E-Book, Deutsch, 168 Seiten
Engel Jelch, der Rabe und Ka - uschti, der Lachs
2. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7557-6943-9
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Geschichten aus dem Land der Zeder
E-Book, Deutsch, 168 Seiten
ISBN: 978-3-7557-6943-9
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Und wieder begeben wir uns auf eine Zeitreise zu den Indianern an der Nordwestküste Nordamerikas vor über 100 Jahren. Wir sitzen mit ihnen am Lagerfeuer in einem ihrer riesigen Langhäuser aus Zedernholzplanken und lauschen den Geschichten aus längst vergangenen Zeiten. Auch ein Wiedersehen mit Ojai, dem kleinen Indianerjungen wird es geben. Legen wir uns mit ihm auf das Dach des Langhauses und lassen uns von Schreitet - über - alles - hinweg den Bauch wärmen, während Ojai von seinem Bruder Jagolas berichtet wird, wie die Menschen das Seeungeheuer zu einem Fest einluden.
Frank Engel wurde am 17. Mai 1954 in Torgau geboren. Nach einer Schlosserlehre und dem Armeedienst, absolvierte er ein Studium als Museologe. In dieser Eigenschaft arbeitete er viele Jahre am Museum für Völkerkunde in Leipzig. Schon in seiner Kindheit interessierten ihn Geschichte und fremde Völker. Seine große Leidenschaft waren die Indianer Nordamerikas. Über Jahrzehnte sammelte er die Geschichten dieser Menschen der Nordwestküste. Mit viel Liebe zum Detail hat er sie neu erzählt.
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EIN FEST FÜR GUNAKADET
Wie sehr hatte sich Ojai, der kleine Koskimo vom Quatsino - Sund, doch eine freundliche Sonne an einem strahlendblauen, wolkenlosen Himmel, ein bisschen Trockenheit und wohlige Wärme gewünscht. Nun aber liegt er ausgestreckt und missmutig auf der hölzernen Plattform vorm Eingang des Donnervogel - Raubwal - Hauses, ohne die wärmenden Strahlen einer mittäglichen Sonne auf seinem nackten Rücken überhaupt zu bemerken. Er schmiedet finstere Rachepläne. Wie sie alle über ihn gelacht hatten! Sogar die Mädchen. Und ausgedacht hatte sich natürlich alles wieder dieser hinterhältige, fiesliche Babawaju. Dieser elende Stinker! Eine Keule vor den gemeinen Kopf braucht der! Die Erde soll ihn verschlucken, wo sie am tiefsten ist! Wie die Feindschaft zwischen ihm und dem nur einen Winter älteren Jungen aus dem Nachbarhaus einmal angefangen hatte, wüsste Ojai nicht zu sagen. Ihn jedenfalls, da ist sich der Junge ganz sicher, trifft keine Schuld. Eigentlich ist er überzeugt davon, dass sie schon als Feinde auf die Welt gekommen sind. Und Feinde werden sie - das steht spätestens nach diesem Vormittag fest - für den Rest ihres Lebens bleiben. Jemand stupst dem Jungen mit dem Fuß gegen den Hintern. „Na, Ojai“, lacht Jagolas, „da hat dich Babawaju aber mal wieder schön aufs Kreuz gelegt!“ Der weiß es also auch schon!, flucht Ojai innerlich. Na prima! Großartig ist das! Bald wird es die ganze Welt wissen! Übermorgen lacht vielleicht schon die Große Mutter in England über mich! Ojai haut wütend mit der Faust auf den Boden. „Komm, steh auf, du Faulpelz, und hilf mir!“, sagt der ältere Bruder gut gelaunt. „Wir werden ein paar Dachplanken zur Seite legen, damit uns ‚Schreitet - über - alles - hinweg„ ins Haus scheinen kann.“ „Keine Lust!“, entgegnet Ojai mürrisch. „Ich bin doch sowieso zu nichts zu gebrauchen.“ „Unsinn! Ein, zwei oder sogar drei Jungen in deinem Alter, denke ich, gibt es sicher irgendwo auf dieser Welt, die noch ungeschickter sind als du“, schmunzelt Jagolas. Und dann lacht er wieder, dieser Bruder! Gemein! Ojai knirscht mit den Zähnen. „Los, kleiner Frosch, komm jetzt. Wenn wir fertig sind, legen wir uns ganz gemütlich aufs Dach, lassen uns die Sonne auf die Bäuche scheinen, und ich erzähle dir eine Geschichte, ... eine Geschichte vom Ungeheuer Gunakadet.“ „Na gut, überredet, Nola.“ Nola nennen die Jüngeren die älteren Brüder bei den Kwakiutl. Ojai rappelt sich auf. Gerade als er dem Bruder auf die Leiter folgen will, klatscht ihm ein Batzen tropfnasser Tang in den Nacken. Babawaju! Wer sonst?! Nun ist Ojai nicht mehr zu halten! Wie von zwei Moskitos an empfindlicher Stelle gleichzeitig gestochen, wirft er sich mit einem Ruck herum und stürzt mit einem wütenden Schrei auf seinen lachenden Gegner zu. Nur noch einen, höchstens zwei Schritte vor ihm, duckt sich Ojai blitzschnell und rammt dem Lacher seinen Kopf in den Bauch. Da lacht Babawaju nicht mehr. Er fuchtelt mit den Armen in der Luft herum und stürzt in eine schlammige Pfütze hinter sich. Ojai tritt ein paar Mal mit dem Fuß nach ihm, bis Babawaju seinen rechten Fuß zu fassen bekommt und Ojai ebenfalls platschend in den aufgewühlten Modder fällt. Die Jungen ringen miteinander. „Diese Pfütze, Stinktier, wird dein Grab!“, stößt Ojai kurzatmig hervor. Doch da bekommt Babawaju ihn an der Schulter zu fassen. Plötzlich kniet er auf Ojais Rücken und drückt lachend dessen Gesicht in den Schlamm, der nach etwas noch ekligerem aussieht als bloß nach in Wasser aufgeweichten Lehm. „Mein Grab?! Ha!“, höhnt Babawaju. „Du wirst es jetzt auffressen, mein Grab! Weh! Na los, Kröte, lass es dir schmecken!“ Jagolas ist vom Dach gesprungen und bringt die beiden auseinander. Ojai spuckt erst einmal einen Mund voll Schlamm in Babawajus Richtung und japst dann nach Luft wie ein Ertrinkender. Babawaju tritt ihm gegen das Schienbein, was dem großen Zeh seines Schlammfußes selbst nicht gut bekommt. Der Schmerz durchzuckt wie ein Blitz seinen Körper. Aber Babawaju beißt die Zähne fest zusammen. Kein Laut kommt über seine Lippen. Jagolas hat beiden Jungen derb in die langen Haare gegriffen und schüttelt ihre Köpfe: „Hört endlich auf, ihr hohlschädligen Tölpel. Vertragt euch! Benehmt euch wie Männer!“ Diese Sprüche immer!, denkt Ojai. Benehmt euch wie Männer! Vertragt euch! Mit diesem Stinker jedenfalls nie! „Auch Männer haben Feinde!“, brüllt Ojai. „Auch Männer kämpfen!“ „Aber Männer suhlen sich nicht in Schlammpfützen!“, erwidert Jagolas. Ojai stampft mit dem Fuß auf und schreit: „Doch, machen sie! Jawohl!!“, und bekommt dafür eine Kopfnuss verpasst, wenn auch eine von der mehr freundschaftlichen Art. Jagolas kann auch anders! „Komm jetzt endlich aufs Dach, du Erdferkel! Schließlich wollen wir die Sonne und nicht erst den Mond in unser Haus zu Gast bitten.“ „Schlammfresser! Schlammfresser!“, brüllt Babawaju aus sicherer Entfernung. Kröte! Erdferkel! Schlammfresser! Ach, meine armen Ohren, was ihr euch heute schon alles habt anhören müssen, denkt Ojai mit einem tiefen Seufzer. Nein, das ist nicht sein Tag. Nein, wirklich nicht! Nach getaner Arbeit neben Jagolas ausgestreckt auf dem Dach liegend - der Sonne ein Stück näher -, geht es Ojai wieder besser. Ein bisschen jedenfalls. Wenn nur der auf seiner Haut trocknende Schlamm nicht so fürchterlich jucken würde! Nun werde ich heute auch noch ins Wasser müssen!, denkt er finster. Und alles wegen Babawaju! Die Wut überkommt den Jungen erneut. Ruckartig richtet er sich auf. „Bleib liegen“, beruhigt ihn sein Bruder, „ich denke, ich soll dir was erzählen...“ „Na, von mir aus. Dann kriegt Babawaju seine Abreibung eben etwas später. Aber kriegen wird er sie! Den mach ich fertig!“ „Die Geschichte, die ich dir erzählen will“, beginnt Jagolas, „ist eine gute Geschichte, eine Geschichte, aus der man etwas lernen kann. Und lernen, kleiner Frosch, willst du doch noch was, oder? ... He, was ist?!... Sag jetzt: Ja!“ „Jaaa...“ „Die Geschichte handelt davon, wie Menschen, die lange vor uns lebten, Gunakadet zu einem Fest einluden.“ Ojai runzelt die Stirn. „Was denn“, wundert er sich, „ein Fest für Gunakadet?“ Gunakadet ist ein schreckliches, riesengroßes Ungeheuer, das im Dunkel der Wälder, aber auch im Wasser der Flüsse und in der Tiefe des Meeres zu Hause sein kann. Es hat den Kopf eines Wolfes und den Körper eines gewaltigen Wales. Weiter im Norden bei den Haida - Indianern wird das Untier, wir erinnern uns, Wasko genannt. Und ein solches Monster sollten Menschen einst zu einem Besuch geladen haben? Na, Ojai ist jedenfalls gespannt. Und Jagolas erzählt: „Einmal wurden zwei große Kriegskanus, vom Festland, dem heutigen Fort Rupert gegenüber, zurückkehrend, an der Mündung des Quatsino - Sundes von der Dunkelheit überrascht. Jedes der beiden Boote war mit achtundzwanzig tapferen Männern und zwölf gefangenen Sklaven besetzt. Die unerschrockenen Krieger der Koskimo hatten nicht einen einzigen Mann auf ihrem siegreichen Kriegszug verloren.“ „Das muss aber wirklich schon sehr lange her sein“, unterbricht Ojai den Bruder, „denn solange ich auf der Welt bin, haben wir Koskimo noch keinen einzigen Krieg gemacht.“ „Da hast du recht; dass die Koskimo gefürchtete Krieger waren, ist wirklich schon sehr lange her ...“, entgegnet Jagolas mit ein bisschen Bedauern in der Stimme, doch dann fügt er nachdenklich hinzu: „Aber weißt du, Ojai, in Frieden zu leben, ist auch nicht schlecht, weil... Kriege sind gefährlich, sind einfach unberechenbar, und nie sterben in diesen Kriegen nur Leute, die es verdienen, tot zu sein. Im Krieg sterben, da kann man gar nichts machen, auch Freunde, sogar Mütter ... und kleine Brüder.“ Die beiden schweigen eine Weile. Dann erzählt Jagolas weiter: „Die Männer beschlossen, gleich dort, wo der Quatsino - Sund seinen Anfang nimmt, zu übernachten und erst bei Tagesanbruch nach Hwades weiterzufahren. Das eine der Boote machten die Männer an einer Felsnadel fest, die wie ein langer einsamer Finger aus dem Wasser ragte, das andere Kanu wurde an Land gepaddelt und am überhängenden Ast einer knorrigen alten Fichte sorgfältig angebunden. Diejenigen, welche ihr Boot an der Felsnadel im Wasser festgemacht hatten, zogen es vor, gleich im Kanu die Nacht zu verbringen, die anderen achtundzwanzig, unter ihnen der Anführer des Zuges, stellten eine Wache auf und legten sich, ohne erst noch ein Feuer zu entzünden, zum Schlafen unter die Fichte, an deren überhängenden Ast ihr Boot gebunden war. Wie der Anführer der Krieger hieß,...




