E-Book, Deutsch, 224 Seiten
Emmerich Mauerfall
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-7650-2113-8
Verlag: Lauinger Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Mannheim-Krimi
E-Book, Deutsch, 224 Seiten
ISBN: 978-3-7650-2113-8
Verlag: Lauinger Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
9. November 1989, die Mauer fällt. Millionen Deutsche jubeln über den Zusammenbruch der DDR. In ganz Berlin liegen sich die Menschen in den Armen. Doch einer von ihnen nutzt diesen Trubel, um eine dunkle Tat zu begehen...
25 Jahre später findet die Kripo Mannheim eine Leiche am Neckarstrand. Zunächst sieht es nach einer Hinrichtung im Drogenmilieu aus. Doch dann führt die Spur weit zurück in die Zeit der Wende. Die Kommissarin Olivia von Sassen muss Stück für Stück zusammensetzen, was in jener Nacht wirklich geschah, nur so kann sie ein dunkles Geheimnis lüften.
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Prolog
Sie ist so alt wie die Menschheitsgeschichte selbst. Die Rache. Obwohl sie gesellschaftlich verpönt ist, sitzt sie tief in jedem Einzelnen von uns. Es ist beinahe so, als gehöre Rache zu unserem genetischen Code. Nicht zuletzt schlägt sie sich auch in unseren Redewendungen und Sprichwörtern nieder und belegt damit ihre Allgegenwärtigkeit. So sprechen wir davon, dass Rache die Seele befreie. Wenn es darum geht, wie man sich am besten rächt, kann man sich an die Redewendung halten, dass Rache am besten kalt serviert wird. Und schließlich personifiziert man Rache beinahe, indem man davon spricht, dass Rache süß und gefährlich sei. Sie wird bisweilen als die erste und roheste Offenbarung des Rechtsgefühls bezeichnet. Andere würden sagen, dass es für sie Rache ist, wenn man es jemand anderem so richtig heimzahlt. Wir üben Vergeltung für eine massive seelische Verletzung, wenn wir uns rächen. Doch Rache geht noch viel weiter als Vergeltung. Wenn wir uns betrogen, zunächst ohnmächtig und später gekränkt fühlen, dann entwickeln sich Gedanken an eine Revanche. Ein Racheplan wird geschmiedet. Jeder Rache geht ein Verlust voraus. Die Ehre, das Selbstwertgefühl, die große Liebe – alles kann unwiederbringlich ruiniert werden und das Verlangen entfachen sich Befriedigung zu verschaffen. Sind wir angegriffen, wurden erniedrigt oder ausgenutzt, dann wollen wir mit einem Akt der Rache für Gerechtigkeit sorgen. Der Drang, Gerechtigkeit wieder herzustellen, bestimmt unser Handeln und setzt sich tief in unserer Seele fest. Fortan und immer wieder. Vergeltung spielt eine wichtige Rolle für die seelische Gesundheit. Kränkungen und Verluste lassen sich besser verarbeiten, wenn man sich rächt. Wer den Wunsch nach Vergeltung immer wieder unterdrückt, wird letztlich krank vor Schmerz. Rachegelüste sind keine Seltenheit, und Rache ist nicht nur Bestandteil einiger Kulturen. Rache ist der Ausdruck einer grundlegenden menschlichen Notwendigkeit, erlittenes Unrecht durch eigenes Handeln auszugleichen. Das Opfer rächt sich, indem es selbst zum Täter wird. Die Grenzen verschwimmen. Der Akt der Vergeltung schafft Genugtuung. Rache ist wie ein Ventil, das den Überdruck des angestauten Ärgers ablässt. So sehr Rache als Motiv in der Menschheitsgeschichte seit Anbeginn existiert, so sehr ist sie heute gesellschaftlich geächtet. Wir haben Achtung vor dem Gesetz, das Rache verbietet. Es definiert Rache als Mordmerkmal in Form eines niederen Beweggrundes. Wer aus Rache tötet, gilt als Mörder, nicht als Totschläger. Weil man sich für zivilisiert hält, belässt man es bei wilden Fantasien über Rache als Ausgleich für die erlittene Schmach. Reichen diese Fantasien nicht aus, schreitet mancher zur Tat. Haben Kränkungen den Kern des Selbstwertgefühls empfindlich getroffen, entsteht der unbändige Wunsch, dem anderen zu schaden. Aus Verletzung wird Zorn, aus Zorn Berechnung und aus Berechnung Rache. Eigenhändig die Rachegelüste auszuleben und den anderen zu strafen, hinterlässt eine Befriedigung. Die Bibel beschreibt ein tiefes, menschliches Bedürfnis, wenn es im Alten Testament im Buch Exodus heißt: »So sollst du geben Leben für Leben, Auge für Auge, Zahn für Zahn, Hand für Hand, Fuß für Fuß, Brandmal für Brandmal, Wunde für Wunde, Strieme für Strieme.« Gemeinhin wird dieser Ausspruch mit der Formel »Auge um Auge, Zahn um Zahn« übersetzt. Das Teilzitat wird meist als Anweisung für das Opfer oder seine Vertreter aufgefasst, dem Täter Gleiches mit Gleichem »heimzuzahlen«. In archaischen Zeiten sollte diese Gesetzesregelung vor allem die Blutrache, die Vendetta, eindämmen. Doch noch heute existiert die Blutrache. Dabei soll ein Verbrechen mit dem Tod des Täters gesühnt werden. Koste es, was es wolle. *** Gerade ging die Sonne unter. Jetzt, im Frühjahr, spürte man dies schlagartig. Solange die Sonne auf einen hernieder schien, reichte ihre Kraft bereits aus, um zu wärmen. Sobald sie aber weg war, wurde es kalt. So erging es auch dem dunkel gekleideten Mann, der seit einer Stunde hinter einem Gebüsch im Luisenpark auf der Lauer lag. Er war umgeben von grünen Sträuchern, die bereits grüne Blätter trugen, von weißen, roten und blauen Blüten und von Büschen, die sich noch tief im Winterschlaf befanden. Hier und da war eine erste Knospe zu erkennen. Aber erst in wenigen Wochen würden die Pflanzen des Parks voll erblühen. Der Mann hatte eine Weile gebraucht, um eine geeignete Stelle für sich zu finden. Nun verharrte er in seiner Position und wünschte sich, zwanzig Jahre jünger zu sein. Früher war er einmal sportlich, kräftig und durchtrainiert gewesen. Das konnte man seinem Körper und seiner Haltung noch immer ansehen. Aber er war nicht mehr der Jüngste. Das spürte er jeden Tag. Vor allem die gebückte Haltung machte ihm zu schaffen. Doch er ertrug diesen Zustand mit eiserner Disziplin, so wie er es vor vielen Jahren gelernt hatte. Der Mann hatte unbedingt vor seinem Opfer am vereinbarten Treffpunkt sein wollen, denn für ihn ging es um Leben oder Tod. Er war fest entschlossen und würde mit allen Mitteln sein Geheimnis schützen. Und er musste davon ausgehen, dass auch das Opfer früher kommen oder Verstärkung mitbringen würde. Allein deshalb war es notwendig, hinter dem Gebüsch zu kauern und der Dinge zu harren. Dort, im Stillen hinter dem Rhododendron, wunderte er sich über die Begebenheiten der letzten Tage. Vor zwei Tagen hatte er noch ein anderes Opfer im Visier. Alles war nach Plan verlaufen. Nach einer akribischen Recherche, die ihn mehrere Monate in Beschlag nahm. Nun hatte eine kleine Begegnung alles verändert. Das Schicksal hatte die Karten neu gemischt. Wählerisch konnte er nicht sein. Er musste handeln. Das hatte er immer getan. Und es hatte ihm immer einen entscheidenden Vorteil beschert. Einen Moment lang schweiften seine Gedanken ab, als er so hinter dem Gebüsch kauerte. Er dachte an das andere Opfer, das er sich gleich danach vornehmen würde. »Eins nach dem anderen. So wie früher, in der guten, alten Zeit«, dachte er bei sich. Der Gedanke an die Vergangenheit beruhigte ihn. Damals bestimmten solche Situationen seinen Alltag. Er konnte das. Er hatte es schon hundertmal getan. Es gab nur einen Unterschied zu damals: Heute legte keiner schützend seine Hand über ihn. Heute musste er genau deshalb vorsichtig sein. Es dämmerte bereits. Die Sonne war nicht mehr zu sehen und bereits hinter der Pflanzenwelt und der Kulisse Mannheims verschwunden. Ohne das wärmende Licht und im Schatten der Büsche wurde es dem Mann kalt. Eine kühle Feuchte durchzog seinen Körper bis auf die Knochen. Es fröstelte ihn, und er merkte, wie seine Hände steif wurden. Schließlich war es erst Anfang April und der Sommer noch weit entfernt. Lange Zeit hatte er in Deckung verharrt, ohne dass etwas geschehen war. Vor fünf Minuten konnte er endlich sein Opfer am Treffpunkt erkennen. Es hätte gereicht, eine halbe Stunde vor der vereinbarten Zeit da zu sein. Aber sein Ausbilder hatte ihm damals eingebläut, dass auch die Opfer früher kommen könnten. Deshalb sollte man seine Arbeit immer zeitig beginnen und sich in Geduld üben. Von seiner Position aus konnte er das Opfer durch den Rhododendron hindurch beobachten. Es stand wartend am verabredeten Treffpunkt und blickte umher. Was es mit ihm vorhatte, wusste er nicht. Er fürchtete jedoch das Schlimmste. Und genau deshalb musste er handeln. Ihm blieb keine andere Wahl. Diese Situation durfte er nicht auf die leichte Schulter nehmen. »Unterschätze niemals deine Opfer«, hatte sein Ausbilder damals auch noch gesagt, »niemals!« Er blickte noch einmal nach oben in den Himmel. Das Tageslicht war verschwunden und das Firmament färbte sich dunkel. Nun war der Moment gekommen. Er musste vorsichtig sein. Seine Aufregung äußerte sich vor allem darin, dass er zu schwitzen begann. Das war auch früher schon so gewesen, wenn er sich in ähnlichen Situationen befand. Und heute war es wieder so. Abgesehen davon war er ruhig und besonnen. Weder zitterte er, noch beschleunigte sich sein Atem. Erneut wischte er sich den Schweiß von der Stirn, holte tief Luft und umklammerte sein Messer. Das Opfer wartete in drei Metern Entfernung. Es ging den kleinen Weg am Gebirgsbach auf und ab. Als es ihm den Rücken zudrehte, fühlte er den Moment gekommen. Langsam und geräuschlos erhob er sich im Schutz des Gebüschs. Als er stand, trat er hinter dem Strauch hervor und setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Dann näherte er sich seinem Opfer, das ihn noch nicht bemerkt hatte. Aus der Entfernung von mehreren Metern roch er dessen Parfüm. Seit Stunden hatte er sich gefragt, was das Opfer von ihm wollte, und welches Spiel es mit ihm spielte. Wenn es glaubte, dass er einfach an der Nase herumzuführen sei, hatte es sich verschätzt! Es beleidigte ihn, wenn er nicht ernst genommen wurde. Einzig deshalb war er auf den Vorschlag seines Opfers eingegangen. Nun war er nur noch wenige Augenblicke von der Erfüllung seiner todbringenden Mission entfernt. Seine Gedanken kehrten in die Gegenwart zurück. Genau in diesem Augenblick stand das Opfer nur noch zwei Meter von ihm entfernt, hatte ihm den Rücken zugewandt und starrte in...