Erikson Das Spiel der Götter (12)
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-641-08981-8
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der goldene Herrscher
E-Book, Deutsch, Band 12, 560 Seiten
Reihe: Das Spiel der Götter
ISBN: 978-3-641-08981-8
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Tiste Edur haben das Reich der Letherii besiegt und unterworfen, und Rhulad Sengar, ihr unsterblicher Herrscher, sitzt auf dem Königsthron in Letheras. Doch seine unzähligen Wiedergeburten haben den goldenen Herrscher in den Wahnsinn getrieben - und ihn blind gemacht für die Gefahren, die ihm und seinem Reich drohen ...
Für die Leser von Tad Williams, Terry Goodkind und George R.R. Martin.
Steven Erikson, in Kanada geboren, lebt heute in Cornwall. Der Anthropologe und Archäologe feierte 1999 mit dem ersten Band seines Zyklus Das Spiel der Götter nach einer sechsjährigen akribischen Vorbereitungsphase seinen weltweit beachteten Einstieg in die Liga der großen Fantasy-Autoren.
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Prolog
Das Ältere Gewirr Kurald Emurlahn
Das Zeitalter des Zerbrechens
Sechs Drachenkadaver bildeten inmitten einer von Gram zerrissenen Landschaft eine unregelmäßige Linie, die tausend oder mehr Schritte weit in die Ebene hinausreichte – zerfetzte Körper, aus denen gebrochene Knochen ragten, weit aufklaffende Mäuler, ausgetrocknete Augen. Wo ihr Blut auf die Erde geströmt war, hatten sich Gespenster versammelt wie Fliegen um Saft und waren kleben geblieben; sie wanden sich und stießen verzweifelte, hohl klingende Rufe aus, während das Blut dunkler wurde und mit dem unbelebten Boden verschmolz. Als es schließlich fest wurde und zu glasigem Gestein aushärtete, waren diese Geister zu ewiger Gefangenschaft in dem trüben Gefängnis verdammt.
Die nackte Kreatur, die den unebenen Pfad kreuzte, den die gefallenen Drachen erzeugt hatten, konnte es an Masse mit ihnen aufnehmen, doch sie war erdgebunden und ging auf zwei krummen Beinen, deren Oberschenkel so dick waren wie die Stämme tausendjähriger Bäume. Ihre Schultern waren so breit, wie ein Tartheno Toblakai groß war. Über einem dicken Hals, der unter einer Mähne aus glänzenden Haaren verborgen war, ragte die Vorderpartie des Kopfes weit nach vorn – Stirn, Wangen- und Kieferknochen –, und die in tiefen Höhlen liegenden Augen hatten tiefschwarze Pupillen, umgeben von schillerndem Weiß. Die großen Arme waren unverhältnismäßig lang, die gewaltigen Hände schleiften beinahe über den Boden. Die Hängebrüste der Kreatur waren groß und fahl. Sie schritt an den zerfetzten, verwesenden Kadavern vorbei, mit merkwürdig fließenden und ganz und gar nicht schwerfälligen Bewegungen, und es war zu erkennen, dass all ihre Gliedmaßen mit zusätzlichen Gelenken ausgestattet waren.
Ihre Haut hatte die Farbe sonnengebleichter Knochen, die zum Ende der Arme hin dunkler bis zu einem geäderten Rot wurde. Blutergüsse umgaben die Knöchel, ein Netzwerk aus zerfetztem Fleisch, in dem hier und da der Knochen durchschimmerte. Diese Hände hatten offensichtlich Schaden genommen – eine Folge der verheerenden Schläge, die sie ausgeteilt hatten.
Die Kreatur blieb stehen, legte den Kopf in den Nacken und blickte nach oben zum Himmel, wo drei Drachen inmitten der brodelnden Wolken dahinglitten, noch einmal kurz zwischen den Rauchschwaden der sterbenden Sphäre auftauchten und dann in ihnen verschwanden.
Die Hände der erdgebundenen Kreatur zuckten, und ein tiefes Grollen drang aus ihrer Kehle.
Nach einer langen Pause setzte sie ihre Reise fort.
Am letzten toten Drachen vorbei zu einer Stelle, an der eine Hügelkette aufragte. Im größten dieser Hügel klaffte ein Spalt, als hätte eine riesige Hand ihm das Herz herausgerissen, und in dieser Kluft wütete ein Riss, eine Verwerfung des Raums, aus der in perlmuttartigen Strömen Macht quoll. Die Bösartigkeit dieser Energie zeigte sich daran, wie sie die Ränder des Felsspalts verschlang und sich wie Säure in das Gestein der uralten Berme fraß.
Der Riss würde sich bald schließen, und derjenige, der als Letzter hindurchgegangen war, hatte versucht, das Tor hinter sich zu versiegeln. Doch diese Art von Heilung ließ sich niemals eilends bewirken, und so blutete diese Wunde stets von Neuem.
Ohne auf die Bosheit zu achten, die aus dem Riss strömte, trat die Kreatur näher. Unmittelbar davor blieb sie noch einmal stehen und drehte sich um, blickte zurück auf den Weg, den sie gekommen war.
Drachenblut, das zu Stein verhärtete. Waagerechte Schlieren der Substanz hatten bereits begonnen, sich von der umgebenden Erde zu lösen, sich an den Rändern zu erheben und merkwürdig zusammenhanglose Wände zu formen. Einige begannen dann zu versinken und aus dieser Sphäre zu verschwinden. Sie fielen durch Welt um Welt, um schließlich, fest und undurchdringlich, in anderen Sphären wieder zu erscheinen, abhängig vom Aspekt ihres Blutes. Dies waren unbestreitbare Gesetze. Starvald Demelain, das Blut der Drachen und der Tod des Blutes.
In der Ferne hinter der Kreatur wand sich Kurald Emurlahn, die Sphäre des Schattens, die erste Sphäre, die aus der Vereinigung von Dunkel und Licht geboren worden war, in Todeskrämpfen. Weit entfernt tobten die Bürgerkriege weiter, während anderswo das Zersplittern bereits begonnen hatte und große Teile des Gewebes dieser Welt weggerissen wurden, losgelöst, verloren und aufgegeben – um entweder allein zu heilen oder zu sterben. Doch noch immer kamen Eindringlinge hier an, wie Aasfresser, die sich um einen gefallenen Giganten versammelten, und sie rissen sich ihre eigenen Stücke aus der Sphäre. Vernichteten einander in heftigen Kämpfen um die Fetzen.
Niemand – wirklich niemand – hatte sich vorstellen können, dass eine ganze Sphäre auf diese Weise zu Grunde gehen könnte. Dass die bösartigen Taten ihrer Bewohner alles zerstören könnten. Welten lebten weiter, das war der Glaube gewesen – die Annahme –, unabhängig davon, was jene, die auf ihnen lebten, taten. Zerfetztes Gewebe heilt, der Himmel klart auf, und etwas Neues kriecht aus dem brackigen Dreck.
Aber nicht dieses Mal.
Zu viele Mächte, zu viel Verrat, zu gewaltige, alles verschlingende Verbrechen.
Die Kreatur richtete den Blick wieder auf das Tor.
Und dann trat Kilmandaros, die Ältere Göttin, hindurch.
Die vernichtete Domäne der K’Chain Che’Malle nach dem Fall von Silchas Ruin
Bäume barsten in der bitteren Kälte, die sich – unsichtbar, aber dennoch wahrnehmbar – wie ein Leichentuch auf den verwüsteten Wald herabsenkte.
Mühelos konnte Gothos den Spuren folgen, die das wiederholte Aufeinandertreffen zweier Älterer Götter mit dem Wechselgänger-Drachen hinterlassen hatte, und während der Jaghut den Pfad der Verwüstung entlangschritt, brachte er die brutale Kälte von Omtose Phellack mit, dem Gewirr des Eises. Ich besiegle unsere Abmachung, wie du mich gebeten hast, Mael. Ich sperre die Wahrheit an diesem Ort ein, damit sie mehr bleibt als einfach nur eine Erinnerung. Bis zu jenem Tag, an dem Omtose Phellack selbst zerschmettert werden wird. Gothos dachte müßig darüber nach, ob es eigentlich jemals eine Zeit gegeben hatte, in der er geglaubt hatte, dass dies niemals passieren würde. Dass die Jaghut – in all ihrem vollkommenen Glanz – einzigartig waren, dass sie ewig herrschen, ewig triumphieren würden. Eine unsterbliche Zivilisation, während alle anderen zum Untergang verdammt waren.
Nun, es war möglich. Schließlich hatte er einst auch geglaubt, dass alles, was existierte, der gütigen Kontrolle einer fürsorglichen Allmacht unterstand. Und die Grillen existieren, um uns in den Schlaf zu singen. Er konnte unmöglich sagen, welche närrischen Ideen noch vor all diesen Jahrtausenden in sein junges, naives Hirn gekrochen sein mochten.
Aber dem war natürlich nicht mehr so. Dinge enden. Arten sterben aus. Jeder Glaube an irgendetwas anderes war eine Täuschung, das Produkt eines entfesselten Egos, der Fluch extremer Selbstüberschätzung.
Also – was glaube ich jetzt?
Er würde sich kein melodramatisches Lachen als Antwort auf diese Frage gestatten. Warum auch? Es war niemand in der Nähe, der es zu würdigen gewusst hätte. Das galt auch für ihn selbst. Ja, ich bin dazu verflucht, mit mir vorliebnehmen zu müssen.
Es ist ein persönlicher Fluch.
Und das sind die besten.
Er stieg einen gebrochenen, zerrissenen Hang hinauf, eine gewaltsame Erhebung von Grundgestein, wo sich eine große Spalte aufgetan hatte, an deren senkrechten Wänden bereits der Frost glitzerte, als Gothos ihren Rand erreichte und nach unten blickte. Irgendwo da unten in der Dunkelheit stritten zwei Stimmen lautstark miteinander.
Gothos lächelte.
Er öffnete sein Gewirr, nutzte einen Bruchteil seiner Macht, um sich langsam auf die düstere Sohle der Kluft hinabsinken zu lassen.
Als Gothos sich näherte, verstummten die beiden Stimmen, so dass nur ein rasselndes, zischendes, langsam pulsierendes Geräusch übrig blieb – Ein- und Ausatmen im Rhythmus wogenden Schmerzes – und der Jaghut hörte, wie etwas seitlich von ihm Schuppen über Gestein schabten.
Er ließ sich auf einem Haufen Felstrümmer nieder, ein paar Schritte von der Stelle entfernt, wo Mael stand, während zehn Schritt weiter hinten die mächtige Gestalt von Kilmandaros aufragte, deren Haut – auf eine irgendwie krankhafte Weise – schwach leuchtete. Sie hatte die Hände zu Fäusten geballt, was ihr unmenschliches Gesicht noch streitsüchtiger wirken ließ.
Scabandari, der Wechselgänger-Drache, war in eine Höhlung in der Seite der Felswand getrieben worden, wo er jetzt hockte; seine zersplitterten Rippen machten ihm zweifellos jeden Atemzug zur Qual. Ein Flügel war zerschmettert und halb abgerissen. Eine seiner Hintergliedmaßen war eindeutig gebrochen; Knochen ragten aus dem Fleisch. Seine Flucht war zu Ende.
Die beiden Älteren beäugten nun Gothos, der vortrat und dann das Wort ergriff. »Es ist mir immer wieder eine große Freude«, sagte er, »wenn ein Verräter seinerseits verraten wird. Wie in diesem Fall, wo seine eigene Dummheit ihn verraten hat. Was sogar noch erfreulicher ist.«
»Das Ritual … bist du fertig damit, Gothos?«, fragte Mael, der Ältere Gott der Meere.
»Mehr oder weniger.« Der Jaghut richtete den Blick auf Kilmandaros. »Ältere Göttin. Deine Kinder in dieser Sphäre haben sich...