E-Book, Deutsch, 208 Seiten
Reihe: zur Einführung
Fellmann Phänomenologie zur Einführung
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-96060-014-5
Verlag: Junius Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 208 Seiten
Reihe: zur Einführung
ISBN: 978-3-96060-014-5
Verlag: Junius Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Geschichte der Phänomenologie ist die Geschichte der Entfaltung einer Grundidee ihres Begründers Edmund Husserl. So unterschiedliche Temperamente wie Scheler, Heidegger, Sartre und Merleau-Ponty haben sie vorangetrieben – die Enkelgeneration hat sie vornehmlich verwaltet. Ferdinand Fellmann vollzieht die ursprünglichen Intentionen der Disziplin nach und sucht in den nicht unerheblich voneinander abweichenden Positionen den roten Faden. Durch eine unkonventionelle Lesart entrümpelt er die Phänomenologie und hebt jene ihrer Denkformen heraus, an die sich gegenwärtige Fragestellungen anschließen lassen. Im Mittelpunkt steht jene kulturwissenschaftliche Transformation, die die Phänomenologie angesichts der Medialisierung der Lebenswelt als allgemeine Theorie der Medien wieder in den Mittelpunkt rückt.
Autoren/Hrsg.
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Inhalt:
Einleitung: Annäherungen an die phänomenologische Philosophie
Historische Distanz
Verhältnis zu den Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie
Phenomenology still matters
1. Die Idee der Phänomenologie: Strukturwissenschaft des Bewusstseins
1.1 Phänomenologie als Disziplin
1.2 Phänomenologie als Methode
1.3 Phänomenologie als Anspruch
1.4 Struktur: Ein verdeckter Leitbegriff der phänomenologischen Forschung
1.5 Phänomenologie als Strukturwissenschaft
1.6 Die Grundfrage der Lesbarkeit
1.7 Suche nach ›wirklicher Wirklichkeit‹
2. Die Anfänge: Der Kampf um den wahren Positivismus
2.1 Psychologie der Repräsentation
2.2 Bedeutung
2.3 Intentionalität
2.4 Bewusstseinsakte
2.5 »Sehen-als«
2.6 »Wahrer Positivismus«
3. Phänomenologische Reduktion: Die Faszination der Möglichkeiten
3.1 Transzendentalismus
3.2 Konstitutionstheorie
3.3 Evidenz
3.4 Reduktionslehre
3.5 »Möglichkeitssinn«
3.6 Transzendentale Reduktion
3.7 Stärken und Schwächen der Reduktionslehre
4. Phänomenologie des emotionalen Lebens
4.1 Neuidealistische Herkunft der Wertlehre
4.2 Apriorismus des Emotionalen
4.3 Phänomenologie des Wertfühlens
4.4 Kritik an Kants Ethik
4.5 Wert und Person
4.6 Philosophische Anthropologie
5. Von den möglichen Welten zum In-der-Welt-sein
5.1 Existenzial der Angst
5.2 Vom Erkenntnisproblem zur Seinsfrage
5.3 Fundamentalontologie und dialektische Theologie
5.4 Die Wirklichkeit als »Seiendes«
5.5 Die Welt als »Sein«
5.6 Das Leben als »Dasein«
5.7 Hermeneutik der Faktizität
5.8 Zeitlichkeit und Nichts
5.9 Kritik an Heideggers Denkstil
5.10 Heidegger als Zivilisationskritiker
6. Phänomenologie der Freiheit
6.1 Vom Sein zum Nichts
6.2 Imagination und Negation
6.3 Freiheit in der Situation
6.4 Wahrnehmung und Verhalten
6.5 Fungierende Intentionalität
6.6 Phänomenologie aus jüdischer und protestantischer Sicht
7. Lebenswelt und Technisierung
7.1 Herkunft des Begriffs
7.2 Umwelt als Reich des Selbstverständlichen
7.3 Illegitimität der Neuzeit
7.4 »Wissenschaft von der Lebenswelt«
7.5 Karrieren des Begriffs
7.6 Phänomenologische Technikkritik
7.7 Lebenswelt im Singular oder Plural?
7.8 Wissenschaft von der Lebenswelt als Kulturphilosophie
8. Die Zukunft der Phänomenologie: Eine allgemeine Theorie der Medien
8.1 Medium der Phänomenalität
8.2 Medium und Milieu
8.3 Heterophänomenologie
8.4 »Das Medium ist die Botschaft«
8.5 Phantasie als Lebenselement des phänomenalen Bewusstseins
8.6 Im Medium der Gefühle
8.7 Dasein zwischen Ereignis und Erzählung
8.8 Phänomenologie und Literatur
8.9 Mediale Erweiterung des menschlichen Körpers
8.10 Mediale Dekonstruktion
8.11 Allgemeine Medientheorie
8.12 Phänomenales Bewusstsein und Virtual Reality
8.13 Phänomenologie als Rettung der Wirklichkeit
Epilog
Literatur
1. Die Idee der Phänomenologie: Strukturwissenschaft des Bewusstseins
Phänomenologie ist nicht identisch mit Husserl. Max Scheler und Martin Heidegger, später auch die französischen Denker wie Jean-Paul Sartre und Maurice Merleau-Ponty haben ihr eine neue und breit wirksame Gestalt gegeben. Bei genauerer Betrachtung stellt sich jedoch heraus, dass es sich letztlich immer um die Entfaltung von Ansätzen handelt, die in Husserls ursprünglichem Denken enthalten sind. Das gilt selbst für die Wertethik Max Schelers, die gern als selbständige Leistung neben Husserls erkenntnistheoretischer Fragestellung betrachtet wird. Aber Scheler teilt mit Husserl die Überzeugung von der Selbstverständlichkeit des Moralischen, die eine Sollensethik im Stile Kants überflüssig erscheinen lässt. Für beide sind in der phänomenologischen Beschreibung als Form einer integralen Rationalität Theorie und Praxis immer eins. So betrachtet Husserl Wahrheit und Verantwortung als zwei Seiten des Bewusstseins, und daher ist es berechtigt, für die Idee der Phänomenologie vom Standpunkt ihres Begründers auszugehen. Was Husserls Programm an Grundvoraussetzungen beinhaltet, lässt sich nur schwer in wenigen Sätzen sagen. Die ursprüngliche Wortbedeutung von »Phänomenologie«, nämlich »Lehre von den Erscheinungen«, gibt die Idee der Phänomenologie nur unzureichend wieder. Husserl hat die Bezeichnung der empirischen Psychologie seiner Zeit entnommen. In der Psychologie wie auch in anderen empirischen Wissenschaften wird darunter die erste Stufe des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses verstanden, das Sammeln und Beschreiben von Daten, die dann induktiv zu Theorien verarbeitet werden. An dieser Grundbedeutung von Phänomenologie hält Husserl fest, sieht darin aber nicht nur eine Vorform oder Vorstufe, sondern die ganze Arbeit der Philosophie als Wissenschaft. Damit distanziert er sich deutlich von den Konstruktionen und Spekulationen der traditionellen Metaphysik – eine Auffassung wissenschaftlicher Rationalität, in der sich Husserl mit den logischen Positivisten seiner Zeit einig weiß. Mit der generellen antimetaphysischen Tendenz ist die Idee der Phänomenologie erst in ihrer allgemeinen Form erfasst. Für ein differenziertes inhaltliches Verständnis müssen mindestens drei Bedeutungen unterschieden werden, die sich überlagern. Zunächst bezeichnet Phänomenologie eine philosophische Disziplin wie beispielsweise Logik oder Erkenntnistheorie. Sodann wird unter Phänomenologie auch eine Methode verstanden wie etwa die genetische oder kritische Methode der Erkenntnistheorie. Und schließlich verbindet Husserl mit diesem Namen den Anspruch auf eine neue philosophische Wissenschaft, die alle bisherigen Philosophien an Originalität und Sachgehalt übertreffen soll. Ein nicht gerade bescheidener Anspruch, dessen Erfüllung die Phänomenologen vor eine schwere Aufgabe stellt. Phänomenologie als Disziplin
Am Anfang stehen Husserls Logische Untersuchungen (1900/01). Sie behandeln aber nicht Themen der formalen Logik, sondern erkenntnistheoretische Fragestellungen, also z.B. die Frage, wie sich Bewusstseinsinhalte zu gegenständlichen Bedeutungen formieren. Die phänomenologische Logik unterscheidet sich von der traditionellen Logik als Lehre vom richtigen Denken darin, dass sie den logischen Aufbau der Welt unabhängig von sprachlichen Aussagen direkt aus den unmittelbaren Gegebenheiten des Bewusstseins rekonstruiert. In den einzelnen Untersuchungen geht es um Grundformen des Anschauens und Denkens wie beispielsweise um das Verhältnis der Teile zum Ganzen (in der dritten Untersuchung). In seinem letzten von ihm selbst veröffentlichten Buch Formale und transzendentale Logik (1929) hat Husserl diesen Ansatz wieder aufgegriffen und weiter ausgebaut. Obwohl Husserl im »Prolegomena« genannten ersten Band die Befreiung der Logik von der Psychologie zum Programm macht (Stichwort: »Psychologismus«), bewegen sich seine Untersuchungen in unübersehbarer Nähe zur Psychologie; zwar nicht zur experimentellen Psychologie, aber zur beschreibenden oder verstehenden Psychologie, wie sie von Franz Brentano (1838-1917), Carl Stumpf (1848-1936) und Theodor Lipps (1851-1914) praktiziert wurde. Trotz der Bemühungen Husserls, sich vom »Naturalismus« der empirischen Psychologie abzugrenzen, fällt es aus heutiger Sicht schwer, einen sachlichen Unterschied zur Kognitionspsychologie zu erkennen. Phänomenologie kann man demnach als Versuch lesen, die Opposition von Logik und Psychologie in einem Konzept »reiner Psychologie« (im Lager der Experimentalpsychologen um Wilhelm Wundt sprach man abschätzig von »Schreibtischpsychologie«) aufzuheben. In der gegenwärtigen Wissenschaftstheorie besteht die Neigung, die Phänomenologie als Teil der Kognitionswissenschaften zu betrachten. In seinen Vorlesungen Die Idee der Phänomenologie aus dem Jahre 1907 definiert Husserl seine Phänomenologie als Erkenntnistheorie. Es gehe um die Grundfrage, wie Vorstellungen die ihnen äußeren Gegenstände »treffen« (Hua II, 7). Wie vor ihm Kant analysiert Husserl das Erkenntnisproblem mit dem Begriff des Bewusstseins, wobei für ihn allerdings nicht wie für Kant die Frage nach der Einheit des Bewusstseins im Vordergrund steht, sondern das Gegebene das eigentliche Problem ist. Unmittelbar gegeben sind allein psychische Zustände oder Erlebnisse, aber diese machen nicht das aus, was philosophisch »Bewusstsein« heißt. Dazu gehört neben dem Gegebenen immer ein Gemeintes, ein gegenüber den wechselnden Zuständen konstanter Bewusstseinsinhalt oder Gegenstand, der auch gegeben ist, aber nicht reell im Erlebnis enthalten sein kann. Insofern steht »Erkenntnis« nicht für den rein subjektiven Standpunkt, sondern ist der Titel für eine gegenstandstheoretische Untersuchung. Husserl nennt das eine »wunderbare Korrelation zwischen Erkenntnisphänomen und Erkenntnisobjekt«, die aufzuklären er als Aufgabe der Phänomenologie betrachtet (Hua II, 12). Auf diese Weise verbindet er von vornherein Erkenntnistheorie mit Ontologie, die im Neukantianismus seiner Zeit als zwei voneinander strikt zu trennende Gebiete behandelt wurden. Im Laufe der Entwicklung hat die Phänomenologie ihr Untersuchungsfeld ausgeweitet. Das Erkenntnisproblem wird nicht mehr ausschließlich vom individuellen Bewusstsein aus aufgerollt, sondern Husserl wählt einen anderen Ausgangspunkt. Unter dem Etikett »Lebenswelt« analysiert er die Formen vorwissenschaftlicher Erfahrung, das »Kennen« vor der Erkenntnis, so dass Phänomenologie Formen einer Wissenssoziologie annimmt. Husserl selbst gebraucht diese Bezeichnung nicht, aber bei Scheler tritt sie an die Stelle von »Phänomenologie«. Die Phänomenologie hat die Erkenntnistheorie zu einer allgemeinen Theorie der Erfahrung entwickelt, zu einer Art Ganzheitswissenschaft, in der die starren Grenzen zwischen den empirischen Wissenschaften vom Menschen aufgehoben werden. Trotz ihrer starken Gegenstandsorientierung behält die Subjektivität den Primat, so dass man die Phänomenologie der heutigen »Philosophie des Geistes« zurechnen kann. Phänomenologie als Methode
Husserls Phänomenologie lässt sich auch als Methode betrachten. Als solche wurde sie insbesondere von Max Scheler praktiziert, der sich inhaltlich mit anderen Themen befasst als Husserl. Die methodische Ausrichtung der Phänomenologie ergibt sich aus dem von Husserl formulierten »Prinzip der Prinzipien«, dem zufolge phänomenologische Forschung darin besteht, das im Bewusstsein unmittelbar Gegebene theoriefrei zu beschreiben. Damit soll jede intellektualistische Umdeutung der Bewusstseinsinhalte vermieden werden. Das heißt andererseits aber nicht, dass phänomenologische Beschreibung sich im Sammeln und Registrieren von Daten erschöpft. Im Unterschied zum positivistischen Beschreibungsprogramm versteht Husserl unter »Beschreibung« Mitvollzug von Prozessen der Bedeutungsbildung. Beschreibung wird damit präskriptiv, so wie man von einer Wegbeschreibung oder vom Beschreiben eines Kreises spricht. Die phänomenologische Methode der Beschreibung bewegt sich zwischen Abbildung und Konstruktion. Das kommt in dem Leitsatz zum Ausdruck, mit dem Husserl die Richtung der phänomenologischen Forschung bezeichnet: »Zu den Sachen selbst!« Er wurde nach 1900 in Göttingen als wahre Befreiung vom Joch des neukantianischen Methodologismus begrüßt. Mit »Sachen« meint Husserl allerdings weder die Gegenstände der äußeren Erfahrung noch die Inhalte der inneren Erfahrung. Er wendet sich strikt dagegen, die »Sachen« mit dem positivistischen Begriff der Tatsachen zu identifizieren. Denn anders als atomistisch konzipierte »Tatsachen des Bewusstseins« umfassen die »Sachen« immer schon Sinn, Bedeutung. »Sachen« im phänomenologischen Sinne sind demnach ein teleologischer Begriff. Man kann sie auch als begriffene Wirklichkeiten bezeichnen. Die Pointe der Devise »Zu den Sachen selbst!« liegt darin, dass...