Fallada / Schulze | Wer einmal aus dem Blechnapf frisst | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 701 Seiten

Reihe: Hans Fallada bei Null Papier

Fallada / Schulze Wer einmal aus dem Blechnapf frisst

Ungekürzte und kommentierte Ausgabe
2. Auflage 2025
ISBN: 978-3-96281-323-9
Verlag: Null Papier Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Ungekürzte und kommentierte Ausgabe

E-Book, Deutsch, 701 Seiten

Reihe: Hans Fallada bei Null Papier

ISBN: 978-3-96281-323-9
Verlag: Null Papier Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ungekürzte und kommentierte Ausgabe Es sind die 1920er in Deutschland, das Land befindet sich in einem permanenten Umbruch. Willi Kufalt wird nach fünf Jahren Gefängnis in die Freiheit entlassen. Vom ersten Tag an tut er sich schwer, wieder seinen Platz in der Welt zu finden. Er schmiedet Pläne, will sich mit der Gesellschaft arrangieren, ja, sogar heiraten. Aber alle sehen in ihm weiterhin nur den Gefallenen, den Gescheiterten; überall begegnet er Misstrauen. Fallada weiß um Kufats Schicksal aus eigener Erfahrung, saß er doch selbst lange Jahre im Gefängnis. Glaubwürdig und in allen Farben schildert er das Milieu der Gescheiterten und Ausgestoßenen. Der Jargon, der 'Zungenschlag' entführt in eine Parallelwelt von Gewalt und Hierarchien, in der selbst das ärmste Schwein noch jemanden findet, den er unterdrücken und ausbeuten kann. Der Leser weiß, dass diese Geschichte 'echt' ist. Und am Ende scheint es, als ob Kufalt längst schon nur noch in der geordneten Welt hinter 'Schwedischen Gardinen' existieren kann und will. Null Papier Verlag

Hans Fallada (21. Juli 1893-5. Februar 1947), eigentlich Rudolf Wilhelm Friedrich Ditzen, war ein deutscher Schriftsteller. Sein nüchterner, objektiver Stil, in dem er seine fiktionalen Berichte über meist scheiternde Gestalten verfasste, macht ihn zu einem der wichtigsten Vertreter der 'Neuen Sachlichkeit'.
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3


Auf seinem Rückmarsch hat Kufalt einen Blick zum Glaskasten geworfen: Dort ist die Lage unverändert, Oberwachtmeister Suhr studiert den »Stadt- und Landboten«.

Vor der Zelle des Netzekalfaktors tritt Kufalt einen Schritt seitlich, drückt sich fest in die flache Türnische und lauscht.

Da steht er nun, in blauer Beiderwandhose1 und gestreiftem Anstaltshemd, die Füße in Schlappen, mit spitzer, gelblicher Nase, blass, magere Glieder, aber ein Bauch. Etwa achtundzwanzig Jahre. Eigentlich hat er freundliche braune Augen, nur spuken sie, irrlichterieren, verweilen nirgends. Sein Haar ist auch braun. Er steht so da, horcht, versucht zu verstehen, was sie da reden. Den Kübel hält er noch immer mit beiden Händen vor dem Bauch.

Einer sagt drinnen erregt: »Und Sie werden mir die zehn Mark geben! Wozu schickt Ihnen meine Frau ständig Geld?«

Und die ölige, sachte Stimme des Netzemeisters: »Ich tu ja für Sie, was ich kann. Dass ich Sie beim Arbeitsinspektor zum Netzekalfaktor durchgedrückt habe, das können Sie mir nicht genug danken!«

»Ach was, danken!« sagt der andere böse. »Viel lieber wäre ich zu den Tüten gekommen. Hier an dem Bindfaden reißt man sich die ganzen Hände blutig.«

»Das ist nur die ersten Wochen«, tröstet der Netzemeister. »Das werden Sie gewöhnt. Bei den Tüten ist es viel schlechter. Die wollen alle zu mir, die Tüten kleben.«

»Eine Hautschere müssen Sie mir auch besorgen, überall kriege ich Reißnägel …«

»Da müssen Sie sich am Mittwoch zum Hausvater vormelden. Der hat eine Hautschere. Da werden Sie vorgeführt und können sich die Reißnägel abschneiden.«

»Wann werde ich denn da vorgeführt?«

»Wie der Hausvater Zeit hat. Sonnabend oder Montag, vielleicht auch schon Freitag.«

»Meschugge sind Sie!« schreit der andere. »Nächsten Montag, und meine Hände bluten schon jetzt! Das ganze Netz ist blutig, sehen Sie!«

Er schreit immer lauter.

Kufalt vor der Tür grinst. Er kennt das, wie es ist, wenn die Hände von dem scharfen Sisalgarn zu bluten anfangen, und morgens ziehen sich die feinen, harten Fäserchen durch die Risse. Freilich, ihm hat niemand gesagt, dass der Hausvater eine Hautschere hat, er hat sich die Reißnägel mit zwei Scherben abgeklemmt.

Ärgere dich nur, Freundchen, denkt er. Hoffentlich schiebst du einen langen Knast, dass du alles auch richtig lernst. – Mein Kübel stinkt aber wieder mal gemein. Muss ich noch mit Salzsäure reinmachen. Wenn ich heute vor den Arzt komme, muss mir der Lazarettkalfaktor welche ausspucken …

»Und nun geben Sie mir endlich die zehn Mark. Ich lasse mich nicht dumm reden von Ihnen. Mein eigen Geld werde ich doch noch kriegen können.«

»Machen Sie sich und mich nicht unglücklich, Herr Rosenthal«, sagt der Meister bittend. »Was wollen Sie mit Geld im Bau? Ich besorge Ihnen doch alles, was Sie wollen. Ich kauf Ihnen auch ’ne Hautschere, aber Bargeld im Bau – das kann ja Kopp und Kragen kosten.«

»Stellen Sie sich nur nicht so an«, sagt der Gefangene Rosenthal. »Sie sind ja gar kein Beamter, Sie sind doch nicht vereidigt. Sie sind hier bloß von der Netzefirma, um die Arbeit auszugeben. Gar nichts kann Ihnen passieren.«

»Was wollen Sie bloß mit Bargeld? Das müssen Sie mir wenigstens sagen!«

»Tabak will ich mir kaufen.«

»Das ist bestimmt nicht wahr, Herr Rosenthal. Tabak können Sie doch von mir kriegen. Wozu wollen Sie das Geld?«

Der andere schweigt.

»Wenn Sie es mir sagen, so sollen Sie es kriegen. Aber ich will wissen, wer es kriegt und wofür. Manche sind, die sind stiekum, da kann man es machen.«

»Stiekum?«

»Die machen keine Lampen, Herr Rosenthal, die hauen uns nicht in die Pfanne, die scheißen uns nicht an, die verpfeifen uns nicht – die verraten uns nicht. So heißt das hier.«

»Ich will Ihnen sagen«, flüstert der andere – und Kufalt muss sein Ohr ganz dicht an den Türspalt legen, um zu verstehen –, »aber Sie dürfen nichts verraten. Da ist ein großer Schwarzer, ein Gewalttätiger, sage ich Ihnen, der schlägt mich tot, wenn ich ihn verrate, hat er mir gesagt. In der Heizung ist er, er hat sich an mich herangemacht, in der Freistunde …«

»Der Batzke«, sagt der Meister. »Da haben Sie den richtigen Ganoven gefasst.«

»Er hat mir versprochen, wenn ich ihm zehn Mark gebe – Meister, Sie verraten uns nicht, nein? Gerade gegenüber von meinem Fenster, auf der anderen Seite von der Straße, jenseits der Mauer, steht ein Haus.« Der Rosenthal schluckt, holt tief Atem. Dann: »Ich kann gerade in die Fenster reinsehen. Und zweimal habe ich dort ’ne Frau gesehen. Und der Schwarze hat mir geschworen, wenn ich ihm die zehn Mark gebe, so steht sie morgen früh um fünf am Fenster, ganz nackt, und ich darf sie sehen. Ach, Meister, geben Sie die zehn Mark! Ich komme hier um, ich bin schon halb verrückt! Meister, Sie müssen!«

»Diese Jungen«, sagt der Netzemeister bewundernd und stolz, »was die für Dinger drehen! Aber wenn der Batzke es Ihnen sagt, der macht es! Und der verpfeift uns auch nicht. Hier haben Sie …«

Kufalt zwängt den Fuß in den Spalt, drückt die Tür auf, ist mit einem Schritt drin, sagt halblaut: »Kippe oder Lampen!« und steht abwartend.

Die starren verdonnert. Der Meister mit seinen vorquellenden Fischaugen, dem runden Gesicht, dem Walrossbart, hat seine Brieftasche in der Hand. Er glotzt. Unterm Fenster, bleich, gedunsen, schwarz, etwas fett, steht der neue Netzekalfaktor Rosenthal und hat Angst.

Kufalt setzt mit einem Ruck den Kübel ab.

»Keine langen Geschichten, Meister, oder ich verpfeif dich, dass du selber Knast schiebst. Hier von wegen dem alten Netzekalfaktor Arrest besorgen und den Speckjäger ins Fett setzen. – Hab doch keine Angst, du dummes Schwein, es kostet ja bloß dein Geld! Ich bin morgen früh um fünf selber am Fenster. Also raus, Meister, mit der Marie! Kippe? Teilen können wir nicht, ich weiß ja nicht, wie viel du gekriegt hast. Ich bin billig: hundert Mark!«

»Da ist nichts zu machen, Rosenthal«, sagt der Meister gottergeben. »Das Geld müssen wir ausspucken, wenn Sie nicht mindestens acht Wochen Arrest schieben wollen. Der Kufalt ist so.«

»Kalt ist es da, Jungchen«, grinst Kufalt. »Lieg du mal erst drei Tage auf der Steinpritsche, da wird dir das Mark in den Knochen zu Eis. Also, wie wird’s?«

»Sagen Sie ja, Herr Rosenthal«, drängt der Meister.

Zwei Glockenschläge hallen durchs Haus. Auf der ganzen Station rührt es sich, Riegel knallen …

»Nu aber fix – oder ich bin in einer Minute beim Hauptwachtmeister!«

»Sagen Sie doch ja, Herr Rosenthal!«

»Ich hetze den Batzke auf dich, du dickes Schwein, der ist mein Kumpel. Der beißt dir die Nase ab.«

»Bitte, sagen Sie ja, Herr Rosenthal!«

»Also geben Sie ihm … aber ich trage den Schaden nicht allein, Meister!«

»Handgeld«, sagt Kufalt und spuckt auf den Hunderter. »Übermorgen bin ich draußen, Dicker, da denke ich bei den kleinen Mädchen an dich. – Du, Meister, stell...



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