E-Book, Deutsch, 324 Seiten
Esser Feuerwahn
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-8192-8536-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, 324 Seiten
ISBN: 978-3-8192-8536-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Franz-Hubert Esser verbrachte - abgesehen von Reisen in nahezu alle Teil der Welt - sein gesamtes Leben am Niederrhein, zuerst in Uerdingen, seit mehr als zehn Jahren in Xanten. Der pensionierte Realschullehrer widmet sich außer dem Schreiben von Kriminalromanen intensiv der Naturbeobachtung und -fotografie.
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ZWEI
Wieder einmal hatte der Frühling Einzug gehalten am Niederrhein, wieder einmal hatte der März seinen Vormonat für fast ein Jahr in dessen nach wie vor unbekanntes Versteck vertrieben.
Wieder einmal setzte der Sangeswettstreit zwischen Hahn und Feldlerche ein, wer in der morgendlichen Frühe als Erster zu hören sei. Qualitativ waren die Hähne natürlich mit ihren lauten, derben Tönen den Lerchen und deren zarten, melodischen Trällern hoffnungslos unterlegen. Quantitativ sah es genau umgekehrt aus. Der Lebensraumverlust vor allem durch die moderne Landwirtschaft hatte längst zur Aufnahme der Feldlerche in die Rote Liste der extrem bedrohten Arten geführt. Davon allerdings wussten die Hähne nichts, ebenso wenig wie die meisten Menschen.
In Nordeuropa wurde seit jeher der Frühling, die Wiederkehr von Helligkeit, Sonne und Wärme, das Ende von Kälte und Eis freudig begrüßt. Am Niederrhein sah das ganz anders aus. Strenge Winter, die mit den nordischen Verhältnissen zu vergleichen gewesen wären, hatte man hier nie erlebt. Seit einigen Jahren jedoch war ein Winter, der auch nur ansatzweise diesen Namen verdient hätte, überhaupt nicht mehr vorgekommen. Es gab nur noch drei Jahreszeiten: einen kurzen Frühling von Ende Februar bis April, der mit der Rückkehr der Singvögel und der Sonne kurzzeitig für bessere Stimmung sorgte, einen schier endlosen Sommer von Anfang Mai bis in den Oktober hinein mit teils unerträglicher Hitze und bedrohlicher Trockenheit sowie einen monatelangen trüben Herbst mit wolkenverhangenem regnerischem und sehr windigem Wetter ohne jedwede Kälte. Bei immer mehr Menschen führten diese Verhältnisse zu Unmut, Ärger, ja zu regelrechten Depressionen.
Ganz anders bei den arktischen Wildgänsen, die von Oktober bis Ende März zu Tausenden den Niederrhein als Überwinterungsquartier wählten, um der Kälte ihrer sibirischen Brutheimat zu entgehen. Sie genossen das feucht-milde Wetter, das das Gras als bevorzugte Nahrungsquelle auch im Dezember und Januar noch sprießen ließ, und die nassen Flächen zum Baden und Trinken. Man konnte sogar den Eindruck gewinnen, die Bless-, Saat- und Weißwangengänse würden in jedem Jahr ein paar Tage länger am Niederrhein verweilen, zum großen Ärger der Bauern, denn auch die jungen Pflänzchen des Wintergetreides waren bei den Gänsen sehr begehrt. Für die dabei entstehenden Fraßschäden wurden die Bauern zwar entschädigt, dennoch schimpften sie immer wieder über die ›verfluchten‹ Gänse.
Im Klever K1 war etwas mehr Ruhe eingekehrt, hatte man doch einen der langwierigsten Fälle der letzten Jahre endlich abschließen, einen besonders skrupellosen Verbrecher verhaften und so viel Beweismaterial sammeln können, dass den Mann vor Gericht seine verdiente langjährige Haftstrafe erwartete. Der 32-Jährige aus Goch lebte offiziell von Hartz IV, führte aber aufgrund seiner kriminellen Aktivitäten ein wahres Luxusleben mit seiner Familie, was merkwürdigerweise niemandem aufgefallen war.
Der Mann hatte zusammen mit seinem Bruder in fast allen Lebensbereichen eine Gewalt- und Drohkulisse aufgebaut, um sich zu bereichern. Die ihm zur Last gelegten Straftaten wiesen eine erschreckende Bandbreite auf, von versuchtem Totschlag und der Zwangsprostitution einer 18-Jährigen bis zu bewaffneten Drohungen gegenüber Autofahrern, einem Erpressungsversuch gegen einen Lokalbesitzer, der Unterschlagung eines 100.000-Euro-Autos bis zum Besitz von Kinderpornos und illegalen Waffen. Die Ermittlungen waren erst in Fahrt gekommen, als der zur Zwangsprostitution gedrängten Frau nach Monaten die Flucht gelang.
Auch wenn die Ermittlungen abgeschlossen waren, sorgte der Fall unter den Kollegen immer noch für Gesprächsstoff, so auch an diesem Morgen.
»Ich verstehe immer noch nicht, warum die luxuriöse Lebensweise trotz Hartz-IV niemandem aufgefallen ist!«, stellte Fritz Alt fest. Der schlanke, sportliche Mittfünfziger leitete seit einigen Jahren das Klever K1, war gebürtiger Dortmunder und bekennender BVB-Fan und hatte sich am Niederrhein direkt wohl gefühlt. Die welligen und immer nach hinten gekämmten schwarzen Haare wiesen bereits etliche graue Strähnen auf, der Bart war ober- und unterhalb der Lippen noch schwarz, an den Seiten und am Kinn jedoch fast übergangslos grau. Von den Kollegen wurde er der ›Alte Fritz‹ genannt.
»Selbst wenn dieser Typ lebenslänglich bekommt, wird er bei guter Führung nach 12 oder 13 Jahren wieder frei sein. Das ist doch ein Witz! Der Kerl ist durch und durch schlecht, böse, daran wird sich garantiert nichts mehr ändern, er wird neue Verbrechen begehen. So jemand dürfte auf keinen Fall jemals wieder auf die Öffentlichkeit losgelassen werden, er wird immer wieder für Leid und Verluste sorgen.«, erklärte Jens Marquardt und schien sich kaum zu beruhigen.
Der Kommissar stammte aus Düsseldorf, hatte sich nach einem Studium der Wirtschaftsinformatik erst spät der Polizei zugewandt. Drei Jahre zuvor hatte er im Zuge seiner Ausbildung ein Praktikum im Klever K1 absolviert. Dabei war er dermaßen positiv aufgefallen, sowohl fachlich als auch menschlich, dass Fritz Alt bei der Schaffung der neuen Planstelle direkt an Jens Marquardt gedacht hatte und ihn unbedingt in sein Team holen wollte. Der 30-Jährige war mittelgroß und schlank, wirkte durchtrainiert. Er hatte ein rundliches Gesicht mit blauen Augen und kurzen schwarzen Haaren. Seit einigen Monaten war er mit Fritz Alts Tochter Doris liiert, einer angehenden Ärztin, die im Klever Krankenhaus tätig war.
»Tja, das fällt nicht mehr in unsere Zuständigkeit, es ist bekanntlich Sache des Gerichts, darüber zu entscheiden, ob der Mann wegen der festgestellten Schwere der Taten anschließend in Sicherheitsverwahrung genommen wird«, stellte Oberkommissar Heise gewohnt sachlichkühl fest.
Der introvertierte Mittvierziger, von leicht stämmiger Statur, mit einem rundlichen Gesicht und mittellangen schwarzen Haaren wohnte am Stadtrand von Xanten und arbeitete seit etlichen Jahren im K1 in Kleve. Dort lief er unter dem Spitznamen ›Holmes‹, nicht nur, weil er den seiner Meinung nach ›größten Ermittler aller Zeiten‹ stets als sein Vorbild angab, sondern weil auch er dem messerscharfen Verstand und analytischen Denken oft den Vorzug einräumte gegenüber allzu viel Wissenschaftsgläubigkeit, wie er es nannte.
»Dann also zurück zum Tagesgeschäft!«, entschied Fritz Alt. »Ich muss zum Chef!«
In den vergangenen Tagen war ein Phänomen zunehmend in den Focus der Menschen, auch der Polizei gerückt: Die Presse berichtete immer wieder von brennenden Mülltonnen an verschiedenen Stellen der Stadt. Da sich solche Gefäße eher nicht von selbst entzünden, musste man von Brandstiftung ausgehen. Jemand hatte wohl Benzin in die Tonnen gekippt und ein brennendes Streichholz hineingeworfen. Brennbare Materialien – nicht nur in den Altpapierbehältern – hatten das Feuer dann schnell auflodern lassen. Was auf den ersten Blick wie ein saublöder Streich irgendwelcher Halbwüchsiger erscheinen könnte, wurde von der Feuerwehr wesentlich ernster gesehen. In den Tonnen würden vielfach Substanzen stecken, die beim Verbrennen giftige Stoffe freisetzen könnten, erklärte der Klever Feuerwehrchef. Außerdem bestünde die Gefahr, dass bei brennenden Tonnen, die nahe an Häusern, Schuppen oder auch Autos stünden, das Feuer sich auf diese Objekte ausbreite. Ein weiteres Problem sah der Brandmeister darin, dass die Feuerwehr schlichtweg über zu wenig Personal und zu wenige Fahrzeuge verfüge, wenn – wie kürzlich geschehen – in einer einzigen Nacht binnen kürzester Zeit an 7 verschiedenen Stellen der Stadt brennende Müllgefäße gemeldet würden. Daher würden in den kommenden Nächten zusätzlich zum Löschzug Kleve Stadt auch diejenigen in Materborn, Kellen und Rindern in Alarmbereitschaft versetzt. Auch die Löschgruppen in Keeken, Reichswalde und Warbeyen stünden bereit. Schließlich forderte Brandmeister Simons die Bevölkerung auf, Mülltonnen auf keinen Fall direkt an Hauswände oder nahe an geparkte Autos zu platzieren. Erhöhte Wachsamkeit sei in jedem Falle erforderlich.
Als der leitende Hauptkommissar wenig später seinem Team über das Gespräch mit dem Kriminaldirektor berichtet hatte, war es Klaas Hinrichs, der als Erster antwortete. Der knapp über Vierzigjährige war groß und schlank mit nahezu glatzenartig kurzen Haaren und einem Kinn- und Oberlippenbart. Sein Gesichtsausdruck hatte oft etwas Schelmisches, Hinrichs galt als der Stimmungsmacher im K1, ein total extrovertierter Typ, der seine Kollegen immer wieder mit Witzchen und Wortspielen aufheiterte, manchmal allerdings auch nervte.
»Was hat die Fliege sich dabei nur gedacht?«, fragte Hinrichs. »Für brennende Mülltonnen sind unsere uniformierten Kollegen zuständig, nicht wahr?« Mit ›Fliege‹ war Kriminaldirektor Benjamin Fricke gemeint wegen dessen Vorliebe für dieses Kleidungsaccessoir.
»Nun ich schätze, er möchte einer...