Eine Überlebensgeschichte
E-Book, Deutsch, 327 Seiten
ISBN: 978-3-7013-6196-0
Verlag: Otto Müller Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
1913 in Neusohl, in der heutigen Slowakei geboren, verbrachte er seine Kindheit und Jugend in Wien: eine Kindheit im Prater, die durchtanzte Jugend im Wiener Grabencafé, Vertreterjahre für Flüssigseifen im faschistischen Italien der dreißiger Jahre, eine vergebliche Flucht vor den Nationalsozialisten nach Prag und die Verhaftung im Jahr 1938 prägen seine frühen Lebensjahre. Marko Feingold überlebt die unmenschliche Grausamkeit der Konzentrationslager Auschwitz, Neuengamme, Dachau und Buchenwald.
Nach der Befreiung durch die Alliierten verschlägt es Feingold nach Salzburg. Hier leitet er eine Verpflegungsstätte für politisch Verfolgte und es gelingt ihm in den darauffolgenden Jahren, unzähligen KZ-Überlebenden bei ihrer Flucht nach Palästina zu helfen.
Seit der Gründung im Jahr 1946 ist er Mitglied der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg, dessen Leiter er seit 1977 ist. Mit seinem Engagement gegen das Vergessen prägt er bis heute das öffentliche Leben weit über Salzburg hinaus.
Der erzählerische Rückblick Feingolds auf sein Leben ist niemals sentimental oder anklagend, und trotz des Erlittenen liegt darin viel Humor und Unbeschwertheit.
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Ich war immer der Max Namensverwirrungen Mir gefällt der Name Feingold, denn er läßt sich leicht schreiben. Nur in den Jahren, als ich in Italien lebte, war das sehr schwierig. Wir bekamen unsere Post immer poste restante, also postlagernd. Und am Postamt hieß es dann: »Come, come – wie, wie?« Da war der Postbeamte schon mit dem Kopf beim Schalter draußen! Ich hab’ dann gesagt: »Fe-In-gold!« Nur so haben die Italiener den Namen verstanden, weil es im Italienischen kein »ei« gibt. Am besten war es, einen Ausweis zu zeigen, dann fanden sie die Post am ehesten. Als Kind hieß ich einige Zeit lang nicht Feingold, sondern Fuchs. Meine Eltern waren ursprünglich nicht standesamtlich verheiratet, also wurde ich unter dem Namen meiner Mutter geboren – die hieß Fuchs. Mein Geburtsschein ist aber interessanterweise auf Feingold ausgestellt. Irgendwann in den zwanziger Jahren muß der Vater mit diesen verschiedenen Nachnamen aufgeräumt haben. Aber eigentlich galt ich sowieso von Anfang an überall als Feingold, nur in der Schule sind sie draufgekommen, daß da was nicht stimmt und ich den Namen meiner Mutter tragen müßte. So stand für kurze Zeit auf meinen Schulzeugnissen der Name Fuchs. Der Vater brachte das dann in Ordnung, wahrscheinlich durch Vorlage anderer Papiere, und »Fuchs« wurde auf »Feingold« geändert. Ob das dem Meldeamt mitgeteilt wurde, weiß ich nicht. Man hatte andere Sorgen zu dieser Zeit. Als Kind rief man mich Max, im Geburtsschein steht aber Marko. Marko mit »k«, das kommt aus dem Slowenischen. Den Vornamen bekam ich nach einem Onkel meiner Mutter. In der Schule hieß ich offiziell Markus, zeitweise Max. Auf dem Meldezettel steht beim ersten Eintrag Markus Fuchs, bei der nächsten Eintragung bin ich schon der Max Feingold! Zu dem Marko gibt es aber noch eine Geschichte: Es dürfte jetzt circa dreißig Jahre her sein – ich hatte noch die Firma in Salzburg –, da gab es einen Austausch der Personalausweise. Ich hatte bei der Salzburger Polizeidirektion einen neuen Personalausweis beantragt und die Formulare und Fotos abgegeben, die dazu notwendig waren. Dann rief mich ein Herr von dort an, der mich sehr gut kannte: »Herr Feingold, das mit Ihrem Vornamen haut nicht hin.« Sag’ ich: »Was haut da nicht hin?« – »Ich hab’ unseren gerichtlich beeideten Dolmetscher gefragt, und der sagt, der Name in Ihrem Geburtsausweis läßt sich nicht übersetzen. Ich muß >Marko< eintragen.« – Sag’ ich: »Na, wie stellen Sie sich das jetzt vor? Meine Firma heißt >Wiener Mode, Inhaber Max Feingold<.« – Sagt er: »Na ja, Sie können ja Ihren Vornamen formell auf Max ändern lassen.« – »Na, und was kost’ denn das?« – Hat er mir damals gesagt: »Viertausend Schilling.« – Hab’ ich gesagt: »Das ist mir der >Max< nicht wert!« So habe ich keine Namensänderung vornehmen lassen und bin bei Marko geblieben. Nun entstand folgende Kuriosität: Viele Vertreter kamen in mein Geschäft: »Wo ist Ihr Bruder?« Die kannten mich unter Max und haben nun den Bruder Marko gesucht. Meine Firma hieß nämlich dann »Wiener Mode – Max Feingold, Inhaber Marko Feingold«. Auch meine Unterschrift lautet seither Marko M. Feingold – Marko Max! Für mich hat das aber nie eine Rolle gespielt. Ich war immer der Max und bin bei Max geblieben. Ein sehr würdiger alter Herr mit grauem Bart Der Großvater Mein Großvater väterlicherseits hieß Israel Peissach Straschny. Auf seinem Grabstein steht »Geboren 1854 in Starzawa, Galizien«, aber laut den Akten der Kultusgemeinde ist er in Unim, Bezirk Kiew, Rußland, geboren. Dazu würde ich sagen: polnische Verhältnisse! Wenn man irgendwohin kam, sagte man zum Beamten: »Schreiben Sie hin, geboren in Star-zawa.« – »Wie schreibt man das?« – »Kiew«. Mein Großvater kam aus einer bäuerlichen Familie, widme te sich aber nach der Jahrhundertwende dem Eisenbahnbau. Im Sommer arbeitete er als Aufseher auf Baustellen, im Winter war die Familie in Wien. Es war eine deutschsprachige Familie, und die Deutsch sprechenden Juden zog es immer in die Hauptstadt. Der Großvater sprach Jiddisch, aber schon mit einem guten Deutsch gemischt. Er war ein sehr würdiger alter Herr mit grauem Bart und sehr religiös. Meine zwei Brüder und ich bekamen vom Großvater Religionsunterricht. Ein paarmal in der Woche mußten wir zu ihm gehen, und er weihte uns in die Religion ein. Gelernt haben wir von ihm – wie es üblich ist im Judentum – die Religion, das Beten, das Lesen der hebräischen Buchstaben. Meine Brüder hatten etwas mehr davon als ich, weil ich der Jüngste war und am wenigsten von dem behielt, was er uns beibrachte. Ich war ja erst sieben Jahre alt, als er starb. Zur Trauersitzung wurde für uns Kinder ein Brett auf zwei Stühle gelegt, dort mußten wir sitzen. Wir durften nur mit Socken gehen, nicht mit Schuhen. Der Leichnam lag am Boden aufgebahrt, und es wurden Gebete verrichtet. An die Leich’ – das Begräbnis – kann ich mich gut erinnern: Ein oder zwei Tage nach der Trauersitzung wurde der Leichnam von der Wohnung in der Salzachstraße abgeholt. Vorne wurde der Leichenwagen von zwei Pferden gezogen, dem gingen wir hinterher. Zurück nahmen wir einen anderen, längeren Weg, weil das bei Juden so üblich ist: Man soll nicht den selben Weg zurückgehen, den man mit dem Leichenwagen gegangen ist. Die »Patriarchin« der Familie Meine Großmutter Gittel Skurmann Von meiner leiblichen Großmutter, der ersten Frau meines Großvaters, weiß ich so gut wie nichts. Sie muß in sehr jungen Jahren verstorben sein, kurz nachdem sie die Kinder bekam. Die Großmutter war die zweite Frau des Großvaters, Gittel Skurmann. Sie war die »Patriarchin«, die Respektsperson der ganzen Familie. Niemand hätte es gewagt, ein beleidigendes Wort ihr gegenüber auszusprechen, oder eines, das man nicht ganz verantworten konnte. Die Hochachtung vor den Großeltern wurde bei uns sehr gepflegt. Die Großmutter war eine Autorität und wurde in allen Familienangelegenheiten gehört. Man fragte um ihre Meinung – es ist nicht gesagt, daß man sich dann daran hielt –, aber man fragte, das war gang und gäbe. So respektierte man die Autorität und ließ sich trotzdem nicht dadurch einengen. Die Großmutter war sehr religiös und hätte es zum Beispiel nicht gerne gesehen, daß wir am Samstag Straßenbahn fahren. Für uns war das aber selbstverständlich, und sie mußte es ja nicht wissen! Sie trug auch noch den Scheitl. Wenn sich das Kopftuch verschob, das sie zu Hause trug, konnte man die kurz geschnittenen Haare sehen, vier bis fünf Zentimeter Länge, damit der »Hut«, eine Perücke, draufpaßte. Damals konnte man diese Perücken, die man im Judentum »Scheitl« nennt, sofort erkennen. Sie waren fast plüschartig, nicht so wie die Perücken heute. Auch nach dem Tod meines Großvaters blieb die Großmutter das Oberhaupt der Familie. Die alten Leute werden im Judentum in Ehren gehalten. Sie werden nicht abgeschoben, sondern bleiben in der Familie. Weil die Großmutter keine Pension hatte, mußte sie von ihren Kindern erhalten werden. Aber am meisten unterstützte sie mein Vater, obwohl er gar nicht aus dieser Ehe hervorgegangen war. Nach dem Tod des Großvaters wohnte die Großmutter zunächst mit ihrer Tochter Sali und ihrem Sohn Adolf zusammen. Adolf zog dann aus, Sali hat geheiratet, ist aber mit ihrem Mann und den Kindern in der Wohnung der Großmutter geblieben. Am Samstagnachmittag gab es immer den Sabbatbesuch bei uns zu Hause. Das war ein Familientreffen mit sämtlichen Tanten, Onkeln und natürlich auch der Großmutter. Sie wohnte in der Salzachstraße und wir in der Lassallestraße, da konnte sie leicht zu Fuß gehen. Sie war ja so religiös, sie wäre am Samstag nie mit der Straßenbahn gefahren! Als junger Mann war ich nicht so begeistert, daß die Mischpoche immer am Samstagnachmittag kam und ich daheim bleiben mußte und nicht weggehen konnte. Mich hätte der Prater viel mehr interessiert als solche Familientreffen. Als ich 1938 wegging, wohnte die Großmutter noch in der Salzachstraße, und ich vermute, daß sie dann später in irgendeinem jüdischen Altenheim landete. Die einzigen Familienangehörigen, die noch in Wien waren, Tante Sali und deren Familie, gingen ja nach Frankreich – und die Großmutter muß schon über achtzig Jahre gewesen sein und hätte nicht allein leben können. Später erzählte man mir, sie sei im 42er Jahr ums Leben gekommen, und ich nahm deshalb immer an, sie sei aus dem Altersheim heraus vergast worden, denn 1942 hatten die Massendeportationen begonnen. Von der Kultusgemeinde erfuhr ich dann aber, daß sie schon am 19. Dezember 1941 gestorben ist, in der Miesbachgasse in der Leopoldstadt. In der ganzen Mischpoche herrschte eine furchtbare Namensverwirrung Die Verwandtschaft Mein Vater stammte aus einer bäuerlichen Familie. Juden heirateten damals nur rituell, und so galten die Kinder amtlich als...