E-Book, Deutsch, 186 Seiten
Reihe: Blaue Reihe
Feige Kritik der Digitalisierung
unverändertes eBook der 1. Auflage von 2025
ISBN: 978-3-7873-4722-3
Verlag: Felix Meiner
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Technik, Rationalität und Kunst
E-Book, Deutsch, 186 Seiten
Reihe: Blaue Reihe
ISBN: 978-3-7873-4722-3
Verlag: Felix Meiner
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Daniel M. Feige ist Professor für Philosophie und Ästhetik an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. Seine Forschungs- und Publikationsschwerpunkte sind die philosophische Ästhetik und die philosophische Anthropologie in ihrem Bezug zu klassischen Fragen der praktischen wie theoretischen Philosophie. Letzte Veröffentlichungen: Die Natur des Menschen. Eine dialektische Anthropologie (2022); Philosophie der Musik (2024); Kritik der Digitalisierung (2024).
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Technische Wissenschaften Technik Allgemein Philosophie der Technik
- Geisteswissenschaften Kunst Kunst, allgemein Kunsttheorie, Kunstphilosophie
- Geisteswissenschaften Philosophie Ästhetik
- Geisteswissenschaften Philosophie Sozialphilosophie, Politische Philosophie
- Geisteswissenschaften Philosophie Moderne Philosophische Disziplinen Philosophie der Technik
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Einleitung
Kritik der Digitalisierung als kritische Theorie der Digitalisierung
›Digitalisierung‹ ist in aller Munde: Ihre mangelhafte Umsetzung wird ebenso angemahnt, wie vor ihren Folgen gewarnt wird. Sie lässt sich als eine gesamtgesellschaftliche Transformation definieren, die Arbeit, Zusammenleben und Gegenständlichkeit in eine neue und einheitliche Form überführt. Diese Form kommt durch die Übersetzung dieser Bereiche in Daten im Rahmen der zunehmenden Durchdringung unserer Praxis durch neuartige Technologien zustande. Im Anschluss an Luciano Floridi lassen sich diese Technologien als Informations- und Kommunikationstechnologien bezeichnen (kurz: IKTs).1 Die mit ihnen einhergehenden Formen, Logiken und Strukturen der Vermessung und Berechnung schreiben sich auch unabhängig von diesen technologischen Grundlagen fort.
Die These des vorliegenden Buches lautet, dass es sich bei diesen Technologien weder um neutrale noch unschuldige Hilfsmittel unserer Praxis handelt. Vielmehr führen sie in unsere Praxis etwas ein, was nicht länger aus der Perspektive ihres verständigen Vollzugs thematisch werden kann. Aus diesem Grund ist die Tatsache, dass sie neue Herrschaftsformen in unserem Zusammenleben installieren, kein Unfall, der ihnen von außen zustößt. Vor dem Hintergrund einer solchen Diagnose erweisen sich sowohl technikphilosophische Analysen, die die Digitalisierung bis in die Früh- und Vorgeschichte verlängern, als auch Diskurse, die der Künstlichen Intelligenz (kurz: KI) die Fähigkeit, zu handeln und zu denken, zusprechen, als problematisch. Dasselbe gilt für den Gedanken, dass Kunst unter den Bedingungen der Digitalisierung partizipativer im Sinne einer leichteren Zugänglichkeit wird. Ich möchte vielmehr vorschlagen, diese Thesen als Verlängerung der Logik der Digitalisierung auf der Ebene des philosophischen Denkens zu begreifen. Um ein Schlagwort aus aktuellen Diskussionen in unserem Fach aufzugreifen: Solche Positionen betreiben ein ›Conceptual Engineerings‹,2 ohne es entsprechend auszuweisen. Sie bauen unsere Begriffe der Praxis, des Geistes und der Kunst nach einer Logik um, die ihnen eigentlich fremd ist.
Was immer wir in sozialen Medien, beim Gebrauch von Chatbots oder bei der Nutzung digitaler Werkzeuge zur Erstellung von Designgegenständen tun, wir produzieren ›Daten‹. Daten sind, darauf hat Sybille Krämer zutreffend hingewiesen,3 nicht Teil einer unseren alltäglichen Umgang mit der Welt übersteigenden Wirklichkeit, sondern sie werden gemacht, und zwar durch IKTs: Sie bestehen in Zeichen, die so gebaut sind, dass sie von Apparaten verarbeitet werden können, die aber von uns gerade nicht länger wie sprachliche Zeichen gelesen werden können. Digitalisierung ist die Datifizierung der Wirklichkeit. Im Geiste der frühen kritischen Theorie Max Horkheimers und Theodor W. Adornos lässt sich zur Datifizierung sagen:4 Sie ist nicht neutral oder interesselos, sondern Ausdruck einer Radikalisierung instrumenteller Vernunft, die nur danach fragen kann, wie effizient etwas ist, nicht aber danach, ob das, was angestrebt wird, wünschenswert ist. Die Datifizierung der Wirklichkeit geht damit mit einer Verselbstständigung der Mittel einher, die nicht länger intrinsisch auf Zwecke bezogen sind. Die Daten-Profile, die durch unseren Gebrauch der IKTs entstehen, bewirken einen Verlust an Selbstbestimmung; unser Handeln wird als Verhalten gelesen, das prognostizierbar und kontrollierbar wird.
Wenn ich in dieser Weise vorschlage, eine Kritik der Digitalisierung aus dem Geiste der kritischen Theorie zu formulieren, so ist nicht allein daran zu erinnern, dass die Frage der ökonomischen, diskursiven und sozialen Macht intrinsisch mit der Frage der Digitalisierung verbunden ist. Es ist auch daran zu erinnern, dass eine solche Kritik nicht unter Berufung auf eine vordigitale Welt formuliert werden kann. Dass wir hier noch, so könnte man denken, einen körperlicheren Umgang mit der Welt hatten oder einen unverstellten Zugang zur Natur, übersieht, dass auch die vor-digitale Welt von falschen Verhältnissen durchzogen war. Vor dem Prozess der Digitalisierung war keineswegs alles besser. Ihr imaginierter Ort einer vordigitalen Welt ist genauso Versprechen wie Schrecken. Es gibt kein Zurück vor die Digitalisierung. Das zu sehen heißt aber nicht, die problematischen Züge der Digitalisierung zu übersehen. Vielmehr gilt es sie im Sinne der immanenten Dialektik der Digitalisierung zu denken.
Das vorliegende Buch entwickelt seine Grundthese, dass IKTs keine neutralen Technologien sind, sondern Arbeit, Zusammenleben und Gegenständlichkeit aus einer datifizierten Logik neu fassen, in drei Schritten: aus der Perspektive technikphilosophischer, anthropologischer und kunstphilosophischer Überlegungen.
Das erste Kapitel entfaltet aus technikphilosophischer Perspektive die These, dass die andersartige Logik, die IKTs in unsere Praxis einführen, nicht von außen bedroht ist, falschen Verhältnissen zuzuspielen. Im ersten Teil des Kapitels werde ich die Relation von Praxis und Technik beleuchten, im zweiten Teil Beiträge der kritischen Theorie für eine weitergehende Analyse dieser Relation fruchtbar machen.
Ich beginne mit einer Gegenüberstellung zweier Diskurse, die gegenwärtig unser Nachdenken über die Digitalisierung prägen: revisionistische und deflationistische Diskurse. Erstere sehen in der Digitalisierung eine Vollendung einer Entwicklung, die schon mit der Entstehung des Alphabets begonnen hat, letztere behaupten, dass sich mit der Digitalisierung nichts Grundsätzliches ändert. Beide, so werde ich zeigen, spielen den Bruch, den die Digitalisierung darstellt, herunter. Aus geschichtsphilosophischer Perspektive widerspricht die These, dass es Vorläufer gab, nicht der These, dass die Digitalisierung einen Einschnitt darstellt. Der Bruch lässt sich aus der Perspektive des Verhältnisses von Technik und Praxis verständlich machen. Technik und Praxis sind immer interdependent, Technik bestimmt unser Tun, wie umgekehrt Tun unsere Techniken bestimmt. Aber für durch IKTs geprägte Praktiken gilt, dass es hier hinter unserer Praxis noch eine weitere Ebene zu entdecken gibt: die Daten, in die alles übersetzt werden muss, um im Rahmen der IKTs verarbeitet werden zu können. Zwar ist all unser Tun immer auch mit Unverfügbarkeiten konfrontiert, da der Lauf der Dinge nicht durchweg unserem Willen gehorcht. Paradoxerweise aber werden diese Unverfügbarkeiten im Rahmen der Digitalisierung einerseits an die Seitenlinie der Praxis verschoben, andererseits wird die Welt nun das, was in Form der IKTs an ihr berechenbar ist.
Im zweiten Teil des Kapitels werde ich diese technikphilosophischen Überlegungen mit Horkheimer und Adorno in ihrer sozialen Logik weiterverfolgen. Zwar liegt es nicht im Begriff des ›Handys‹, Bewegungsprofile von Nutzerinnen und Nutzern zu erstellen, aber es ist kein Zufall, dass heute alle Handys mit einer solchen Software ausgestattet sind, die Bewegungsprofile erstellt und unser Verhalten prognostizierbar macht. Diese werden mit Informationen zu unserem Konsumverhalten, unseren Partnerwahlpräferenzen und unseren kulinarischen Vorlieben zu Profilen verbunden. Als solche werden sie eine handelbare Ware. Adorno und Horkheimer haben gezeigt, dass die Moderne sich durch eine Verselbständigung instrumenteller Rationalität auszeichnet. Diese wird im Zuge der Digitalisierung radikalisiert: Während im Zuge der Industrialisierung materielle Objekte zergliedert wurden, dringt dieses Verfahren nun in die Materie selbst ein: Objekte werden nicht länger zergliedert, sondern aus einer vorgängigen Zergliederung in Daten neugeschaffen.
Das zweite Kapitel argumentiert aus anthropologischer Perspektive dafür, dass wir geistige Fähigkeiten nur Lebewesen zuschreiben können, nicht aber einer KI. So wie unsere Praxis durch die Digitalisierung einer Logik der Datifizierung unterzogen wird, so wird der Begriff des Geistes mit der These, dass KIs denken können, aus einer Computerlogik neu bestimmt. Ein solches Vorgehen werde ich im ersten Teil des Kapitels mit Blick auf den Begriff des Denkens, im zweiten Teil dann mit Blick auf den Begriff des Handelns einer Kritik unterziehen.
In jüngster Zeit hat sich vor allem durch die breite Nutzung sogenannter Large Language Models (kurz: LLMs) die Frage nach dem Unterschied zwischen menschlichem Geist und Künstlicher Intelligenz verschärft. LLMs sind Programme, die mit großen Datensätzen natürlicher Sprachen gefüttert werden und mit Hilfe von Wahrscheinlichkeitsrechnung Antworten auf Fragen von Nutzerinnen und Nutzern geben. Vorschläge, KIs minimale oder weitreichende kognitive Fähigkeiten zuzuschreiben, übersehen aber nicht allein, dass LLMs nicht wissen, wovon sie sprechen. Vielmehr geht der Gedanke, dass KIs kognitive Fähigkeiten haben, mittelbar auf einen Vorschlag Alan Turings zurück. Er hat die Frage, ob Maschinen denken können, durch die Frage ersetzt, ob wir den Unterschied zwischen den Textausgaben eines Menschen und einer Maschine erkennen können. Im Rückgriff auf Argumente von Donald Davidson, Hubert Dreyfus und Brian Cantwell Smith werde...