Engelke / Phillips / Barow | Ostfriesisch kriminelle Weihnacht: 25 Krimis und 25 Rezepte | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 264 Seiten

Engelke / Phillips / Barow Ostfriesisch kriminelle Weihnacht: 25 Krimis und 25 Rezepte


1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-95428-789-5
Verlag: Wellhöfer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 264 Seiten

ISBN: 978-3-95428-789-5
Verlag: Wellhöfer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Wer in Ostfriesland Verbrecher jagt, muss eins können: abwarten und Tee trinken. Mit Kluntjes und Sahne gegen den Uhrzeigersinn! Denn in Ostfriesland bleibt beim Teetrinken die Zeit stehen. Das hat so manch ein Verbrecher zu spät gemerkt.
Den einen holt das Meer im Watt, die andere sitzt auf der Insel fest. Und mancher Schrei dringt gar nicht erst nach außen. Erst recht nicht zur Weihnachtszeit.
Mit ihren 25 Krimis und Rezepten garantieren Ihnen die Autorinnen und Autoren aus dem Nordwesten, dass Sie mehr als eine stürmische Nacht zum Tage machen werden. Rullerkes, Krinthstuutjes und andere ostfriesische Spezialitäten sind dabei die beste Nervennahrung.



1953 in Gütersloh geboren, lebt mit ihrer Familie im schönen Leer (Ostfriesland) und auf der Nordseeinsel Baltrum. Sie ist gelernte Buchhändlerin. Der erste Kurzkrimi Baltrumer Wintermärchen wurde in der Anthologie Inselkrimis (Leda-Verlag, 2006, TB 2010) veröffentlicht. Dort erschienen auch ihre Kriminalromane, die alle auf Baltrum spielen. Endstation Baltrum (2008) Dornröschen muss sterben (2009) Baltrumer Bärlauch (2010) Baltrumer Dünengrab (2011) Baltrumer Bitter (2012) Baltrumer Bescherung (2013) Baltrumer Maskerade (2014) Baltrumer Kaninchenkrieg (2015) Baltrumer Eiszeit (2016) Baltrumer Badezeit (2017) Baltrumer Krimitage (2018) Außerdem ist sie in vielen Anthologien mit Kurzgeschichten vertreten, unter anderem in Tee mit Blattschuss (Leda-Verlag). Sie ist Mitglied bei den Mörderischen Schwestern e.V. und im Syndikat. Weitere Informationen unter www.barow-baltrum.de.
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Weihnachtsschollen


Annegret Achner


Greta wickelt den dicken Wollschal enger um den Hals, kämpft sich in Schräglage gegen den Wind vor, hängt sich über die kunstvoll gedrehten Tampen am Terrassenrand, bläst in die Hände und schaut hinunter auf die gammelige 27-Fuß-Westerly, die am nahen Steg in den braunen Wellen des Harlesieler Jachthafens schaukelt. »Käpt’n, backen und banken!«

Der Wind reißt ihr die Worte von den Lippen, macht sie unhörbar für den großen, bärtigen Typen im Overall, der im wattierten Friesennerz und mit einem gelben Südwester auf dem Vordeck kniet. Backen und banken, lächerlich. Das Essen ist fertig, heißt das. Basta! Aber natürlich hört er mal wieder nichts im Windgebraus. Sie ruft, schreit, biegt Daumen und Zeigefinger zum Kreis, drückt ihn gegen den unteren Rand der Zunge, pfeift schrill, nichts. Der Mann schaut nicht auf. Er hat einen Hammer in der Hand und hämmert und hämmert. Der Kerl soll zum Essen kommen, sonst meckert er später wieder, dass es verkocht ist.

Der Mann hebt nicht einmal den Kopf. Er kann nichts hören, denn er hat den CD-Player am Mast befestigt und voll aufgedreht. Der Wind trägt ihr Liedfetzen zu. Um Gottes willen, schon wieder Freddy Quinn. »Sankt Niklas war ein Seemann«, singt der. Und dass der heilige Nikolaus das Schiff rechtzeitig zu Weihnachten nach Hause gebracht hat. Gegen Sturm und Wellen. Greta lässt resigniert die Arme sinken. Sie starrt noch eine Weile hinunter auf Schiff und Mann. Damals, ja damals, da konnte sie nicht genug von ihm kriegen, von dem lieben Heiner. Aber heute, nach fast vierzig langen Jahren, erwischt sie sich immer öfter bei dem Gedanken: Hau doch einfach ab! Nimm dein Boot und verschwinde! Egal, was Freddy singt, Junge, komm bloß nicht wieder!

Greta humpelt ins Haus zurück, ihr linkes Knie schmerzt heute höllisch, kein Wunder bei der kalten Nässe in diesen Vorweihnachtstagen. Sie lässt den Blick durch die Küche wandern. Ach was, Küche! Küchenzeile höchstens. Bullaugen statt Fenster, viel zu wenig Arbeitsfläche, ein kleiner, frei aufgehängter Herd, um die – nicht vorhandenen – Wellen auszugleichen, unpraktische Schränke mit Feststellschrauben für die Klappen, blauweißes Seemannsgeschirr, natürlich unzerbrechlich, blauweiß gestreifte Sitzkissen auf der harten Holzbank.

»Unsere Kombüse«, wie Heiner zu sagen pflegt, wenn er sich die Hände reibend an sie heranschleicht, ihr mit einem rauen Lachen seine Pranke auf den Hintern klatscht. »Na, ganz schön zugelegt in letzter Zeit. Ordentlich was in der Hand.«

Greta deckt den Tisch. Er wackelt, die Holzplatte müsste abgezogen werden. Sie hatte auf den Winter gehofft. Aber nun hatte Heiner sich diese olle Westerley gekauft. Ganz billig, wie er sagte. Ein Schnäppchen, wie er sagte. Da hatte sie lieber den Mund gehalten. Aber warum kann er mit den Reparaturarbeiten nicht bis zum Frühjahr warten?

Im letzten Winter hat er die Titten der Galionsfigur am Treppengeländer, deren Farbe durch das viele Antatschen längst abgeblättert war, neu vergoldet. Hat die beiden Steuerräder an den Wänden mit diesem ekligen Öl eingepinselt, dass ein penetranter Fischgeruch tagelang im Haus hing und ihr Brechreiz verursachte. Da ist es schon besser, wenn er seinem Basteltrieb draußen nachgeht. Im Moment kontrolliert er noch nicht einmal, ob sie die Seglerzeitungen fächerförmig auf dem Sideboard ausgebreitet hat.

»Die perfekte Bordfrau«, sein Hochzeitsgeschenk. Mit strahlendem Lächeln hatte er das Buch in ihre Hände gelegt. Und sie, sie fühlte sich auch noch geehrt. Sie war ja so verliebt in ihren blonden, blauäugigen Heiner, der Akkordeon spielte und »Nimm mich mit, Kapitän, auf die Reise« sang, während sie sich an ihn kuschelte. Mit seinem volltönenden Bariton, ganz für sie allein. Ein Hans Albers aus Harlesiel, ihr Verehrer, ihr Freund, ihr Mann. Neidische Blicke der Kolleginnen.

Dabei war er gar kein richtiger Seemann. Er hatte nie auf einem Schiff gearbeitet, weder auf einer der großen Skandinavien-Fähren noch auf den Fähren, die von Harlesiel aus nach Spiekeroog und Wangerooge durchs Watt tuckerten. Ein bisschen Jollensegeln und feucht-fröhliche Angeltouren mit seinen Kumpels, das war alles. Sie musste dann die stinkenden Fische zubereiten, die sie mit ihren toten Augen anglotzten. Die angetrunkenen Männer wollten bekocht werden.

Nein, nach seiner Lehre als KFZ-Mechaniker war Heiner Hausmeister geworden, schlicht und ergreifend Hausmeister an der Grundschule in Carolinensiel. Handwerklich begabt war er ja. Da konnte man nicht meckern. Sie selber, die dunkle, grazile Greta aus Bottrop, hatte sich damals als Erzieherin im kirchlichen Kindergarten beworben. Schon an ihrem ersten Arbeitstag, ihr alter Fiat 500 war kurz vor der Einfahrt zum Parkplatz zusammengebrochen, hatten Heiners geschickte Hände den Motor wieder zum Leben erweckt.

»Lass mich mal machen, lütte Deern«, hatte er gesagt und seine kräftigen Hände auf ihre Schultern gelegt. Sie hatte ihn zum Dank abends zum Italiener eingeladen. Nein, danke, italienische Pasta mochte er nicht.

»Ich esse nur Seemannskost«, hatte er gesagt und sich in der verräucherten Eckkneipe nebenan sein Lieblingsessen bestellt: Labskaus.

Du meine Güte! Das blöde Labskaus! Hektisch reißt Greta den Topf vom Herd. Gott sei Dank, nur ein bisschen angesetzt. Wenn sie die Pampe vorsichtig abhebt und in einen anderen Topf umfüllt, wird er nichts merken. Wie sie diese rosa Matsche hasst! Corned Beef, meine Liebe. Fleisch in Dosen. Die Überfahrt über den Atlantik hat früher Wochen gedauert. Greta verdreht die Augen. Es gibt mittlerweile Kühlschränke, will sie schreien. Hat er wohl nicht mitbekommen, der Depp.

Aber sie blöde Gans fand ihn originell, ihren Heiner. Strebsam und tüchtig. Und erst seine goldenen Finger! Nicht nur bei den Maschinen, das musste sie zugeben. Bums, war sie schwanger geworden. Heiner war begeistert. Eine Familie gründen. Eine Seemannsfamilie mit lauter blonden, kräftigen Seemännern. Jedoch bekamen sie nur eine einzige kleine Seefrau. Ein zierliches, schwarzhaariges Mädchen, wasserscheu wie die Mutter. Ein Töchterchen, das sich vor Wellen fürchtete, kaltes Wasser verabscheute und prompt seekrank wurde, sobald sie in ein Spülbecken guckte, in dem das Abwaschwasser kreiselnd im Ausguss verschwand.

Nach Heiners Pensionierung hatten sie die hübsche Hausmeisterwohnung in Wittmund verlassen müssen und waren in ein kleines Fischerhaus direkt am Harlesieler Jachthafen gezogen, das er trotz Gretas Widerstand gekauft und in wochenlanger, nervtötender Arbeit renoviert hatte.

»Was Größeres können wir uns nicht leisten«, hatte er gesagt. »Die Preise steigen, die Touristen kommen. Das ist eine goldene Investition.«

Greta hätte lieber eine kleine Wohnung landeinwärts gekauft. Sie wollte endlich reisen, mehr von der Welt sehen.

»Wieso verreisen?«, fragte Heiner. »Wir leben doch hier wie im Paradies.«

Dabei hatte er ihr eine Flugreise versprochen. In die USA, wohin ihre Tochter geflohen war, als sie das penetrante Gehämmer des Vaters und das ewige Gejammer der Mutter nicht mehr ertragen konnte. Den kleinen Enkelsohn hatten sie noch nicht gesehen. Den amerikanischen Schwiegersohn auch nicht.

»Ihr könnt doch kommen«, hatte die Tochter am Telefon gesagt. »Ihr habt doch jetzt Zeit.«

Hatten sie nicht. Hatte Heiner nicht. Nachdem die Wohnung fertig war, hatte er sich dieses alte Schiff gekauft. Eine Westerly.

»Absolut seefest, auch bei schwerer See«, hat er gesagt. Sein alter Traum vom Segeln, nun würde er wahr werden. Auf schäumenden Wogen über die Nordsee jagen, nach Holland, England, bis in die Bretagne. Greta werde das Leben auf dem Wasser genießen, sagt er. Seekrankheit, pah, alles eine Frage der Gewöhnung. Seit dem Sommer baut Heiner an dem Boot. Er bohrt, schraubt und streicht, begleitet von dem ohrenbetäubenden Gedudel seiner Shanty-Chöre.

»Essen fertig?«

Er geht an den Kühlschrank und holt eine Flasche Klaren heraus.

»Schon vor dem Essen?«, protestiert Greta.

Heiner gießt sich reichlich ein. »Zur Feier des Tages! Morgen früh Baum setzen und Segel anschlagen. Du musst noch frische Schollen besorgen für den Weihnachtsschmaus an Bord.«

»Was muss ich? Du spinnst. Morgen ist Heiligabend. Außerdem kann ich nicht segeln. Und Schollen unter Deck braten kann ich schon gar nicht. Da stinkt hinterher alles nach Fisch.«

»Klar kannst du das, meine Seefrau. Und an Bord tust du genau das, was ich sage.«

»Ich will nicht. Ich habe Angst!«

»Unsinn! Ansegeln am Heiligen Abend, das bringt Glück. Rüber nach Wangerooge, ein kurzer Schlag übers Watt. Piet und Lena sind schon da. Wir feiern an Bord.«

Er wischt sich die Hände an der Gummihose ab, geht zum Herd, hebt den Deckel ab.

»Brav! Labskaus! Hoffentlich schmeckt es auch! Hast es hoffentlich nicht wieder ansetzen lassen!«

Greta schweigt. Beißt die Zähne aufeinander. Ich will nicht mehr, denkt sie. Ich will einfach nicht mehr. Heiner schaufelt sich die rosa Matsche auf den Teller, nimmt eine Gurke, zwei Matjeshälften.

»Spiegeleier?«

»Entschuldigung, habe ich vergessen«, sagt Greta. Sie kleckst Butter in die Pfanne, nimmt vier Eier aus dem Kühlschrank.

»Schön knuspriger Rand«, sagt er und kippt noch einen Korn. »Ich mache gleich Pause. Da kommst du auch auf deine Kosten.«

Er versucht, sie an sich zu ziehen. Sie wehrt sich.

»Reise! Reise!«, schreit Heiner früh am nächsten Morgen. Er rüttelt seine Frau an der Schulter. »Greta, aufstehen! Los, Frühstück!«

Greta wälzt sich aus dem Bett. Ihre Knochen sind wie Blei. Die Hüfte tut weh. Langsam...



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