Elsäßer | Zwischenlandung | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 304 Seiten

Elsäßer Zwischenlandung


1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-7336-0054-9
Verlag: FISCHER Sauerländer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

ISBN: 978-3-7336-0054-9
Verlag: FISCHER Sauerländer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Eine außergewöhnliche Liebesgeschichte - romantisch, tragisch und wunderschön schräg. Wenn Gregor einen Raum betritt, scheint die Sonne heller und die Welt dreht sich ein wenig langsamer. Mit ihm ist alles strahlender, intensiver und lustiger - weil er ein Spaßvogel ist und ein Frauentyp. Dass er zwar alle Mädchen bekommt, aber nur Mira will, kann er ihr jedoch nicht mehr sagen: Denn ausgerechnet in dem Moment, als er ihr seine Liebe gestehen will, wird Gregor von einem Golfball am Kopf getroffen und ins Wachkoma befördert. Als Gregor nach vielen Wochen die Welt langsam wieder wahrzunehmen beginnt, sitzt Mira an seinem Bett. Die zauberhafte, wild gelockte Mira, der er doch nicht ganz egal zu sein scheint. Und da beschließt Gregor zu kämpfen für das ganz große Glück. Wird es ihm gelingen, die unsichtbare Mauer zu durchbrechen, die ihn von Mira und der Welt dort draußen trennt? Für alle Fans von Nick Hornbys ?A long way down? und ?Während du schliefst?.

Tobias Elsäßer, geboren 1973, arbeitet als freier Journalist, Autor und Musiker. Darüber hinaus leitet er Schreibwerkstätten und Songwriter-Workshops und schreibt Drehbücher. Für seine Kinder- und Jugendromane hat er bereits zahlreiche Preise und Stipendien erhalten.
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Erster Teil


Prolog


Ein Taucher. Ein Golfball. Ein Mädchen. Und die große Chance.

Gregor


In wenigen Minuten würde ich sterben, halb sterben, aber das wusste ich nicht. Niemand weiß, wann er stirbt, wenn er nicht selbst die Finger im Spiel hat oder in die Mündung einer Pistole blickt. Deshalb kletterte ich gut gelaunt vom Traktor, versicherte Bauer Johannson, unsere Angelegenheit weiterhin vertraulich zu behandeln, und schleppte mein Zeug hinunter zum See.

Ein warmer Ostwind blies mir ins Gesicht, eine Schar Enten setzte zur Notlandung an. Die Wasseroberfläche explodierte unter den kurzen harten Schlägen ihrer Flossen. Ein Schwan auf Nahrungssuche taumelte kopfüber in der Seemitte. Aufgeschreckt durch den Lärm, kippte er nach oben und gab den Ankömmlingen zu verstehen, dass sie soeben fremdes Territorium betreten hatten.

»Respekt!«, schien er zu schnattern. »Respekt!«

In der Natur gibt es nur Freund oder Feind, kein Dazwischen. Niemand muss sich verstellen, niemand muss ein anderer sein als er selbst.

Samstags bei Sonnenschein ist viel los auf dem Golfplatz, das machte meinen Job nicht ganz ungefährlich. Aber ich wollte mein Taschengeld in Sicherheit bringen, bevor es vom angekündigten Unwetter in die Kanalisation gespült wurde. Lustlos schlüpfte ich in meinen stinkenden Neoprenanzug. Außentemperatur achtundzwanzig Komma neun Grad, Luftfeuchtigkeit fünfundachtzig Prozent. Willkommen in den Tropen.

Konstantin oder Konsi, wie wir ihn nannten, hatte angekündigt, zur End-of-Summer-Party am Abend etwas »Besonderes« mitzubringen. »Besonderes« hieß, besonders teuer, exklusiv, nicht für jedermann, und das gefiel mir. In einer Ortschaft mit achthundertneununddreißig Einwohnern, drei Kneipen und diversen gut getarnten Freaks waren Feste und Partys die einzige Möglichkeit, seinen Geist unverdächtig in alle Richtungen zu öffnen.

Um exakt 15.31 Uhr ging ich unter Wasser. Die Fische hatten sich im löchrigen Schatten der Trauerweide versammelt. Vielleicht tauschten sie den letzten Tratsch aus. Angeln war hier verboten. Folglich würden sie eines natürlichen Todes sterben. Ich wollte mir den Schilfgürtel am östlichen Rand vornehmen. Dort war das Wasser nicht allzu tief, angenehm temperiert, und ich konnte fürs Erste mit Schnorchel tauchen.

Innerhalb weniger Minuten hatte ich acht Golfbälle beisammen. Wenn das so weiterging, würde ich unseren Rekord brechen. Und das alleine. Ich brauchte den größeren Köcher, also tauchte ich auf und schwamm zurück zum Steg auf der gegenüberliegenden Seite. Oben, an Loch achtzehn, sah ich zwei Gestalten. Ich setzte die beschlagene Taucherbrille ab, nahm meine Ray-Ban-Sonnenbrille aus dem Rucksack und musste lächeln, als ich durch die verspiegelten Gläser blickte. Auf dem Hügel stand Mira. Die langen roten Locken züngelten im Wind wie lodernde Flammen. Sie würde nie verstehen, wie schön sie war. Sie war die Sehenswürdigkeit in einem Dorf ohne Sehenswürdigkeiten. Aber das war ihr egal, und gerade das machte sie noch attraktiver.

Ihre Stimme wurde gedämpft herübergetragen. Sie gab dem Spieler Tipps. Nach Golfbällen zu tauchen war ein außergewöhnlicher Nebenjob. Miras Geldquelle war ähnlich ungewöhnlich. Sie arbeitete als Caddy für Leute mit richtig viel Kohle. Ein aussterbender Beruf. Caddys, die Sklaven der Reichen, müssen den Platz und seine Eigenheiten kennen, das passende Eisen reichen und die entsprechenden Tipps geben. Groß, schlank und schön zu sein wie Mira war nicht von Nachteil, wollte man ein gutes Trinkgeld einstreichen. Für mich wäre der Job nichts gewesen. Ich hasste es zu buckeln, nur weil jemand Geld hat.

Jedenfalls stand Mira da, aufrecht, die Fahne von Loch 18 in der Hand wie eine mittelalterliche Freiheitskämpferin, eine Jeanne d’Arc, die ihre Macht noch nicht kannte. Sie schien mich nicht zu bemerken oder sie ignorierte mich, weil sie mich für einen hirnlosen Idioten hielt, der außer Mädchen, Partys und Geld nicht viel im Kopf hatte.

Ich wandte den Blick wieder ab, begutachtete die Beute in meinem Köcher und zuckte zusammen. Manche Menschen glauben an Zufälle, andere an Schicksal. Bis zu dem Tag wusste ich nicht, zu welcher Seite ich gehörte. Doch als ich den silbernen Ring zwischen den Fingern drehte, mit Spucke vom Schmutz befreite und die Initialen las, war mir klar, dass es keine Zufälle gab. Alles war vorbestimmt. Jeder Moment, jedes Lächeln, jeder Gedanke. Ich hielt den Atem an, wollte mich beherrschen, ruhig bleiben, aber mein ganzer Körper fing an zu zittern. Das hier war ein Märchen für einen Menschen, der nicht an Märchen glaubte. Das hier war eine, nein, dritte Chance, ein Wink des Schicksals, es noch ein letztes Mal zu versuchen. Der große Tag war gekommen.

Ich schaute zu Mira.

Ich schaute auf den Ring.

Ich wusste, dass es kein Zurück mehr gab.

Entweder das hier war der Auftakt zur kitschigsten Liebesgeschichte seit oder der traurige Schlusspunkt nach mehreren Jahren im Trainingscamp für unglücklich Verliebte. In Gedanken hörte ich einen Countdown.

Noch vor der Null nahm ich all meinen Mut zusammen, hielt den Ring in die Luft, ließ die Flossen an meinen Füßen und watschelte über den Steg zurück zum Ufer, was mit Sicherheit richtig dämlich aussah. Es war ein Wunder, dass ich nicht stolperte. Hinter dem Ufer, getrennt durch einen schmalen Grünstreifen, breitete sich der Sandbunker aus. Ich winkte Mira zu und hielt den Ring in die Luft, was sie aus der Entfernung unmöglich erkennen konnte. Mir ging so vieles durch den Kopf. Erinnerungen zogen im Schnelldurchlauf an mir vorüber. Ich surfte auf meiner Timeline vor und zurück.

Ja, verdammt!

Das hier war meine dritte Chance.

Ein Wink des Schicksals.

Die große Prüfung.

Mira ignorierte mich. Das hatte ich erwartet, also brüllte ich ihren Kosenamen quer über das Grün. »Mimi!«, rief ich wie früher, als wir noch jeden Tag zusammen verbracht hatten. »Hab ’ne Überraschung für dich.«

Sie reagierte nicht – zumindest nicht so, wie ich es mir erhofft hatte. Sie zeigte mir den Vogel und schüttelte energisch den Kopf. Mein Auftritt war ihr peinlich. Schließlich war das hier das Finale ihres übergewichtigen Kunden. So kurz vor dem Ziel wäre es dumm gewesen, sich ein ordentliches Trinkgeld zu verscherzen. Sie dachte, ich würde mal wieder den Clown spielen. Ich kannte sie gut genug – und meine beschissene Rolle ebenso, in der ich mich verfahren hatte. Mira konnte ja nicht ahnen, welchen Schatz ich da in meiner Hand hielt.

Es war windstill. Nur das Dauerfeuer der Driving-Range-Abschläge hinter dem Tannenwäldchen war zu hören. Die Zeit dehnte sich in die Unendlichkeit.

Plötzlich spürte ich einen stechenden Schmerz an meinem rechten Knöchel, oder war es ein Stich, vielleicht auch ein Biss? Schließlich gab es ja Schlangen. Vor allem Ringelnattern. Eine harmlose Spezies, wie mir mein Vater, der Naturexperte, versichert hatte. Jedenfalls zog mir der Schmerz das Bein weg. Ich kippte in den Sand. Jetzt sah ich garantiert aus wie ein paniertes Schnitzel – und mein Knöchel brannte höllisch.

Ich wischte meine Brille frei und lächelte: Mira kam vom Berg der Unerreichbarkeit heruntergeschritten. Sie wusste wirklich nicht, wie elegant, wie schön sie war. Es war ihr egal. Sie machte sich nichts aus Äußerlichkeiten und war dennoch immer perfekt angezogen. Sie war immun gegen flüchtige Trends, iPhones und Tablets und den ganzen anderen Kram, und dennoch oder gerade deshalb wurde sie bewundert und nicht geächtet. Sie hatte das Zeug zur Anführerin, das hatte sie schon als Kind bewiesen.

Ich blieb liegen, den Ring eingeschlossen in meiner Faust. Das Herz kurz vor der Explosion. Sie stand jetzt über mir. Das Haar leuchtend rot in der Sonne. Das Gesicht in kitschig vollendeter Schönheit und so unerreichbar wie der Himmel selbst.

»Was ist los mit dir?«, fragte sie. »Musst du immer so ’ne Show abziehen?«

»Ich …«, krächzte ich. Plötzlich war meine Stimme weg. Das passierte nur bei Mira oder in Mathe, wenn ich von Dr. Rothfuß an der Tafel gedemütigt wurde.

Sie war wütend. Die Sommersprossen in ihrem blassen Gesicht, ein neu entdecktes Sternbild. Ich fotografierte den Anblick, während der Neoprenanzug auf meiner Haut zu kochen anfing und ich darunter verbrannte.

»Warum brüllst du rum wie ein Irrer?«, fragte sie.

»Ich …«, setzte ich erneut an, während sich die Gedanken in meinem Kopf zu einer meterhohen Welle auftürmten, die mich komplett lähmte. Es war, als würde ich versuchen, die ganzen letzten Jahre in einen einzigen Satz zu packen.

Es ging nicht. Da war eine Schranke, eine unüberwindbare Grenze. Da waren die Bilder ihrer unterbelichteten Exfreunde. Da war ihr Kopfschütteln, wenn ich auf dem Schulhof den Entertainer spielte. Da waren das Stechen in der Brust und der freie Fall, wie damals nach unserem ersten und einzigen Kuss, der mich komplett aus meiner Umlaufbahn geschossen hatte.

Ich fing mich wieder. Kam wieder in die Spur.

Ich war ein mittelmäßiger Schauspieler. Ich war Durchschnitt und sie über alle Maßen perfekt. Ich dachte an die Reise, an meinen großen Traum, und überlegte, ob ich meine Chancen erhöhen...


Elsäßer, Tobias
Tobias Elsäßer, geboren 1973, arbeitet als freier Journalist, Autor und Musiker. Darüber hinaus leitet er Schreibwerkstätten und Songwriter-Workshops und schreibt Drehbücher. Für seine Kinder- und Jugendromane hat er bereits zahlreiche Preise und Stipendien erhalten.

Tobias ElsäßerTobias Elsäßer, geboren 1973, arbeitet als freier Journalist, Autor und Musiker. Darüber hinaus leitet er Schreibwerkstätten und Songwriter-Workshops und schreibt Drehbücher. Für seine Kinder- und Jugendromane hat er bereits zahlreiche Preise und Stipendien erhalten.



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