Erikson Das Spiel der Götter (3)
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-641-08985-6
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Im Bann der Wüste
E-Book, Deutsch, Band 3, 608 Seiten
Reihe: Das Spiel der Götter
ISBN: 978-3-641-08985-6
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Steven Erikson, in Kanada geboren, lebt heute in Cornwall. Der Anthropologe und Archäologe feierte 1999 mit dem ersten Band seines Zyklus Das Spiel der Götter nach einer sechsjährigen akribischen Vorbereitungsphase seinen weltweit beachteten Einstieg in die Liga der großen Fantasy-Autoren.
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Kapitel Eins
Sucht ihr die zerfallenen Knochen
der T’lan Imass,
so nehmt in eine Hand
all den Sand der Raraku
Die Heilige Wüste
Anonym
Kulp fühlte sich wie eine Ratte in einem großen Zimmer, in dem es von Ogern nur so wimmelte, von Schatten umgeben und andauernd in Gefahr, unter einem Fuß zertreten zu werden. Niemals zuvor hatte sich das Meanas-Gewirr so … beladen angefühlt, wenn er es betreten hatte.
Es waren Fremde hier, Eindringlinge … Mächte, die dieser Sphäre so feindselig gesinnt waren, dass eine alles umfassende, zornige Atmosphäre herrschte. Die Essenz seines Selbst, die durch das Gewebe geschlüpft war, war nur noch eine kauernde, geduckte Kreatur. Dabei war alles, was er fühlen konnte, die Gewissheit, dass hier mehrmals etwas Wildes, Mörderisches durchgezogen war; er spürte das wirbelnde Kielwasser, das die Pfade markierte, die das Unwillkommene genommen hatte. Seine Sinne schrien ihm zu, dass er – zumindest für den Augenblick – allein war, dass die dunstige, sich in alle Richtungen flach ausdehnende Landschaft bar allen Lebens war.
Trotzdem zitterte er vor Entsetzen.
Mit einer geisterhaften Hand griff er in seinem Geist zurück nach seinem Körper und fand die fühlbare Bestätigung des Ortes, an dem er existierte, spürte das Blut, das durch seine Adern strömte, das Gewicht von Fleisch und Knochen. Er saß mit übereinander geschlagenen Beinen in der Kapitäns-Kajüte der Silanda, und ein erschöpfter, unruhiger Heboric wachte über ihn, während die anderen an Deck warteten und dabei unaufhörlich den an allen Seiten von nichts unterbrochenen, unbarmherzig flachen Horizont beobachteten.
Sie mussten einen Weg nach draußen finden. Das gesamte ältere Gewirr, in dem sie sich wieder gefunden hatten, war überflutet, war ein einziges dickflüssiges, seichtes Meer. Die Ruderer würden die Silanda noch tausend Jahre vorantreiben, bis das Holz in ihren toten Händen verfaulte und die Schäfte brachen, bis das Schiff um sie herum auseinander fallen würde – so lange würde die Trommel dröhnen und die Rücken sich beugen. Zu diesem Zeitpunkt werden wir schon lange tot sein. Wir werden nur noch vermoderter Staub sein. Er musste eine Möglichkeit finden, das Gewirr zu wechseln, nur so konnten sie entkommen.
Kulp verfluchte seine begrenzten Möglichkeiten. Wäre er ein Praktiker von Serc oder Denul gewesen, oder von D’riss oder praktisch jedem anderen Gewirr, das den Menschen zugänglich war, dann hätte er gefunden, was sie brauchten. Aber nicht in Meanas. Hier gibt es keine Meere, keine Flüsse, noch nicht einmal eine klitzekleine Pfütze, beim Vermummten. Aus dem Innern seines Gewirrs versuchte Kulp eine Passage in die Welt der Sterblichen zu finden oder zu schaffen … und das erwies sich als problematisch.
Sie waren durch besondere Gesetze gebunden, durch natürliche Regeln, die mit dem Prinzip von Ursache und Wirkung zu spielen schienen. Wären sie mit einem Wagen unterwegs gewesen, hätte die Passage durch die Gewirre sie unfehlbar zu einem trockenen Weg geführt, denn die Ur-Elemente behaupteten eine störrische Übereinstimmung quer durch alle Gewirre. Erde zu Erde, Luft zu Luft, Wasser zu Wasser.
Kulp hatte Gerüchte gehört, wonach es manchen Hohemagiern gelungen sein sollte, diesen unbegrenzten Gesetzen ein Schnippchen zu schlagen, und vielleicht verfügten auch die Götter und andere Aufgestiegene über solche Mittel. Aber sie standen so hoch über einem einfachen Kader-Magier wie die Schmiedewerkzeuge eines Ogers über einer sich duckenden Ratte.
Seine andere Sorge galt der Größe der Aufgabe an sich. Eine Gruppe von Gefährten durch sein Gewirr zu ziehen, war zwar schwierig, aber durchaus machbar. Doch ein ganzes Schiff! Er hatte gehofft, eine Eingebung zu bekommen, sobald er sich erst einmal im Meanas-Gewirr befand, einen Geistesblitz, der ihm eine einfache, elegante Lösung zeigen würde. Mit der ganzen Anmut der Poesie. Hat nicht Fisher Kel’Tath selbst einst gesagt, dass Poesie und Zauberei die beiden Schneiden der Klinge im Herzen eines jeden Mannes sind? Aber wo sind dann meine magischen Phrasen?
Kulp musste verbittert zugeben, dass er sich innerhalb des Meanas-Gewirrs genauso dumm vorkam wie in der Kajüte des Kapitäns. Die Kunst der Illusion besitzt eine eigene Anmut. Es muss einfach eine Möglichkeit geben, uns hier … herauszumogeln. Der Widerspruch zwischen dem, was ist, und dem, was nicht ist, ist die Synergie im Geist eines Sterblichen. Und größere Kräfte? Kann die Wirklichkeit selbst genarrt und dazu gebracht werden, auf einer Unwirklichkeit zu bestehen?
Seine schreienden Sinne änderten die Tonhöhe. Kulp war nicht mehr allein. Die dicke, geschwollene Luft des Meanas-Gewirrs – wo Schatten die Konsistenz von Mattglas hatten und es ein Gefühl ekstatischen Erschauerns erzeugte, durch sie hindurchzuschlüpfen – hatte begonnen, sich erst auszubeulen und dann zu beugen, als würde etwas Großes erscheinen und die Luft vor sich herschieben. Und was auch immer es sein mochte, es kam sehr schnell näher.
Plötzlich stieg ein Gedanke in dem Magier auf. Und zwar einer voller … Eleganz. Bei Toggs Zehen, kann ich das tun? Druck aufbauen, dann ein müßiges Kielwasser, eine bestimmte Strömung, ein bestimmtes Fließen. Beim Vermummten, es ist zwar kein Wasser, aber es ist ziemlich nahe dran. Das hoffe ich zumindest.
Er sah Heboric erschrocken aufspringen und sich den Kopf an einem niedrigen Kreuzbalken der Kajüte stoßen. Kulp schlüpfte zurück in seinen Körper und stieß einen rasselnden, keuchenden Atemzug aus. »Es geht gleich los, Heboric. Sorg dafür, dass alle bereit sind!«
Der alte Mann rieb sich mit einem seiner Armstümpfe den Hinterkopf. »Bereit? Bereit wofür, Magier?«
»Für alles Mögliche.«
Kulp schlüpfte wieder hinaus, kletterte mental erneut an seiner Ankerkette im Meanas-Gewirr zurück.
Der Unwillkommene kam näher, und er strahlte so viel Macht aus, dass die fiebrige Atmosphäre zu zittern begann. Der Magier sah, wie nahe gelegene Schatten vibrierten und sich auflösten. Er spürte, wie sich in der Luft eine Ungeheuerlichkeit aufbaute, genau wie in der lehmigen Erde unter seinen Füßen. Was auch immer durch sein Gewirr zog, hatte Aufmerksamkeit erregt. Die Aufmerksamkeit von … von wem auch immer – Schattenthron, den Hunden … aber vielleicht sind Gewirre ja auch tatsächlich lebendig. Wie auch immer, jetzt kam es, mit arroganter Gleichgültigkeit.
Kulp musste plötzlich an Sormo denken, an das Ritual in der Nähe von Hissar, bei dem der Waerloga sie in das T’lan-Imass-Gewirr gezogen hatte. Oh, beim Vermummten, ein Wechselgänger oder ein Vielwandler … aber welch eine Macht! Wer im Abgrund verfügt über so viel Macht? Es fielen ihm nur zwei Wesen ein: Anomander Rake, der Sohn der Dunkelheit, und Osric. Beide waren Wechselgänger, und beide waren überaus arrogant. Falls es noch andere geben sollte, hätte er von ihren Aktivitäten gehört, dessen war er sich sicher. Krieger reden über Helden. Magier reden über Aufgestiegene. Er hätte ganz bestimmt davon gehört.
Rake war in – oder besser über – Genabackis, und von Osric erzählte man sich, dass er vor ungefähr einem Jahrhundert zu einem Kontinent weit im Süden gereist wäre. Nun, vielleicht ist dieser kaltäugige Bastard ja zurückgekehrt. Egal wie, er würde es herausfinden.
Die Präsenz war da. Seinen geistigen Bauch flach auf den weichen Boden gepresst, legte Kulp den Kopf in den Nacken und starrte nach oben.
Der Drache flog tief über der Erde. Er sah anders aus als jede Darstellung eines Drachen, die Kulp bisher gesehen hatte – das ist weder Rake noch Osric –, mit kräftigen Knochen und Haut, die wie trockene Haifischhaut aussah; seine Spannweite war gewaltiger als die des Sohnes der Dunkelheit – in dessen Adern das Blut einer Drachengöttin fließt –, und die Schwingen hatten nichts von jener sanften, gewölbten Anmut. Die Knochen waren auf verrückte Weise vielgelenkig, wie ein zerschmetterter Fledermausflügel; unter der gespannten, rissigen Haut war jedes knorrige Gelenk gut zu erkennen. Der Kopf des Drachen war ebenso breit wie lang, wie der Kopf einer Viper, mit hoch angesetzten Augen. Es gab keine deutlich abgesetzte Stirn; stattdessen wich der Schädel nach hinten zurück und lief in einer Auszackung im Nacken aus, die fast in Hals- und Kiefermuskeln begraben war.
Ein Drache von rohem Schlag, ein Geschöpf, das die Aura von etwas Uraltem verströmte. Und außerdem war sie untot, wie Kulp nach Luft schnappend feststellte, als seine Sinne die Kreatur ganz und gar erfassten.
Der Magier spürte, dass das Wesen ihn bemerkte, während es mit einem flüsternden Geräusch zwanzig Armspannen über ihn hinwegsegelte. Ein Gefühl, das anfangs sehr stark war und dann schnell schwächer wurde.
Als im Gefolge des Drachen ein schneidender Wind heranwehte, rollte Kulp sich auf den Rücken und stieß zischend die paar Worte Hoher Meanas-Magie aus, die er kannte. Das Gewebe des Gewirrs teilte sich; ein Riss entstand, der kaum breit genug war, um ein Pferd durchzulassen. Doch hinter dem Riss lag ein Vakuum, und aus dem Kreischen des Windes wurde ein Brüllen.
Immer noch zwischen den Sphären hin und her pendelnd, schaute Kulp ehrfürchtig zu, wie sich der schlammüberkrustete, zerschrammte Bug der Silanda in den Spalt schob, ihn völlig ausfüllte. Das Gewebe riss weiter auf, dann noch weiter. Auf einmal wirkte das Schiff...