E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Erler Winter's Game
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-608-12420-0
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-608-12420-0
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
»Lukas Erler verbindet klassischen Krimi und Politthriller. So atemberaubend wie hochbrisant.« Nele Neuhaus
Jemand will die Frankfurter Rechtsanwältin Carla Winter tot sehen. In der Tiefgarage ihrer Kanzlei lauert ihr ein Auftragskiller auf. In letzter Sekunde kann sie entkommen. Doch schon kurz darauf wird sie Opfer eines weiteren Anschlags: Auf offener Straße wird ihr Auto gerammt und sie selbst schwer verletzt. Im Krankenhaus erreicht sie eine neue Todesbotschaft: ein Strauß schwarzer Dahlien. Die Todesblume. Gemeinsam mit ihrem jungen Mitarbeiter Ritchie, der mit seinem Schulsprecherlächeln jeden zum Reden bringt, setzt sich Carla Winter auf die Spur des Täters – und stößt dabei auf ein grausames Verbrechen.
DER NEUE THRILLER VON LUKAS ERLER FÄHRT IN DIE GLIEDER WIE EIN EISIGER WINDSTOSS.
Eigentlich ist die Frankfurter Rechtsanwältin Carla Winter nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen. Doch nachdem sie zweimal nur knapp einem Mordanschlag entkommen ist, liegen ihre Nerven blank. Als sie dann auch noch einen Strauß schwarzer Dahlien ins Krankenhaus geliefert bekommt, weiß sie: Jemand will sie um jeden Preis zum Schweigen bringen. Nur wer? Und warum? Carla Winter bleibt keine Zeit, darüber nachzudenken: Auf dem Krankenhausflur begegnet ihr eine Frau, die nach einem Schlag auf den Kopf unter einer seltenen Sprachstörung leidet. Sämtliche Gedanken und Wörter sind verdreht, doch scheint sie etwas über den Täter zu wissen. Nur was? Von einem Polizisten erfährt Winter, dass es sich wohl um den Drahtzieher eines international agierenden Menschenhändlerrings handelt. Er bittet sie bei den Ermittlungen um Hilfe. Ein Wunsch, den Carla Winter nicht abschlagen kann.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Vier
Carla drückt die Klinke herunter und tritt hinaus auf den Gang. Rechts befindet sich der Aufenthaltsraum des Pflegedienstes. Die Richtung scheidet also aus. Jetzt einer Nachtschwester über den Weg zu laufen und womöglich irgendwelche Fragen beantworten zu müssen, wäre sehr ungünstig. Also besser nach links den Flur hinunter. Vielleicht hat sie Glück und kann unbehelligt ein wenig herumwandern. Leise schließt sie die Tür hinter sich und lässt ihren Blick durch den endlos langen Korridor gleiten, von dem links und rechts die Patientenzimmer abgehen. Weiße Wände und Türen, blauer Linoleumfußboden, der unter ihren Füßen ein wenig nachzugeben scheint, an der Decke stark heruntergedimmte LED-Röhren, die ein mattes, schmuddeliges Licht abgeben. Carla holt tief Luft und spürt den vertrauten Schmerz im Brustkorb, der seit dem Crash jeden Atemzug begleitet. Die Pflegerinnen haben ihr empfohlen, möglichst flach zu atmen, aber sie hat das Gefühl, dass sie dabei einfach zu wenig Luft bekommt. Kann es sein, dass die Sauerstoffsättigung in ihrem Blut sich über den Tag verringert hat? Und dass sie dadurch so unruhig geworden ist? Es ist schon nach Mitternacht. Nachdem Moritz gegangen ist, hat sie ein paar Stunden geschlafen und ist dann aufgewacht, weil sie auf die Toilette musste. Danach hat sie sich bis 23:00 Uhr auf dem Tablet eine Dokumentation über Schwarzstörche angesehen, die so langweilig war, dass sie dabei eigentlich prima hätte wieder einschlafen müssen, aber so war es nicht. Stattdessen hat sie den Film bis zum Schluss geguckt, dann das Licht ausgeschaltet und vergeblich versucht, flach atmend zur Ruhe zu kommen. Doch an Schlaf ist nicht mehr zu denken gewesen. Alle psychischen Abwehrmechanismen, die sie bis zu diesem Punkt mobilisieren konnte, um zu verdrängen, was geschehen ist, und die Angst nicht an sich heranzulassen, haben gleichzeitig versagt, und unbarmherzig hat die Wahrheit, mit der Moritz sie konfrontiert hat, von ihrem Verstand Besitz ergriffen. Das war kein Unfall. Jemand hat versucht, dich in aller Öffentlichkeit umzubringen. In einer Endlosschleife zirkuliert dieser Gedanke seitdem durch ihren Kopf und weigert sich, irgendeinem anderen Platz zu machen. Sie hat angefangen zu schwitzen und am ganzen Körper zu zittern. Ihre Hand wollte nach dem Klingelknopf tasten, um den Pflegedienst zu rufen, aber sie hat sie zurückgezogen. Die Weißkittel würden ihr etwas spritzen, das ihr zwar einen tiefen Schlaf, aber auch einen vollkommenen Kontrollverlust bescheren würde. Das will Carla auf keinen Fall. Sie wird das allein in den Griff kriegen. Eine Stunde später hat sie kapituliert und überlegt, die Nachtschwester doch um ein Beruhigungsmittel zu bitten. Und dann ist ihr – wie aus dem Nichts – der Gedanke gekommen, dass es vielleicht gut wäre, sich ein bisschen zu bewegen. Irgendwie die Initiative zu ergreifen, ein wenig Kontrolle zurückzugewinnen und nicht länger wie ein hilfloses Wrack auf dem Rücken zu liegen. Ihr schießt ein Satz durch den Kopf, den ihre Schwester Ellen ihr vor Monaten entgegengeschleudert hat. Kontrolle war immer schon dein Ding. Und wenn schon! Warum soll sie nicht aufstehen? Sie ist nicht verpflichtet, die ganze Zeit in ihrem Zimmer zu verbringen, oder? Nacht hin oder her. Wenn sie leise ist und niemanden stört, kann sie auch auf den Gängen ein wenig … wandeln? Was für ein wunderbar altmodisches Wort. Wenn sie draußen eine junge Pflegerin träfe, die sie fragt, was zum Teufel sie hier macht, könnte sie es sogar einmal laut aussprechen. Ich wollte nur ein wenig … wandeln. Weil ich so eine gottverdammte Scheißangst habe. Vielleicht würde sie den zweiten Satz auch weglassen. Und dann könnte sie dabei zuschauen, wie die junge Dame sich eine patzige Antwort verkneift, weil sie wie alle anderen hier genau weiß, dass Carla mit dem Oberarzt der Neuro liiert ist. Verdammt schade, dass der jetzt nicht hier sein kann. Moritz ist jederzeit bereit, bei bescheuerten Blödeleien mitzumachen, und allein seine Anwesenheit würde Carla beruhigen. Je länger sie über einen kleinen nächtlichen Ausflug nachgedacht hat, desto vernünftiger ist ihr die Idee vorgekommen – und nun steht sie auf dem Gang und denkt ernsthaft darüber nach, ob sie nicht doch lieber zurück ins Bett soll. Was, wenn der Fußboden weiter nachgibt? Blödsinn, das hat sie sich eingebildet. Und einen einmal gefassten Plan einfach aufzugeben, nur weil sie ein wenig unsicher auf den Beinen ist, gehört nicht zu ihren Angewohnheiten. Sie stützt sich kurz mit der linken Hand an der Wand ab und setzt sich dann langsam, aber entschlossen in Bewegung. Schritt für Schritt, nur nichts übereilen. Der Moment der Schwäche geht vorüber, und Carla ist froh, dass sie sich zusammengerissen hat. Das funktioniert doch ganz gut. Wie weit soll sie gehen? Bis zum Ende des Ganges, der an einer Fahrstuhltür im rechten Winkel nach links abbiegt. Das sind vielleicht noch fünfzig Meter. Absolut zu schaffen. Sie bleibt stehen, macht eine kleine Pause und setzt dann wieder einen Fuß vor den anderen. Noch dreißig Meter. Ihr Kreislauf schlägt ein paar hübsche kleine Kapriolen, die sie noch einmal innehalten lassen. Dann die letzte Etappe. Die breite, metallisch glänzende Fahrstuhltür ist jetzt direkt vor ihr. Ein typischer Klinikaufzug, der auch für den Transport von Krankenhausbetten ausgelegt ist. Carla macht einen Schritt darauf zu, sieht ihr etwas verzerrtes Spiegelbild in der polierten Metalloberfläche und dann in einiger Entfernung hinter ihr etwas Rotes. Etwas Rotes, das dort definitiv nicht hingehört. Und dieses Rote löst eine Bildsequenz in Carlas Kopf aus, an die sie seit Jahrzehnten nicht mehr gedacht hat. Dann beginnt das Deckenlicht zu flackern, erlischt und springt eine Sekunde später wieder an. Sie fährt herum und holt so tief und hastig Luft, dass ihr ramponierter Brustkorb vor Schmerz zu explodieren droht. In dem nach links abzweigenden Gang steht auf dem blauen Linoleum eine mittelgroße Gestalt in einem leuchtend roten Kapuzen-Cape, das Carla an den gruseligsten Film erinnert, den sie jemals gesehen hat. Sie versucht, sich zusammenzureißen, lässt die Luft langsam und kontrolliert entweichen, was ebenfalls verdammt wehtut, und zwingt sich, noch einmal hinzusehen. Vor ihr steht eine schlanke Frau in mittleren Jahren. Sie trägt einen roten Bademantel mit Kapuze, der ihre schmale Gestalt wie eine etwas zu große Mönchskutte umschließt. Unter der Kapuze lugen ein paar schwarze Haarbüschel hervor, und die Füße der Frau stecken in ebenfalls roten halbhohen Filzstiefeln. »Ui, jui, jui«, sagt die Frau und lächelt zaghaft. Auch Carla bringt so etwas wie ein Lächeln zustande. »Sie haben mich zu Tode erschreckt. Was machen Sie hier? Konnten Sie auch nicht schlafen?« Die Frau nickt. »Was soll ich sagen … ui, jui, jui, kein Schwein und dann zack – könn’se sich vielleicht vorstellen. Eins und zwei und drei und vier. Und ich kein Telefon.« Die Frau begleitet ihre Worte mit lebhafter Gestik und Mimik, die unterstreichen, dass sie von einer schwierigen Lage berichtet, in der sie sich womöglich befunden hat. Eine Verrückte! Das hat ihr gerade noch gefehlt. Carla schüttelt entnervt den Kopf. »Es tut mir leid, ich verstehe nicht, was Sie sagen.« Carlas hilfloser Gesichtsausdruck scheint die Frau zu ärgern, denn ihr Tonfall wird ein wenig schriller. »Der weiße König in dem Drahtverhau, ui, jui, jui … ich ins Lad, ins Bad, ins Rad und zack, könn’se sich vielleicht vorstellen. Eins und zwei und drei und vier.« Sie wackelt heftig und angewidert mit dem Kopf. Carla entdeckt hinter der Frau eine weißgekleidete Gestalt, die mit großen Schritten und wehendem Kittel über den Gang auf sie zueilt, und winkt erleichtert. Es ist Moritz. Er winkt zurück und begrüßt Carla und ihre Gesprächspartnerin mit einem freundlichen Lächeln. »Guten Abend, die Damen. Sie sind ja ganz schön spät noch unterwegs. Und Sie, Frau …« Moritz zieht sein Handy aus der Kitteltasche und liest den Namen vom Display ab. »Frau Yannakakis, Sie sind ziemlich weit weg von Ihrer Station.« Er drückt eine Kurzwahltaste. »Ja, ich habe Frau Yannakakis getroffen. Auf der II. Ich schick sie euch hoch.« Er lässt das Telefon wieder verschwinden und lächelt die Patientin an. »Die Kolleginnen von der VI suchen Sie schon. Finden Sie allein dorthin zurück?« »Natürlich! Denken Sie, ich bin nicht richtig im Kopf, ui, jui, jui und dann zack?« Sie geht würdevoll an Carla vorbei zum Fahrstuhl, steigt ein und die glänzende Tür schließt sich hinter ihr. »Großer Gott, das war jetzt heftig.« Carla atmet lange und hörbar aus. »Die hat mir einen Wahnsinnsschrecken eingejagt. Ich habe mein Spiegelbild in der Fahrstuhltür gesehen und auf einmal stand sie wie hingetupft mitten im Gang. Eine blutrote Gestalt, ein paar Meter hinter mir. Wie in dem Film, Wenn die Gondeln Trauer tragen. Kennst du den? Ein Klassiker! Schon sehr alt, aber immer noch verdammt gruselig.« Moritz nickt. »Die zwergenhafte Kreatur im roten Kapuzen-Cape, die Donald Sutherland am Ende die Kehle … dein Nervenkostüm ist ganz schön angeschlagen.« »Ja, halt mich mal ein bisschen.« Moritz legt vorsichtig einen Arm um sie und gemeinsam machen sie sich auf den Rückweg zu Carlas Zimmer. »Was ist mit der Frau? Ist sie geisteskrank?« »Nein, sie hat eine Wernicke-Aphasie. Eine neurologisch bedingte Störung des Sprachsystems. Ihre Gedankengänge sind ziemlich klar – soweit man das beurteilen kann.« »Kann man denn Denken und Sprache so trennen?« »Die Neurolinguisten behaupten...