E-Book, Deutsch, 138 Seiten
Esterl / Ransmayr Dialekt und innere Mehrsprachigkeit
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7065-6395-6
Verlag: Studien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dialekt als Thema und Medium des Deutschunterrichts
E-Book, Deutsch, 138 Seiten
Reihe: ide - information für deutschdidaktik
ISBN: 978-3-7065-6395-6
Verlag: Studien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Innersprachliche Mehrsprachigkeit ist in Alltag und Schule präsent. Im Deutschunterricht spielt der Dialekt oft eine Doppelrolle: Denn zum einen ist Dialekt im Lernfeld Sprachbewusstsein etwa im österreichischen Lehrplan implizit als Unterrichtsthema verankert, was nicht nur sprachwissenschaftliche bzw. soziolinguistische Perspektiven eröffnet, sondern eine Reihe an kreativen Möglichkeiten und Materialien bietet. Dialekt kann darüber hinaus – neben seiner sozialen Funktion – aber auch Medium des Unterrichts sein, also Unterrichtssprache.
Die Dialektverwendung im schulischen Kontext findet sich meist in einem Spannungsfeld zur Standardsprache und Lehrer:innen und Schüler:innen stehen ihr im Deutschunterricht oft ambivalent gegenüber. Das Potenzial der Beschäftigung mit dem Dialekt im (Deutsch-)Unterricht auszuloten, ist Thema dieses ide-Heftes.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Monika Dannerer
Dort, wo es auch noch die echten, tiefen Dialekte gibt?
Zur sprachlichen Situation in Österreich
Der vorliegende Beitrag, der einen groben Überblick über die sprachliche Situation in Österreich im Hinblick auf die innere Mehrsprachigkeit skizzieren möchte, geht im ersten Abschnitt auf die grundlegenden Begrifflichkeiten und die schwierige Abgrenzung von Dialekt, Standardsprache und Umgangssprache ein, bevor er im zweiten Abschnitt Verwendungsdomänen, Funktionen und Erwerb von Varietäten thematisiert. Um die sprachliche Situation in Österreich in ihrer Komplexität und Vielfalt auch nur annähernd angemessen darstellen zu können bedürfte es nicht nur eines anderen Umfangs für diesen Artikel, sondern auch eines wesentlich umfassenderen Ansatzes, denn dazu gehören selbstverständlich auch andere Sprachen als Deutsch und seine Varietäten. Sie treten als Erstsprachen/Herkunftssprachen/Familiensprachen auf, als in der Schule oder in Kursen gelernte Fremdsprachen oder als autochthone Minderheitensprachen. Sie alle tragen zum sprachlichen Repertoire (Busch 2012) in Österreich bei. Dem Fokus des Heftes geschuldet geht es in diesem Beitrag jedoch ausschließlich um (areale) Varietäten des Deutschen. Dass dies eine Beschränkung darstellt, soll jedoch an dieser Stelle erwähnt werden. Auch eine Beschränkung insofern als die Schnittstellen zwischen innerer und äußerer Mehrsprachigkeit – zum Beispiel die Aufnahme von »Fremd«wörtern oder die Entwicklung einer ethnolektalen Syntax (Siegel 2018) in eine/r der Varietäten – damit nicht ausreichend berücksichtigt werden kann. 1. Dialekt – Standardsprache – und das Dazwischen
1.1 Was ist Dialekt? Der Titel des Beitrags möchte bereits signalisieren, dass Dialekte regional verortet sind (»dort«), dass sie zeitlich verortet sind bzw. als (besonders) stark im Wandel begriffen werden (»noch«), dass streng über ihre Reinheit gewacht wird (»echt«), die teilweise auch als Ausweis »richtiger« Zugehörigkeit interpretiert wird, und dass sie metaphorisch »unten« bzw. »unterhalb« der Standardsprache angesiedelt werden (»tief«). Das Lexikon der Sprachwissenschaft definiert »Dialekt« als Sprachsystem […] das (a) zu anderen Systemen ein hohes Maß an Ähnlichkeit aufweist, sodass eine – zumindest partielle – wechselseitige Verstehbarkeit möglich ist, (b) regional gebunden ist in dem Sinne, dass die regionale Verbreitung dieses Systems nicht das Gebrauchsgebiet eines anderen Systems überlappt, und (c) keine Schriftlichkeit bzw. Standardisierung im Sinne offiziell normierter orthographischer und grammatischer Regeln aufweist. (Bußmann 2008, S. 131) Als Bedrohung für die »Echtheit«, »Reinheit« und »Ursprünglichkeit« von Dialekten wird vor allem eine »Kontamination« mit der oder eine Verdrängung durch die Standardsprache gesehen. Bereits Georg Wenker hat in seiner umfassenden Bemühung um die Erhebung von Dialekten im gesamten deutschen Sprachraum (1876–1887) auch ihr Verschwinden prognostiziert. Dialektabbau oder auch Dialektverlust gelten als ständiger Begleiter aller Bemühungen um die Erfassung und den Erhalt eines Dialekts als Merkmal einer Region. Das hat nicht zuletzt auch zur Folge, dass Dialekte lange Zeit hindurch durch eine Befragung der sogenannten »NORMs« oder »NORFs« dokumentiert wurden, der »Nonmobile, Old Rural Males« oder »Females«, d.h. alter Menschen eines Dorfes, die aus einer ortsansässigen Familie stammend möglichst ihr gesamtes Leben am gleichen Ort verbracht und nie längere Zeit hindurch woanders gelebt haben. Will man die Veränderung in den Dialekten einer Region dokumentieren und analysiert, so werden in der Regel entweder die NORM:Fs mit einer Gruppe jüngerer Personen verglichen oder aber es werden die gleichen Personen Jahrzehnte nach einer ersten Erhebung noch einmal befragt. Dialektologische Untersuchungen, die das spontane Gesprächsverhalten in Gruppen erheben, waren lange Zeit eher die Ausnahme (vgl. aber z. B. Lenzhofer 2017).1 Die Verwendung von Varietäten in Institutionen (z. B. Kindergarten, Schule, Universität) wird häufig nicht so sehr aus einer dialektologischen wie aus einer sozio- und variationslinguistischen Perspektive betrachtet, das heißt, nicht der Dialekt und seine Beschreibung stehen im Fokus, sondern die Beschreibung der Funktionen der Dialektverwendung (vgl. Abschnitt 2). Zu unterscheiden ist dabei zwischen Untersuchungen, die anhand von Aufnahmen das sprachliche Verhalten erheben, und Fragebogen- oder Interviewstudien zu Sprachgebrauch und Spracheinstellungen, die damit auf Selbstauskünften basieren. Abb. 1: Dialektregionen Österreichs; Karte erstellt im SprachGIS auf der Grundlage der Dialekteinteilung nach Wiesinger (1983) von Kathrein (2024)2 Unterschiede zwischen Dialekten und Standardvarietäten sind auf allen Ebenen des sprachlichen Systems zu finden, auf der Lautebene sowohl bei Vokalen als auch bei Konsonanten, in der Morphologie, der Lexik und der Syntax. Besonders prominent für die Wahrnehmung von Dialekten scheinen dabei sowohl die phonetischen als auch die lexikalischen Unterschiede zu sein. Darauf, dass Dialekte in Regionen, in denen sie noch gesprochen werden und ihre Verwendung nicht sozial markiert ist, ein hohes Prestige genießen, deuten u. a. zahlreiche Bemühungen von linguistischen Laien zur Dokumentation (und zum Erhalt) von Dialekten hin, wie zum Beispiel eine beachtliche Zahl an existierenden Dialektwörterbüchern, deren Erstellung bzw. Pflege mit einem sehr hohen zeitlichen Aufwand betrieben und erst jüngst auch von dialektologischer Seite tatsächlich wahrgenommen wird (vgl. Kathrein i. Dr.). Neben Adjektiven wie »rein«, »schön«, »echt« und »unverfälscht«, die im Kontext von Dialekten häufig verwendet werden (vgl. Christen 2010, S. 283) und zu diesem Bild passen, gibt es aber durchaus auch metaphorische Ausdrücke, die auf Dialekte bzw. Dialektverwendung bezogen werden, und sie als »unten« verorten: Man spricht einen »tiefen« Dialekt, man »rutscht« oder »(ver)fällt« in den Dialekt. Die Oben-unten-Metapher spiegelt sich durchaus auch in vielen linguistischen Darstellungen, die etwa in einem Kegelmodell eine Standardsprache oben, die Dialekte unten ansiedeln. 1.2 Welche Dialekte gibt es in Österreich? Es ist üblich, den Dialektraum in Österreich im Wesentlichen in drei Dialektregionen zu gliedern: Mittelbairisch, Südbairisch und Alemannisch, wobei es jeweils Übergangszonen gibt (vgl. Abb 1). Die Ortsdialekte (oder Basisdialekte), die sich anhand unterschiedlicher Merkmale teilweise sehr kleinräumig unterscheiden lassen, sind diesen Dialekträumen ebenso zuordenbar wie regionale Ausgleichsdialekte. Die Darstellung von Unterschieden zwischen einzelnen Dialekten erfolgt in der Regel in sogenannten »Dialektatlanten«, typischerweise in einer großformatigen Buchform, die nach einzelnen Merkmalen geordnete Karten anbieten. Dazu gehören zum Beispiel der VALTS (Vorarlberger Sprachatlas), der TirolSA (Tirolischer Sprachatlas), der SAO (Sprachatlas von Oberösterreich). Sie setzen die Kenntnis der Lautschrift (IPA bzw. Teuthonista) voraus. »Sprechende Dialektatlanten«, zum Beispiel auf CD-ROM (z. B. »insre sproch«; Scheutz 2016) oder mit QR-Codes im Buch, die auch mit einer Online-Seite kombiniert werden können (z. B. Mauser 2021 und https://pfeifenberger.at/wiarach/landkarte/) und Online-Atlanten (z. B. Deutsche Dialekte im Alpenraum [sprachatlas.at]; StifterHaus: OÖTon; Alle Karten | Tiroler Dialektarchiv [tiroler-dialektarchiv.at]), sind demgegenüber intuitiv zugänglich und bieten Hörbeispiele, die teilweise auch mit Quizaufgaben verbunden werden (z. B. StifterHaus: OÖTon). All diese Formen basieren auf Ergebnissen einer systematischen dialektologischen Forschung, die meistens mit sogenannten »Fragebüchern« durchgeführt wird, um bestimmte Phänomene ganz gezielt zu erheben. Auf diese Weise können Unterschiede innerhalb eines Ortes (z. B. nach Alter) oder einer Region (nach Orten) erfasst werden. Neuerdings werden auch Dialekt-Apps angeboten, mit denen man sich unmittelbar an Erhebungen beteiligen und Dialektvarianten in Aussprache, Grammatik und Lexik einsprechen oder eintippen und anschließend auf Karten mit anderen Ergebnissen vergleichen kann, zum Beispiel OeDA (Wenker 2.0 – Paris Lodron Universität Salzburg; plus.ac.at, 15.6.2024). Gerade die Online-Angebote richten sich oft an einen breiteren Leser:innenkreis, so dass die Beschreibungen der Phänomene und teilweise auch das dialektologische Vorgehen auch für Schüler:innen gut nachvollziehbar sind. 1.3 Was ist Standardsprache? Die Frage, was denn Standardsprache sei, lässt sich nicht einfach beantworten und die Diskussionen um die Rolle der Variation innerhalb der Standardsprache bzw. in Abgrenzung zu anderen Varietäten, besonders auch unter Einbezug des gesamten deutschen...