Ernst | Weihnachten hart + zart | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 190 Seiten

Ernst Weihnachten hart + zart

24 und eine Geschichte von acht Autoren
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-944459-63-9
Verlag: Bedey Media GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

24 und eine Geschichte von acht Autoren

E-Book, Deutsch, 190 Seiten

ISBN: 978-3-944459-63-9
Verlag: Bedey Media GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Weihnachten, das Fest der Liebe, ereilt uns alle Jahre wieder eher unverhofft. Eben noch war Juni. Dann ist es plötzlich da: Die geballte Innigkeit, der traute Kerzenschimmer, das 'Süßer die Glocken nie klingen', der Duft von Tannennadeln und Lebkuchen. Acht Autoren von Blut und Feder sind unterwegs zwischen Panik und Paranoia, Sodbrennen und Mitternachtsmesse, aber auch mittendrin im Zauber des Ereignisses. Es geht grotesk, besinnlich, tiefschürfend und schrill zu, mal hart, mal zart eben. In bester Tradition. 24 und eine Chance, selig durch den Wahnsinn von Adventskalender, Gabentisch und Weihnachtsgans zu segeln - hart und zart. Autoren der Schreibgruppe »Blut und Feder« in diesem Buch: Christoph Ernst - Dagmar Hecht - Jürgen Müller - Vera Rosenbusch - Irina Tegen - Petra Wilson - Olaf Wulf - Hilkka Zebothsen Illustrationen: Irina Tegen

CHRISTOPH ERNST wurde 1958 in Hamburg geboren, studierte in Hamburg und New York Geschichte. Später arbeitete er als Kulturmanager, Journalist und Dozent. Nach längerem Berlinabstecher kehrte er in seine Vaterstadt zurück und lebt heute in Hamburg und Klein Zecher. Neben Sachbuchtexten hat er Kurzgeschichten und mehrere Krimis veröffentlicht. Der NDR nahm seinen Krimi »Kein Tag für Helden« als zweiteiliges Hörspiel ins Programm. - Christoph Ernst ist der »Kopf« der Hamburger Autorengruppe »Blut und Feder«, die sich in den Anthologien »Hamburg hart und zart« und »Weihnachten hart und zart« mit Kurzgeschichten präsentieren. Die weiteren Autoren sind: Dagmar Hecht, Reinhard Jalowczarz, Jürgen Müller, Vera Rosenbusch, Irina Tegen, Petra Wilson, Olaf Wulf und Hilkka Zebothsen.

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Autoren/Hrsg.


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Transatlantische Fingerübung
Vera Rosenbusch   Heiligabendmorgen. Mutti öffnet das letzte Türchen ihres Adventskalenders. Sie zupft an einem Kunststoffbeutel. Seltsam?... Zwischen ihren Fingerspitzen eine dicke Plastikkante. Zugeschweißt. Länglich, hell und fleischig?... Ein Seehundbaby? Kann das sein? Sie dreht den Beutel. Was sind das für Flecken? Bräunlich, schorfig, krümelig ... rot ... Blut! Ein abgeschnittener Finger, eingeschweißt in Plastik! Sie taumelt, muss sich am Regal festhalten. Wer tut sowas? Sie schleppt sich zum Sofa. Weshalb im Adventskalender? Warum eingeschweißt? Sie lässt sich in die Kissen sinken. Und weshalb in ihrer Wohnung? Oder war er schon drin, als sie das Ding gekauft hat? Wo ist der Kassenbon? Oh Gott, Sybille! Ihre Tochter hat den gleichen. Wenn ich mir vorstelle, die arme Sybille findet so ein Ding oder eins von den Kindern. Ein Trauma fürs Leben. Jetzt erst merkt sie, dass sie noch immer auf den rot lackierten Nagel starrt. Sie erschrickt: Ist das nicht Femme Fatale No. 403?   Es begann mit einem Anruf aus Amerika. »Dieses Jahr bleiben wir unter uns«, sagt Sybille. »Die Kleine hat die Masern, und Bob braucht Ruhe nach dem Herzanfall. Deshalb feiern wir mal nur zu viert. Das verstehst du doch.« Mutti versteht: Sie will mich nicht. Seit 15 Jahren verbringe ich jedes Weihnachten bei meiner Lieblingstochter in Boston. Mache mich auf den weiten Weg, nehme die beschwerliche Reise auf mich. Und nun soll ich allein mit Rösele in Hamburg hocken, und KB hängt wieder nur an den Lippen seiner plauderwütigen Tante, die ohne Erbarmen drauflos schwadroniert. Ich sitze daneben und denke, jetzt zünden sie drüben die Kerzen an, jetzt kommt der Truthahn auf den Tisch?... Warum tut sie mir das an? Aber nicht mit ihr! Mutti schnappt sich die Monatskarte, rennt zur U-Bahn und tigert rachedurstig durch die Kaufhäuser der Innenstadt. Sie wird sie beschämen. Sie wird Sybille etwas schenken, dass sie an sie denken soll. Es klingelt an der Haustür, stellt sie sich vor, Sybille nimmt das Paket entgegen, reißt es auf, schaut hinein, begreift. Und schon kommen ihr die Tränen?...   In der Süßwarenabteilung stoppt sie. Auf breiten Tischen stapeln sich Adventskalender mit Schokoladenfüllung, groß und gewichtig wie Folianten. Üppig! Würdig! Königlich! Mit dem Handrücken streicht sie über die Kartons. Das isses! Andere Geschenke sind rasch ausgepackt. Mit einem Adventskalender ruft man sich 24 Türchen lang in süße Erinnerung. Gleich für alle Enkelkinder in Amerika. Der Kasten mit den goldenen Ranken hat es ihr besonders angetan. Purpur! Samt! Zinnober! Was für ein Rot! Genau das Richtige für Sybille. Dieses Rot ist anders als die aggressive Billigware auf dem Nebentisch. Eine Nuance nur, aber gerade darauf kommt es an. Kauf mich, ruft die Packung. Aber sie ruft, sie brüllt nicht. Manche Motive sind süßlich: das alte Haus im Schnee, der Nostalgie-Weihnachtsmarkt, der dicke Nikolaus im Schaukelstuhl. Süßlich vielleicht, doch nicht überzuckert. Die kleine Isabell glaubt zwar ebenso wenig an Santa Claus wie die Erwachsenen, aber sie liebt die gemütliche Opafigur. Der nachtblaue Nugatkarton mit den filigranen Ornamenten passt zu Jonathan, denn der mag kein Marzipan. Tag für Tag öffnen sie ein Türchen und fragen: Kommt Omi bald? In Boston ist alles Oberfläche. Amerikaner haben kein Verständnis für das feine ästhetische Plus, das den Großstadtmenschen davor bewahrt, im Lärm der Masse unterzugehen. Dies ist nicht Masse, sondern Vielfalt: Hinter jedem Türchen eine andere Süßigkeit. Welche, kann Mutti naturgemäß nicht sehen, aber schließlich ist es jedes Jahr das gleiche. Und es ist das gleiche wie in den Verkaufsaufstellern nebenan: rote Herzen in Zartbitterschokolade, kleine Marzipanbrote mit Ananas- und Orangengeschmack, Pasteten mit Krokant und Karamell, Teddys aus Marzipan, luftdicht eingeschweißt in Plastik. Seehundbabys? Sie erschrickt. Nackt und rosa wimmeln sie im Pappkasten. Zu Weihnachten? So etwas verscherbelt man im Sommer an Touristen aus dem Ruhrgebiet.   Mutti kauft vier Adventskalender. Drei für Sybille und die Kinder, einen für sich. Es bereitet große Mühe, sie nach USA zu schicken, wegen der amerikanischen Einfuhrbestimmungen. Drei Tage kostet es, bis sie die Voranmeldung der US Food and Drug Administration aufgestöbert und den Packen Formulare ausgefüllt hat. Mühe macht Rache doppelt süß.   Und heute, am Morgen des Heiligabend, steht Mutti vorm Adventskalender und starrt den Finger an, eingeschweißt in Plastik. Das hat sie nicht verdient. Hat Sybille es verdient? Wer tut sowas? Ist der Täter durchs Fenster in den dritten Stock geklettert? Wem gehört der Finger? Und weshalb im Adventskalender? Wo sie ihn finden muss – ausgerechnet am 24. Dezember.   »Ist das Femme Fatale No. 403?« Rösele steht neben ihr. Lange starrt sie auf den rot lackierten Nagel. Sie balanciert das Glied auf einem Topflappen, wiegt es hin und her, betrachtet es von allen Seiten. »Nagelverlängerung«, murmelt sie.   »Wenn man Weihnachten schon mal frei hat«, knurrt Kommissar Behrend, als seine Mutter ihn aus dem Schlaf rüttelt. Er schnappt sich den Finger und macht sich auf den Weg zum Gerichtsmediziner. Wenns der Fall erfordert, sogar vor dem Frühstück. Das Institut ist heute ja geschlossen, aber er kennt den Doktor. Der ist Frühaufsteher, und ihr Konstantin fährt zu ihm nach Hause. Immer besteht er darauf, dass alle ihn KB nennen. Für sie bleibt er Konstantin. Mutti und die Tante erwarten ihn am gedeckten Frühstückstisch. Auf einem Extrateller sein geliebtes Franzbrötchen. Weich, süß, klebrig und voll saftiger Rosinen. Es duftet nach Kindheit. »Der Zeigefinger einer alten Frau, sauber abgetrennt«, referiert der Kommissar das Schnellgutachten. Ein rascher Blick: Ihre sind noch dran. »Dass er einer Lebenden gehört, erkennt man an dem vielen Blut. Nach Verwesungsgrad muss er vor einer, maximal zwei Wochen in den Kalender gelangt sein. Genaueres nach gründlicher Untersuchung.« Wenn sie sich vorstellt: Eine Woche lang hing das Ding hier an der Wand. In ihrem Wohnzimmer. Mutti reicht ihrem Sohn die weiße Dose mit Orangenmarmelade. »Hm«, sagt Rösele, »gehen wir mal durch, wer zu Besuch war. Der Briefträger? Ein Paketbote? – Unwahrscheinlich. Die kommen ja bloß an die Eingangstür. Haben wir Handwerker gehabt?« »Der Klempner, der den kaputten Duschkopf ausgetauscht hat.« »Wann war das?« fragt KB amtlich. »Die Rechnung hab ich noch?... Am 17. Oktober.« »Also ein Einbrecher?« Mutti knabbert an einem Zwieback, denn der tote Finger ist ihr auf den Magen geschlagen, und spült mit Kamillentee nach. »Einbrecher stehlen etwas oder sie suchen etwas, das hätten wir bemerkt«, doziert Rösele und zieht die Nase kraus, wie sie es bei Miss Marple gesehen hat. Sie hat sich tief in ihre Heldin eingefühlt. »Also eine Drohne«, entscheidet Mutti. »Eine Drohne?«, brummt KB. »Hmmm??...«, murmelt Rösele. Ihre kleinen Augen funkeln. Sie liebt es ja, wenn die Fälle kniffelig sind. Sie öffnet die Vitrine und entnimmt ihr Lieblingsglas, wenig größer als ein Fingerhut. KB reicht ihr die Flasche. Sie schenkt ein. Zum Frühstück! Eine Dame im 81. Lebensjahr! Mit der Zungenspitze tippt sie in die gelbe Flüssigkeit. Das tut sie immer, wenn sie ins Erzählen kommt. Mein Tröpfchenritual nennt sie das. Ihr Konstantin trinkt Gott sei Dank nicht. Aber diese Süßigkeiten?... »Bei abgetrennten Gliedmaßen haben wir es in der Regel mit Erpressung zu tun«, brüstet sich die Tante. »Nehmen wir mal an, der Täter schneidet ihr den Finger ab, um seiner Lösegeldforderung Nachdruck zu verleihen. Der Adventskalender wäre durchaus ein geeignetes Versteck, denn im Wohnzimmer der Mutter eines Kriminalbeamten wird man als letztes suchen. Allerdings?...« Sie bemerkt KBs Blick. »Unwahrscheinlich?... Hm?... Ich weiß?... Andererseits?... Drohnen kann man heutzutage ja in jedem Kaufhaus kaufen. Hobbybastler sind erstaunlich ehrgeizig.« Mit der Zungenspitze tippt sie noch einen Tropfen Glenmorangie aus dem Miniglas. »Hm?...« »Ja, was denn?« »Hm?... Hmmm?... Immer dieses Hm und Whiskynippen. Wichtigtuerei. »Vielleicht ist der Täter ein verrückter Erfinder und Fabrikant von Einschweißgeräten, der beweisen möchte, wie lange sich ein abgeschnittener Finger in seiner Verpackung hält. Hübsche Idee?... Hmmmm?... Und dennoch?...«, schwadroniert Rösele, »gewöhnliche Verbrecher halte ich für unwahrscheinlich.« »Dass eine Drohne eine Bombe oder meinetwegen einen Finger fallen lässt, kann ich mir vorstellen«, stimmt KB ihr bei, »aber im Adventskalender deponieren?...«. »Wie könnte das Flugzeug unauffällig in unser Zimmer gelangt sein?«, überlegt Mutti. »Das ist einfach«, erklärt die Tante, »sie fliegt durchs Fenster, das zum Lüften offensteht. Das Kameraauge blickt umher, sucht, entdeckt den Adventskalender. Brauchbar, denkt der Mann am Joystick?...« »Wer sitzt am Joystick?« »Nun?... Da gibt es viele Möglichkeiten: Geheimdienste?... Chinesen, Russen, NSA, Terroristen vielleicht?... Mal angenommen, der Täter sitzt im Pentagon?... – Aber schauen wir uns erst einmal den Vorgang genau an: Die Drohne muss das vorgestanzte Türchen öffnen, die Schokolade rausholen und beiseiteschaffen, den Finger hineinbugsieren und den Kalender so verschließen, dass keiner etwas merkt?... Schwierig?... Nunja?... Eigentlich ausgeschlossen. Oder ist...



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