E-Book, Deutsch, 420 Seiten
Felder Reich und Arm
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8496-1248-1
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 420 Seiten
ISBN: 978-3-8496-1248-1
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Roman aus em österreichischen Bregenzerwald. Felder zeigt in seinem Roman wie schnell die Idylle in einem Dorf unterhalb der Kanisfluh durch Gerüchte, Geldgeschäfte, Streitereien und nicht zuletzt den Worten des Geistlichen zerstört werden kann .
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Der erste Tag im neuen Dienst
Im ersten Traum unter fremdem Dache pflegt man Vorbedeutungen für Künftiges zu suchen, als ob man darin wie in einem freilich trüben Spiegel sähe, was man in diesem Hause noch erleben werde.
Es tat dem noch etwas scheuen Jos ungemein wohl, als am anderen Morgen beim Kaffeetrinken sich Dorothee sogleich mit der Frage an ihn wendete, was er denn heut' nacht im Traum erlebt und für seine Zukunft Bedeutungsvolles gesehen habe.
»Ich kann mich an gar nichts mehr erinnern«, antwortete er, fast traurig darüber, daß sein Bericht nicht länger währen konnte, denn gestern beim Abendessen war ihm die Stille beinahe peinlich geworden.
»Das«, meinte die Stigerin etwas bitter, »könnte leicht bedeuten, daß du in unserm Hause auch nicht viel oder doch nicht viel Unvergeßliches erlebst.«
»Ich freilich hab' mir es ganz anders ausgelegt«, wagte Jos zu erwidern. Und als sich ihre Lippen etwas strenge verzogen, fuhr er, wie immer, wenn er sich noch nicht recht sicher fühlte, geschwätzig fort: »Auch ich hätte recht gern eine gute Vorbedeutung gehabt. Nach dem Erwachen hab' ich mich angestrengt wie früher als Schüler, wenn ich mich auf die gestern so mühevoll auswendig gelernte Katechismusaufgabe besann, um mich eines Traumes zu erinnern. Doch das ging nicht und ging nicht, wie müd' ich mich auch sinnen mochte. Ja, ich ermüdete und wäre bald über dem Nachdenken wieder eingeschlafen, als mir, wie vom Schutzengel eingegeben, die Vorstellung kam, nicht ein Traum entscheide über meine Zukunft, sondern ich selbst. Darüber hab' ich mir dann eine ganze Predigt gemacht, und so mutig, so froh bin ich dann zu den Kühen in den Stall gegangen, daß es wohl selbst der kaum glaubt, den mein Jauchzen und Singen weckte.«
»So etwas«, meinte Dorothee, »kann man nicht jedem sagen, aber zeigen läßt es sich; drum werden wir schon auch noch davon erfahren.«
Solchen Mut wie aus diesen Worten hatte Jos von seiner selbstgemachten Predigt schwerlich gewonnen. Er wurde also doch von dem guten Mädchen liebevoll beachtet. Nun konnte seinetwegen die alte, fette Frau kichern und meinen, man werde eben nicht viel sehen; ihm war das ganz gleichgültig, oder vielmehr es war ihm recht, daß er die beiden sogleich etwas auseinandergehen sah.
Nun sagte Hans, der inzwischen seine Kaffeeschüssel geleert und das große Butterbrot verzehrt hatte: »Heut' muß denn doch endlich das Heu abgewogen und heimgebracht werden, welches mir der Krämer vom Lipp gekauft hat. Es kostet wahrhaftig nur einen Spottpreis.«
»Ja«, rief Jos, »das war auch so ein Handel, für den man den Krämer einige Wochen einstecken sollte.«
»Ein Teufelskerl ist er, der Krämer«, lachte Hans. »Wenn unsereiner da oder dort einmal mit Barem aus der bittersten Not helfen will, so bekommt er nichts mehr als des Teufels Dank dafür zurück. Er aber steckt seine Finger überall hinein und verbrennt sie doch nie, sondern immer hängt etwas nicht Unbeträchtliches daran, wenn er sie wieder zurückzieht. Mit den Leuten, die immer schon vorgegessenes Brot in Bäckers Tagebuch haben, kennt er sich aus, es hat eine Art, und zu fangen und zu binden versteht er sie, daß man oft noch beinahe lachen muß.«
Jos fuhr wie von einem Wespenstich getroffen auf und fragte: »Kannst du das Wuchern lächerlich finden?«
»Der Lipp ist so mit dem Krämer eins worden«, antwortete Hans ein wenig spitz. »Oh, der braucht den Leuten nicht nachzulaufen. Wie gut sie ihn auch kennen, sie gehen doch freiwillig in seine Falle.«
»Freiwillig«, wiederholte Jos verächtlich. »Der Krämer hat dem Lipp sein Darlehen gekündigt, als das Heu billig und nirgends Geld aufzutreiben war als etwa bei solchen, die mit dem alten Sünder unter einer Decke zu spielen scheinen.«
Jos war so erregt, daß er, um sich nicht allzuviel Gewalt antun zu müssen, die Stube verlassen wollte, da er sah, daß Schweigen hier jetzt Gold, Weiterreden aber nur Öl in das auf dem Gesichte der Stigerin sich verratende Feuer sei. Schon hatte er die Türe geöffnet, als die Stigerin ihn etwas rauh an den Tisch zurückrief. »Bei uns wird gebetet, bevor man geht«, sagte sie und begann, noch zornrot, eine endlos scheinende Zahl Vaterunser zu beten für Lebendige und Tote, Gott und seinen Heiligen zu Ehren und den armen Seelen zum Trost.
Auch Jos brummte mit, von Andacht war aber dabei keine Rede. Dieses gedankenlose Beten mit den Lippen, die noch vor einer Minute den Krämer verteidigen wollten, kam ihm fast wie eine Gotteslästerung vor. Das gute aber war, daß die Stigerin sich in eine ganz andere Stimmung hineingebetet zu haben schien. Nachdem sie endlich das letzte Kreuz gemacht und noch einmal den armen Seelen die ewige Ruhe gewünscht hatte, befahl sie Hansen, doch für Lipps arme Kinder etwas Obst, Weißbrot oder Zucker mitzunehmen. »Die armen Tröpflein«, sagte sie, »haben so selten etwas Gutes, und mit nur wenigem kann man ihnen eine Freude machen, daß sie eins sein Lebtag drum ansehen.«
»Und das ist schon eine Kleinigkeit wert«, sagte Jos rauh, aber zum Glück hatte die Stigerin, die schon nach ihrem Speicher geeilt war, diese Bemerkung nicht mehr gehört. Dorothee sah den Knecht mit einem vorwurfsvollen Blicke an. Ja, sie hatte eben auch schon als Kind Weißbrot und Zucker bekommen, drum mußte sie mit allem einverstanden sein und mußte freundlich lächeln beim Abschied vom einzigen Bruder, der jetzt für Hansen des Kaisers Rock trug. Herrgott, wer hätte dem alten Mathisle und Dorotheens kränklicher Schwester alljährlich soundso viel Magdlohn gegeben, wenn Dorothee nicht mehr gelächelt haben würde! Auch das war Zucker und Weißbrot für die armen Tröpflein und Hansjörg der Heustock, den man um ein Sündengeld kaufte. Du lieber Gott, von dem allem siehst du nichts, denn wie ein großer, grauer, undurchdringlicher Schleier fällt das lange und breite Tischgebet darüber herab.
Auf dem Wege zu Lipps ärmlicher Behausung erzählte Hans dem Knechte von seinen Kühen und wie er zu jeder einzelnen gekommen sei. Jos erfuhr dabei, daß wenigstens in den letzten Jahren immer der Krämer dazu geholfen und geraten hatte. »Das ist einer, mit dem man die anderen fängt«, bemerkte der langsame Erzähler nebenbei. »Fehlen kann's ihm freilich auch, aber dann hat mir doch die Mutter nichts vorzuwerfen.«
Vor dem fast ganz neugebauten Hause des Andreas stand er still und flüsterte dem Knechte zu: »Du, aber der da hätte wieder eine schöne Kuh feil. Die möcht' ich kaufen, aber selbst, denn der Krämer tät wohl eher auf des Töchtermanns Vorteil denken als auf den meinen. Geh doch einmal in den Stall und sieh dir den Weißfuß drum an, was er wert ist. Aber höre noch: Handeln laß dann mich allein! Die Angelika – will sagen: der Andreas – wenn der seinen Rausch von gestern schon ausgeschlafen hat –, sie beide sollen nicht meinen, daß sie mit einem zu tun haben, den man so leicht überlisten kann.«
Hans blieb beim Wagen stehen, bis Jos wiederkam und seine Meinung sagte. Dann gingen beide in die Stube, wo sie das sehr übernächtig aussehende Ehepaar beim Morgenessen antrafen.
Das schöne, blasse Weib stieß einen leisen Schrei aus, als es Hansen so unerwartet eintreten sah. Andreas aber sagte ruhig und kalt: »Ihr seid da dem Weib in die schönste Predigt hineingekommen.«
»Schäme dich!« rief das Weib, und glühende Röte färbte ihr Gesicht, »schäme dich, vor Fremden davon zu reden!«
»Der Hans ist dir doch noch nicht gar so fremd, und Jos ist ein armer Teufel, vor dem sich kein Mensch zu schämen braucht.«
»Wo keine Scham, da ist auch keine Ehr'.« Hans sagte das nur, weil ihm just nichts anderes einfiel und er doch diesem peinlichen Auftritte so gern ein Ende gemacht hätte.
Mit solchen Sprichwörtern ist ein Hans gewöhnt, jeden aus der Fassung und zum Schweigen zu bringen. Hier jedoch hatte er nicht den rechten Mann getroffen. Andreas erwiderte mit bitterem Lachen: »Und wo keine Ehr', ist auch keine Scham. Ich aber bin nun einmal der Lümmel bis in die alten Tage und hab' nichts Gutes an mir, als daß ich zuweilen am hellen Werktag in eine Predigt komme. Nützen tun an mir diese Predigten freilich nichts, als daß ich den Trost daraus schöpfe, sie hab' mich doch immer noch ein wenig lieb.«
Bei den letzten Worten hatte seine Stimme ein wenig gezittert. Jetzt war es so still, daß man das im Nebenzimmer erwachende Kind die Mutter zu sich rufen hörte. Die Gerufene flog ans Bettchen, und Mutter und Kind beteten laut ihren Morgenspruch....




