Esche | Der Hase im Rausch | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 384 Seiten

Esche Der Hase im Rausch


1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-359-50031-5
Verlag: Eulenspiegel Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 384 Seiten

ISBN: 978-3-359-50031-5
Verlag: Eulenspiegel Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Eberhard Esche gehört zu denen, deren Verlust mit den Jahren immer empfindlicher fühlbar wird. Mag die Kunst des Schauspielers flüchtig sein, mit seinen Bücher hat er sich einen bedeutenden Gedenkstein gesetzt und den Nachgeborenen ein Werk der lebendigen Erinnerung, einer gediegenen Kunstauffassung und unbeugsamen politischen Haltung hinterlassen. Seine autobiographischen Geschichten handeln natürlich vom Theater, aber sie erzählen auch von den gesellschaftlichen Zuständen, unter denen Theater blüht oder vegetiert, und von den Leuten, die Theater machen.

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Zu einigen Gründen, weshalb ich Monarchist werden musste. Le Roi est mort. Vive le Roi. Le Théâtre est mort. Vive le Théâtre. Wenn in Frankreich ein König starb, wurde ein Fenster geöffnet und aus dem Sterbezimmer heraus in die Straßen von Paris hinein gerufen: Der König ist tot. Es lebe der König. Das konnte jeder hören. Ich rufe aus den deutschen Theatern heraus, in die Straßen ihrer ungezählten Hauptstädte hinein: Das Theater ist tot. Es lebe das Theater. Doch keiner hört mir zu. Die Monarchie hatte den schönen Vorteil, daß sie sich nicht durch Neuwahlen belästigen lassen mußte. Sie fand statt dessen den neuen König in der Familie. Der König ist tot! Es lebe der König! Solch ein System war praktisch, und die Korruption hielt sich in staatserhaltenden Grenzen. Nun aber sind die Könige wirklich tot, und den Theatern fehlt der Gönner und damit die Parole: Vive le théâtre. Denn statt der Könige bestimmen am Theater nun die Daimler-Benze, Die Gnadenreichen.Oder die Deutsche Bank, Die Huldvollen. Oder die Dresdner Bank, Die Sympathischen. Oder die Bayerische Vereinsbank, Die Uneigennützigen. Oder wie die Namen deutscher Schrotthändler auch heißen mögen. Bleiben wir der Einfachheit halber bei Einem für Alle. Bleiben wir bei den Gnadenreichen. Die Gnadenreichen verkaufen Autos. Die Gnadenreichen spielen eine Königsrolle in der Welt. Das einzige, was ihnen bei dieser Rolle fehlt, ist der König. Wie sich leicht beweisen läßt: Könige leisteten sich Theater. Weil Könige im allgemeinen (wir überspringen den Vater von Friedrich dem Großen, F. W. I., der Gründe hatte, sparsam zu sein) Luxus liebten. Theater ist Luxus. Die Gnadenreichen lieben auch Luxus, aber nur in Karossen. Sie lieben nicht Luxus in deutschen Köpfen. In den luxuriös eingerichteten Chefetagen der heutigen Königsrollenspieler, die versuchen, sich durch Nadelstreifen und schlechtes Englisch – aber mit ausgezeichnetem amerikanischen Dialekt – unauffällig zu machen, wird nur zum Teil noch deutsch gesprochen. An deutschen Theatern ausschließlich. Die deutschen Theater leben von der deutschen Sprache und die deutsche Sprache von ihren Theatern. Wo sonst konnte man, zumindest bis vor kurzem, das beste Deutsch hören, jenes, das von deutschen Dichtern geschrieben wurde? Aber mit Theater läßt sich kein Geschäft machen, kein kleines und kein großes. Theater kann zwar als Bedürfnisanstalt benutzt werden – dennoch, es kostet Geld, es bringt keines ein. Die paar Groschen Abendeinnahme gehören nicht der Vorstellungswelt Der Gnadenreichen an. Wenn man Nutzen nach Immobilienpreisen, Wertanlagen, Börsenkursen, Steuervorteilen, Bilanzen, Pleiten, Pech und Pannen mißt, ist Theater nutzlos. Und Die Gnadenreichen hassen das Nutzlose. Sonst hießen die Leute ja Rolls Royce. Wären diese Leute von diesem Hasse nicht so besessen, wären sie nicht so attraktiv. In Draculas Blutgier liegt seine Anziehungskraft. Das einzige Nutzlose, was Die Gnadenreichen nicht hassen, ist die Reklame. Nun würde sich ja das Theater, die alte Hure, auch für Reklame hinlegen, und das tut es schon fleißig. Für wen hat es sich noch nicht hingelegt in seiner langen Geschichte, die nun wirklich länger ist als die von Daimler-Benz? Sein Überleben hat das Theater auch dem Hinlegen zu verdanken, und diese Bretterknaller-Technik versucht es wieder und wieder, es legt sich sogar für untrinkbare Biermarken auf den Rücken und spreizt die Beine. Aber für das heutige Überleben ist diese Technik überaltert, Pornos sind im Fernsehen einfach schmucker. Weiter: Intrigantinnen der 2. Ebene kriechen in gehobene Klubs, buhlen um persönliche Anerkennung, mutig mißachtend die Vergeblichkeit ihres Bemühens, in übergeordneten Ärschen Platz zu finden. Diese sind längst geschlossen. Denn auch ein übergeordneter Arsch hat einen solchen über sich und klemmt seinerseits in Anspannung, in diesen hineinzukommen, seine Backen zu. Vergeblich! Dieser ist ebenfalls geschlossen. Aus dieser Himmelsleiter oder – irdisch ausgedrückt – Gesamtgesellschaftskonstellation heraus erklären sich die großen Trauben, oder soll man sagen »Neuen Menschenschlangen«, die vor geschlossenen Pforten stehen. Fast möchte man Volksbewegung im Stillstand dazu sagen oder einfach schlechtes Theater. Theater ist kein Massenereignis. Theater ist eine Peep-Show für Eliten. Und die Theater müssen begreifen, daß sie ihr Überleben nicht vom Massenfick abhängig machen dürfen. Was sie auch immer für obszöne Bewegungen machen, bei der herrschenden Stimulanz-Schwemme, dem Gefühlsprothesentum, werden sie nicht mehr wahrgenommen. Als es das Fernsehen noch nicht gab, zeigten sich die Politiker, um sich sehen zu lassen, gerne in den Theatern. Das Publikum mochte das, und es konnte Vergleiche anstellen zwischen oben und unten. Hautnahe Vergleiche zwischen zwei Darstellungen. Die Politiker schienen das zu ertragen, ja, sie mußten es suchen. Heute suchen sie ihr Plätzchen im Fernsehen, heute brauchen sie das Theater nicht mehr, denn das Fernsehen gibt ihnen ein Millionenpublikum und schirmt sie gleichzeitig davon ab. Als in Amerika ein Präsident im Theater erschossen wurde, gingen die Nachfolger des Erschossenen einfach nicht mehr hin. So endete das amerikanische Theater. Man kann sagen, es starb im Kindbett. Da aber die amerikanischen Präsidenten jenes Instrument, welches sie »Hautnähe« nannten und bisher im Theater suchten, nicht missen mochten, gewöhnten sich amerikanische Präsidenten nach dem Verlust des Theaters an die Straße. Man kann sagen, daß Amerikas wirtschaftlicher Aufstieg aus dem kulturellen Abstieg entstand. Und auf der Straße stehen die Präsidenten dieses großen Landes nun in gewissen Regelmäßigkeiten und drücken mit Inbrunst Hände. Die Hände der Straße. Sie drücken die Hände ihrer verkleideten Leibwächter. Und wieder und wieder. Das sind Events! (Das Modewort Event ist nicht in der Rechtschreibautomatik meines guten und alten Computers enthalten. Statt dessen zeigt er alternativ zu Event »Elend« an.) Und da sich europäische Politiker liebevoll an Amerika orientieren, sehen wir die Folgen in den europäischen Theatern. Dennoch, noch bekommen die deutschen Theater Subventionen. Auch Die Gnadenreichen leisten sich Sponsorengelder. Ja, wenn es sein muß, sogar für Theaterbaracken. Dann sprechen Berliner Kulturfunktionäre von Leuchttürmen. Und es sitzen in den Zentralen zum Beispiel Der Huldvollen noch vereinzelt Menschen mit Kultur. Die dem Theater nicht übelwollen. Die dem Namen Huldvoll, unter dem sie dienen, versuchen Ehre zu machen. Und mit Anstand tragen, daß man sie schon hinter nicht mehr vorgehaltener Hand altmodisch nennt. Als würden sie das Theater statt für eine humanistische Einrichtung, was es ist, für eine Mode halten. Solche Menschen gibt es noch. Bei den Huldvollen. Oder bei den Uneigennützigen. Vielleicht auch einen bei den Gnadenreichen. Doch an der Grundwahrheit kommen sie alle nicht vorüber: Alle die Genannten brauchen Kunden. Die Theater brauchen Könige. Die Gnadenreichen üben sich in Bescheidenheit, hüllen sich in einen Schafspelz und nennen in ihrer Wolfssprache den Kunden König. Ich erinnere mich: Echte Könige haben auch gelogen, aber nie so klein. Doch der Kunde, vom Werbefernsehen gebildet, fällt auch auf die plattesten Lügen herein. Schließlich leben wir in einer Demokratie. Die so viele Vorteile hat, mit der einen Ausnahme: Ihr fehlt der König. Aber gibt es nicht doch noch welche? Schließlich leben in der Demokratie ja auch Menschen! Und unter Menschen müßte sich doch immer mal wieder ein König finden. Mir wäre es schnuppe, ob der nun Präsident oder Bürovorsteher heißt, auf den Namen lege ich mich nicht fest. Hauptsache, dieser Mann ist kein Demokrat. Ich fürchte mich vor Demokraten. Nicht, weil die nur Fußball lieben, sondern weil sie sich vor dem Theater fürchten. Der Kunstsinn des Demokraten wird nicht vom Kunstwerk, sondern vom Marktwert bestimmt. Und der ist schwankend. Heute Baselitz, morgen Kiefer, der Unterschied zwischen grüner Kacke und blauer Kacke. Und der beste Intendant ist heute einer, der schwankend jede Meinung hat. Demokraten sind Gleichmacher. Sie halten alle für ihresgleichen und nur sich selbst für besser, heimlich. Ich weiß, von wem ich spreche, so etwas habe ich seit Jahrzehnten an meinem Theater studieren dürfen. Der Fisch stinkt vom Kopf her. Auch dieses Ergebnis meines Studiums ist nicht neu. Da fragt man sich schon, weshalb man so lange studiert, um am Ende das rauszukriegen, was man am Anfang schon gewußt hat. Nein! Das ist nicht wahr, etwas habe ich doch rausgekriegt: Es sind gar nicht die bösen Imperialisten, es sind die guten Intendanten, welche die Theater in Grund und Boden wirtschaften, indem sie die Rolle des Königs als Demokrat spielen. Hierin sind sie ihren Geldgebern ähnlich, die Wissen und Glauben auf das Schönste vereinen können: Sie wissen, Spenden ist steuergünstig, und glauben, Spenden ist nobel. Dieser Ablaßhandel befreit sie von der Seelenqual, sich darum kümmern zu müssen, was für ihr Geld geboten wird. So lassen sie den Spendennehmer, den armen Theaterleiter, allein. Allein in der Freiheit. Es scheint, daß Erich Honeckers dämlicher Spruch vom VIII. Parteitag der SED im Jahre 1971 »er kenne keine Tabus mehr«, womit er verriet, daß er keine Ahnung von Kunst hatte, heute volle Wirksamkeit erreicht hat. Unter diesen tabulosen Zuständen drehen die Intendanten, um Witterung aufzunehmen, »wohin geht der Trend?«, solange den Kopf um sich selbst, bis sie sich durch Dauerdrehen des Halses...


Eberhard Esche, 1933 in Leipzig geboren, Schauspieler, zunächst in Meiningen, Erfurt und Karl-Marx-Stadt, seit 1961 am Deutschen Theater in Berlin; dort in vielen großen Rollen (Lanzelot im Drachen, Amphitryon, Satanael in Adam und Eva, Seneca im gleichnamigen Stück von Hacks, Wallenstein) und als Rezitator in Solo-Programmen mit klassischen Texten. Esche spielte außerdem in bedeutenden DEFA-Filmen mit ("Spur der Steine"). Eberhard Esche starb am 15. Mai 2006 im Alter von 72 Jahren.



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