können. Er arbeitete seit Jahren an einem Schuh, der den Tänzerinnen mehr Eleganz und Leichtigkeit beim Ballett verschaffen sollte, indem er sie mittels einer Holzkonstruktion auf ihre durchgestreckten Zehenspitzen erhob. Viazemsky nannte den Schuh eitel chaussure à point Viazemsky oder auch Fußspitzen-Tanzschuh und war besessen von der fixen Idee, durch seine Erfindung den Balletttanz zu revolutionieren. Inzwischen war er Mitte vierzig, ein schlanker, eleganter Mann und mäßig begabter Ex-Tänzer, der früher an der Petersburger Hofoper aufgetreten war, mit stechenden grünen Augen, Sommersprossen und dem leicht gewellten, rotbraunen Haar der Polen. Bei passender Gelegenheit gab sich Viazemsky gern charmant, als ritterlicher Kavalier, den die Frauen liebten, obwohl er selbst nichts mit ihnen anfangen konnte; nur Barbara gegenüber tat er sich keinen Zwang an.

»Ich unternehme meine Anstrengungen ausschließlich für dich«, sagte Viazemsky gekränkt. »Diese Pantinen, mit denen ihr Mädchen auftretet, sind schrecklich: keine Spur von Eleganz. Bei dir ist es am allerschlimmsten, da du Beine wie ein englischer Dachshund hast.«

»Ich kann nichts dazu.« Immer wieder fing er von ihren Beinen an. Wenn sie einen Schnupfen hatte, verlor er kein Wort darüber.

»Überleg es dir«, sagte Viazemsky und hielt ihr sein neuestes Modell hin. »Es ist auch bestimmt nicht gefährlich.«

»Viazemsky«, sagte Barbara und seufzte, »wir arbeiten jetzt seit sechzehn Jahren zusammen. Seitdem ich dich kenne, brütest du über diesem Schuh; dennoch hat er bislang kein einziges Mal funktioniert, und darüber hinaus zahlst du immer noch Regreß an diese polnische Tänzerin, die sich wegen deines chaussure die Hüfte gebrochen hat.«

»Damals war ich noch nicht so weit, und, nebenbei bemerkt, wenn ich vorher gewußt hätte, wie störrisch du dich aufführen würdest, dann hätte ich dich in Parma bei deinen Eltern sitzengelassen und dich nicht zu mir in die Ausbildung genommen.«

»Ich bedauere dich kein bißchen. Du hast schon genug verdient mit mir.«

»Heißt das, du beklagst dich über mich? Findest du, daß ich dir zu wenig von deiner Gage auszahle?«

»Das habe ich nicht gesagt. Ich bin lediglich der Ansicht, daß du ein sehr angemessenes Auskommen hast durch mich.«

Viazemsky sah ein, daß seine Drohungen nichts nützten. Er stand auf, trat hinter Barbara und legte seine Hände auf ihre Schultern.

»Es tut mir leid, Barbara, und ich wollte dich ganz gewiß nicht bedrängen, aber wenn du, die schönste und berühmteste Ballerina von Paris, mithin die beste Tänzerin der Welt, Liebling des Prinzen von Carignan, des Marquis von Thebouville und vieler weiterer, höchst bedeutender Herren, mit meinem Schuh auftreten würdest, könntest du mir wirklich sehr helfen, da ich –«

Es klopfte an der Tür. Barbara sah Viazemsky erstaunt an.

»Erwartest du Gäste?«

Viazemsky sprang auf.

»Wir erwarten Gäste.«

»Wir?« Barbara runzelte die Stirn. Bekannte lud Viazemsky höchst ungern ein, und Barbara konnte sich auch nicht daran erinnern, jemals einen Familienangehörigen von Viazemsky kennengelernt zu haben. Er kam aus einer Tänzerfamilie aus Warschau. Schon sein Großvater war beim Ballett gewesen, damals, als noch keine Frauen die Bühne betreten durften, soviel wußte sie gerade noch. Doch Viazemsky reiste oft, ohne zu sagen, wohin, und kehrte zurück, ohne ihr zu berichten, wo er gewesen war, wie ein Spion, der zwischen geheimnisvollen, nebeligen Fronten operiert.

Obwohl sie sich so gut wie täglich sahen und Barbara ihm in Geschäftsdingen blind folgte, war Viazemsky im Grunde ein Unbekannter für sie geblieben. Soweit sie sich erinnern konnte, hatte er sie nie nach den kleineren Dingen des Lebens gefragt, ob sie zum Beispiel nach anstrengenden Proben erschöpft war. Ihre Konversation beschränkte sich auf das Ballett, auf Choreographen, Komponisten und Spielpläne. Seit sie aus Parma fortgegangen waren, hatte Barbara jemanden gesucht, an dessen Schulter sie sich anlehnen konnte, wenn sie müde oder traurig war. Früher hatten ihre Eltern sie getröstet, aber beide waren leider längst verstorben. Erst im vergangenen Jahr hatte sie bei einem Gastspiel in London zufällig jemanden kennengelernt, Mackenzie, den dreiundsechzigjährigen Lord Stuart Wortley Mackenzie, der besorgt an ihrem Bett ausharrte, wenn sie erkältet war, ihr riet, an Regentagen nur mit Schirm auszugehen, und sich dafür interessierte, welche Belanglosigkeiten ihr ihre früheren Nachbarn aus Parma schrieben.

»Frag nicht so viel. Es ist Herr Mendrich aus Berlin, ein äußerst wichtiger Mann am dortigen Hof.« Viazemsky war mit einem Mal nervös. »Steh auf, wenn er hereinkommt, und vergiß keinesfalls, zu knicksen.«

Gehorsam erhob sich Barbara. Viazemsky ging zur Tür und richtete dort sein schwarzes Seidencape, das an mehreren Stellen gestopft werden mußte. Barbara unterdrückte ein schadenfrohes Grinsen. Viazemsky warf Barbara noch einen mahnenden Blick zu und öffnete dann schwungvoll die Tür.

»Enchanté.«

Ein dicklicher Herr stand vor der Tür, mit rundlichem Gesicht und treuherzigen blauen Augen, gewandet in einen bodenlangen braunen Reisemantel. Auf Viazemskys Geheiß hin trat er in die Werkstatt ein, mit langsamen, schwerfälligen Bewegungen nach Art eines dressierten Tanzbären vom Jahrmarkt. Kaum, daß er Barbara entdeckt hatte, blieb er stehen und starrte sie ehrfurchtsvoll an, so daß Viazemsky ihn mit dem Ellbogen in die Seite stoßen mußte, um ihn daran zu erinnern, daß er eine Mitteilung für Barbara hatte, und zwar eine dringliche.

Mendrich räusperte sich.

»Bonjour, Mademoiselle Barbara.«

Er sprach ein bedächtiges Französisch, mit dem schweren Akzent wenig weltläufiger Menschen, die selten ins Ausland reisen und keinen Umgang mit Fremden pflegen. Barbara knickste, wie Viazemsky es ihr aufgetragen hatte, und Mendrich beeilte sich ebenfalls, sich vor Barbara zu verbeugen.

»Ich habe schon viel von Ihnen gehört, Mademoiselle«, begann Mendrich zaghaft.

»Das freut mich.« Jedermann hatte schon viel von ihr gehört, ganz Europa kannte sie, und Barbara fand, für einen ihr als wichtig angekündigten Gast aus Berlin machte dieser Herr reichlich einfallslose Komplimente, aber er stammte natürlich, was man berücksichtigen mußte, aus Preußen, einem Land weit draußen im fernen und barbarisch rohen Osten, wo man in Ermangelung jeglicher verfeinerten Kultur vor allem auf seine Armee stolz war oder sein mußte.

»Daß Sie jeden Tag fleißig üben, wie mir Monsieur Viazemsky erzählt hat«, fuhr Mendrich jedoch unbeirrt fort, »und daß...



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