E-Book, Deutsch, 222 Seiten
Falk Fast ein Märchen
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7117-5405-9
Verlag: Picus Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
24 Weihnachtsgeschichten
E-Book, Deutsch, 222 Seiten
ISBN: 978-3-7117-5405-9
Verlag: Picus Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Susanne Falk, geboren 1976 in Kappeln an der Schlei, promovierte 2008 im Fach Germanistik. Sie veröffentlichte mehrere Bu?cher im Rowohlt Verlag. Im Picus Verlag erschienen ihr Roman 'Anatol studiert das Leben' und das Weihnachtsbuch 'Fast ein Märchen' (2019). Sie verfasst außerdem Theaterstu?cke. 2021 erschien ihr neuer Roman 'Johanna spielt das Leben'. www.susannefalk.net
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Mutterfreuden
Zufrieden betrachtete sie das schmatzende Kind, wie es an der Brust der Amme nuckelte. Das Neugeborene, ein Bub, schien einen ausgeprägten Appetit zu haben. Gerade einmal sechzehn Tage alt, wies er bereits jetzt dickere Ärmchen und Beinchen auf als jedes ihrer anderen Kinder in diesem Alter.
»Ein guter Esser, Eure Majestät«, hatte die Amme freudestrahlend gesagt, ihre dunkelrote Brustwarze zwischen Zeige- und Mittelfinger geklemmt und dem greinenden Baby in den Mund geschoben, sodass es auch die andere Brust leer saufen konnte.
»Gut«, sagte die Erzherzogin, »das ist sehr gut. Nur weiter so.«
Sechzehn Kinder hatte sie geboren. Dieses hier war das vorerst letzte in einer langen Reihe. Mit etwas Glück würde es ein gutes Alter erreichen, höher als das seiner viel zu früh verstorbenen Schwestern. Maria warf einen langen, sorgenvollen Blick auf das nuckelnde Baby. Es war Heiligabend und es fiel ihr schwer, beim Anblick des neuen Lebens nicht an die drei kleinen Mädchen zu denken, die sie so früh verloren hatte. Aber allzu lange durfte man sich nicht ins Reich der Toten begeben, sonst lief man Gefahr, gleich dort zu bleiben, so hatte es ihre Erzieherin immer gepredigt. Und sie hatte brav dazu genickt und der Frau versprochen, der Toten stets zu gedenken, doch nie zu lange. Das Herz, so sagte ihr die Erzieherin, sollte stets bei den Lebenden verweilen, denn da gehörte es hin.
Die Amme nahm das Kind hoch und ließ es aufstoßen. Es gab einen kräftigen Laut von sich und schlief dann sofort ein.
»Wollen Majestät das Kind kurz halten?«, fragte die Amme und streckte schon das pralle Bündel in Richtung ihrer Herrscherin.
Maria Theresia schüttelte energisch den Kopf. »Nein, leg es schlafen«, befahl sie. Die Amme trug darauf das Kind ins Nebenzimmer und legte es in seine Wiege.
Eigentlich war sie ja noch im Wochenbett und es wäre ihr ein Leichtes gewesen, sich in ihr Zimmer zurückzuziehen und ein gewisses Ruhebedürfnis geltend zu machen, aber da heute kein Tag wie jeder andere war, richtete sie seufzend ihren voluminösen Körper auf und klingelte nach der Zofe. Es war Zeit, sich anzukleiden. Zwar würde sie den Kirchgang ausfallen lassen müssen, da noch keine vierzig Tage seit der Geburt des kleinen Maximilian vergangen waren, aber für das Festessen mit der Familie würde sie sich ankleiden lassen. Das blaue Cape, das sie extra für diesen Anlass hatte anfertigen lassen, wie um sich selbst zum Weihnachtsfeiertag eine kleine Freude zu bereiten, würde gut zu dieser Gelegenheit passen. Die Farbe erinnerte nicht von ungefähr an einige beliebte Mariendarstellungen. Von der Gottesmutter zur Landesmutter war es gar nicht einmal so weit.
Die Geburt war unangenehm gewesen, aber nicht schwer, so wie ja viele Dinge, die mit dem Kinderkriegen zusammenhingen, eher unangenehm waren, aber nicht unbedingt schwer. Zum Beispiel, so dachte die Erzherzogin, als die herbeigeläutete Zofe ihr die passenden Unterröcke überstreifte, war die Empfängnis eine einfache Sache. Man hatte einfach nur dazuliegen und der Mann, in diesem Fall ihr lieber Franz Stephan, kurz »Mäusel« gerufen, besorgte den Rest. Das hatte immer gut und zuverlässig funktioniert und dann, Übelkeit und Wassersucht ertragend, erwartete man die Ankunft des neuen Kindes. Die Wehen waren scheußlich, keine Frage, aber gerade beim letzten hatte sie sich kaum anstrengen müssen. Nach nicht einmal zwei Stunden war er schon da gewesen und sie konnte sich bereits wenige Tage später wieder wichtigeren Dingen zuwenden. Alles, was das Kind brauchte, konnte ihm auch eine gute Amme bieten. Das war praktisch und erleichterte die Nachtruhe. Und diese hier, dachte Maria Theresia, als die Zofe sie in ihr Kleid schnürte, war offensichtlich eine gute Wahl gewesen. Mit diesen Brüsten konnte man eine ganze Heerschar an Säuglingen ernähren. Im Geiste gratulierte sie sich selbst zu dieser vortrefflichen Wahl.
Überhaupt war sie stets als besonders fürsorgliche Mutter in Erscheinung getreten und so sah man es auch im Volke, das sich gern die Geschichte erzählte, in der sie einst das hungernde Kind einer armen Bettlerin an den eigenen Busen gedrückt und gestillt haben soll. Vollkommener Unsinn, wohl wahr, hatte sie doch nicht eines ihrer Kinder selbst gestillt, aber derlei Anekdoten waren ungemein gut für ihr Ansehen im Volke, das ja immerhin zur Hälfte aus zukünftigen oder bereits gewordenen Müttern bestand. Und genauso sollte es sein, fand Maria Theresia, man sollte sie respektieren, wenn nicht gar fürchten, aber vor allem sollte man sie als Landesmutter verehren.
Jetzt war sie fertig angekleidet. Ein Blick in den Spiegel, ein Augenrollen, ein Seufzen, ein Hinnehmen. Sechzehn Geburten gingen nun einmal nicht spurlos an einer Frau vorbei, Erzherzogin hin oder her. Die Haut fahl, die wenigen Zähne gelb und das Kinn – nun, da gab es ein eindeutiges Zuviel an Kinn in diesem Gesicht. Aber die Augen, die blickten immer noch so munter und wach, wie sie es eh und je getan hatten. Und das Blau des Capes harmonierte sehr gut mit ihnen. Die Herrscherin streckte den Rücken, der vom langen Liegen schmerzte, durch und schritt langsam voran, dem Saal entgegen, in dem heute die Bescherung ihrer lieben Kinderlein stattfinden sollte.
An alle hatte sie gedacht. Jedes Geschenk war handverlesen und von ihr persönlich in Auftrag gegeben worden. Lange hatte sie darüber nachgedacht, was wem am besten zupasskam. Ihrem Mann finanzierte sie den Ankauf einer seiner unsinnigen Sammlungen von Urzeitschnecken, die sie zwar sterbenslangweilig fand, die ihn jedoch enorm zu faszinieren schienen. Nun gut, dann sollte er sich eben mit toten Schnecken befassen. Bei Weitem besser, als wenn er mit der Frau des Grafen von … Maria Theresia schüttelte sich. Die Affären ihres Gatten waren ein Übel, dem nicht beizukommen war. Da durfte sich eine Frau schon fragen, wozu sie sechzehn Geburten durchmachte, wenn er ihn dann doch woanders hinein … Sie schob den Gedanken beiseite. Wo war sie noch gleich gewesen? Ah ja, Urzeitschnecken! Franz Stephan war also versorgt.
Dann kamen die Kinder dran. Der detailreiche Sammelkasten der Botanik war für Joseph gedacht, der Stickrahmen mit dem feinen Garn für Maria Christina. Daneben gab es ein Hutschpferd, ein Puppengeschirr und viele andere Dinge für die vielen Erzherzoginnen und Erzherzöge. Sogar der jüngste Spross der Familie würde ein Geschenk erhalten, eine silberne Rassel mit einer Gravur des Wappens der Habsburger.
Im Saal huschten die Diener hin und her, um alles herzurichten. Maria schickte sie mit einem energischen Winken hinaus. Dann inspizierte sie das Buffet, stahl sich ein paar der Leckereien von der Tafel (besonders hatte es ihr das Spritzgebäck angetan) und schritt schließlich hinüber zum Gabentisch. Dort lagen sie, die Geschenke, in wunderschönes blaues Seidentuch geschlagen und mit goldenen Bändern versehen. Sie begann zu zählen: eins, zwei, drei, vier … Sie endete bei zwölf. Augenblick, das konnte ja wohl nicht sein? Es müssten dreizehn Geschenke dort liegen! Noch einmal begann sie von vorne zu zählen: eins, zwei, drei, vier … zwölf! Du lieber Himmel!
Wer war vergessen worden? In ihrem Inneren breitete sich Hitze aus, stieg ihr zu Kopf und schon begann sie unter ihrer Perücke zu schwitzen. Sie ging die Namensschilder durch. Dieses hier war also für Joseph, das für den kleinen Karl, daneben lag das Geschenk für Leopold, dann kamen die Mädchen, Maria Anna, Maria Christina, Maria Elisabeth und so weiter. Oder etwa doch nicht? Fieberhaft begann die Erzherzogin nach dem Namen Maria Amalias zu suchen, allein – es gab kein passendes Namensschild. Ausgerechnet Amalia! Wo man mit dem Kind doch jetzt schon nichts als Ärger hatte! Immerzu fand sie Widerworte für ihre Mutter, nie war sie mit dem zufrieden, was man ihr zugestand, und die Lehrer klagten ohne Unterlass über den Starrsinn des Mädchens. Und nun das: kein Geschenk für Maria Amalia!
Wie hatte ihr das nur passieren können? Dreizehn Geschenke für dreizehn Kinder. Das war doch nicht so schwer! Und doch – bevor sie die Schuld an dem Malheur einem ihrer Sekretäre in die Schuhe schieben konnte, wusste sie schon, dass es diesmal tatsächlich an ihr gelegen hatte. Weil sie die Liste der Präsente nur diktiert, aber nicht selbst schriftlich niedergelegt hatte. Und weil sie offenbar so kurz vor der Niederkunft nicht mehr bis dreizehn hatte zählen können. Ihr Hofstaat offensichtlich auch nicht, sonst wäre wohl jemandem aufgefallen, dass bei dreizehn Kindern und zwölf Geschenken irgendetwas schiefgegangen war.
Was also war jetzt zu tun? Natürlich konnte man das Ganze so aussehen lassen, als ob Amalia mit Absicht kein Geschenk erhalten würde, zur Bestrafung, und die Erzherzogin musste zugeben, dass ihr der Gedanke für wenigstens ein paar Sekunden so etwas wie Befriedigung verschaffte, weil, nun ja, Amalia eindeutig nicht ihr Lieblingskind war. Doch was hätte das für ein Licht auf sie als Mutter geworfen? Nein, es musste ein Geschenk her und zwar sofort.
Maria Theresia schaute besorgt auf die Uhr...




