Erikson Das Spiel der Götter (10)
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-641-08982-5
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Feuer der Rebellion
E-Book, Deutsch, Band 10, 688 Seiten
Reihe: Das Spiel der Götter
ISBN: 978-3-641-08982-5
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Aufstand im Reich der Sieben Städte ist vorüber, Sha’ik ist tot. Aber die Rebellion ist nicht gänzlich besiegt, noch immer schwelt die Glut des Widerstands. Sha’iks Feldherr und rechte Hand, der Wüstenkrieger Leoman, hat sich nach Y’Ghatan zurückgezogen, in eine Stadt, deren Namen für die malazanischen Soldaten einen unheilvollen Klang besitzt. Denn vor den Mauern dieser Stadt wurde Dassem Ultor, das egendäre Erste Schwert des Imperiums, getötet. Doch die neue Mandata Tavore hat keine andere Wahl: Sie muss Y’Ghatan erobern, wenn sie die Feuer der Rebellion endgültig austreten will ...
Ein Meisterwerk von unübertroffener mythologischer Tiefe!
Steven Erikson, in Kanada geboren, lebt heute in Cornwall. Der Anthropologe und Archäologe feierte 1999 mit dem ersten Band seines Zyklus Das Spiel der Götter nach einer sechsjährigen akribischen Vorbereitungsphase seinen weltweit beachteten Einstieg in die Liga der großen Fantasy-Autoren.
Weitere Infos & Material
Prolog
Im Jahre 1164 von Brands Schlaf
Istral’fennidahn, die Jahreszeit D’reks, des Wurms des Herbstes
Vier Tage nach Sha’iks Hinrichtung in der Raraku
Die Netze zwischen den Türmen waren weit oben als glänzende Schleier zu sehen, und der schwache Wind, der vom Meer herüberwehte, ließ die Fäden erzittern, so dass wie jeden Morgen in der Klaren Jahreszeit ein nebelfeiner Nieselregen auf Kartool herabfiel.
An die meisten Dinge gewöhnte man sich irgendwann, und da die gelbgebänderten Paraltspinnen die Ersten gewesen waren, die die einst berüchtigten Türme im Gefolge der Eroberung der Insel durch die Malazaner in Besitz genommen hatten – und das nun schon Jahrzehnte her war –, war wirklich Zeit genug gewesen, sich an solche Kleinigkeiten zu gewöhnen. Selbst der Anblick der Möwen und Tauben, die jeden Morgen reglos zwischen den knapp zwei Dutzend Türmen schwebten, ehe die faustgroßen Spinnen ihre Schlupfwinkel in den oberen Stockwerken verließen, um ihre Beute zu holen, sorgte bei den Einwohnern der Stadt für kaum mehr als gelinde Abscheu.
Leider war Sergeant Hellian aus der Garde des Septarchenviertels in dieser Hinsicht eine Ausnahme. Sie vermutete, dass es Götter gab, denen ihr erbärmliches Schicksal – für das besagte Götter zweifellos verantwortlich waren – einen andauernden Lachkrampf bescherte. Für sie selbst hingegen, die sie in der Stadt geboren und mit dem Fluch beladen war, sich vor allen Arten von Spinnen zu fürchten, hatten die ganzen neunzehn Jahre ihres bisherigen Lebens nichts als pausenloses Entsetzen bedeutet.
Und warum gehst du nicht einfach? Diese Frage hatten ihr Kameraden und Bekannte schon so häufig gestellt, dass sie sich gar nicht mehr die Mühe machte, es zu zählen. Aber so einfach war das nicht. Genau betrachtet, war es sogar unmöglich. Das trübe Wasser des Hafens war von abgeworfenen Häuten, Netzteilen und aufgedunsenen, an manchen Stellen noch mit einem Büschel Federn versehenen Kadavern verdreckt, die hier und da auf den Wellen tanzten. Im Landesinnern wurde alles nur noch schlimmer. Die jungen Paraltspinnen flohen vor ihren älteren Artgenossen aus der Stadt zu den Kalksteinfelsen, die Kartool umgaben, um dort mühselig heranzuwachsen. Doch dass sie jung waren, bedeutete keineswegs, dass sie deswegen weniger angriffslustig oder giftig gewesen wären. Zwar erzählten Händler und Bauern, man könnte den ganzen Tag die Pfade und Straßen entlanggehen, ohne auch nur einer einzigen Spinne zu begegnen, doch das war Hellian vollkommen gleichgültig. Sie wusste, dass die Götter warteten. Genauso wie die Spinnen.
Wenn sie nüchtern war, nahm sie die Dinge um sich herum so ordentlich und gewissenhaft wahr, wie es sich für einen Sergeanten der Stadtwache gehörte. Nun war sie zwar nicht pausenlos betrunken, doch wirklich nüchtern zu sein bedeutete, hysterische Anfälle geradezu zu provozieren, und daher war Hellian stets bestrebt, auf dem schwankenden Seil des Noch-nicht-ganz-betrunken-Seins zu balancieren. Folglich hatte sie auch nichts von dem merkwürdigen Schiff mitbekommen, das vor Sonnenaufgang in den Hafen eingelaufen war und nun in den Freien Docks vertäut lag, und dessen Wimpel darauf hinwiesen, dass es von der Insel Malaz gekommen war.
Schiffe aus Malaz waren an und für sich weder besonders ungewöhnlich noch bemerkenswert; allerdings war es mittlerweile Herbst, und die in der Klaren Jahreszeit herrschenden Winde machten es zumindest in den nächsten zwei Monaten praktisch unmöglich, die Schifffahrtsrouten in den Süden zu benutzen.
Wäre nicht alles so verschwommen gewesen, hätte sie vielleicht auch bemerkt – wenn sie sich denn die Zeit genommen hätte, zu den Docks hinunterzugehen, was sie vielleicht hätte schaffen können, wenn man ihr ein Schwert an die Kehle gehalten hätte –, dass das Schiff weder eine gewöhnliche Bark, noch ein Handelsschiff und auch keine Dromone war, sondern ein schlankes, zierliches Ding, in einem Stil gebaut, den kein Schiffsbauer des Imperiums in den letzten fünfzig Jahren verwendet hatte. Geheimnisvolle Schnitzereien zierten den klingengleichen Bug – winzige Gestalten, die Schlangen und Würmer darstellten – und setzten sich am Dollbord über die halbe Länge des Rumpfes fort. Das Heck war quadratisch und merkwürdig hoch, mit einem seitlich befestigten Steuerruder. Die zwölfköpfige Mannschaft war für Seeleute erstaunlich ruhig, und anscheinend hatte keiner von ihnen Interesse, das Schiff zu verlassen, das sanft am Kai schaukelte. Nur eine einzige Gestalt war von Bord gegangen, sobald das Fallreep kurz vor Sonnenaufgang das Ufer berührt hatte.
All diese Dinge erfuhr Hellian erst später. Der Läufer, der sie fand, war ein einheimischer Bengel, der – wenn er nicht gerade irgendwelche Gesetze übertrat – immer bei den Docks herumlungerte, in der Hoffnung, von Besuchern als Führer angeheuert zu werden. Das Stückchen Pergament, das er ihr gab, war, wie sie sofort spürte, von guter Qualität. Darauf stand eine knappe Botschaft, die sie die Stirn runzeln ließ.
»Na gut, mein Junge – beschreibe mir den Mann, der dir das hier gegeben hat.«
»Das kann ich nicht.«
Hellian warf einen Blick zurück auf die vier Wachen, die hinter ihr an der Straßenecke standen. Einer der Männer trat hinter den Jungen, packte ihn mit einer Hand am Rückenteil seiner zerlumpten Tunika und hob ihn hoch. Ein kurzes Schütteln.
»Na, hat das deine Erinnerungen ein bisschen gelockert?«, fragte Hellian. »Ich hoffe es, denn ich werde nichts bezahlen.«
»Ich kann mich nicht erinnern! Ich habe ihm genau ins Gesicht gesehen, Sergeant! Nur ... ich kann mich nicht erinnern, wie es ausgesehen hat!«
Sie musterte den Jungen ein, zwei Herzschläge lang, brummte dann etwas Unverständliches und drehte sich um.
Der Wächter setzte den Jungen wieder ab, ließ ihn aber nicht los.
»Lass ihn gehen, Urb.«
Der Junge machte, dass er wegkam.
Mit einer unbestimmten Handbewegung forderte sie ihre Leute auf, ihr zu folgen, und setzte sich in Bewegung.
Das Septarchenviertel war das friedlichste Viertel der Stadt, was allerdings nichts mit besonderem Eifer von Seiten Hellians zu tun hatte. Hier gab es kaum Gebäude, in denen irgendwelche Geschäfte gemacht wurden; stattdessen dienten die vorhandenen Häuser als Heim für die Akolythen und das Personal der gut ein Dutzend Tempel, die die Hauptstraße des Viertels beherrschten. Diebe, die am Leben bleiben wollten, bestahlen keine Tempel.
Sie führte ihren Trupp auf die breite Straße, wobei ihr einmal mehr auffiel, wie baufällig viele Tempel mittlerweile waren. Die Paraltspinnen liebten die verschnörkelte Architektur und die Kuppeln und die kleineren Türme, und es schien, als würden die Priester den Kampf verlieren. Leere, zerfetzte Chitinpanzer knisterten und knirschten bei jedem Schritt unter ihren Stiefelsohlen.
Früher hätte die erste Nacht von Istral’fennidahn – die gerade vergangen war – im Zeichen eines die ganze Insel umfassenden Fests gestanden, mit Opfern aller Arten für Kartools Schutzgöttin D’rek, den Wurm des Herbstes, und der Halbdrek, der Erzpriester des Großen Tempels, hätte eine Prozession durch die Stadt geführt, auf einem Teppich aus fruchtbarem Abfall, wäre barfuß durch von Maden und Würmern wimmelnde Reste gestapft. Kinder hätten lahme Hunde die Straßen entlanggejagt und diejenigen gesteinigt, die sie in eine Ecke treiben konnten, und dabei hätten sie den Namen ihrer Göttin geschrien. Zum Tode verurteilten Verbrechern hätte man öffentlich die Haut abgezogen und die Knochen gebrochen, und dann wären die unglücklichen Opfer in Gruben geworfen worden, in denen es von aasfressenden Käfern und roten Feuerwürmern wimmelte, die sie binnen vier oder fünf Tagen verzehrt hätten.
All dies war natürlich gewesen, bevor die Malazaner die Insel erobert hatten. Das Hauptziel des Imperators war der Kult von D’rek gewesen. Er hatte begriffen, dass der Große Tempel das Zentrum von Kartools Macht war, und dass die Priester und Priesterinnen D’reks unter der Führung des Halbdrek die Meisterzauberer der Insel gewesen waren. Und so war es kein Zufall, dass in dem nächtlichen Gemetzel, das der Seeschlacht und der anschließenden Invasion vorangegangen war – eine Aktion, die der berüchtigte Tanzer und Hadra, die Meisterin der Klaue geplant und durchgeführt hatten –, die Zauberer des Kults vollständig ausgelöscht worden waren, einschließlich des Halbdrek. Denn der Erzpriester des Großen Tempels hatte seine Position erst vor kurzem durch eine Art Handstreich errungen, und der vertriebene Rivale war niemand anderer als Tayschrenn gewesen, der zum damaligen Zeitpunkt neue Hohemagier des Imperators.
Hellian kannte die Feierlichkeiten nur aus Geschichten, denn sie waren für gesetzeswidrig erklärt worden, sobald die malazanischen Eroberer den imperialen Mantel über die Insel ausgebreitet hatten, doch man hatte ihr oft genug von jenen ruhmreichen Tagen vor langer Zeit erzählt, als Kartool sich auf dem Gipfel der Zivilisation befunden hatte.
Am gegenwärtigen schäbigen Zustand waren die Malazaner schuld, darin waren sich alle einig. Der Herbst war tatsächlich auf der Insel und bei ihren mürrischen Bewohnern angekommen. Schließlich war mehr als nur der Kult von D’rek zerschlagen worden. Die Sklaverei war abgeschafft, die Hinrichtungsgruben waren gesäubert und dauerhaft versiegelt worden. Es gab sogar ein Gebäude, in dem ein paar fehlgeleitete Altruisten lebten, die lahme Hunde bei sich aufnahmen.
Sie gingen am bescheidenen Tempel der Königin der Träume und dem auf der gegenüberliegenden Straßenseite kauernden, höchst...