E-Book, Deutsch, 410 Seiten
Faber Der Lobbyist
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-96148-908-4
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Thriller
E-Book, Deutsch, 410 Seiten
ISBN: 978-3-96148-908-4
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Jan Faber ist ein Pseudonym. Dahinter verbirgt sich ein Autor, der in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten beratend und strategisch für mehrere hochrangige Regierungsmitglieder sowie für weitere bedeutende Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft tätig war. Er pflegt Kontakte in alle politischen Lager und hat in diversen deutschen Leitmedien publiziert. Bei dotbooks veröffentlichte Jan Faber seine Thriller »Kalte Macht« und »Der Lobbyist«, die auch in einem Sammelband vorliegen: »Im Abgrund der Macht«
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Bergamo, 21. Mai 2012, 23:44 Uhr
Zum fluchbeladenen Dasein eines Spin-Doctors gehörte es, früher auf den Beinen zu sein als jeder andere und später als jeder andere das Feld zu räumen. Matthew Meyer spürte genau, wann sich sein Körper, noch mehr: wann sich seine Psyche gegen die ständige Zumutung der Überforderung aufzulehnen begann. Eine Unruhe erfasste ihn, die buchstäblich jede seiner Zellen zum Kochen brachte. An Schlaf war dann nicht mehr zu denken, auch nicht nach einem Zwanzigstundentag. Immerhin konnte er sich damit trösten, dass ihn mit seinen achtundzwanzig Jahren kein plötzlicher Infarkt hinwegfegen würde und dass das Dasein als Lohnsklave ein endliches war, eine Station auf dem Weg nach ganz oben. Denn es war klar, dass er als Geheimnisträger nicht einfach in den allgemeinen Arbeitsmarkt entlassen, sondern mit einem Sprungbrettposten erster Güte versorgt werden würde, sobald er dazu für reif befunden wurde. Was vermutlich nach der nächsten Wahl bereits wieder der Fall sein würde, denn die Umfragen sahen nicht wirklich rosig aus.
Also streifte er ruhelos durch sein Zimmer im Gästehaus des mehr als großzügigen Palazzos aus dem 14. Jahrhundert, in dem er als Entourage untergebracht war. Sein Chef, Hansjürgen Schneider, Bundesminister für Wirtschaft und internationale Zusammenarbeit, kurz BMWiZ, war bereits abgereist – mit dem Helikopter war er direkt von dem Anwesen nach St. Gallen ausgeflogen worden, wo er in Geschäften unterwegs war, die offenbar so geheim waren, dass nicht einmal Matthew Meyer darüber Bescheid wissen durfte. Morgen würde er ihm dann nachfolgen und sich mit ihm in Klosters treffen und seine Stelle als Kommunikationsfaktotum wieder einnehmen, als die Sorte von dienstbarem Geist, ohne den die wirklich Mächtigen keinen Schritt taten. Er war die rechte Hand und das wandelnde Gedächtnis, das Ausführungs- und gelegentlich das Verlautbarungsorgan einer bis zur Unkenntlichkeit auf das eigene Funktionieren reduzierten Persönlichkeit.
Durch das Fenster sah er den verschneiten Olivenhain, der sich von der beleuchteten Terrasse bis zum Fuß der angrenzenden Hügel hinzog. Selten, dass es im Mai noch einmal Schnee gab in diesem Landstrich nahe Mailand, auch wenn ringsum die Ausläufer der Alpen aufragten. Doch trotz Klimaerwärmung ließ der Winter Europa in diesem Jahr nicht aus seinen eisigen Klauen. Ein schöner Anblick war es allemal. Der Gastgeber Bernhard Van Straaten, CEO der Maple Group AG und eine der einflussreichsten Persönlichkeiten der deutschen Wirtschaft, hatte in den letzten Jahren mehrere kleinere Häuser errichten lassen, ein jedes von vorzüglichem Geschmack und für sich genommen so groß wie anderer Leute Wohnhäuser, auch wenn es hier eben nur Gästehäuser waren, Refugien für eine exquisite Auswahl handverlesener Besucher und ihre Begleiter, für die hier immer wieder exklusive Seminare angeboten wurden. Insiderveranstaltungen, abgeschottet von der Welt und äußerst diskret. Zurzeit war nur noch der Vorstandsvorsitzende eines großen deutschen Energieunternehmens mit seiner Assistentin zu Gast, offenbar zu einer Art Einzelcoaching. Van Straaten machte ein großes Geheimnis daraus. Angeblich traf man sich hier nur, um anschließend gemeinsam in die Schweiz zu fahren, wo eine bedeutende Konferenz stattfand, auf der sowohl Van Straaten als auch sein Gast eingeladen waren – und Hansjürgen Schneider. Keiner dieser Menschen hatte die Zeit, irgendwohin zu kommen, nur um an einem netten Get-together teilzunehmen. Sie alle waren auf maximale Effizienz geeicht.
Matthew kannte die Methode, mit der Van Straaten seine Fäden zog, immerhin hatte er fast drei Jahre lang als persönlicher Assistent für ihn gearbeitet. Drei lehrreiche und aufregende Jahre, in denen er Einblick in Vorgänge erlangt hatte, die einem Normalsterblichen verschlossen blieben – und die ihm nun bei der Arbeit für den Minister halfen. Er entschloss sich, noch einmal ins Haupthaus zu gehen und sich ein Glas Whisky zu genehmigen. Im Salon gab es eine großzügige Bar, die der Gastgeber – stilsicher in jedem Detail – sorgfältig in einem antiken Schränkchen verborgen hielt. Darin Brände erster Güte, jahrzehntealte Cognacs, Single Malts, aber auch völlig unbekannte italienische Schnäpse aus Brennereien, die vermutlich Van Straaten selbst gehörten. Denn er pflegte sich praktisch alles zu kaufen, was ihm nützlich und wertvoll schien und sich verbessern ließ. Qualität war gewissermaßen sein Lebensmotto. Qualität und Stil. Ein bemerkenswerter Mann, ohne Frage, aber auch ein beinahe beängstigender.
Im Salon brannte noch Licht, mehr als die gedämpfte Nachtbeleuchtung, die allen »öffentlichen« Räumlichkeiten des Hauses eine ebenso gediegene wie zweideutige Atmosphäre verlieh. Um nicht indiskret in eine vertrauliche Situation zu platzen, hielt Matthew inne und lauschte einen Augenblick. Er hörte die Stimme des Gastes:
»Aber wie haben Sie das gemacht?« – Und horchte.
»Letztlich kommt es doch nur auf ein paar Grunderkenntnisse an.«
Matthew wagte einen vorsichtigen Blick über den Treppenabsatz und sah Van Straaten mit einem Glas Rotwein in der Hand am Fenster sitzen, hinter dem sich nichts als schwärzeste Nacht zeigte. Doch die alten Steinmauern ließen ihre Stimmen so widerhallen, dass sie auch von der Treppe aus perfekt zu verstehen waren.
»Im Grunde können Sie all das, was Sie in Ihrer persönlichen Umgebung beobachtet haben, auf den großen Maßstab übertragen. Sie müssen nur global denken.«
»Global denken«, wiederholte Dr. Michael Wörner und atmete tief durch. »Das tun wir jeden Tag. Von morgens bis abends. Wir haben eine eigene Abteilung dafür eingerichtet, die nur nach Trends forscht. Überall auf der Welt.«
»Damit können Sie es weit bringen. Sie können, wenn Sie gut sind, der Erste werden – in der zweiten Liga. Wenn das Ihre Challenge ist ...«
Die Worte hingen im Raum. Matthew Meyer wusste genau, wie Van Straaten tickte. Wenn andere global dachten, dachte er universell. Seine Gedankenwelt war einfach immer mindestens eine Klasse größer.
»Unsere Challenge ist«, erwiderte Wörner, der sich sonst solcher Begriffe nicht gern bediente, »die Nummer eins zu sein, und zwar von allen.«
»Sehen Sie, Mike, Ihr Problem ist schon, dass Sie immer wir sagen. Wen meinen Sie denn damit?«
»Ich meine das ganze Unternehmen ...«
»Ihre Firma? Dann dürfen Sie sich nicht wundern, wenn Sie nie ganz oben mitspielen. Die Teamwork-Story ist doch nichts weiter als Coaching-Kitsch für die mittleren Managementebenen. Und für die kleinen Lichtlein, die da mal hinwollen. In Wahrheit sind Sie da oben allein. Sie kämpfen für sich und nur für sich. Und wenn Sie fallen, fallen Sie. Keiner von denen, die Sie mit in den Abgrund reißen, kann Ihnen dabei helfen. Keiner wird Sie auffangen.«
Eine Weile herrschte Schweigen. Dann, noch leiser als zuvor, merkte Wörner an: »Ich wusste nicht, dass Sie ein so apokalyptisches Bild vom Unternehmertum haben, Bernhard.«
Van Straaten beugte sich vor. Alles an ihm war Konzentration und Disziplin. Er musterte Wörner, als vollziehe er an ihm eine seelische Leichenschau. Dann schüttelte er leicht den Kopf, lehnte sich zurück und murmelte: »Ich frage mich, bei welchem Missverständnis wir in Ihrem Fall anfangen sollen.«
Matthew spürte, wie sich eine Hand auf seine Schulter legte. »Auch noch wach, Herr Meyer?«, fragte ihn eine weibliche Stimme, deren leichter russischer Akzent so verführerisch wie gefährlich klang. Er wandte sich um und sah ihr in die Augen. »Nennen Sie mich doch bitte Matthew. Oder einfach Matt.«
***
Vaduz, 22. Mai 2012, 08:50 Uhr
»Ich hoffe, die Unterkunft hat Ihnen zugesagt, Herr Minister.« Die Kombination von erfolglos unterdrücktem Akzent und willfähriger Unterwürfigkeit widerte Hansjürgen Schneider auf wohlige Weise an. Er liebte diese Speichellecker, auch wenn er wusste, dass jeder von ihnen einen Dolch im Gewand trug. Solange er für sie wichtig war, würden sie um ihn herumscharwenzeln wie die Motten ums Licht. Sobald er nichts mehr brachte, würden sie ihn nicht einfach fallen lassen, sie würden ihn aktiv in den Abgrund stürzen. Er wusste, dass sie genug gegen ihn in der Hand hatten. Er wusste aber auch, dass er lebend mehr für sie wert war als tot – bildlich gesprochen und tatsächlich. »Nachdem ich mein Quartier im Alpenhof räumen konnte, habe ich nichts zu beanstanden, danke.« Am Ende hatten sie ihn im Gästehaus des Fürsten untergebracht. Wie nicht anders zu erwarten, waren dort keine Wünsche mehr offengeblieben. Die 120-Quadratmeter-Suite war mit allem nur erdenklichen Luxus ausgestattet, man wusste offenbar Schneiders Bedeutung angemessen zu würdigen.
Nun also saßen sie in einer Lexus-Limousine und schwebten durch das vage verschneite Vaduz, und Schneider fragte sich, wie irgendjemand es so aufgeräumt leiden mochte. Aber genau genommen kannte er niemanden, der Liechtenstein mochte. Man schätzte es allenfalls. Aus guten Gründen. »Wir sind gleich da, Herr Minister«, erklärte der Abgesandte der Kanzlei Krug, Sternli & Cie.
»Sagen Sie, Sie sprechen nicht mit Schweizer Akzent. Eher mit einem – osteuropäischen?«
Der Kanzleimitarbeiter antwortete nicht. Ostentativ hielt er den Blick in eine goldene Zukunft gerichtet. »Bitte sehr«, sagte er schließlich. Der Wagen fuhr vor einem hässlichen, funktionellen Betonklotz vor. »LFB« verkündete eine Aufschrift, wie sie auch einen Lebensmitteldiscounter hätte zieren können. Das Tor zur Tiefgarage öffnete sich so schnell, dass Schneider zunächst dachte, sie würden dagegenknallen. Offenbar kannte der Fahrer nicht nur die Route, er fuhr sie häufiger –...




