Farris | Letzter Aufruf für die Liebenden | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 430 Seiten

Farris Letzter Aufruf für die Liebenden

Kriminalroman
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-948392-53-6
Verlag: Polar Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)

Kriminalroman

E-Book, Deutsch, 430 Seiten

ISBN: 978-3-948392-53-6
Verlag: Polar Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Für den Bankangestellten Charlie Colquitt ist es nur ein weiterer Samstag. Für Hobe Hicklin, einen Ex-Häftling, der nichts zu verlieren hat, ist es nur ein weiteres Ziel. Für Hobes drogensüchtige, sexbesessene Freundin ist es Lust, Gewalt und Drogen. Aber in dieser packenden Erzählung ist nichts so, wie es scheint. Hicklins erster Fehler, den er macht, ist, seine Partner in der Aryan Brotherhood zu betrügen und damit ihre Rache herauszufordern. Sein zweiter Fehler ist, eine Geisel zu nehmen. Aber er und Charlie können sich nur so lange in den Bergen im Norden Georgias verstecken, bis die Sünden von Hicklins Vergangenheit sie einholen.

Von Criminal Element als 'faszinierendes Südstaaten-Noir-Juwel' bezeichnet und von Barnes & Noble als 'ein Debüt, das ein ernsthaftes neues Talent ankündigt', schaffte es Peter Farris' erster veröffentlichter Roman Last Call for the Living auf zahlreiche Best-Of-Listen. Sein nächster Roman Ghost in the Fields (alias Le Diable En Personne) gewann den renommierten Le Prix 813 für den besten ausländischen Roman. Sein neuer Roman The Clay Eaters, wurde für den Prix Libr'à Nous 2020 in die engere Wahl gezogen und ist Finalist für den Le Prix Lire En Poche 2021. Peter, ein Musiker in einem früheren Leben, ist Mitglied der Connecticut-Sludge-Metal-stalwarts Gruppe CABLE und nahm mit ihnen vier Alben auf. Der Absolvent der Yale University lebt mit seiner Familie in Georgia, wo er seine Freizeit im Freien beim Jagen und Wandern verbringt.
Farris Letzter Aufruf für die Liebenden jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


I’m just a failed convict. I got nothin’ to lose.

EINS


Um 6 Uhr 45 war die Sonne über dem Jubilation County bereits aufgegangen. Sie schien wie ein trunkenes Auge über den zehnspurigen Highway zu glotzen, der sich flussgleich in Nord-Süd-Richtung durch den beweglichen Wall aus Amberbäumen, Kiefern, Eichen und Ahornen fräste. Es war Samstag. Kaum Verkehr bis auf einen einsamen State Trooper und einen Lieferwagen. Und Sattelzüge donnerten dahin. Erdbeben auf Rädern unterwegs nach Süden, auf Georgias Teil des Piedmont zu. Über flache Hügel und durch kleine Täler, an den Ausfahrten Diner, Tankstellen und Straßen, die sich in von Kudzu überwucherten Feldern und Kiefernhainen verloren.

Eine Stunde von der großen Stadt entfernt wurde der Highway flach und gerade. Hier gab es eine Universität, um deren Campus herum ein Ort entstanden war. Es gab einen Flughafen, links und rechts der Hauptstraße hatten sich Autohändler, Läden und Restaurants angesiedelt, dazwischen standen Apartmenthäuser und Wohnanlagen.

Auf der Bundesstraße herrschte Tag und Nacht Verkehr. Projektentwickler nannten das eine »Lage mit attraktivem Wachstumspotenzial«. Und über allem wachte ein Berg, an dem der Konföderiertengeneral Joseph E. Johnston in einer der blutigsten Schlachten des Bürgerkriegs Shermans Marsch an die Atlantikküste zeitweise aufzuhalten vermochte.

Hicklin zündete sich eine Zigarette an. Auf einer gewundenen Allee, neben der die Häuser wie falsch abgestellte Särge aus der Erde wuchsen, fuhr er nach Süden. Vorbei an einer Markthalle, die inzwischen verfallen war. An einer Seite des Gebäudes war eine verrostete Wasserpumpe, dahinter ein versiegter Brunnen. Auf dem Grundstück verteilt standen ungepflegte Pfirsichbäume. Als Hicklin parkte, entdeckte er in einem der Bäume ein kürbisgroßes Hornissennest. Die Bewohner brummten nach der monatelangen Winterruhe vor Aktivität.

Er stellte den Motor ab und wartete. Das Gras hinter dem Parkplatz war hüfthoch. Wenn er sich recht erinnerte, gab es hier einen Bach, der bis in den Nationalpark floss. Er wusste noch, dass er früher in einem Tümpel gespielt hatte, wo man auf Wassermokassinottern aufpassen musste. Gefährlicher waren aber die Zwergklapperschlangen. Sie klapperten nicht wie große Klapperschlangen, sondern surrten eher wie Insekten, und vor allem bissen sie immer mehr als einmal zu.

Hicklin drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus und zündete sich die nächste an. Eine schwere Hitze legte sich auf alles. Es war einer jener schwülen Sommervormittage, an denen man schon früh die Kleider wechseln wollte. Im Jubilation County geboren und aufgewachsen, war er es gewohnt, dass er im Mai zu schwitzen begann und erst Mitte Oktober damit aufhörte. Aber warum leiden? Hicklin ließ den Motor wieder an und schaltete die Klimaanlage ein. Zum Glück hatte der Wagen eine, die funktionierte. In seinem Pick-up gab es keine.

Er sah auf die Uhr. Vor einer Stunde war die Sonne aufgegangen.

Bei Normalos drehte sich alles um die vierzigstündige Arbeitswoche und die zwei Wochen Ferien, die vierteljährlichen und jährlichen Mitarbeitergespräche. Für die verging die Zeit wie im Flug. Nicht für Hicklin. Er spürte jedes Weiterrücken des Minutenzeigers. Seine Zeit flog nicht, sie wurde von einem Gletscher vorwärtsgeschoben. Er beruhigte seine Nerven, indem er die Zigarette in tiefen Zügen in sich saugte und den Rauch durch die Nase ausstieß. Dennoch sah er manchmal immer noch Gitter, wenn er auf die Windschutzscheibe blickte.

Das passierte mit einem, wenn man jahrelang in einer Zelle gelebt hatte.

Vor ein paar Wochen, kurz nach der Entlassung, war er zu einer Agentur gegangen, die Haftentlassenen angeblich bei der Arbeitssuche half. Sie hatten ein Programm, mit dem man für den Arbeitsmarkt fit gemacht wurde. Einen Job als Lagerarbeiter oben in Jasper. Eine Hilfsarbeiterstelle bei einer Holzspedition oder in einer Geflügelzucht, als Packer von Schlachtfleisch. Zwölfstundenschichten. Sieben Dollar die Stunde. Aus dem Mund der Agenturfrau hörte sich das nach einem ordentlichen Lohn an, so als hätte er eine Wahl. Sie sprach von der schlechten Wirtschaftslage, wie schwer es für Straftäter war, einen Job zu finden. Wie ihnen ständig Steine in den Weg gelegt wurden. Sie sprach von der Rückfallquote und der Wichtigkeit eines Schulabschlusses und anderem, was Hicklin alles verstand. Aber nach zwölf Jahren Haft im Bundesgefängnis in Jesup, im Hays State Prison und im Georgia State Prison bei Reidsville wusste er ziemlich genau, wie seine Zukunft aussah.

Er schnippte die Zigarette aus dem Fenster. Streifte die schwarzen Schießhandschuhe über. Sah wieder auf die Uhr. Unter dem Armband war ein Kleeblatt-Tattoo. Auf einem Blatt stand der Buchstabe A. Auf einem zweiten B. Gestochen mit einer Tätowiermaschine, die aus einer Gitarrenseite, einem Füller und dem Motor eines Haarföhns zusammengebastelt worden war. Ein Nazi-Lowrider aus Pensacola hatte es gehackt. Wie alle seine Tätowierungen. Sie hatten zwei Jahre in einer Zelle verbracht. Hicklin hatte dem Typen aus Pensacola Fusel besorgt und einmal sogar einen Mord für ihn eingefädelt. Den man ihm nicht anhängen konnte. Aber das Letzte, was Hicklin von seinem Zellengenossen gehört hatte, war, dass er einen seiner eigenen Leute verpfiffen hatte und jetzt in irgendeinem Drecksnest im Westen hauste.

Das Backpiece war das Leichteste gewesen. Am meisten hatte das Hacken an Hals und Brust wehgetan. Inzwischen waren die Tattoos jahrealt. Es kam ihm fast so vor, als wären sie in einen anderen Körper gestochen worden. Gemälde, die auf einem Dachboden lagerten.

Hicklin sah wieder auf die Uhr. Dann fuhr er weiter.

Der erste von drei Weckern piepste in der Nähe von Charlie Colquitts Kopf. Sie waren so eingestellt, dass sie im Minutentakt losgingen. Um 7 Uhr 30 setzte ein digitaler Piepschor ein.

Seine Mom nannte ihn Koma.

Charlie streckte die Hand nach dem ersten Wecker aus. Um 7 Uhr 34 war es wieder still im Zimmer. Mit größter Mühe, als zerrten die Klauen eines Traums an seinen Lidern, öffnete er die Augen. Jetzt wieder einschlafen wär kein Problem, dachte er. Im Schlafzimmer war es angenehm kühl. Dann klingelte das Telefon. Beim dritten Läuten war er aus dem Bett und tapste durch die kleine Wohnung. In dem Gebäude lebten vor allem Studierende, die wie er und die meisten anderen an dieser Universität außerhalb des Campus wohnten. Morgenmufflig wie stets ging er dran.

»Schon gut, Momma, bin wach.«

Charlie hörte ihr eine Weile zu.

»Okay, Momma, ich kauf ein, bevor ich komme.«

Er legte auf. Die Kaffeemaschine piepste zweimal und begann automatisch mit dem Kaffeekochen. Einen Augenblick stand er vor der blubbernden Maschine, rieb sich den Schlaf aus den Augen und kratzte sich geistesabwesend. Manchmal gehorchte sein Verstand nicht richtig. Dann musste er länger auf etwas starren, um seiner Sinne wieder Herr zu werden.

Charlie duschte und zog sich für die Arbeit an – Baumwollhose, Hemd und Krawatte, die langweilige Kluft des kleinen Angestellten. Seine Kleidung kaufte er überwiegend im Walmart, ohne sich groß um Marken oder passende Farben zu scheren. Seine Halbschuhe waren abgetreten und staubig. Egal. Die Bankkunden sahen seine Füße sowieso nicht.

Charlie kippte Cornflakes in eine Schale und frühstückte im Stillen.

In der Tüte auf dem Couchtisch waren ein neuer Raketengleiter mit Treibsatz und ein Miniaturbausatz für einen Tomahawk-Marschflugkörper mit Rettungsfallschirm. Charlie ging jeden Donnerstag in den Spielzeugladen. Kaufte aber nicht bei jedem Besuch etwas. Oft spazierte er nur durch die Gänge und bewunderte die Modellbau-Präzisionsmesser, Klebstoffe und Bausätze in den bunten Pappschachteln. Genau wie ein hoffnungsvoller Jungschriftsteller durch den örtlichen Buchladen stöberte und wünschte, sein Name wäre auch schon im Regal. Nach ein paar individuellen Umbauten wollte Charlie seine jüngsten Einkäufe im Park am Fuß des Bergs ausprobieren. Vielleicht nach der Arbeit. Vielleicht nach dem Besuch bei Momma.

Studium. Arbeit. Momma. Sein Leben in Kurzfassung.

Er hatte einen Fernseher, schaute aber kaum fern, weil ihm die Shows und Filme, auf die seine Mitstudenten ständig anspielten, nichts bedeuteten. Nie kapierte Charlie ihre Witze, und er war der Letzte, an den sich jemand mit der Frage Hast du gestern das und das gesehen? wandte, um ein Gespräch zu beginnen. Lachen war für ihn die Reaktion auf das Lachen anderer, keine Frage des Verstehens eines Witzes. Charlies Lachen – wenn ihm überhaupt mal eines entfuhr – klang seltsam hohl, ein peinliches Geräusch, idiotisch laut wie von einem Maultier, das zu Tode gekitzelt wird.

Andererseits war Charlie ein toller Gesprächspartner, wenn es um Themen wie Massepunktnäherung, Rotationsgeschwindigkeit oder...



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.