Erle | Das Lied der Wächter - Der Gesang | E-Book | www2.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 2, 445 Seiten

Reihe: Das Lied der Wächter

Erle Das Lied der Wächter - Der Gesang

Roman
2019
ISBN: 978-3-8392-5890-3
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Roman

E-Book, Deutsch, Band 2, 445 Seiten

Reihe: Das Lied der Wächter

ISBN: 978-3-8392-5890-3
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Auch 16 Jahre nach dem verheerenden Atomunfall gilt der Schwarzwald als verstrahlt und unbewohnbar. Auf der Suche nach seinen seit der Katastrophe verschollenen Eltern dringt Felix immer tiefer in das Sperrgebiet vor. Er trifft auf Gutes und Bedrohliches und lernt auch mit dem ihm Unverständlichen umzugehen. Doch nicht nur die Natur, sondern auch die Menschen haben sich völlig verändert. Immer wieder begegnet Felix dem unheimlichen Gesang, einer Kraft, die niemand erklären kann, und die alles Leben bedroht ...

Thomas Erle verbrachte Kindheit und Jugend in Nordbaden. Nach dem Studium in Heidelberg zog es ihn auf der Suche nach Menschen und Erlebnissen rund um die Welt. Es folgten 30 Jahre Tätigkeit als Lehrer. Seit über 20 Jahren lebt und arbeitet der erfolgreiche Autor im Schwarzwald, den er in seiner Freizeit mit Vorliebe erkundet. www.thomas-erle.de
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5. Kapitel


Felix’ Herz war schwer. Ob er sie jemals wiedersehen würde? Eine Weile blickte Felix ihr hinterher. Erst ein energischer Stupser in seiner Kniekehle riss ihn aus seinen Gedanken und erinnerte ihn daran, dass er nicht alleine war. Leo sah ihn erwartungsvoll an. Felix strich ihm mit der Hand über den Kopf. »Ist schon recht. Es muss weitergehen. Ich freue mich, dass du bei mir bist!«

Leo bellte kurz auf, dann sprang er davon. Noch einmal sah Felix nach oben. Der Himmel war unverändert wolkenlos, doch er wollte keine Zeit mehr verstreichen lassen. Er nahm sein Gepäck auf und stapfte hinterher. Der Bach schlängelte sich vor ihm in unregelmäßigen Windungen durch den Wald. Am Rande des Wassers wechselten sich niedrige Schwarzerlen ab mit Weiden, deren überhängende Zweige wie gelbgrüne Schnüre herunterhingen. In einigem Abstand dahinter folgte der Saum des Waldes, der sich sanft ansteigend zu beiden Seiten nach oben zog. Schon nach kurzer Zeit wurde Felix deutlich, welch große Hilfe ihm sein Begleiter war. Vor allem an Stellen, an denen Felix im dichten Grün keine Anzeichen eines Pfades erkennen konnte, führte ihn Leo mit erstaunlicher Sicherheit auf den richtigen Weg. Kein einziges Mal geriet er in sumpfiges Gelände.

Nach etwa einer Stunde kam Felix an die Stelle, an der ihn Josef und Joana gefunden hatten. Obwohl es hell war und das Gras sich längst aufgerichtet hatte, erkannte er den umgestürzten Weidenbaum sofort. In dem Ast darüber steckte noch der Rest des niedergebrannten Kienspans. Wie zum allerletzten Abschied legte Felix kurz seine Hand auf die faltige Rinde, an der sie gesessen hatten. »Ich will«, flüsterte er. Dann riss er sich los und ging weiter.

Vor dem Bach, der aus dem Wald von der Seite hereinfloss, blieb Leo stehen und lief dann suchend rasch nach links und rechts. »Dieses Mal ist meine Erinnerung besser als deine Nase«, lachte Felix, als er über die Steine auf die andere Seite balancierte. Leo folgte ihm in großen Sprüngen. Das Wasser, das er abbekam, schien ihm wenig zu gefallen. Auf der anderen Seite schüttelte er sich ausgiebig und leckte seine Pfoten.

»Wasserscheu?«, grinste Felix, obgleich er wusste, dass Leo nichts anderes tat als alle übrigen Hunde der Welt auch. »Na komm!«

Hinter einem Gehölz junger Tannen öffnete sich das Tal. Zur Linken trat der Wald nun deutlich zurück, während der Bach unter den Bäumen auf der rechten Seite weiterfloss. Felix hielt sich weiter an die Richtung, die der Bach vorgab. So wie es Josef vorausgesagt hatte, stieß er ein paar Hundert Meter weiter auf einen befestigten Weg. Obwohl der Wald sich das meiste schon zurückgeholt hatte, waren die ehemals ausgefahrenen Reifenspuren noch gut zu erkennen. Ein verwittertes Hinweisschild an einer Abzweigung nur wenige Schritte weiter gab Felix Auskunft. »Raimartihof«, las er. Zum Titisee ging es in die entgegengesetzte Richtung. Die Abzweigung wies nach Bärental. Felix durchzuckte es für einen Moment, als er den Namen las. Er musste vorsichtig sein.

Felix nahm den Rucksack herunter und holte das Blatt mit Josefs Skizze heraus. Die gestrichelte Linie, der er folgen sollte, führte zu seiner Beruhigung deutlich an Bärental vorbei. Ein Stück weiter auf der Zeichnung wies ein Pfeil auf das Wort »Straße«. Er nickte. Bis zum Titisee war es noch ein gutes Stück. Doch wenn er es richtig las, musste er von hier aus einfach geradeaus weitergehen. Der Waldweg war zu anderen Zeiten anscheinend viel benutzt worden. Er war zu großen Teilen geschottert, sodass sich der Bewuchs in Grenzen hielt und Felix gut vorwärtskam. Nach etwa einer halben Stunde stieß Felix auf eine Schranke. Sie stand offen, der Anstrich war abgeblättert, dicke Roststellen hatten sich ausgebreitet.

»Kein Durchgang«, las Felix auf dem Schild, das an der Seite herunterbaumelte. »Nur für Wald- und Forstarbeiten und Pensionsgäste des Raimartihofes.« Direkt dahinter öffnete sich eine größere Lichtung, auf der etliche junge Fichten und Birken wucherten. Unter dem Schild »Waldparkplatz« stand ein Auto.

Seit er in dem Sperrgebiet unterwegs war, hatte er nur ganz selten ein Auto gesehen. Anscheinend war damals in der Kürze der Zeit jedes verfügbare Fahrzeug zu Flucht und Evakuierung genutzt worden. Felix trat neugierig näher. Die Scheiben waren beschlagen und mit Moos und Flechten bewachsen. Das Innere war leer. Vielleicht hatten es die Besitzer dieses Wagens nicht mehr geschafft und waren irgendwo im Wald zurückgeblieben.

Felix lief ein Schauer über den Rücken. Auch seine Eltern waren damals auf einer Wandertour unterwegs gewesen. Er tastete unwillkürlich zu dem Silberschiffchen, das an seinem Hals hing. Noch immer wusste er nicht, woher der Händler den Anhänger hatte. Ob er ihn irgendwo in einem verlassenen Auto gefunden hatte? Am Hals einer jungen Frau, die es nicht mehr rechtzeitig geschafft hatte, dem Verderben zu entkommen? Felix wischte energisch die Vorstellung zur Seite. Er durfte sich gar nicht erst den düsteren Gedanken hingeben. Stattdessen schritt er entschlossen weiter. Ein Auto war gleichbedeutend mit einer nahen Straße. Und auf die musste er bald stoßen.

Schon bald darauf sah sich Felix in seiner Vermutung bestätigt. Am Ende eines kleinen Anstiegs öffnete sich der Wald, und er stand am Rand einer Straße. Sie wand sich in einer engen Kurve aus dem Tal herauf, führte nach rechts weiter den Berg hoch und verlor sich dann aus seinem Blickfeld. Zur Talseite war sie mit Leitplanken befestigt. Von der Einmündung aus, in der Felix stand, sah er von Weitem ein paar vereinzelt stehende Häuser. Doch er sah noch etwas anderes. Er erschrak, als er das Ortsschild las: »Bärental – Gemeinde Feldberg«.

Er musste sich beherrschen, nicht sofort in die andere Richtung zu laufen. Wie konnte das sein? Er musste sich irgendwo unterwegs verlaufen haben.

»Noch heute sind die Bilder in mir …« Joanas Stimme klang in seinen Ohren. Wenn er nur wüsste, was dort oben war! Gespannt sah sich Felix um und lauschte. Ein paar Krähen flogen über ihn hinweg, aus dem Wald hinter ihnen krächzte ein Eichelhäher. Nichts Außergewöhnliches. Trotzdem blieb er vorsichtig. Am Himmel waren inzwischen Wolken aufgezogen. Es sah so aus, als habe Chiara mit ihrer Vorhersage recht gehabt. Felix war klar, dass er hier nicht bleiben konnte. Er war viel zu nahe an dem Ort, den er unbedingt vermeiden wollte. Und es würde bald regnen. Sollte er zurück in den Wald gehen und die verpasste Abzweigung suchen? Er wusste noch nicht einmal, wo diese gewesen sein könnte. Die Straße entlang aus dem Ort hinaus? Felix kramte erneut die Skizze heraus. Der Weg, den Josef ihm vorgegeben hatte, führte ein gutes Stück an Bärental vorbei in Richtung Titisee. Von einer Straße hatte er nichts gesagt, sondern ihm lediglich den Rat gegeben, wann immer es ging, sich am Rande des Seebachs zu halten. Ein plötzlich aufziehender Windstoß drängte ihn zur Entscheidung. Er steckte die Karte wieder ein, holte stattdessen sein Rindenstück heraus und wandte sich nach links. Nur weg von diesem Ort. Er wollte sehen, in welche Richtung die Straße weiterführte. Die Farben in seiner Hand leuchteten ruhig und kräftig. Leo sprang bereits voraus, als wisse er, wohin es weiterging. Nach einer Rechtskurve führte die Straße an einer Reihe Hinweisschilder für Ferienwohnungen vorbei. Auf der gegenüberliegenden Seite stand ein altes Gasthaus mit einem großen goldenen Schild über verschlossenen Fensterläden.

Nach einem kurzen Waldstück und einer Lichtung mit ein paar weiteren Häusern fand sich Felix am Ende eines schmalen Tales wieder. Die Straße hielt sich an der linken Seite, direkt dahinter begann der Wald. Auf der gegenüberliegenden Talseite trat der Bach hervor, der Felix zu Beginn seines Weges begleitet hatte. Ein dunkles Band von Bäumen und Büschen zeichnete seine Windungen im hellen Grün des Talbodens nach. Der Hang dahinter war deutlich steiler als auf Felix’ Seite. Er erinnerte sich, wie mühsam es gewesen war, als er nach seinem Abstieg im Höllental versuchte, dem Bachlauf zu folgen. Daher entschloss er sich, auf der Straße zu bleiben, solange sein Wegweiser keine besonderen Auffälligkeiten zeigte. Dennoch kam er nur langsam voran. Große Teile der früheren Asphaltdecke waren von Erde, Steinen und Schlamm überdeckt. An anderen Stellen war der Belag vom Frost aufgebrochen. Junge Bäume, Büsche und das allgegenwärtige Gras hatten sich überall breitgemacht. Von den Bäumen am Waldrand waren Äste abgebrochen und lagen im Weg. An manchen Stellen musste sich Felix an der Leitplanke orientieren, um überhaupt die Richtung beibehalten zu können und sich nicht in dem sumpfigen Talgrund zu verlieren.

Ein paarmal kam Felix an großen, einzeln stehenden Gasthäusern vorbei, die früher die Ausflügler vom Titisee in das idyllische Tal gelockt hatten. Sie standen der Natur besonders schutzlos gegenüber. Zufahrtswege und Parkplätze waren allesamt zugewuchert, auf den Terrassen wuchsen riesige Brombeerbüsche, die Fassaden bröckelten oder waren unter üppig wucherndem Efeu verschwunden.

»Ein Riesenteller Pommes und eine kalte Apfelsaftschorle, das wäre doch jetzt etwas, findest du nicht, Leo?« Der Hund sprang heran, als er seinen Namen hörte. Ihm schien der mühsame Weg nur wenig auszumachen. Er tollte herum, spielte mit Schmetterlingen und steckte seine Nase in jedes Loch, das er fand.

»Warte, wenigstens du sollst etwas Feines haben.« Felix holte den Beutel mit den Keksen aus dem Essenssack. Er nahm einen davon heraus und roch daran. »Riecht wie Weihnachtsgebäck. Hier, nimm, bevor ich ihn selber esse!«

Leo nahm ihm den Leckerbissen vorsichtig aus der Hand und schlang...


Erle, Thomas
Thomas Erle verbrachte Kindheit und Jugend in Nordbaden. Nach dem Studium in Heidelberg zog es ihn auf der Suche nach Menschen und Erlebnissen rund um die Welt. Es folgten 30 Jahre Tätigkeit als Lehrer. Seit über 20 Jahren lebt und arbeitet der erfolgreiche Autor im Schwarzwald, den er in seiner Freizeit mit Vorliebe erkundet.



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