Evers / Schmidt / Birr | Die Letzten werden die Ärzte sein | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 192 Seiten

Evers / Schmidt / Birr Die Letzten werden die Ärzte sein

35 Geschichten, krank geschrieben
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-944035-36-9
Verlag: SATYR Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

35 Geschichten, krank geschrieben

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

ISBN: 978-3-944035-36-9
Verlag: SATYR Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Gesundheit ist nur ein Mangel an Diagnosen. Dreißig Satirikerinnen und Satiriker begeben sich auf Visite und prüfen das zweitälteste Gewerbe der Welt auf Herz und Nieren. Ihre Diagnose: Lachen hilft, und wenn der Schmerz nachlässt, kann sogar eine rausgesprungene Kniescheibe viel Freude bereiten. 35 bizarre, komische, skurrile Geschichten, krank geschrieben zwischen Siechtum und Genesung von Horst Evers, Jochen Schmidt, Tilman Birr, Sarah Schmidt, Uli Hannemann, Kirsten Fuchs und vielen anderen herausgegeben von der Autorin und Medizinlektorin Daniela Böhle und dem Satiriker und bekennenden Hypochonder Paul Bokowski.

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BEI ÄRZTEN
von Volker Surmann Beipackzettel: Der folgende Text enthält deutliche anthropologische und medizinische Details, die manch ein Leser als anstößig empfinden könnte. Ihre Schilderung dient jedoch ausschließlich Zwecken der Aufklärung sowie der Dokumentation über tabuisierte Körpervorgänge. 1) Bei meiner Hausärztin »Und wie äußern sich diese Beschwerden?«, fragt meine Hausärztin. »Es juckt. Und tut gelegentlich weh – äh ...« »Ja?« »Und das unterliegt auch garantiert der Schweigepflicht?« »Ja. Aber wie ich Sie kenne, schreiben Sie doch sowieso wieder ’ne Geschichte drüber.« »Na ja, es ist beim Stuhlgang und so.« »Aha. Es juckt und schmerzt beim Stuhlgang und so«, fasst meine Hausärztin zusammen. »Na, dann machen Sie sich mal frei.« Vorsichtig ziehe ich Pullover und T-Shirt aus. »Sagten Sie nicht ›Stuhlgang und so‹? Also Hose runter und einmal vorbeugen.« Was soll ich sagen: Es gibt wenige demütigendere Erlebnisse, als sich in angedeuteter Hündchenstellung auf einer Arztliege abzustützen, während eine Hausärztin mit einem Gummihandschuh einem den Finger in den Popo schiebt und den Enddarm abtastet. Es soll Leute geben, die derartige Erlebnisse mit erotischen Fantasien verbinden. Ich gehöre nicht dazu. »Hm, da könnte irgendwas sein«, sagt meine Hausärztin und ist fertig. »Wahrscheinlich harmlos. Hämorrhoiden oder Warzen oder irgendwas. Ich kenne mich damit nicht aus, Sie brauchen sich aber keine Sorgen zu machen – vermutlich.« Dann stockt meine Hausärztin, als sei ihr gerade etwas eingefallen: »Aber doof ist es schon, gell? – Wir lassen mal ’ne Rektoskopie machen.« 2) Bei der Rektoskopie »Hier, das müssen Sie mir noch unterschreiben«, Frau Dr. Braungart hält mir einen Zettel unter die Nase. »Was ist das?« »Sie bestätigen, dass ich Sie über die Risiken aufgeklärt habe.« »Aber Sie haben mich nicht über die Risiken aufgeklärt.« »Richtig. Kann ja auch nichts passieren ... – Legen Sie sich da hin. Auf die Seite bitte. Popo vorstrecken. Ja, so ist’s gut. Wir gucken jetzt mal rein. Und jetzt: Entspannen!« Gar nicht so einfach, sich zu entspannen, wenn man mit nacktem Arsch auf einem Blechtisch liegt, über den sich gerade eine Ärztin und eine Arzthelferin beugen, die laufend Wörter von sich geben wie »tiefer«, »absaugen«, »weiter«, »noch etwas weiter vor«, »noch tiefer«. Ein kleines endoskopisches Schläuchlein schiebt sich durch meine Innereien. Dort rumpelt und pumpelt es munter. Das Endoskop bläst laufend Luft in meine Gedärme, damit es besser gucken kann. Funktioniert vermutlich so wie diese grässlichen Laubgebläse, mit denen Hausmeister im Herbst die Schulhöfe frei pusten. Mein Bauch bläht sich jedenfalls immer mehr auf. »Meine Hausärztin sagte, es solle nur der untere Bereich ...« »Jaja, jetzt seien Sie mal still und entspannen sich. – Wir gehen auf dreißig Zentimeter.« Frau Dr. Braungart klingt wie eine U-Boot-Kommandantin im Marianengraben: »Sehr schön. Wir gehen dann auf fünfunddreißig Zentimeter.« – Käpt’n Nemo im Tiefenrausch. – »Vierzig Zentimeter.« Mein Bauch ist so aufgeblasen mit Luft, dass ich fürchte, ich werde gleich vom Behandlungstisch abheben. »Sie können ruhig mit der Hand dagegenpressen!« Ich drücke meine Hand, so kräftig ich kann, auf meinen Blähbauch. Durch die Bauchdecke spüren meine Finger ruckartige Bewegungen dort, wo ich nie im Leben noch Darm vermutet hätte. Eher Milz oder Magen oder so was, Zwerchfell und Lunge. »Hallo! Hallo, Frau Dr. Braungart! Wenn Sie mir in den Rachen schauen wollen, können Sie das einfacher haben.« »Wir sind ja gleich fertig. Noch einmal die Speiseröhre, ja, alles okay, Ihr hinterer Backenzahn ist leicht kariös. Oh, schau mal an, da ist ja schon meine Praxis … Schwester, das Bild hängt schief.« Prall gefüllt mit Luft entschwebe ich nach dieser Untersuchung dem Behandlungsraum. Ich fühle mich wie das Michelin-Männchen. Ich stürze auf die Toilette und breche den Weltrekord im Dauerpupsen. Eineinhalb Stunden später: »Tja«, sagt Frau Dr. Braungart, »keine Hämorrhoiden, alles okay. Nur auf den letzten fünf Zentimetern ist irgendwas, aber ganz klein, vermutlich harmlos, aber damit kenne ich mich nicht aus ... – Ich geb Ihnen mal ’ne Überweisung zum Hautarzt. Soll der sich das mal anschauen.« 3) Beim Hautarzt »Aha«, Dr. Flechtner studiert den Arztbrief seiner Kollegin. »Frau Dr. Braungart hat also irgendwas im Enddarm diagnostiziert. Dann schauen wir uns mal irgendwas an. Hose runter.« Ich entwickle langsam Routine in der Schamüberwindung und beuge mich gekonnt nach vorn. Ich komme mir schon vor wie ein echter Profi. Dr. Flechtner guckt auf meinen Po und scheint einen Moment lang hinter meinen Backen zu meditieren. »Sie können sich wieder anziehen. Ja, in der Tat, da ist wohl irgendwas. Ich verschreib Ihnen mal Zäpfchen, die lösen dann eine Autoimmunreaktion aus.« Er freut sich. »Eine was?« »’ne Entzündung. Sie nehmen sechs bis acht Wochen diese Zäpfchen, die Schleimhaut entzündet sich, und die befallenen Zellen werden abgestoßen. Ganz einfach.« Dr. Flechtner juchzt vor Vergnügen. »Die von was befallenen Zellen?« »Na, von irgendwas, steht doch in der Überweisung.« »Und ... könnte ich damit etwa jemanden anstecken? Meinen Freund zum Beispiel?« »Kommt drauf an, was es ist. Könnte sein. Also während der Behandlung besser keinen Verkehr.« Dr. Flechtner grinst beruhigend: »Aber keine Sorge, dazu haben Sie eh keine Lust. – Wegen der Schmerzen.« 4) Behandlung In dem Beipackzettel der Zäpfchen steht, die Stellen, wo die in ihnen enthaltene Salbe hinkommt, soll ich nicht direktem Sonnenlicht aussetzen. Das wird sehr schwierig. In die Zäpfchen sind Mullbindenstreifen eingearbeitet. Sie sehen ein bisschen aus wie Tampons, finde ich. Nach Anwendung wirkt es, als hänge mir eine Zündschnur aus dem Allerwertesten. Nicht selten in den nächsten Wochen werde ich das Bedürfnis haben, diese Zündschnur einfach anzuzünden und Brennen mit Feuer zu bekämpfen. Ich sammle völlig neues medizinisches Wissen über menschliche Körperfunktionen: Flatulenz kann schmerzhaft sein, wer hätte das gedacht! Soziale Ächtung, Isolation, Ohrfeigen von Mitbewohnern, ja, davon hat man schon gehört, aber ich fühle mich tief am Ende meines Innersten, als könnte ich Feuer speien. Ich bin ein Rektaldrache. 5) Beim Chirurgen »Es ist so«, höre ich Dr. Mardas Stimme, während ich gerade auf einer Art Gynäkologenstuhl hänge, »diese Therapie, die der Kollege da angewendet hat, ist manchmal sehr erfolgreich. Manchmal bringt sie aber auch nichts. Und, wie soll ich sagen, Sie gehören offensichtlich zur dritten Gruppe.« »Zur dritten Gruppe?« »Ja genau«, Dr. Mardas Kopf taucht zwischen meinen Oberschenkeln auf: »Der Gruppe, wo dadurch alles noch viel schlimmer wird.« 6) Im Krankenhaus Der Stationsarzt Dr. Hundt ist unglaublich auskunftsfreudig. Das Aufnahmegespräch findet statt, als ich gerade meine erste Klinikmahlzeit einnehme: Gyros mit Reis und Zaziki. Dr. Hundt setzt sich zu mir und sagt: »Lassen Sie es sich schmecken. Wir sollen Ihnen also irgendwas im Analbereich entfernen.« »Könnten Sie’s vielleicht lateinisch ausdrücken?« Hochrot schiele ich zu Marcus, meinem Bettnachbarn. Er scheint gerade sehr neugierig zuzuhören. »Keene Sorge«, sagt Dr. Hundt und zeigt auf Marcus, »der hat ditselbe.« Mein Bettnachbar winkt schüchtern herüber. Das also ist Datenschutz für Kassenpatienten. Dr. Hundt erklärt mir in allen Einzelheiten die bevorstehende Operation. Dabei schaut er so intensiv auf mein Gyros, als habe er vor, das Geschehen in meinem Enddarm gleich auf meinem Teller nachzustellen. Als ich später das halb aufgegessene Gyros von mir schiebe, ahne ich nicht, dass dies meine letzte Mahlzeit für...


Daniela Böhle wurde 1970 in Köln geboren und hat dort auch ihr medizinisches Staatsexamen bestanden. Seit 1999 lebt sie in Berlin. Nach vielen Jahren bei der "Reformbühne Heim und Welt" ist sie heute noch korrespondierendes Mitglied dieser Lesebühne. Ihr Kurzgeschichtenband "Amokanrufbeantworter" erschien 2005 bei Satyr. Ihre Hörspiele haben rbb und SWR produziert, darunter die Krankenhausgroteske "Leichen im Keller" (2010). Trotz ihrer Arbeit als Lektorin und Autorin ist ihre Leidenschaft für Blut und Eiter ungebrochen.

Paul Bokowski wurde 1982 in Mainz geboren. Seit 10 Jahren lebt und arbeitet der bekennende Hypochonder als Autor und Satiriker in Berlin. Er ist jüngstes Mitglied der Berliner Lesebühne "Brauseboys" und festes Redaktionsmitglied der Literaturzeitschrift "Salbader". Gelegentlich tritt er als Autor für das Satiremagazin "Titanic" in Erscheinung. 2012 erschien sein Satyr-Bestseller "Hauptsache nichts mit Menschen" (Taschenbuch-ausgabe bei Goldmann: Dezember 2013).



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