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E-Book

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Reihe: Romane im GMEINER-Verlag

Erle Der geheime Wert der Zeit

Roman
2024
ISBN: 978-3-7349-3126-0
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Roman

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Reihe: Romane im GMEINER-Verlag

ISBN: 978-3-7349-3126-0
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Auf der Suche nach der ältesten Uhr aus dem Schwarzwald erfährt der reiche Fabrikantensohn und Müßiggänger Friedrich Karmann, dass im Leben mit Geld nicht alles zu erreichen ist. Der Besitzer der Uhr, ein knorriger Bauer auf einem einsamen Hof, stellt ihm stattdessen drei seltsame Aufgaben, die er lösen soll. Nach der Begegnung mit seiner bisher unbekannten Schwester wird Karmann mit einem Schicksal konfrontiert, das ihn dazu bringt, all seine bisherigen Überzeugungen vom Sinn des Lebens anzuzweifeln.

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Kapitel 3:
Im Uhrenmuseum
Geduldig brummte der Jaguar die vielen eng aufeinanderfolgenden Kurven nach oben. Es war wenig Verkehr. Karmann konnte entspannt die atemberaubenden Ausblicke genießen, die sich ihm boten, je weiter er sich den Berg hinaufschraubte. Tief hängende Wolken verfingen sich in der Kulisse der Tannen im oberen Ausläufer des Tales, ab und zu unterbrochen vom Flug eines der Greifvögel, die hier oben ihr Zuhause hatten. Karmann hatte die Straße über das Simonswälder Tal gewählt. Er hatte Zeit und nahm die geringfügig weitere Strecke gerne in Kauf. Er kam jedes Mal aufs Neue ins Staunen, wie sehr sich die Landschaft auf wenigen Kilometern drastisch änderte. Von der Rheinebene um Freiburg durch die Enge der Schwarzwaldtäler bis hinauf zu den Berghängen, wo sich die Straße bis fast auf 1.000 Meter Höhe emporwand, überraschte ihn jede Kurve, jeder Kilometer mit neuen Ausblicken. Wenn im Tal im Frühjahr Krokusse, Forsythien und Osterglocken blühten, konnte es sein, dass er auf den Höhen von plötzlichem Nebel oder Schneefall überrascht wurde. Die Jahreszeiten türmten sich übereinander wie Sehnsüchte und Erinnerungen. Das Bewusstsein durchstreifte die unterschiedlichen Höhenlagen wie ein Regal, in dem die Bücher übereinandergestapelt darauf warteten, der Reihe nach aufgeschlagen zu werden. Karmann hatte Kurt Steinhuber vor sieben Jahren kennengelernt. Im Freiburger Augustinermuseum hatte es eine Ausstellung über Schwarzwaldmaler gegeben. Beide waren länger als gewöhnlich vor einem Bild von Karl Hauptmann stehen geblieben. Ihr kurzes Gespräch hatten sie in einem der Altstadtcafés fortgeführt und dabei neben der Liebe zum Schwarzwald weitere Gemeinsamkeiten entdeckt. Als Steinhuber von Karmanns Uhrenleidenschaft hörte, hatte er ihn eingeladen, ihn an seinem Arbeitsplatz im Furtwanger Uhrenmuseum zu besuchen. Seither waren sie in losem Kontakt geblieben, Steinhuber hatte Karmann mehr als einmal einen wertvollen Tipp für dessen eigene Sammlung gegeben. Als Karmann ihn dieses Mal anrief, war er sofort bereit, ihn am Nachmittag in seinem Büro zu empfangen. Kurz hinter Gütenbach stieß Karmann auf die B500, die bestens ausgebaute Bundesstraße, die sich von Waldshut am Hochrhein über die Kämme des Hochschwarzwalds bis Baden-Baden zog. Von hier aus waren es nur noch wenige Kilometer bis Furtwangen, seinem Ziel. Vom Parkplatz aus bis zum Haupteingang des Deutschen Uhrenmuseums waren es ein paar Schritte. Heute war Ruhetag, die Tür wie erwartet abgeschlossen. Karmann läutete, und Steinhuber empfing ihn. »Was treibt dich in die Provinz?«, fragte Steinhuber, nachdem er Karmann in sein Büro geführt und beiden einen Kaffee mit seiner modernen Siebträgermaschine aufgebrüht hatte. Karmann nahm einen vorsichtigen Schluck. Obwohl er Teetrinker war, genoss er von Zeit zu Zeit das kräftige Aroma eines gut zubereiteten Kaffees. »Leicester«, gab er vielsagend zur Antwort, »die Uhrenmesse.« Er zog seine Brieftasche aus dem Jackett, griff hinein und legte den Zettel auf den Tisch, den er von Jake bekommen hatte. Steinhuber nahm ihn auf. »Mathieshof«. Er runzelte die Stirn. »Was soll das heißen?« Karmann kannte sein Gegenüber so gut, dass er wusste, wie er es anstellen musste, ihn zu interessieren. Er wusste, dass sie Konkurrenten sein würden, doch er musste es da­rauf ankommen lassen. »Die älteste Uhr im Schwarzwald«, gab er vielsagend zur Antwort. »Was weißt du darüber?« Steinhuber antwortete nicht sofort. Er setzte sich in einen der beiden ausladenden Ledersessel und zündete sich eine Zigarette an. Nach den ersten Zügen räusperte er sich. »Die älteste Uhr im Schwarzwald?« Er gab sich Mühe, seine Stimme beherrscht klingen zu lassen. Karmann nickte. »So habe ich es gehört.« »Woher weißt du das?« Karmann erzählte mit wenigen Worten von der Begegnung mit Jake. »Er meinte, er würde das mir überlassen.« »Überlassen? Was meinst du damit?« Karmann spürte, dass er ihn an der Angel hatte. Er war sich sicher, dass Steinhuber längst etwas ahnte. Dennoch gab er sich vertrauensselig. Er berichtete von dem wenigen, was er von dem Amerikaner mitbekommen hatte. »Am Ende überließ er mir, ob ich weiter nachforschen wollte. In alter Freundschaft. Außerdem sei es für ihn zu mühsam. Was meinst du, ist das Ganze ernst zu nehmen?« Wieder gab Steinhuber zunächst keine Antwort. »Du weißt, dass die älteste bekannte Schwarzwalduhr seit ein paar Jahren bei uns im Museum aufbewahrt wird? Allerdings …« Er nahm einen weiteren Zug und drückte dann die Zigarette aus. »Allerdings?« »Ich habe lange darüber nachgeforscht. Die Ursprünge liegen im Dunkel. Irgendwann im 17. Jahrhundert, irgendwo hier in der Gegend wurde die erste Uhr gefertigt. Es gibt sogar Vermutungen, auf welchem Hof das war. Aber ob es eine noch ältere als unsere gibt, ist nicht bekannt. Es wäre eine Sensation.« »Sensation?« Karmann verbarg geschickt seine Neugier. »Was könnte Jake damit gemeint haben?« »Nun ja, das liegt auf der Hand. Wenn authentische Stücke aus jener Zeit auftauchen, müssten viele Einschätzungen und Bewertungen geändert werden.« Karmann ahnte, was folgen würde. Steinhuber sah sich als absoluten Kenner auf seinem Gebiet. Er liebte es, mit seinem profunden Wissen das jeweilige Gegenüber zu beeindrucken. Wie befürchtet, setzte er zu einem seiner ausschweifenden Monologe an. »Die Geschichte des Uhrmacherhandwerks im Schwarzwald, wie wir sie kennen, reicht zurück bis in die Zeit …« Karmann kannte Steinhuber gut, er wusste, dass er ihn zunächst einmal gewähren lassen musste. Obwohl Steinhuber keine besondere Ausbildung besaß, war er im Laufe der Jahre in eine der führenden Positionen hineingewachsen und sah sich als Koryphäe bei allem, was das Deutsche Uhrenmuseum betraf. Sein Maschinenbauingenieurstudium half ihm zumindest so weit, dass er in technischen Fragen gerne als Fachmann hinzugezogen wurde. Da er außerdem ein ungewöhnlich gutes kaufmännisches Geschick besaß, war seine Position unangefochten. Das historische und vor allem das folkloristische Drumherum, das vor allem im Schwarzwald bei den Besuchern von besonderer Bedeutung war, hatte er sich zum größten Teil angelesen. Das, was er wusste, genügte, so lange er keine Führungen leiten musste. »Aber was ist nun mit dieser historischen Uhr?« Karmann, der seine Neugier kaum zügeln konnte, unterbrach den Redefluss seines Gegenübers. »Hast du nun eine Vermutung oder nicht? Eine konkrete Spur?« »Wie man’s nimmt.« Steinhuber zog ein nachdenkliches Gesicht. Karmann sah auf. »Das heißt, du kennst den Namen?« Steinhuber nickte. »Der Mathieshof bei Eisenbach. Das Gerücht, dass der Thomabauer eine uralte Uhr in seinem Besitz habe, gibt es schon länger.« »Gerücht?« »Ich habe es per Zufall aufgeschnappt, als ich mit Volker Mayer, einem unserer Stammbesucher, ins Gespräch kam. Wir hatten uns über die Schwierigkeit unterhalten, die Ursprünge der ersten Schwarzwalduhren zu rekon­struieren. In den alten Kirchenaufzeichnungen der Patres ist einiges zu finden, bis hin zu Namen von Uhrmachern. Im Museum haben wir sogar ein paar schöne Exemplare. Aber das ist letztlich ziemlich vage. Die Gelehrten streiten sich seit Jahrzehnten darüber.« »Und dieser Mayer, was wusste der?« »Er selbst hatte sie nicht gesehen. Aber du weißt ja, wie das ist. Über drei Ecken, der Freund eines Freundes. Auf jeden Fall kam von ihm der Hinweis auf den Mathieshof.« Karmanns Spannung stieg. »Und dann?« »Ich war sogar dort, höchstpersönlich. Ein Hof, ziemlich abgelegen, keine Nachbarn in der Nähe. Ich habe versucht, Thoma zu überzeugen, die Uhr an das Museum zu verkaufen, richtiggehend bekniet habe ich ihn. Versucht, ihn von der kunsthistorischen Bedeutung zu überzeugen. Und einen schönen Batzen Geld obendrein habe ich ihm geboten. Ich bin bis zur oberen Schmerzgrenze unseres Etats gegangen.« »Und?« »Keine Chance. Er war höflich, hat sich alles in Ruhe angehört und dann alles abgelehnt. ›Die Uhr bleibt, wo sie ist‹, mehr hat er nicht gesagt.« »Aber gesehen hast du sie doch? Wie sieht sie aus? Ist sie gut erhalten?« Karmann konnte sich kaum mehr halten und war aufgesprungen. Steinhuber stieß ein kurzes, sarkastisches Lachen aus. »Nicht einmal gezeigt hat er sie mir. Auch kein Foto, nichts. Daher kann ich bis heute nicht mit Gewissheit sagen, dass es die Uhr überhaupt gibt.« Karmann trat ans Fenster und sah hinaus. Auf dem leeren Parkplatz trieb der Wind die Blätter vor sich her. »Was glaubst du?« Steinhuber zündete sich erneut eine Zigarette an. Nach dem ersten hastigen Zug trat er neben Karmann. »Ich weiß es nicht. Ich müsste die Uhr sehen. Ich müsste sie von einem unserer Experten begutachten lassen.« »Also glaubst du doch daran?« Steinhuber verzog das Gesicht. »Diesem Thoma ist alles zuzutrauen. Dass er das Ganze erfunden hat, glaube ich nicht. Was hätte er davon? Die Frage ist, ob die Uhr, die er hat, tatsächlich einen Wert hat.« Karmann ging zurück zum Schreibtisch und sank in den Ledersessel. »Hast du es noch einmal versucht?« »Nicht nur einmal. Ich habe sogar meine Kollegin hingeschickt in der Hoffnung, dass er sich einer Frau gegenüber höflicher zeigen würde. Nichts.« Steinhuber wirkte sichtlich aufgebracht. »Sogar gedroht habe ich ihm damit, die Uhr offiziell beschlagnahmen zu lassen. ›Schutz regionalen...


Erle, Thomas
Thomas Erle, 1952 in Schwetzingen geboren, verbrachte Kindheit und Jugend in Nordbaden. Nach dem Studium in Heidelberg zog es ihn auf der Suche nach Menschen und Erlebnissen rund um die Welt. Es folgten 30 Jahre Tätigkeit als Lehrer, in den letzten Jahren als Inklusionspädagoge. Parallel dazu entfaltete er ein vielfältiges künstlerisches Schaffen als Musiker und Schriftsteller. Seit Ende der 90er Jahre verfasste er zahlreiche Kurzgeschichten, von denen die erste 2000 veröffentlicht wurde. 2008 erschien sein erster Kurzkrimi. 2010 gehörte er zu den Preisträgern beim Freiburger Krimipreis, 2011 folgte die Nominierung zum Agatha-Christie-Krimipreis.
Thomas Erle ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt am Rande des Schwarzwalds bei Freiburg.



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