E-Book, Deutsch, 184 Seiten
Ernst / Jitschin / Dahl Organisation und Transformation sozialer Kanons
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7799-9135-9
Verlag: Julius Beltz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Texte zu Norbert Elias
E-Book, Deutsch, 184 Seiten
ISBN: 978-3-7799-9135-9
Verlag: Julius Beltz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Adrian Jitschin, Dr., ist Soziologe, Sozialhistoriker und im Vorstand der Norbert-Elias-Stiftung.
Autoren/Hrsg.
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Zivilisation und Entzivilisierung in Arbeitsveränderungsprozessen
Adele Bianco
Die folgende Abhandlung verfolgt zwei Ziele. In einem ersten Schritt soll aus dem Werk von Elias eine „Soziologie der Arbeit“1 abgeleitet, rekonstruiert und erweitert werden, obwohl er kein Arbeitssoziologe war. In einem zweiten Schritt schlagen wir vor, Elias’ Kategorien der Zivilisation und Entzivilisierung auf die Analyse der Veränderungen zu übertragen, die in den vergangenen drei Jahrzehnten die Arbeitswelt geprägt haben.
Im Folgenden wird zunächst dargelegt, bei welchen Gelegenheiten Elias das Thema Arbeit in seinen Schriften behandelt hat, wenn auch nicht als vorherrschendes Thema und auch nicht in kanonischer Form. Im Anschluss erfolgt eine Analyse, inwieweit sich die Konzepte der Zivilisation und Entzivilisierung auf die Arbeit anwenden lassen. Es wird sich zeigen, dass Elias’ theoretischer Beitrag Einsichten bietet, die eine Brücke zwischen der Vergangenheit und der Zukunft schlagen und uns sogar erlauben, von einer neuen Zivilisierung der Arbeitsbeziehungen zu sprechen (Goudsblom 1987).
1.Elias’ Schriften zur Arbeit
Elias’ Interesse am Thema Arbeit reicht weit zurück. Im Rahmen dieses Kapitels von Elias’ Werken lassen sich insbesondere drei Schriften identifizieren.
Die erste Schrift, die sich mit dem Thema „Arbeit“ befasst, ist die 1950 veröffentlichte Studie „Studies in the Genesis of the Naval Profession“. Diese wurde 2007 posthum unter dem Titel „Naval Profession“ erneut veröffentlicht.
Der zweite Fall, in dem sich Elias mit dem Thema Arbeit auseinandersetzt, geht auf die frühen 1960er Jahre in Leicester zurück, als Elias empirische Forschung zum Thema des Übergangs der jungen Generation von der Schule ins Berufsleben konzipierte und einrichtete.
Der dritte Fall, in dem Elias sich mit Arbeit – und spiegelbildlich mit Nicht-Arbeitsbedingungen wie Rentnern und Jugendlichen – befasst, ist Mitte der 1980er Jahre mit einem Artikel mit dem Titel „Einige Anmerkungen zum Problem der Arbeit“ (Elias 1984/2006).
In Bezug auf das erste Schriftstück, den 1950 veröffentlichten Aufsatz über den Marineberuf – und in dem daraus erstandenen Buch aus dem Jahr 2007 –, analysiert Elias einen doppelten Übergang. Der soziogenetische Übergang bezeichnet die Entstehung des Marineberufs als Ergebnis eines technischen Transformationsprozesses, der darauf abzielte, den wachsenden Schifffahrtsbedarf einer Großmacht wie England zu befriedigen. Der zweite Übergang, ein psychogenetischer, hat im Laufe der Zeit die in diesem Beruf Tätigen geprägt. Die Entwicklung ihrer Ausgangssituation sowie die schrittweise Anpassung an die neuen Erfordernisse der Schifffahrt sind wesentliche Merkmale dieser Entwicklung.
Dies implizierte, dass sich sowohl die aus dem Adel stammenden jungen Kadetten als auch die Seeleute handwerklicher Herkunft aneinander anpassen mussten, um die anfänglichen Schwierigkeiten der Interaktion aufgrund des Rangunterschieds zu überwinden. Erst im Laufe der Zeit vermochten diese beiden Komponenten zu verschmelzen, sodass sich der moderne Beruf des Seemanns herausbildete. Letzterer war komplexer geworden als das Handwerk, das die Knotenpunkte früher ausübte, und erforderte ein höheres Maß an Fachwissen. Der moderne Marineberuf erforderte entsprechend der technologischen Entwicklung der modernen Schifffahrt und um dem Anspruch der britischen Seemacht gerecht zu werden, die Meere zu beherrschen, größere technische Fähigkeiten, artikulierte kognitive und sogar relationale Fähigkeiten angesichts der sich entwickelnden internen Hierarchie innerhalb des Marineberufs (Elias 1964).
Im Rahmen des zweiten Schriftstücks, der empirischen Forschung zum Übergang von der Schule ins Berufsleben von Jugendlichen, die aufgrund von Problemen mit seinen jungen Mitarbeitern unvollendet blieb, beabsichtigte Elias, den Eintritt junger Menschen ins Erwachsenenleben und insbesondere ihre Integration in die Arbeitswelt zu analysieren.
Die von Goodwin und O’Connor (2015) vorgenommene Rekonstruktion des unveröffentlichten Materials dieser Forschung, welches sich im Deutschen Literaturarchiv in Marbach befindet, lässt eine Reihe von Themen erkennen, die auch heute noch von Interesse sind. Dazu zählt die Schwierigkeit der Wahl für junge Menschen beim Übergang von der Schule in den Beruf, das Risiko einer falschen Wahl, welche die Zukunft maßgeblich beeinflusst, sowie die Bedeutung von Bildung und Ausbildung für die persönliche Entwicklung. Die Beziehungen zur Familie sind im Allgemeinen nicht einfach, ebenso wie die Distanz zur Welt der Erwachsenen. Junge Menschen sind in dieser Hinsicht unerfahren und unvorbereitet, da keine zuständige soziale Institution sich darum kümmert, sie in dieser Hinsicht zu sozialisieren. Diese Forschung beinhaltet zudem eine erstmalige geschlechtsspezifische Analyse des Arbeitsmarktes. Die Untersuchung belegt, dass junge Frauen noch in den 1960er Jahren mit einer gewissen Zurückhaltung in den Arbeitsmarkt eintraten (Goodwin/O’Connor 2015).
Elias fokussiert sich weniger auf den Abschluss eines Übergangsprozesses, beispielsweise vom Schüler zum jungen Arbeitnehmer, sondern vielmehr auf den Übergangsprozess selbst. Dieser umfasst den Übergang eines Status zum anderen, die Wahrnehmung und das Erleben dieses Übergangs, die dabei auftretenden Schwierigkeiten sowie die damit einhergehenden Bewältigungsstrategien. Zudem wird die Verarbeitung der Veränderungen, die ein solcher Übergang mit sich bringt, sowie die psychologischen Aspekte beleuchtet (Bianco 2023).
Dieser Ansatz erweist sich auch heute noch als gültig und liefert wesentliche Schlüssel zur Interpretation der zahlreichen Probleme, mit denen junge Menschen im Prozess des Erwachsenwerdens nach wie vor konfrontiert sind. Dies ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass die Phasen des Übergangs vielfach die Form klarer Zäsuren annehmen.
Der dritte Beitrag von Elias zum Thema Arbeit stammt aus der Mitte der 1980er Jahre und wurde anlässlich eines Vortrags in den Niederlanden gehalten. Dieser wurde später unter dem Titel „Anmerkungen zum Problem der Arbeit“ (Elias 1984/2006) veröffentlicht. In diesem Papier legt Elias dar, dass in der heutigen Gesellschaft eine bestimmte Anzahl von Menschen nicht in einem Arbeitsverhältnis steht und dennoch nicht in Armut und Not lebt. Sozialpolitische Maßnahmen und Sozialhilfe ermöglichen älteren Menschen den Rückzug aus dem Arbeitsleben, während junge Menschen eine lange Ausbildungszeit durchlaufen. Für diejenigen, die ihren Arbeitsplatz verlieren, besteht die Garantie auf ein Einkommen. Dies belegt die Existenz einer wohlhabenden und großzügigen Gesellschaft, in der eine begrenzte Anzahl von Menschen ausreichend produziert, um einen wachsenden Teil der Bevölkerung inaktiv zu halten.
Diese positiven Aspekte sind jedoch nicht frei von einer Kehrseite. Aufgrund der langen und vielgliedrigen Bildungswege, die sie durchlaufen und von denen sie profitieren, streben die jüngeren Generationen nach hochwertigen Arbeitsplätzen, die auf dem Arbeitsmarkt jedoch nur schwer angeboten werden können (Elias 1984/2006, S. 508). Dies bedeutet, dass junge Menschen keine Beschäftigung finden, die ihrem persönlichen und beruflichen Profil entspricht und in Bezug auf Qualität und Bezahlung kongruent ist. Daher entscheiden sich diejenigen, die keine adäquate Beschäftigung finden, die ihren Fähigkeiten entspricht, für eine alternative Tätigkeit oder verbleiben arbeitslos.2
Die von Elias aufgeworfene Fragestellung ist Teil eines umfassenderen Wandels, der seit den 1970er Jahren in der Arbeitswelt zu beobachten ist. Diese Entwicklungen haben dazu geführt, dass es für junge Menschen mit hohen Bildungsabschlüssen selbst in den ...