E-Book, Deutsch, 205 Seiten
Faber Abendland
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-86393-557-3
Verlag: CEP Europäische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein politischer Kampfbegriff
E-Book, Deutsch, 205 Seiten
ISBN: 978-3-86393-557-3
Verlag: CEP Europäische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Richard Faber, geboren 1943, wurde mit 'Zur Kritik der Politischen Theologie' in Philosophie promoviert und habilitierte sich in Soziologie über den 'Mythos des Abendlandes'. Er publizierte mehrere Bücher und gab zahlreiche Sammelbände heraus, u. a. '?Wir sind Eines?. Über politisch-religiöse Ganzheitsvorstellungen europäischer Faschismen', 2005; 'Politische Dämonologie. Über modernen Marcionismus', 2007; 'Deutschbewusstes Judentum und jüdischbewusstes Deutschtum. Der Historische und Politische Theologe Hans-Joachim Schoeps', 2011; 'Konservatismus in Geschichte und Gegenwart,' 1991; 'Politische Religion - religiöse Politik', 1997; 'Abendländische Eschatologie. Ad Jacob Taubes', 2001; 'Imperalismus in Geschichte und Gegenwart', 2005 (alle im Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg).
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Vorwort zur 2. Auflage
»Ist der Westen die Zauberformel, auf der das Selbstverständnis der wiedervereinigten deutschen Nation im anbrechenden 21. Jahrhundert gründet? Zehn Jahre nach dem Fall des Kommunismus erlebt ein Begriff, der einst der ideologischen Mobilmachung gegen Moskau diente, in den Reden deutscher Politiker, in den Feuilletons deutscher Tageszeitungen und in den Schriften deutscher Historiker und Publizisten eine fast schon unheimliche Renaissance.«
Diese Sätze des Heidelberger Historikers Philipp Gassert waren am 19. September 2001, nur eine gute Woche nach den Anschlägen auf Pentagon und World Trade Center, in der zu lesen.1 Sie sind offenkundig von unmittelbarer – auch innenpolitischer – Aktualität, und nicht erst, seitdem der hessische Ministerpräsident Koch – gleichfalls im September 2001 – gefordert hat, die »Nationale Identität« zum zentralen Thema des nächsten Bundestagswahlkampfes zu machen. Gassert möchte seinerseits verdeutlichen, »daß der Westen als ein kollektiver Mythos die Nation moralisch legitimiert, indem er die gegenwärtige politische Kultur Deutschlands in den größeren Zusammenhang der ›westlichen Wertegemeinschaft‹ stellt und sie dadurch positiv sowohl vom wilhelminischen Obrigkeitsstaat und von der Barbarei des Nationalsozialismus als auch vom gescheiterten Experiment der Weimarer Republik und vom realen Sozialismus der DDR abgrenzt. In der ›Erfolgsgeschichte‹ der allmählichen Verwestlichung der alten Bundesrepublik, so scheint es, hat die Nation den roten Faden gefunden, dem sie entlastet durch die letzten fünfzig Jahre deutscher Geschichte folgt.«
Roland Kochs Parteifreund, der baden-württembergische CDU-Fraktionsvorsitzende Oetinger hat bereits Ende 2000 die von Friedrich Merz inaugurierte »Leitkultur«-Debatte dadurch zu ›entschärfen‹ versucht, daß er vorschlug, von »Deutscher Leitkultur auf abendländischer Grundlage« zu sprechen. Und er war erfolgreich damit; in der »Arbeitsgrundlage für die Zuwanderungskommission der CDU« vom November 2000 heißt es unter anderem: »Wir Deutschen haben auf der Grundlage der europäischen Zivilisation im Laufe der Geschichte unsere nationale Identität und Kultur entwickelt, die sich in unserer Sprache und in den Künsten, in unseren Sitten und Gebräuchen, in unserem Verständnis von Recht und Demokratie, von Freiheit und Bürgerpflicht niederschlägt. .«2
Ohne Helmut Kohls Wort aus dem Jahre 1989 vergessen zu haben – »der Untergang des Abendlandes findet nur in den Bibliotheken statt«3 – waren es die Äußerungen derer, die heute in seiner Partei das Sagen haben, die mich veranlaßten, meine 1979 in Hildesheim erschienene Schrift , leicht gekürzt und aktualisiert, erneut zu publizieren.* Um so mehr, als mein im Jahre 2000 herausgekommenes Buch interessierte Aufnahme fand.4 Günter Eich hat den Zusammenhang zwischen beiden Büchern vorweg auf den Begriff gebracht, als er in dichtete: »Zuviel Abendland,/verdächtig«5.
Die vorliegende Studie zeigt, daß der politische Kampfbegriff Abendland von weit her rührt und hoch belastet ist: nicht nur antikommunistisch und antisozialistisch, sondern auch antidemokratisch und antiliberal. In seinen verschiedenen Ausprägungen ist er autoritär bis faschistisch geprägt, elitär bis hierarchisch und klerikal bis neopagan – vor allem aber imperialistisch. Gestützt auf zahlreiche Quellen wird außerdem deutlich werden, daß die europäischen Konzepte, die mit den abendländischen konkurrieren, in aller Regel nicht genügend Abstand zu diesen gehalten haben. Karl Jaspers formulierte schon 1958: »Das Abendland, Europa und Amerika.«6 In diesem Sinne analysiere ich gerade auch die euro-amerikanische, sprich »atlantische« Ideologie. Wie die abendländisch-europäische und die US-amerikanische weist sie eine antik-römische Referenz auf. Dementsprechend handelt es sich bei nicht nur um einen Beitrag zur Ideologiegeschichte, sondern auch um einen zur Rezeptions- und Kulturgeschichte. Als Faschismus-, Imperialismus- und Rassismuskritik ist sie von unmittelbarem politischem Interesse – gerade weil die analysierte Literatur zum großen Teil belletristischer und philosophischer Natur ist. Doch große Namen – wie Rudolf Borchardt, Ernst Robert Curtius, T. S. Eliot, Hugo von Hofmannsthal, Carl Schmitt und Oswald Spengler – allein verbürgen noch keine Dignität. Im Zweifelsfall belegen sie das nur scheinbar paradoxe Phänomen eines humanistischen Antihumanismus.7
Was heute unbekanntere Autoren wie Werner Bergengruen, Theodor Haecker, Gertrud von Le Fort und Reinhold Schneider angeht, so muß man sich vor Augen halten, daß diese katholischen Schriftsteller in den zwanziger und dreißiger, vor allem aber von den späten vierziger bis in die frühen sechziger Jahre hinein hohe Auflagen erreichten und einen großen Einfluß ausübten – weit über den konfessionell-katholischen Raum hinaus.* Bergengruen und Schneider waren Mitglieder der wiederbegründeten Friedensklasse des Ordens Pour le Mérite; Schneider erhielt 1957 sogar den »Friedenspreis des deutschen Buchhandels«, Bergengruen 1962 den Schillerpreis des Landes Baden-Württemberg.
Schneider und Schmitt sind Autoren, die sich nicht nur als Gegenstand meiner Ideologiekritik anbieten, sondern – partiell und gegen den Strich gelesen – auch als kritische Instanz fungieren können. Ich exponiere bereits meine Begriffsklärung der Vokabel »politischer Kampfbegriff« mit Hilfe Schmitts. Sie führt mich sofort auf den engen Zusammenhang des Abendland- mit dem Reich-Begriff und beider Kampfmythen mit der Konservativen Revolution, also dem intellektuellen Prä- (und Post-)Faschismus. Gerade die Begriffe »Reich« und »Abendland« belegen die Romanozentrik der Konservativen Revolution8 – ganz gleich, ob sie eher neopagan oder christ-katholisch akzentuiert ist. In jedem Fall gilt der römische Reichsdichter Vergil als des Abendlandes und hat alle (Prä-)Faschisten ergriffen, was ich »Neo-Vergilsche Reichsapokalyptik« nenne. Vielleicht hat Bergengruen ihr im Gedichtzyklus am deutlichsten Ausdruck verliehen, in einem Buch, das er – nachdem es 1937 erstmals erschienen ist – 1950 erneut hat auflegen lassen, dieses Mal unter ausdrücklich »europäischen« Vorzeichen. Nicht zuletzt Bergengruen belegt, was man später auf die affirmative Kurzformel gebracht hat: »Das Reich ist tot – es lebe Europa.«
Nach diesen einleitenden Überlegungen, die den Leser mit den Eckpunkten der Abendland-Ideologie vertraut machen sollen, werde ich im zweiten Kapitel darstellen, wie sich der Einsatz von Abendland als politischem Kampfbegriff intensiviert hat: vom zunächst eher defensiven Gebrauch bis zu seiner schließlichen Ausweitung auf Euro-Amerika. Grundlegendes Kennzeichen aller konservativen Abendland-Utopien – vor und nach 1945 – ist die Stilisierung des Ostens zu einem den Westen »ewig« bedrängenden Erbfeind: synchron ein asiatisch wie kommunistisch definiertes Rußland. Gerade sein dämonischer Kontrast soll dem neuen, vor allem dem Europa zur eigenen »Identität« verhelfen. Selbst das kriegerische »Unternehmen Barbarossa« wurde als »Geburtsstunde des neuen Europa« bezeichnet: eines nationalsozialistischen und deswegen ausdrücklich rassistischen Europa. Ein solches oder auch nur deutsches konnte nach 1945 nicht mehr angestrebt werden; indem man aber sogar die Nazis dem Osten generell oder dem Bolschewismus speziell zuschlug, konnte die europäisch-gegenrevolutionäre Emphase der Zwischenkriegszeit »durchgehalten« werden – und man konnte weiter in der Tradition christlicher Kreuzzüge seit Konstantin über die Karolinger, die Ottonen, die Staufer bis hin zu den Habsburgern denken und dichten. Als scheinbar unverfängliche »Urszene« fungierte dabei der Spanische Bürgerkrieg.
Es waren gerade die aus kirchlich-moralischen Gründen antinationalsozialistischen Katholiken, die im Spanischen Bürgerkrieg, in dem die Katholiken mit Franco und der Falange gegen den sogenannten atheistischen Kommunismus kämpften, eine großartige, geradezu befriedigende Perspektive fanden. Nicht nur sie betrachteten diesen Kampf noch nach 1945 als konzentrierten »Weltbürgerkrieg« und das Spanien als Symbol eines »allumfassenden«, also expansiven, ja imperialistischen »Weltabendlands«, das auf die Zeiten Karls V. und Philipp II. zurückging. – Spaniens (und...




