Ermisch / Detering | Storm zum Vergnügen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

Reihe: Reclams Universal-Bibliothek

Ermisch / Detering Storm zum Vergnügen

Deutsch-Lektüre, Deutsche Klassiker der Literatur - 19203

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

Reihe: Reclams Universal-Bibliothek

ISBN: 978-3-15-961262-1
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



»Er war ganz bei der Sache, sang es mehr, als dass er es las«, so berichtet Theodor Fontane über eine Lesung des von ihm bewunderten Storm. »Während seine Augen wie die eines kleinen Hexenmeisters leuchteten, verfolgten sie uns doch zugleich«, um ermessen zu können, ob wir auch »von dem Halbgespenstischen gebannt, von dem Humoristischen erheitert werden«. Mit diesem kleinen Band der schönsten, heitersten, tiefsten Texte dieses Hexenmeisters, der rechtzeitig zu dessen 200. Geburtstag am 14. September erscheint, lässt sich solch ein Abend im Nachlesen wiedererleben.
Ermisch / Detering Storm zum Vergnügen jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


Humorist und Hexenmeister
Storm und Turgenjew haben als Stimmungskünstler und Meister der Erinnerungswehmut viel Ähnlichkeit miteinander. Doch fehlt bei Storm gänzlich, was Turgenjew von Gogol erbt: der Humor, die Komik … Thomas Mann, Notizbuch Schwermütig, todesnah, gemütskrank: Wer das große Porträt Theodor Storms liest, das sein Bewunderer Thomas Mann 1930 verfasste, sieht das Bild eines Melancholikers. Umgetrieben vom »tödlich Ausweglosen und Verhängnishaften« der Liebe, gefangen in uralt-heidnischem Geisterglauben und unheilbar krank vor Heimweh nach einer Heimat, die ihm doch immer schon verloren war, wird dieser Storm zum Dichter jener anbrechenden Moderne, in der ihn schon der siebzehnjährige Lübecker Gymnasiast Thomas Mann als Verwandten und Vorbild entdeckt; und Todesangst begleitet ihn sein Leben lang: »von dem Abgrund des Nichts wehte ein Schauder zu ihm hin«. Kaum zu glauben, dass es einem Verlag in den Sinn gekommen sein sollte, diesen Dichter im Jahr seines 200. Geburtstags einmal ausschließlich »zum Vergnügen« zu präsentieren. Wer hingegen das Porträt liest, das sein preußischer Bewunderer Theodor Fontane um 1895 verfasste, sieht und hört einen kunstvollen Vorleser von Gedichten und Erzähler von Märchen und Geschichten, der »kleine Mittel, die mitunter das Komische streiften, nicht verschmäht« habe, wenn es galt, eine literarisch verwöhnte Salongesellschaft in seinen Bann zu ziehen: »Ich sehe noch, wie wir um den großen, runden Tisch … herum saßen, die Damen bei ihrer Handarbeit, wir ›vom Fach‹ die Blicke erwartungsvoll auf Storm selbst gerichtet.« Der beginnt nun, ein Spukgedicht vorzutragen: Er war ganz bei der Sache, sang es mehr als dass er es las, und während seine Augen wie die eines kleinen Hexenmeisters leuchteten, verfolgten sie uns doch zugleich, um in jedem Augenblick das Maß und auch die Art der Wirkung bemessen zu können. Wir sollten von dem Halbgespenstischen gebannt, von dem Humoristischen erheitert, von dem Melodischen lächelnd eingewiegt werden – das alles wollte er auf unseren Gesichtern lesen, und ich glaube fast, dass ihm diese Genugtuung auch zu Teil wurde. Kaum zu glauben, dass es einem Verlag erst zur Zweihundertjahrfeier in den Sinn gekommen sein sollte, dieses Vergnügen an und mit Storm auch heutigen Lesern mitzuteilen. Der schwermütige Melancholiker und der verschmitzte Hexenmeister, zu dessen Zaubermitteln auch Humor und Komik gehören: Es sind zwei Seiten ein und desselben Dichters, die Fontane und Thomas Mann (der Fontanes Aufsatz kannte und ausdrücklich auf ihn verweist) hier genau komplementär hervorheben. Natürlich haben sie beide recht; und mit ebendiesem Recht sind denn auch beide Essays bestimmend für weite Teile der Storm’schen Wirkungsgeschichte geworden. Nur ist dabei die dunkle Seite immer stärker ins Bewusstsein, die helle, heitere, vergnügliche immer weiter ins Abseits und in Vergessenheit geraten: Allzu leicht ließen sich Heimweh und Verdüsterung einpassen ins einfache, mit starken Linien gezeichnete Bild des nordischen Dichters von nebliger Heide und Meeresrauschen, von Einsamkeit und Geisterspuk, das schließlich zum Klischee der Tourismuswerbung erstarrte. Liest man aber Thomas Manns präzise Beobachtungen zu Storms lebenslanger Neigung zum Geisterglauben zusammen mit Fontanes Erinnerungen an die mündlichen Erzählungen von ebendiesem Sujet, dann löst sich das Klischee wieder auf ins dreidimensionale Bild eines Zauberers, dem alles daran gelegen ist, seinen Zuhörern die Spannung eines reinen Erzählvergnügens zu bieten, ja dem dieses Erzählen selbst noch wichtiger ist als das düstere Weltverhältnis, dem es entsprungen ist. »Die volksheidnische Dichtersympathie Storms mit dem Spukhaften und Gespenstischen, dem er immer eine gewisse Realität zugesteht«, erkennt Thomas Mann als Ausdruck eines tiefen Misstrauens gegenüber Aufklärung und Fortschrittsoptimismus des 19. Jahrhunderts. »Denselben Abend«, erinnert sich Fontane, »erzählte er auch Spukgeschichten, was er ganz vorzüglich verstand, weil es immer klang, als würde das, was er vortrug, aus der Ferne von einer leisen Violine begleitet.« Das ansteckende Vergnügen am mündlichen Erzählen hatte zu der Welt gehört, in der Storm aufgewachsen war und als deren leibhaftige Verkörperung ihm, als er in seinen späten Jahren Kindheitserinnerungen aufzuschreiben begann, die Gestalt der Geschichtenerzählerin Lena Wies vor Augen stand. Den von ihr gewiesenen Spuren folgend, hat der Student Storm zusammen mit seinen Freunden Theodor und Tycho Mommsen, dann auch mit dem Kieler Germanisten Karl Müllenhoff angefangen, Sagen und Märchen aus den Herzogtümern Schleswig und Holstein zu sammeln, vom schaurigen Untergang der Insel Rungholt bis zu den heimlichen Geschäften der über- und unterirdischen Naturgeister. Und schon hier, in diesen knappen und kunstlosen Aufzeichnungen mündlicher Überlieferungen, gehen das Komische und das Unheimliche ineinander über. Das jahrelang und zunächst nur zum eigenen Gebrauch geführte Gespensterbuch, eine Fallsammlung von »Beiträgen zur Geschichte des Spuks«, knüpft an diese frühen Erfahrungen an. Aus dem einen wie aus dem anderen speisen sich bald schon die großen Novellen, bis hin zum Schimmelreiter; aber auch kleine Prosa-Zyklen wie die Geschichten aus der Tonne oder die Gespenstergeschichten Am Kamin zehren von diesem Vorrat. (Selbst der See, in dem der arme Bötjer Basch in der gleichnamigen Novelle von 1885/86 in den Tod gehen will, findet sich bereits in den frühen Sagen-Aufzeichnungen; es ist der »Brutsee«.) So muss man sich Storms erste Begegnung mit der witzig verspielten, die Naivität ironisch inszenierenden Erzählkunst Hans Christian Andersens wohl als eine Art freundlichen Wiedererkennens vorstellen. Denn auch Andersen hatte ja aus der mündlichen Überlieferung seiner dänischen Heimat nicht nur die Stoffe und Figuren, sondern auch die Tonfälle bezogen, die er von seinen ersten Märchen an im Medium der Schrift spielerisch wiederholte. Wie ein Echo dieser Märchen, zu deren frühen deutschen Lesern Storm gehörte, liest sich darum nicht zufällig die Geschichte vom Kleinen Häwelmann mit ihren spaßhaften Erzählerkommentaren und mit ihrer unauffälligen Kunst, das Erzählen für Kinder mit dem psychologisch scharfblickenden Erzählen über Kinder zu verbinden. Überhaupt ist der Autor des Häwelmann und des Pole Poppenspäler immer wieder ein Dichter für Kinder gewesen – oder vielmehr, um eine oft zitierte Bemerkung seines Vorbildes Andersen auf ihn selbst anzuwenden, »für Kinder, denen Erwachsene über die Schulter sehen«. Der Zauber von Storms Gedichten für und über Kinder, ihr warmherziger Humor und ihr Mitgefühl, verdanken sich wesentlich auch der lebendigen Erinnerung an das Kind, das er selbst einmal gewesen ist. Wie alles bei Storm, so hat auch dieses Heimweh nach der eigenen Kindheit eine dunkle, schmerzlich sehnsüchtige und eine helle, spielfreudige Seite (im Fall des Knecht-Ruprecht-Weihnachtsspiels, das er zuerst nur für seine eigenen Kinder schrieb und das hier auf den Seiten 61–63 nachzulesen ist, gilt das sogar ganz buchstäblich). Dabei verklären und vergolden seine Erinnerungen diese Lebenszeit keineswegs, aber sie schildern sie mit einer Liebe, die sich wie immer bei ihm – um nun wieder Thomas Mann zu Wort kommen zu lassen – »aufs Vergangene, Versunkene, Verlorene« richtet. Eben darum sind diese wunderbaren, viel zu selten gelesenen Prosastücke von Im Saal bis zur Erinnerung ans Katzen-Begräbnis so plastische Schilderungen nicht nur einer einzelnen Kindheit, sondern einer ganzen, versunkenen Lebenswelt. Zu ihr gehören stets die marginalisierten, als Außenseiter und Sonderlinge an den Rand der Kleinstadtgesellschaft gedrängten Existenzen, deren Schatten der erwachsene Storm auch deshalb aus der Vergangenheit heraufbeschwört und erzählend neu lebendig werden lässt, weil ihm das selbstgewisse Bürgertum der Gründerzeit zunehmend verdächtig wird. Seine ganze Sympathie gehört diesen Gestalten, und die zarte Komik, mit der er zuweilen von ihnen berichtet, zielt nicht darauf, sie zu verlachen, sondern vielmehr auf die Spannungen zwischen dem individuellen Eigensinn, den sie nicht aufgeben wollen oder können, und den sozialen Konventionen, in denen Leute wie sie eigentlich nicht vorgesehen sind – exaltierte Exzentriker wie der Amtschirurgus auf dem Dachboden ausgerechnet des Rathauses oder stille Existenzen wie eben Lena Wies, die altjüngferliche Marthe mit ihrer Uhr oder die beiden Kuchenesser, diese effeminierten Außenseiter und Junggesellen in einer Welt strikter Ehe- und Geschlechternormen. Überhaupt zeigt sich die dichterische Zauberkunst des Hexenmeisters keineswegs nur in humoristischer Milde, im leisen Violinenklang der Spuk- und dem Spaß der Kindergeschichten, sondern durchaus auch in einem satirischen Witz, der sich seinerseits, wie die Erzählungen, zunehmend nicht mehr nur aus bürgerlich-emanzipatorischer Sicht gegen eine überalterte Adelsherrschaft richtet, sondern ebenso gegen das allzu selbstgewiss herrschende Bürgertum selbst – und gegen das preußische Beamtentum, dem er wohl oder übel nun selber angehörte. Die Neigung zur Satire hat ihn lebenslang nur selten ganz verlassen, in politischer Hinsicht wie auch, in seinen letzten Versen, in der Ironie gegenüber sich selbst, dem ans Ende seines Lebens und Schreibens gelangten Künstler. Die Stimme...


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.