E-Book, Deutsch, Band 25, 197 Seiten
Reihe: Staatlichkeit im Wandel
Faude Von Konkurrenz zu Arbeitsteilung
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-593-43022-5
Verlag: Campus
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Komplexität und Dynamik im Zusammenspiel internationaler Institutionen
E-Book, Deutsch, Band 25, 197 Seiten
Reihe: Staatlichkeit im Wandel
ISBN: 978-3-593-43022-5
Verlag: Campus
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Benjamin Faude ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung »Global Governance « am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Inhalt
Dank8
Kapitel 1: Einleitung10
1.Die Implikationen institutioneller Proliferation und die Entwicklungsdynamik von Institutionenkomplexen 11
2.Die Herausforderung für den Institutionalismus 14
3.Das Argument: Die Herausbildung einer
interinstitutionellen Ordnungsstruktur 17
4.Der Beitrag zur Forschung 20
5.Die konzeptionellen Grundlagen und das Forschungsdesign25
6.Die Organisation des Buches31
Kapitel 2: Die polyzentrische Struktur des
internationalen Systems 35
1.Die Anarchie-Annahme in den Großtheorien
der Internationalen Beziehungen 36
2.Die Problematik der Anarchie-Annahme vor dem
Hintergrund realweltlicher Entwicklungen 40
3.Die Annahme eines polyzentrisch strukturierten
internationalen Systems 46
4.Das Entstehen von Institutionenkomplexen 52
5.Fazit 58
Kapitel 3: Die Mikro-Dynamik von Institutionenkomplexen 60
1.Funktionale Überlappung als zentrale Antriebskraft
von Institutionenkomplexen 61
2.Institutionelle Anpassungsprozesse konstruieren
fokale Punkte für eine interinstitutionelle Arbeitsteilung 73
3.Fazit77
Kapitel 4: Die strukturellen Effekte von
Institutionenkomplexen81
1.Eine interinstitutionelle Ordnungsstruktur internationalen Regierens 82
2.Die Emergenz von Systemeigenschaften in den Sozialwissenschaften und ihre Bedeutung in den Theorien der Internationalen Beziehungen 84
3.Die Herausbildung einer interinstitutionellen Arbeitsteilung 87
4.Das Resultat: Eine interinstitutionelle Ordnungsstruktur internationalen Regierens 96
5.Die Stabilität einer interinstitutionellen Ordnungsstruktur 101
6.Die beobachtbaren Implikationen einer interinstitutionellen Arbeitsteilung und die Konsequenzen für die empirische Analyse 103
7.Fazit107
Kapitel 5: Der Institutionenkomplex Geistige Eigentumsrechte mit Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit 109
1.Die Interessenkonstellation im Institutionenkomplex: Globaler Norden versus Globaler Süden 110
2.Der Abschluss des TRIPS-Abkommens schafft einen funktionalen Überlappungsbereich zwischen WTO, WIPO und WHO 112
3.Funktionale Überlappung generiert ein Kooperationsproblem zweiter Ordnung und interinstitutionellen Wettbewerb 117
4.Institutionelle Anpassungsprozesse konstruieren fokale Punkte für die Herausbildung einer interinstitutionellen Arbeitsteilung 121
5.Das Resultat komplementärer institutioneller Anpassungsprozesse: Die Herausbildung einer interinstitutionellen Ordnungsstruktur internationalen Regierens 135
Kapitel 6: Der Institutionenkomplex Internationaler Handel mit genmodifizierten Organismen 138
1.Die Interessenkonstellation im Institutionenkomplex: Exporteure genmodifizierter Organismen vs. Importeure genmodifizierte Organismen 141
2.Die Schaffung eines funktionalen Überlappungsbereichs zwischen WTO, UN-Biodiversitätsregime und standardsetzenden Institutionen 143
3.Funktionale Überlappung generiert ein Kooperationsproblem zweiter Ordnung und interinstitutionellen Wettbewerb 150
4.Institutionelle Anpassungsprozesse konstruieren fokale Punkte für die Herausbildung einer interinstitutionellen Arbeitsteilung 151
5.Das Resultat komplementärer institutioneller Anpassungsprozesse: Die Herausbildung einer interinstitutionellen Ordnungsstruktur internationalen Regierens 162
Kapitel 7: Fazit 164
1.Die Herausbildung interinstitutioneller Ordnungsstrukturen in Institutionenkomplexen164
2.Beitrag zur Forschung169
3.Where to go from here?172
Literatur175
Dank
Dieses Buch ist die überarbeitete Version meiner im April 2013 an der sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Otto-Friedrich-Uni-versität Bamberg eingereichten Dissertation. Es ist an vier Orten entstan-den: Bamberg, Berkeley, Brüssel und Berlin. Der Aufenthalt an jedem dieser Orte hat sich auf dieses Buchentscheidend ausgewirkt. Deshalb möchte ich mich bei einigen Menschen in diesen Städten herzlich bedan-ken.
Zunächst und insbesondere ist Thomas Gehring zu nennen, der wäh-rend des Hauptstudiums in Bamberg mein Interesse an der Frage des Zu-sammenspiels internationaler Institutionen geweckt und anschließend die Erstbetreuung meiner Doktorarbeit übernommen hat. Ohne seine dauer-hafte Diskussionsbereitschaft und ohne unsere Zusammenarbeit in mehreren Artikelprojekten würde dieses Buch in der vorliegenden Form ganz sicher nicht existieren. Ebenso wichtig waren die interdisziplinären Diskussionen im Bamberger Graduiertenkolleg Märkte und Sozialräume in Europa. Hierfür danke ich insbesondere dem Sprecher des Graduiertenkollegs, Richard Münch. Daneben habe ich vom Input der Bamberger Kollegen Simon Fink, Michael Kerler, Axel Obermaier und Daniel Odinius profitiert. Ihnen allen sei hierfür herzlich gedankt. Schließlich habe ich Thomas Rixen dafür zu danken, dass er sich bereit erklärt hat, meiner Promotionskommission als drittes Mitglied beizutreten.
Nach zwei Jahren Graduiertenstudium in Bamberg setzte ich meine Arbeit bei einem Gastaufenthalt am Institute of European Studies an der University of California in Berkeley fort. Tobias Schulze-Cleven danke ich dafür, dass er mich bei der Bewerbung in Berkeley entscheidend unterstützt hat. Vinod K. Aggarwal danke ich dafür, dass er in Berkeley meine Betreuung übernommen hat. Als wertvolle Gesprächspartner erwiesen sich in den USA zudem Maarten de Jong, Mujeeb Khan, Ken Lichtman und Stefan G. Schmid.
An meinen Gastaufenthalt in Berkeley schloss sich eine Arbeitsphase am Institute for European Studies der Vrije Universiteit in Brüssel an. Dieser Gastaufenthalt wurde initiiert durch Sebastian Oberthür, den aka-demischen Direktor des Instituts. Ihm möchte ich nicht nur für die Er-möglichung dieses bereichernden Aufenthalts, sondern aus zwei weiteren Gründen danken: Zum einen dafür, dass er die Zweitbetreuung dieser Doktorarbeit zu einem Zeitpunkt übernommen hat, an dem er mich per-sönlich noch nicht kannte. Zum anderen dafür, dass er trotz der Tatsache, dass wir beide über den längsten Zeitraum des Erstellens dieser Dissertation an verschiedenen Orten arbeiteten, ein verlässlicher Gesprächspartner war. Neben Sebastian Oberthür waren in Brüssel Thomas Sattich, Ioannis Spyridakis, Justyna Pozarowska und insbesondere Florian Rabitz anregende Gesprächspartner.
Nach meinem Gastaufenthalt in Brüssel trat ich eine Stelle als wissen-schaftlicher Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialfor-schung (WZB) an. Michael Zürn danke ich dafür, dass er die zentralen Argumente dieser Arbeit ausführlich mit mir diskutiert hat. Für äußerst hilfreiche Kommentare danke ich zudem den Berliner Kollegen Tanja Abendschein-Angerstein, Martin Binder, Sebastian Bödeker, Matthias Ecker-Ehrhardt, Felix Große-Kreul, Gisela Hirschmann, Mattias Kumm, Michal Parizek, Autumn Lockwood Payton, Thomas Rixen, Georg Sim-merl und Jan Sindt. Darüber hinaus habe ich die zentralen Argumente dieses Buches am WZB mit Karen Alter, John Gerring, Andrea Liese und Lora Viola diskutiert. Ihnen allen sei für ihre wertvollen Kommentare herzlich gedankt. Allergrößten Dank schulde ich Felix Große-Kreul und Daniel Salgado Moreno, die mir bei der finalen Überarbeitung des Manu-skripts inhaltlich bzw. formattechnisch eine unschätzbare Hilfe waren. Ganz allgemein hat die inspirierende Arbeitsatmosphäre am WZB dieses Buch positiv beeinflusst. Hierfür danke ich auch allen nicht namentlich genannten Kolleginnen und Kollegen am WZB sehr herzlich.
Berlin, im August 2015
Benjamin Faude
Kapitel 1
Einleitung
Die Proliferation internationaler Institutionen führt zu Überlappungen und zu Normkonflikten zwischen separat voneinander gegründeten internationalen Institutionen. Somit müssen sich nicht mehr nur nationalstaatlich organisierte politische Ordnungen die Frage nach ihrer "Fähigkeit zur politischen Regelung komplexer, interdependenter Problemzusammenhänge" (Scharpf 1972: 169) stellen, sondern auch auf internationalen Institutionen beruhende politische Teilordnungen jenseits des Nationalstaates. Im Gegensatz zu Nationalstaaten und zur Europäischen Union (EU) fehlt dem internationalen System jedoch ein einheitlicher institutioneller Rahmen, innerhalb dessen Normkonflikte zwischen funktional überlappenden internationalen Institutionen vermittelt und gelöst werden (können). Dies wirft die Frage auf, ob institutionelle Überlappungen zwischenstaatlicher Kooperation im Rahmen von internationalen Institutionen zu- oder abträglich sind. Dieses Buch erklärt, unter welchen Bedingungen funktional überlappende internationale Institutionen mit regulativen Aufgaben eine inter-institutionelle Arbeitsteilung ausbilden, die Kohärenz in ihren Regelungs-bemühungen herstellt und dadurch institutionalisierte Zusammenarbeit fördert. Es widerspricht somit all denjenigen, die argumentieren, funktio-naler Überlappung sei eine Schwächung institutionalisierter Zusammen-arbeit auf internationaler Ebene inhärent (Benvenisti/Downs 2007; Drez-ner 2013; Hale u.a. 2013).
Die Ambition dieses Buches ist Theoriebildung: Ich formuliere eine Theorie der allgemeinen Tendenz (siehe hierzu Waltz 1997: 913f; Waltz 2000: 38) hin zu einer interinstitutionellen Arbeitsteilung zwischen funktional überlappenden internationalen Institutionen mit regulativen Aufgaben. Konkret entwickle ich einen auf rational-funktionalistischen Prämissen beruhenden Kausalmechanismus, der die Herausbildung einer Arbeits-teilung erklären kann (siehe McGinley 2014 zu mechanistischen Erklärun-gen in den Internationalen Beziehungen). Zwei Einschränkungen sind wichtig: Zum einen ist die Herausbildung einer interinstitutionellen Ar-beitsteilung nicht unvermeidlich, sondern kontingent (vgl. Wendt 2003). Ich entwickle also kein teleologisches Argument, sondern identifiziere Bedingungen, unter denen wir die Herausbildung einer Arbeitsteilung bzw. das Fortbestehen funktionaler Überlappung erwarten können. Zum anderen soll nicht bestritten werden, dass auch andere Erklärungen für die Herausbildung einer interinstitutionellen Arbeitsteilung möglich sind. Es ist die Aufgabe zukünftiger Forschung, diese alternativen Erklärungen vor dem Hintergrund meines Theorieentwurfs zu entwickeln (siehe hierzu bereits Holzscheiter 2015).
1. Die Implikationen institutioneller Proliferation und die Entwicklungsdynamik von Institutionenkomplexen
Die Herausbildung einer interinstitutionellen Arbeitsteilung zu erklären bedeutet, die Entwicklungsdynamik eines Institutionenkomplexes zu er-klären. Denn funktional überlappende, aber nicht in eine hierarchische Ordnung eigebettete internationale Institutionen werden als Institutionen-komplex gefasst (Raustiala/Victor 2004: 279). Insofern leistet diese Untersuchung einen Beitrag zur Erforschung von Institutionenkomplexen. Konkret bietet sie einen institutionalistischen Theorieentwurf an, der die Dynamik interinstitutioneller Ordnungsbildung in Institutionenkomplexen beleuchtet. Dies geht insoweit über den Stand der Forschung hinaus, als bisher keine Bedingungen identifiziert wurden, unter denen institutionelle Überlappungen zu mehr bzw. zu weniger Kooperation führen (Hafner-Burton u.a. 2012: 88).
Gleichwohl ist man sich der Tatsache bewusst, dass das internationale System mittlerweile aus einer Vielzahl separat gegründeter internationaler Institutionen besteht, die einerseits nicht durch eine zentrale Instanz koor-diniert werden (Raustiala 2013), deren Regelungen aber andererseits immer umfassender und detaillierter geworden sind (Alter/Meunier 2009: 13). So existierten im Jahr 2013 2.406 multilaterale Verträge und Übereinkommen sowie 266 internationale Organisationen, 38 davon multilateral (Union of International Associations 2013). Das "Regieren jenseits des Nationalstaates" (Zürn 1998) wird also nicht von zentraler Stelle aus gesteuert. Es hat vielmehr eine polyzentrische Struktur (siehe Ostrom 2014b; Ostrom 2014a), innerhalb der es durch die Rationalitäten sektorspezifischer internationaler Institutionen und die Interessen staatlicher Akteure bestimmt wird (Krisch 2010: 54).
Die dramatisch erhöhte "institutionelle Dichte" auf internationaler Ebene (Zürn 1998: 84) führt nicht nur zu überlappenden Zuständigkeiten (Hofmann 2011), sondern auch zu institutionenübergreifenden Möglich-keiten strategischen Handelns für staatliche Akteure (forum-shopping und regime-shifting, dazu Busch 2007; Jupille u.a. 2013; Helfer 2009; Morse/
Keohane 2014) und zu interinstitutionellen Einflussbeziehungen (Gehring/Oberthür 2009). Die Proliferation internationaler Institutionen bewirkt somit, dass viele Institutionen nicht mehr unabhängig voneinander operieren, sondern sich in ihrer normativen Entwicklung und in ihrer Steuerungswirksamkeit wechselseitig beeinflussen (Abbott u.a. 2015b; Gehring/Oberthür 2009; Hofmann 2011; Krisch 2010). Ihre wechselseitige Beeinflussung stellt die Kohärenz der Regelungsaktivitäten internationaler Institutionen infrage (zum Beispiel van Asselt 2011: 60 für die internationale Klimapolitik) und ruft Koordinationsbedarf in den Überlappungsbereichen internationaler Institutionen hervor (Zürn 2011: 623ff. siehe auch Abbott u.a. 2015b: Kapitel 1 und 14; Krisch 2010: 54, 285-296ff.; Pfister 2012: 262). Sie bedeutet, dass sowohl die normative Entwicklung als auch die Steuerungswirksamkeit internationaler Institutionen in entscheidendem Maße von den Effekten institutioneller Wechselwirkung abhängen (Young 2002; siehe auch Abbott u.a. 2015a: Kapitel 1 und 14). Insgesamt ist es daher vielfach nicht mehr angemessen, die Funktions- und Wirkungsweise internationaler Institutionen separat voneinander zu analysieren (ebd.: Kapitel 1 und 14; Biermann 2011; Raustiala/Victor 2004; Young 1996).
Die Institutionenforschung reagierte hierauf, indem sie zum einen die Einflussbeziehungen zwischen zwei internationalen Institutionen in dis-aggregierten Einzelfällen analytisch ins Auge fasste (insbesondere Geh-ring/Oberthür 2009 und Oberthür/Gehring 2006a) und zum anderen, indem sie aus zwei oder mehr überlappenden internationalen Institutionen bestehende Regimekomplexe als neue Analyseeinheit etablierte (Gehring/
Faude 2014; Keohane/Victor 2011; Raustiala/Victor 2004; Pfister 2012).
Funktionale Überlappung bedeutet, dass sich sowohl die Mitglied-schaften als auch die Regelungsbereiche internationaler Institutionen über-schneiden. Sie ist aus zwei Gründen das wichtigste strukturelle Merkmal von Institutionenkomplexen: Zum einen erweitert funktionale Überlap-pung die strategischen Handlungsmöglichkeiten derjenigen Staaten, die allen überlappenden Institutionen zugehörig sind (im Weiteren: multiple Mitglieder). Zum anderen löst sie zwischen den überlappenden Institutio-nen Wettbewerb um Regelungskompetenzen und daran gebundene Res-sourcen aus.
Die erweiterten strategischen Handlungsmöglichkeiten bedeuten, dass sich die multiplen Mitglieder zur Verfolgung ihrer Interessen in verschie-denen Phasen des Politikzyklus zwischen verschiedenen Foren institutio-nalisierter Zusammenarbeit entscheiden können (Jachtenfuchs 2003: 507). Mit anderen Worten: Staaten haben die Möglichkeit der institutionellen Wahl (Jupille u.a. 2013) bzw. des forum-shopping (Raustiala/Victor 2004: 299f; Busch 2007). Dies beinhaltet die Möglichkeit, internationale Institutionen absichtsvoll einzusetzen, um die Regelungsaktivitäten anderer internationaler Institutionen zu unterminieren (Morse/Keohane 2014). Konkret geschieht dies, indem Regelungen erlassen werden, die denen anderer Institutionen mindestens partiell widersprechen und dadurch strategische Inkonsistenz (Raustiala/Victor 2004: 298) schaffen. Lawrence Helfer (2004; 2009) bezeichnet diese Form strategischen Handelns als regime-shifting. Johannes Urpelainen und Thijs van de Graaf (2014) machen deutlich, dass zur Schaffung strategischer Inkonsistenz mitunter auch eine Konkurrenz-institution mit konfligierenden Regeln neu gegründet wird. Julia Morse und Robert Keohane (2014) sehen in regime-shifting und competitive regime creation zwei Ausprägungen von contested multilateralism. Dieses Konzept bezeichnet sowohl Situationen als auch Strategien, in denen bzw. durch die multilaterale Institutionen durch andere multilaterale Institutionen herausgefordert werden (ebd.: 386).
Zum anderen geraten in Mitgliedschaft und inhaltlichem Regelungsbe-reich überlappende internationale Institutionen unweigerlich in einen Wettbewerb um die im Überlappungsbereich angesiedelten Regelungs-kompetenzen und daran gebundene Ressourcen wie die Ausstattung mit finanziellen Mitteln und die Aufmerksamkeit staatlicher und nicht-staat-licher Akteure (Hanrieder 2009; Biermann 2008: 159; Hannan/Carroll 1992: 26ff.). Die Institutionen konkurrieren darum, wer de facto die Kompetenz besitzt, dasselbe Verhalten derjenigen Staaten zu regeln, die allen funktional überlappenden Organisationen zugehörig sind (vergleiche Abbott u.a. 2013: 9f.; Alter/Meunier 2009: 20). Hieran sind die Ausstat-tung mit finanziellen Mitteln und die Aufmerksamkeit staatlicher und nicht-staatlicher Akteure gebunden.
2. Die Herausforderung für den Institutionalismus
Diese beiden Implikationen funktionaler Überlappung zwischen internationalen Institutionen sind die Basis für das Argument, dass institutionelle Proliferation und die dadurch ermöglichten bzw. hervorgerufenen forum-shopping-Aktivitäten und Normkonflikte die Fähigkeit von Staaten zur Kooperation innerhalb von internationalen Institutionen reduzieren (Benvenisti/Downs 2007; Hale u.a. 2013), ja sogar zur wechselseitigen Unterminierung der Steuerungsbemühungen internationaler Institutionen führen (Drezner 2013). Als Resultat dessen nähere sich das internationale System wieder der neorealistischen Vorstellung eines anarchisch strukturierten internationalen Systems an (ebd.), mindestens aber sei aufgrund eines Kooperationsproblems zweiter Ordnung die Fähigkeit internationaler Institutionen zur Herstellung kollektiver Güter reduziert und das gesamte multilaterale System befinde sich in einem Zustand des gridlock (Hale u.a. 2013). Aus rechtswissenschaftlicher Perspektive erscheint die "normative Integrität" des internationalen Rechts bedroht (Benvenisti/Downs 2007: 597).
Diese Argumente stellen den die kooperationsfördernde Wirkung in-ternationaler Institutionen betonenden Institutionalismus vor eine Heraus-forderung: Führt die Proliferation internationaler Institutionen paradoxer-weise wirklich zu einer Schwächung regelbasierter Zusammenarbeit auf internationaler Ebene?
Dies wird am pointiertesten von Daniel Drezner (2009; 2013) argu-mentiert. Drezner (2013: 283ff.) arbeitet heraus, dass die Proliferation internationaler Institutionen, die Implikationen dessen für die Handlungs-möglichkeiten staatlicher Akteure und das Entstehen institutioneller Über-lappungen eine Mehrzahl neuer Probleme für institutionalisierte Zusam-menarbeit auf internationaler Ebene generiert: Wenn eine Mehrzahl inter-nationaler Institutionen den gleichen Themenbereich regelt, bestehe erstens die Gefahr, dass internationale Institutionen für zwischenstaatliche Zu-sammenarbeit immer weniger die Rolle von konstruierten fokalen Punkten spielen können. Zweitens werde es durch die zunehmende Überlappung von Regelungsmandaten schwieriger, Defektion von internationalen Re-geln durch staatliche Akteure eindeutig nachzuweisen. Drittens könnten konfligierende Regelungen internationaler Institutionen dazu führen, dass sich Staaten in geringerem Maß an die einzelnen Regelungen gebunden fühlen und von diesen aus opportunistischen Gründen abweichen. Viertens bedeute die zunehmende Komplexität institutionalisierter Zusammenarbeit auf internationaler Ebene, dass Staaten mehr Ressourcen benötigen, um den komplexitätsinduzierten Herausforderungen gerecht zu werden. Vor diesem Hintergrund argumentiert Drezner (2009; 2013), die polyzentrische Struktur von Global Governance führe zu einer Schwächung, ja zu einer Unterminierung regelbasierter zwischenstaatlicher Kooperation. Paradoxerweise nähere sich ein dicht institutionalisiertes internationales System somit wieder der neorealistischen Vorstellung eines anarchisch strukturierten internationalen Systems an (Drezner 2013: 300; Benvenisti/Downs 2007).
Dieses Argument macht deutlich, dass die Proliferation internationaler Institutionen nicht uneingeschränkt als Siegeszug des Institutionalismus gelesen werden kann. Vielmehr verdeutlichen die von Drezner heraus-gearbeiteten Probleme einer polyzentrisch strukturierten Global Governance, dass die im Zuge ihrer Proliferation entstandenen funktionalen Überlap-pungsbereiche internationaler Institutionen staatlichen Akteuren neue Möglichkeiten zur Unterminierung einer regelbasierten globalen Ordnung bieten. Da sie auf dem Potential internationaler Institutionen zur Realisie-rung einer regelbasierten globalen Ordnung fußt, bedeutet dies zweifels-ohne eine zentrale Herausforderung für die institutionalistische Theorie-schule der Internationalen Beziehungen (Drezner 2008: 140; Keohane 2012). Somit steht die Institutionenforschung gegenwärtig vor der Aufgabe zu spezifizieren, unter welchen Bedingungen internationale Institutionen auch in funktionalen Überlappungsbereichen regelbasierte Kooperation ermöglichen. Hale, Held und Young (2013) sprechen hier von einem "Kooperationsproblem zweiter Ordnung".
Aus institutionalistischer Perspektive gilt es daher ein tragfähiges theo-retisches Modell zu entwickeln, das erklären kann, unter welchen Bedin-gungen funktionale Überlappung nicht zur Unterminierung der regelba-sierten globalen Ordnung durch opportunistisches forum-shopping, sondern zur Herausbildung einer Kohärenz in den Regelsätzen herstellenden inter-institutionellen Ordnung führt. Eine solche interinstitutionelle Ordnung verschließt forum-shopping-Möglichkeiten für multiple Mitglieder und wirkt somit der wechselseitigen Unterminierung der Regelungsbemühungen funktional überlappender Institutionen entgegen. Das Resultat ist eine stabile Struktur im Verhalten von multiplen Mitgliedern und überlappen-den internationalen Institutionen. Dies bedeutet, dass die einzelnen Institutionen des Komplexes ihre kollektiv vorteilhafte Funktion der Er-möglichung von Kooperationsgewinnen durch die Generierung stabiler Erwartungen über das Verhalten von Staaten wieder uneingeschränkt er-füllen. Zudem schafft die interinstitutionelle Ordnung einen Ausgleich zwischen verschiedenen - kollektiv als legitim anerkannten - Interessen, zum Beispiel zwischen dem Interesse an der Liberalisierung des internationalen Handels und dem Interesse am Schutz der Umwelt.
Dieser Herausforderung kann der Institutionalismus nicht durch einen Rückgriff auf sein zentrales Konzept - die Regimetheorie (Keohane 1984; Krasner 1982; Stein 1982) - begegnen. Die Regimetheorie ist ein problemfeldspezifischer Ansatz, der internationale Regime als voneinander unabhängige, partielle Ordnungen konzipiert (vergleiche Hasenclever u.a. 1997: 59): Internationale Institutionen werden von interessierten staatlichen Akteuren vor dem Hintergrund eines anarchisch strukturierten internationalen Systems geschaffen, um gemeinsame Kooperationsinteressen in einem abgegrenzten Themenbereich zu realisieren und existieren separat voneinander (Keohane 1984; Zürn 1992). Aufgrund ihrer problemfeldspezifischen Perspektive kann die Regimetheorie keine theoretischen Aussagen über das strategische Verhalten von Staaten in institutionellen Überlappungsbereichen und deren Implikationen für zwischenstaatliche Zusammenarbeit in einem polyzentrisch strukturierten internationalen System generieren (Drezner 2008: 140f.). Ebenso wird erst aus einer institutionenübergreifenden Ordnungsperspektive ersichtlich, dass Regelkollisionen drohen, die Steuerungsfähigkeit internationaler Institutionen zu unterminieren und den Bedarf an einer Meta-Ordnung generieren (Zürn 2005: 410). Eine solche institutionenübergreifende Ordnungsperspektive ist dem Global Governance Paradigma zu eigen (Deitelhoff/Zürn 2013).
3. Das Argument: Die Herausbildung einer interinstitutionellen Ordnungsstruktur
Dieses Buch zeigt, wie und unter welchen Bedingungen sich in Institutio-nenkomplexen eine interinstitutionelle Arbeitsteilung herausbildet. Es soll deduktiv ein rational-funktionalistischer Ansatz entwickelt werden, der eine mechanistische Erklärung für die Herausbildung einer interinstitutionellen Arbeitsteilung in einer kompetitiven institutionellen Umwelt (siehe hierzu Abbott u.a. 2015a: Kapitel 1 und 14) anbietet (zu sozialen Mechanismen: siehe Hedström/Swedberg 1998; zu mechanis-tischen Erklärungen in den Internationalen Beziehungen: siehe McGinley 2014). Das zentrale theoretische Argument besteht somit darin, dass funktional überlappende internationale Institutionen dazu tendieren, eine interinstitutionelle Arbeitsteilung und eine darauf basierende interinstitutionelle Ordnungsstruktur internationalen Regierens auszubilden. Die interinstitutionelle Ordnungsstruktur enthält die durch die Arbeitsteilung koordinierten substantiellen Regeln der einzelnen Institutionen des Komplexes. Somit theoretisiere ich die Entstehung einer neuen Dimension politischer Ordnungsbildung auf internationaler Ebene (siehe Zürn u.a. 2007). Dieses Argument beruht auf einer Verbindung der akteurszentrierten Mikroperspektiven der institutionellen Wahl und der institutionellen Anpassung mit der systemischen Makroperspektive sozialer Ordnung.
Auf diese Weise entwickle ich eine institutionalistische Antwort auf das neorealistisch inspirierte Argument Drezners (2009; 2013), funktionale Überlappung führe zu einer wechselseitigen Unterminierung der Steuerungsbemühungen internationaler Institutionen und damit zu einer Schwächung regelbasierter Zusammenarbeit auf internationaler Ebene (siehe auch Benvenisti/Downs 2007; Hale u.a. 2013; Raustiala 2013: 305ff.). Dieses Argument lässt erwarten, dass wir in funktionalen Überlappungsbereichen nicht die Herausbildung einer interinstitutionellen Arbeitsteilung, sondern dauerhafte Normkonflikte und eine auf dauerhaftem forum-shopping beruhende selektive Implementation von Regeln beobachten können. Hierdurch würde die Funktions- und Problemlösungsfähigkeit internationaler Institutionen nachhaltig eingeschränkt und das internationale System nähere sich wieder der neorealistischen Anarchievorstellung an (Drezner 2013).
Obwohl ich wie Drezner davon ausgehe, dass Staaten in funktionalen Überlappungsbereichen Möglichkeiten der institutionellen Wahl haben, theo-retisiere ich im Unterschied zu ihm, wann und wie sich unter dieser Bedingung dennoch eine interinstitutionelle Ordnung herausbildet, die Möglichkeiten zum forum-shopping verschließt, Kohärenz in den Regeln funktional überlappender internationaler Institutionen herstellt und für einen Ausgleich zwischen verschiedenen - kollektiv als legitim anerkannten - Interessen sorgt. Dabei beschränkt sich meine theoretische Argumentation auf Institutionenkomplexe, die aus internationalen Institutionen mit regulativen Aufgaben bestehen. Als solche gelten diejenigen Institutionen, welche in Regelsätzen Verhaltensvorschriften und -verbote formulieren, die von ihren Mitgliedstaaten implementiert werden müssen (Young 1996: 15).
Keine Erklärungskraft beansprucht das theoretische Modell dagegen für Institutionenkomplexe, die sich aus internationalen Institutionen mit operativen Aufgaben zusammensetzen. Solche Institutionen werden von ihren Mitgliedern für fallspezifische Operationen eingesetzt, zum Beispiel bei Kriseninterventionen oder bei Finanzkrisen. Beispiele bilden somit der Internationale Währungsfonds, die Weltbank, die NATO oder internatio-nale Wahlbeobachtungsorganisationen. Das entscheidende Koordinations-problem zwischen internationalen Institutionen mit operativen Aufgaben ist somit nicht die Überlappung von Regelsätzen, sondern die Koordina-tion von Interventionen in konkreten Fällen (Hale u.a. 2013: 228). Obwohl sich auch internationale Institutionen mit operativen Aufgaben im Kampf um knappe Ressourcen befinden, gibt es zwischen ihnen keinen Wettbewerb im Hinblick darauf, welcher Regelsatz für das Verhal-ten von Staaten maßgeblich ist. Dies bedeutet, dass die durch inter-nationale Institutionen mit operativen Aufgaben produzierten Kollektiv-güter nicht notwendigerweise durch Möglichkeiten der institutionellen Wahl und durch interinstitutionellen Wettbewerb in funktionalen Über-lappungsbereichen unterminiert werden. Hieraus ergibt sich eine andere Interessenkonstellation der multiplen Mitglieder: Im Gegensatz zu Institutionenkomplexen, die aus regulativen Institutionen bestehen, kann es bei aus operativen Institutionen bestehenden Institutionenkomplexen ein überragendes Interesse seitens der multiplen Mitglieder geben, redun-dante institutionelle Strukturen und Möglichkeiten zum forum-shopping auf-recht zu erhalten, um dadurch - angesichts der Gefahr der politischen Blockade einer oder mehrerer Institutionen - die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, im Bedarfsfall mindestens eine Institution einsetzen zu können (zum Beispiel beim Krisenmanagement im Rahmen der UN, der NATO oder der EU, siehe Alter/Meunier 2009: 20). Der Anwendungsbereich meines theoretischen Modells ist zudem beschränkt auf Institutionen-komplexe, die aus internationalen Institutionen bestehen, in denen Staaten ernsthafte Kooperationsprojekte verfolgen, in denen sie somit wirklich kooperieren wollen. Nicht darunter fallen symbolische Institutionen, die nicht darauf abzielen, das Verhalten von Akteuren zu beeinflussen (siehe Van de Graaf 2011) und untätige Institutionen, die ihre Regelungs-funktionen verloren haben, allerdings von ihren Mitgliedstaaten nicht auf-gelöst wurden. Sowohl bei symbolischen, als auch bei untätigen inter-nationalen Institutionen ist nicht damit zu rechnen, dass die multiplen Mitglieder ein Interesse an der Erhaltung der Funktionsfähigkeit der ein-zelnen Institutionen entwickeln.
4. Der Beitrag zur Forschung
Was kann diese Untersuchung zur Erforschung institutioneller Komplexi-tät auf internationaler Ebene beitragen? Sie macht deutlich, dass Institutionenkomplexen das Potential zu interinstitutioneller Ordnungs-bildung inhärent ist und erklärt die Herausbildung einer inter-institutionellen Arbeitsteilung. Auf diese Weise überwindet meine Untersuchung die in der Literatur konstatierte Untertheoretisierung interinstitutioneller Ordnungsstrukturen (Underdal/Young 2004: 375; Zelli 2011: 199). Trotz dieser Untertheoretisierung konnte die empirisch orientierte Forschung jedoch in den Institutionenkomplexen "pflanzen-genetische Ressourcen" (Jungcurt 2011), "arktische Umwelt" (Stokke 2011), "Fischereimanagement" (Alcock 2011) und "Handelsrestriktionen aus Umweltschutzgründen" (Gehring 2011) bereits die Existenz arbeitsteilig organisierter interinstitutioneller Ordnungen nachweisen, ohne deren Herausbildung allerdings befriedigend erklären zu können (Oberthür/Stokke 2011a). Gleichzeitig identifizierte die empirisch orien-tierte Forschung ebenso Institutionenkomplexe, in denen die Heraus-bildung einer Arbeitsteilung nicht erkennbar ist (Hofmann 2011 für den Institutionenkomplex Internationales Krisenmanagement sowie Kelley 2009 für den Institutionenkomplex Internationale Wahlbeobachtungsorganisationen). Da mein theoretisches Modell Bedingungen spezifiziert, unter denen wir die Entstehung einer arbeitsteilig organisierten interinstitutionellen Ordnung erwarten können, ist es in der Lage, diese bisher unerklärte Varianz in der Herausbildung einer Arbeitsteilung aufzuklären.
Durch die Rückbindung der Herausbildung einer interinstitutionellen Arbeitsteilung an die Interessen und das Verhalten staatlicher Akteure, das heißt, durch eine solide Mikrofundierung des theoretischen Modells, spricht meine Arbeit zudem zur Forschung zu institutioneller Wahl (Jupille u.a. 2013) bzw. forum-shopping und verwandten Mikro-Perspektiven (insb. Helfer 2009; Morse/Keohane 2014; Urpelainen/Van de Graaf 2014). Dies tue ich, indem ich die akteurszentrierte Prespektive des forum-shopping mit der Makro-Perspektive sozialer Ordnung verbinde und auf diese Weise die Implikationen der Möglichkeiten zur institutionellen Wahl für institutionalisierte Kooperation herausarbeite, allerdings in anderer Weise als Daniel Drezner (2013).