E-Book, Deutsch, 288 Seiten
Elstner / Kienast Mehr Power für den Kopf
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-492-99743-0
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Bonusjahre-Programm: Wie man innere Ruhe findet, Probleme löst und sich weniger Sorgen macht
E-Book, Deutsch, 288 Seiten
ISBN: 978-3-492-99743-0
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Frank Elstner, Jahrgang 1942, ist Journalist, Fernsehshowmaster und Entertainer. Die von ihm erfundene Fernsehshow »Wetten, dass..?« machte ihn einem Millionenpublikum bekannt. Frank Elstner erhielt zahlreiche Preise und Ehrungen. Er lebt in Baden-Baden.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
2
Wie wir mentale Fesseln erkennen, überwinden und neue Wege gehen
Hier erfahren Sie:
- Wie die klassische Konditionierung Körper und Geist »verklebt« (Erstes Gesetz)
- Welches Lernen die Kreativität raubt (Zweites Gesetz)
- Wie tolle Zufälle kluge Innovationen verhindern (Drittes Gesetz)
- Wie Lernen viral wird und unserem Gehirn den Atem raubt (Viertes Gesetz)
- Warum wir anderen mehr nachmachen, als wir glauben (Fünftes Gesetz)
- Wie gefährlich Bezugsrahmen sein können (Sechstes Gesetz)
1
Wie die klassische Konditionierung Körper und Geist »verklebt« (Erstes Gesetz)
Frank Elstner
Elstner: Der Untertitel unseres Buches lautet: Wie man innere Ruhe findet, Krisen bewältigt und sich weniger Sorgen macht. Nun hat uns die Zeit eingeholt, und die Corona-Krise hat auf vielen Ebenen für viel Unruhe bei einer großen Anzahl von Menschen gesorgt. Ich würde gerne darüber sprechen, wie man Ruhe findet und sich weniger Sorgen macht. Was denkst du, wo soll ich da ansetzen, um das Thema gut anzugehen?
Thorsten Kienast
Kienast: Im Grunde sind die psychologischen Lernmechanismen bei starken Krisen ganz ähnlich wie bei alltäglichen Belastungen, die sich sehr anstrengend durch das Leben ziehen. Daher, fang doch mit einer interessanten Situation aus deinem Leben als Fernsehmoderator an. Wir modellieren dann das Wichtige heraus.
Elstner: In Ordnung. Da fällt mir auch gleich etwas vor dem heutigen Hintergrund vielleicht eher Banales, aber in meinem Alltag wirklich sehr Anstrengendes ein. Ich suche nämlich meine innere Ruhe am meisten, bevor ich in eine Sendung gehe. Das ist leider aber auch genau der Zeitpunkt, an dem ich maximal nervös bin …
Kienast: Das möchte ich etwas genauer verstehen. Also: Du bist im Studio, hast dein »Warm-up« mit dem Publikum hinter dich gebracht, und nun geht es gleich los. Wie fühlst du dich da?
Elstner: Kurz vor dem Auftritt? Grässlich. Ich habe immer Lampenfieber, frage mich jedes Mal, warum ich mir das antue. Ich weiß, jetzt muss alles glattlaufen, denn das Ziel ist es ja, die Leute zu begeistern und ihnen etwas Positives mitzugeben. Da geht es aber nicht nur mir so, viele Künstler und auch Sportler haben Lampenfieber. Einfach weil sie ihre Sache gut machen wollen – und auch wissen, was alles schiefgehen kann.
Kienast: Wer oder was signalisiert dir, dass du jetzt auf Sendung gehst? Das ist für mich jetzt deshalb so interessant, weil wahrscheinlich genau diese Reize dein Lampenfieber auslösen.
Elstner: In der Regel macht das der Aufnahmeleiter oder die Aufnahmeleiterin. Die haben Kontakt mit der Regie und erfahren, wann wir auf Sendung sind. Mit der oder dem kommuniziere ich – meist ohne Worte –, und sie haben es letztlich auch in der Hand, ob meine Nervosität noch weiter steigt oder sich in Grenzen hält.
Kienast: Und wann lässt diese Nervosität nach?
Elstner: In dem Moment, in dem das Rotlicht an der Kamera aufleuchtet. Dann bin ich auf Sendung, oft live, und die Nervosität verschwindet erstaunlicherweise mit einem Schlag. Am schlimmsten ist das Warten auf das rote Licht.
Kienast: Dann bist du auf die rot leuchtende Lampe klassisch konditioniert. Ist dieses Warten das einzige Zeichen? Oder gibt es weitere Signale, durch die diese Nervosität wächst?
Elstner: Es gibt jede Menge solcher Signale. Bei mir hat manchmal schon der Name des Wochentags einer Produktion dazu geführt, dass ich etwas mehr Spannung gespürt habe und in der Nacht vorher sehr unruhig geschlafen habe. Dann verstärken die Ankunft auf dem Parkplatz vor dem Studio, die letzte Regiebesprechung, die Prozedur in der Maske und am Ende tatsächlich das Warten auf die kleine rote Lampe an der Kamera das Lampenfieber. Bevor die dann endlich aufleuchtet, bin ich auch nach vielen Jahren Routine immer noch ziemlich aufgeregt: Ich warte hinter den Kulissen, versuche mich auf die ersten Sätze zu konzentrieren und dabei die Gedanken an all das, was schiefgehen kann – und das ist eine Menge –, zu verdrängen.
Kienast: Dann bist du auch auf diese anderen Signale konditioniert, aber in die andere Richtung. Damit meine ich: Normalerweise werden die Menschen ja dann nervös, wenn die Lampe angeht, weil sie jetzt auf Sendung sind. Bei dir aber erzeugt das Leuchten der roten Lampe Entspannung. Signale, die bei den anderen für etwas Entspannung sorgen – wie beispielsweise ein ruhiger Aufenthalt in der Maske –, erzeugen bei dir Anspannung – die Effekte dieser Reize sind also entgegengesetzt gerichtet. Und nun kommt eine etwas merkwürdige Frage: Magst du diese rote Lampe an den Kameras?
Elstner: Na ja, wenn ich ehrlich bin, ist meine Einstellung da sehr zwiespältig. Aber … ja, weil ich dann, wenn sie aufleuchtet, keine Zeit mehr habe, an andere Dinge zu denken als an diesen Moment und diese Sendung. Sie schaltet sozusagen mein Gedankenkarussell ab. Besser als jede andere Methode. Ich spüre das sofort: Dann bin ich in meinem Element und kann Menschen Interessantes und Freude in ihr Wohnzimmer bringen. Auf der anderen Seite ist sie auch kein echter Freund, weil sie mich hart rannimmt und mir keinen Fehler verzeiht. Wenn sie am Ende der Sendung erloschen ist, war ich auch schon oft dankbar und heilfroh.
Kienast: Ist das immer wieder so gewesen mit der Lampe? Und ist das bei allen deinen Kollegen gleich?
Elstner: Ja, bei mir ist das recht konstant. Bei anderen Kollegen ist das aber nicht unbedingt so. Sie haben andere Signale, die aber im Grunde dasselbe bei ihnen auslösen. Genauso abrupt und genauso körperlich spürbar. Maskenbildnerinnen können da übrigens spannende Geschichten erzählen, denn sie beschäftigen sich im Laufe ihrer Arbeitsjahre mit vielen prominenten Nervenbündeln, die da zitternd und schwitzend auf ihren Stühlen herumrutschen – kurz danach aber rausgehen und den Saal rocken! Viele haben feste Rituale, Florian Silbereisen macht noch Sport vor seinem Auftritt, andere meditieren, ich habe gerne geschlafen, und mein enger Freund Dieter Thomas Heck hat sich immer einen kleinen Schluck von einem bestimmten Doppelkorn einverleibt. Selbst Topstars verlässt das Lampenfieber nie: Robbie Williams versucht es mit Atemübungen, und seine Kollegin Adele ist sogar einmal geflüchtet vor lauter Panik.
Kienast: In der Lernpsychologie ist dieses Phänomen schon seit vielen Jahren sehr gut bekannt. Wir nennen es klassische Konditionierung. Es ist das erste von sechs Gesetzen des Lernens. Klassische Konditionierung bedeutet, dass dein Gehirn mehr oder weniger automatisch gelernt hat, dass sich deine Anspannung reflexartig durch das Licht dieser Lampe ändert. Deine Anspannung steigt, wenn die Lampe aus ist, und sinkt, wenn sie aufleuchtet. Sodass sich bei Rotlicht dein Gefühl der Aufregung wie von Zauberhand legt und du dich plötzlich sogar freuen kannst. Vielleicht merkst du ja, dass dann dein Herz ruhiger schlägt und sich die Muskeln geschmeidiger anfühlen, vielleicht auch der Mund wieder etwas weniger trocken ist. Diese klassische Konditionierung ist es auch, die deine Körperreaktionen im Vorfeld hochfahren lässt – durch bestimmte Signale wie das Fahren zum Studio oder die Redaktionssitzung vor der Sendung.
Elstner: Trifft alles zu …
Kienast: Das Erstaunliche dabei ist, dass ja in dem Moment rein gar nichts passiert, außer dass dieses Licht aufleuchtet! Alle anderen Methoden zur Beruhigung vorher waren dagegen deutlich weniger wirksam. Genau daran erkennt man die klassische Konditionierung: Ein Reiz – hier das Warten auf das Licht – wird mit einer Körperreaktion, einem Gedanken, einem Gefühl oder einem Verhalten gekoppelt oder »verklebt«. Durch diesen Mechanismus entsteht sozusagen ein verklebter, das heißt beständiger Zusammenhang zwischen Körper und Geist.
Elstner: Psychosomatisch, sozusagen.
Kienast: So ist es. Eine verhaltenswissenschaftlich wirklich hochinteressante Schnittstelle. Erlebst du das eine, wird nach einem kurzen Lernprozess das andere automatisch dazugeliefert, und dann können wir diese Zusammenarbeit kaum noch unterdrücken. In deinem Fall klebt an der roten Lampe quasi ein Ausschaltknopf für deine Angst! Großartig, nicht? Nachdem das Licht angegangen ist, befindest du dich in der konditionierten Gedanken- und Gefühlswelt der konzentrierten, angeregten Ruhe – als könnte man sie einfach an- und ausknipsen. Eigentlich sogar irrational, denn wenn das Rotlicht erscheint, geht es ja eigentlich erst wirklich zur Sache.
Jeder hat seine eigenen Signale, auf die er so reagiert. Das bringt unsere Neurobiologie mit sich. Dem kann man nicht entfliehen, und man kann sich diese Reflexe auch nur schwer abgewöhnen.
Elstner: Nun sind ja sicher nicht alle unsere Leser von Lampenfieber geplagt. Wo schlägt denn diese Konditionierung oder »Verklebung« im Alltag noch zu?
Kienast: Unser Alltag ist gespickt von solchen klassischen Konditionierungen. Diese Reflexe haben nichts mit situationsbedingtem, intelligentem Denken zu tun. Werden sie ausgelöst, lenken sie unser Denken und Fühlen nicht unerheblich in eine ganz bestimmte Richtung, ob es Sinn macht oder nicht – da geht es uns so wie den berühmten pawlowschen Hunden. Der russische Verhaltenswissenschaftler Iwan Pawlow hat den Effekt der Konditionierung mit folgendem legendären Experiment...