E-Book, Deutsch, 203 Seiten
Feldhaus Die Güte des Goldes
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7502-2582-4
Verlag: neobooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 203 Seiten
ISBN: 978-3-7502-2582-4
Verlag: neobooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Claudi Feldhaus, anno 1987, studierte Belletristik und veröffentlichte mehrere Romane in verschiedenen Verlagen. Handlungsort ihrer Werke ist immer Berlin, sei es im Gestern, Heute oder (dystopischen) Morgen. 'Die Güte des Goldes' ist ihr erstes Selfpublishing-Projekt und ihre 5. Romanveröffentlichung.
Autoren/Hrsg.
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I
Hier saß ich nun. 35 und frisch geschieden. Mein Kabuff unter dem Dach eines Einfamilienhauses im Wedding, eine Isomatte, ein paar Kleider, keine Kohle.
Ich blickte mich im Raum um. Karg sah es aus, staubig. Ich hatte mir andere WG-Zimmer in dieser Preiskategorie angesehen. Dieses war das Einzige ohne Schimmel auf der Tapete, ohne sechsspuriger Zubringerstraße vor dem Fenster. Ohne sexuelle Dienstleistungen als Zuschuss zur Miete. Aber den Gedanken, mich gegen körperliche Liebe und einen kleinen Obolus dort wohnen zu lassen, hatten wohl alle über Bord geworfen, spätestens als sie mein Bein gesehen hatten.
Am Ende, schon völlig entkräftet, kam ich in diesem Haus an. Ein Mann weit von meiner Liga entfernt öffnete die Tür. »Du bist Annegold Erol?«
Ja, ich heiße wirklich so. Annegold. Jetzt wieder Erol. Auf Jobsuche. Bis auf Weiteres auf die Gunst meiner semireichen Eltern angewiesen. Der hübsche Typ reichte mir die Hand: »Ich bin Jakob. Komm doch rein.«
Ich verbarg mein Schlurfen nicht. Überraschenderweise schien er es gar nicht mitzukriegen. Wie er mir erzählte, war er Krankenpfleger, woraus ich schloss, dass er mit Menschen wie mir umgehen konnte. »Tja, möchtest du dir gleich das Zimmer ansehen oder erstmal einen Tee?«
Nach diesem Tag kamen mir bei seiner Freundlichkeit fast die Tränen, und Tee wäre klasse gewesen. Doch ich wollte erst das Zimmer sehen. Er dirigierte mich durch die kurze Diele zur Treppe. Eine steile Treppe. Ich biss mir auf die Lippen und folgte ihm dann, zog mein rechtes, steifes Bein die Stufen hoch. Während ich mich so am Geländer festklammerte, dachte ich darüber nach, dass er mir das Zimmer sowieso nicht geben würde und ich mich hier gerade völlig umsonst bloßstellte. Aber er gab es mir. Er fragte indes nicht einmal, ob ich einen Job hätte, nur nach meiner Familie und erwähnte, dass er von meinem Vater Jasper gehört hätte.
Das verwunderte mich nicht großartig. Er und meine Mutter Oda publizierten esoterische Bücher, alternative Medizin für die Gedanken oder sowas, und hatten einen Youtube-Kanal sowie eine ansehnliche Fangemeinde. Angefangen hatte es mit einem kleinen Kult, den sie betrieben, um die Trauer um ihren Sohn aufzuarbeiten - mittlerweile finanzierte ihre sogenannte spirituelle Wissenschaft, ihre Bücher und der Zubehör wie Schmuck und Figuren, ihr Leben. Jakob zeigte mir, dass er eines der Armbänder trug. Von meiner Gegenwart, von der Tochter seines Helden, schien er regelrecht begeistert zu sein. Dass ich meinem Namen zum Dank an etwas so Positives wie ein günstiges Zimmer herankam, war eine ganz neue Erfahrung. Und so saß ich hier. Müde - müder als gewöhnlich - von all den Absagen und den Blicken des heutigen Tages. Als ich noch verheiratet war, hatte ich von zuhause gearbeitet und war immer seltener rausgegangen. Ich hatte in den paar Jahren vergessen, wie tief die Blicke der Menschen bohren können.
Ich hörte ein Auto auf den Hof fahren. Ob das meine Eltern und meine kleine Nichte Gina waren? Die Türglocke schellte. Ich wartete. Mit einer Beinbehinderung wägte man sehr genau ab, wann es sich lohnte, aufzustehen. Ich vernahm Jakobs aufgeregte Stimme. Offenbar doch nur Bekannte von ihm. Also widmete ich mich wieder meiner Arbeit. Die Möbel im Zimmer, zwei Schränkchen und ein Tisch, kein Stuhl, waren verstaubt. Wie lange hatte hier niemand gewohnt? Oder hatte ich das Zimmer eines Dreckschweines geerbt? Bevor mein Vater mir meine restlichen Sachen brachte, wollte ich alles sauber gewischt haben.
»Anne?«, vernahm ich eine Kinderstimme und wirbelte herum. »Hast du mein Klopfen nicht gehört?«
Gina stand in der Tür, nahm ihre farbigen Brillengläser ab und blickte mich mit ihren großen Augen an. Die Gesichtszüge der Zehnjährigen erinnerten schmerzhaft an meinen Bruder. Mein Herz zog sich zusammen und noch ein Stück mehr, als sie mich ohne zu zögern umarmte. Trotzdem sie durch meine Schuld den wohl größten Verlust in dieser Familie erlitten hatte, liebte sie mich aufrichtig und zeigte das stets durch körperliche Nähe. Ich strich über ihr farbloses Haar und erwiderte die Umarmung so lange, bis sie mich losließ.
»Opa und Oma sind noch unten. Sie kommen gleich. Wir sollen hier warten.«
Meine Verwunderung darüber hielt sich in Grenzen, die beiden hatten öfter solche Allüren. Vielleicht mussten sie was am Auto machen oder telefonieren? Wer weiß ... Gina half mir beim Putzen der niedrigen Schubladen. Sie ging auf die Knie, kroch halb in den Schrank hinein, als sie ihn auswischte. Der Segen ihres gesunden, schlanken Körpers, der Gabe stets durchschlafen zu können. Womöglich würden mir so alltägliche Aufgaben leichter fallen, wenn ich zu meiner Behinderung nicht auch noch chronisch übermüdet wäre.
Als alles sauber war, setzen wir uns auf die Isomatte, lehnten an der Wand, ich streckte schwer seufzend beide Beine aus. Gina holte ihr Telefon hervor. »Die Eule war wieder da, ganz nah am Fenster, guck mal, das war heute Morgen.«
Ich sah mir das Foto an. Es zeigte den herbstlichen Baum vor Ginas Fenster im zweiten Stock meines Elternhauses, darauf ein Riesenvieh von Vogel. Ich sah genauer hin. »Gina, das ist sogar ein Uhu.«
»Oh, aber ich dachte, es wäre ein Mädchen.«
Ich lachte. »Uhus sind sehr große Eulen.«
»Der Uhu. Die Eule.«
»Der Tisch, das Bett, die Lampe, das Leben, der Baum, die Birke ... die Zeit. Irgendjemand hat das mal festgelegt, das hat meistens wenig mit einem Geschlecht zu tun.«
»Das Bein, die Hand ...«, murmelte sie und legte ihre schneeweiße Hand auf mein Knie. Mit der anderen fasste sie sich an den kleinen Anhänger an ihrer dünnen goldenen Halskette. Genau so einen, nur einiges größer, trugen meine Eltern. Ich hatte auch so ein Ding, aber ich trug grundsätzlich keinen Schmuck.
Ich lächelte und streichelte wieder Ginas Kopf. »Zeig mir das Foto bitte nochmal.« Sie hatte noch mehr von dem Tier gemacht. Da ich die Ausmaße ihres Fensters und des Baumes davor kannte, war mir bewusst, wie gewaltig dieser Vogel sein musste. »Ein Uhu in der Stadt?« Zwar wohnte meine Nichte zusammen mit meinen Eltern Oda und Jasper in ihrem Haus am Rand des Grunewaldes, aber es kam mir dennoch unwirklich vor, dass so ein Brocken hier leben und jagen konnte.
Ich nahm Ginas Telefon und googelte ‚Uhuvogel‘. Das Kind lehnte sich an meine Schulter, während ich schnell einen Text las. »Ah, hier steht‘s. Die Weibchen werden größer als die Männchen.« Ich sah mir nochmal das Foto an. »Du hattest also einen guten Riecher, das scheint ein Mädchen zu sein.«
Gina grinste und sagte dann: »Ich hab sie Silvina genannt.« Ich schluckte schwer und erwiderte ihren Blick. Sie lächelte noch breiter. »Guck, findest du nicht, ihre Augen ähneln Mamas?«
Nun schmunzelte ich. Kinder hatten eine Fantasie!
»Und sie ist sooft da. Wenn ich morgens aufwache, schaut sie in mein Fenster, wenn ich zur Schule gehe, sehe ich sie auf dem Baum sitzen. Und letztens als mich die anderen in die Ecke getrieben haben, da war sie plötzlich da und ist wild um uns geflattert. Da haben sie Angst bekommen und sind weggelaufen.«
»Wen meinst du mit den anderen?«, fragte ich.
»Na die anderen. Aus meiner Klasse.« Gina kuschelte sich in meinen Schoß. Ruhig sprach sie, trotzdem hörte ich, wie sie mit den Zähnen knirschte. »Sie haben es diesmal nicht geschafft, mir die Brille wegzunehmen ... weil Silvina da war ... sie hat sie verjagt.«
Ich atmete schwer aus. Mir war klar, dass die Kleine sich in ihre Fantasiewelt stahl, sich eine Beschützerin vorstellte, um den Hänseleien anderer zu entgehen. Ich sollte mit meinen Eltern sprechen. Sie mussten irgendetwas gegen diese Typen in Ginas Klasse tun. Elterngespräche, die Direktorin aufsuchen, was weiß ich? Mein Kopf schwirrte mir. Die verdammte Übermüdung versagte mir sogar, diesen einfachen Gedanken zu vollenden.
»Weißt du, ich kenne das«, sagte ich dann ruhig. Wenn ich Gina schon nicht direkt helfen konnte, wollte ich ihr wenigstens das Gefühl geben, nicht alleine zu sein. »Als Kind habe ich mir einen Wolf vorgestellt, der mir überallhin folgte. Der mich beschützt, vor den Kindern, vor dem Sportlehrer ...« Bestimmt war meine Situation kaum mit ihrer vergleichbar. Ein lahmes Bein erkannte man erst im Gehen, eine Albina auch, wenn sie saß.
»Ich stelle mir Silvina nicht vor. Schau doch, jetzt habe ich Fotos!«
In ihrem Gesicht konnte ich sehen, wie sie die Wut unterdrückte. Schnell wiegelte ich ab: »Natürlich nicht. Es ist schön, eine Beschützerin zu haben. Erzähl mir ruhig mehr von Silvina und von den anderen. Wann immer etwas ist, sagst du es mir, ja?«
»Ja, okay«, flüsterte sie und hob den Kopf. Ich sah die Tränen in ihren Augen. Gerade wollte ich sie in den Arm nehmen, als es klopfte. Rasch wischte Gina sich übers Gesicht und ich sagte: »Herein.«
Meine Mutter Oda wirbelte ins Zimmer, wie so oft im langen Rock, gothic-hippie-chic, wenn es so etwas gab, kurzes metallic blondes Haar. Gefolgt von meinem Vater Jasper in schwarzer Jeans und passendem Rollkragenpullover. Abgerundet wurde sein Look stets durch eine exzentrische Designerbrille. Er hatte etwas von Steve Jobs auf dem Höhepunkt seiner Karriere, nur dass mein Vater volles silbernes Haar besaß. Sie waren beide stolz, dass sie aussahen wie Ende 40 und nicht Anfang 60. Wenn ich mich so betrachtete, musste ihre Vitalität allein von ihrem Lebenswandel herrühren, denn genetisch hatten sie mir nichts davon zukommen lassen.
Jasper half mir auf die Beine, dann umarmten sie mich nacheinander, als hätten sie mich wochenlang nicht gesehen. Dabei hatte ich erst...