E-Book, Deutsch, Band 2, 240 Seiten
Reihe: Eden Park
Elsäßer Eden Park – Das schwarze Loch
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-7336-4962-3
Verlag: FISCHER Sauerländer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 2, 240 Seiten
Reihe: Eden Park
ISBN: 978-3-7336-4962-3
Verlag: FISCHER Sauerländer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Tobias Elsäßer, geboren 1973, arbeitet als freier Journalist, Autor und Musiker. Darüber hinaus leitet er Schreibwerkstätten und Songwriter-Workshops und schreibt Drehbücher. Für seine Kinder- und Jugendromane hat er bereits zahlreiche Preise und Stipendien erhalten.
Autoren/Hrsg.
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Zweites Kapitel Der Tag danach
Vincent und Leonie saßen an einem der Betontische neben dem Basketballfeld und schauten den Reinigungsrobotern dabei zu, wie sie die Überreste abgestürzter Drohnen, verbeulte Pakete, aufgerissene Medikamentenpackungen und allerhand anderen Müll davonkarrten. Man hatte die Mittagspause auf eine Stunde verlängert. Die Roboter wurden vom Sicherheitspersonal gesteuert und liefen trotzdem immer wieder in die falsche Richtung, als hätten sie über Nacht einen eigenen Willen entwickelt. Der kleine Springbrunnen vor der Mensa schäumte rosa. Dem Geruch nach zu urteilen, war Waschmittel mit besonders kräftigem Kirschduft dafür die Ursache. Die Überwachungskameras hatten ihre Köpfe nach unten geneigt. Systemausfall. Ob wirklich alle Kameras von diesem Ausfall betroffen waren, konnte auch Leonie nicht sagen. Ihr Handy zeigte nur die beiden englischen Wörter an:
FATAL ERROR
Das Surren der Drohnen war ebenfalls verstummt und mit ihm die künstlichen Vogelgeräusche und die langweilige Kaufhausmusik.
»Ich kann immer noch nicht glauben, dass wir es geschafft haben«, raunte Leonie Vincent zu. Sie zwirbelte an ihren Haarsträhnen und grinste breit. Dann blickte sie sich verstohlen um, als würde sie jemand vom Sicherheitspersonal beobachten.
»Das war ich nicht, Leonie«, entgegnete Vincent. »Wie oft soll ich das noch sagen? Das war Äsch. Er hat uns gerettet. Er hat mir geholfen, den neunten Würfel abzuwerfen.«
Leonie schüttelte den Kopf. »Dein Freund in allen Ehren, aber ohne dich läge hier kein Stein mehr auf dem anderen. Du musst nicht so bescheiden tun. Freu dich doch, dass du etwas Besonderes bist.« Sie knuffte ihn kumpelhaft in die Seite. »Und aufgelöst hast du dich auch nicht. Das hat wirklich krass ausgesehen gestern.«
»Ja, ja.«
Wie durch ein Wunder war in der vergangenen Nacht kein Bewohner von Eden Park ernsthaft zu Schaden gekommen. Weder durch das Erdbeben noch durch den heftigen Sturm. So stand es zumindest in der offiziellen Mitteilung, die überall auf den riesigen Displays im Wechsel mit Rabattangeboten aufleuchtete.
Niemand, außer Äsch. Äsch, für den sich niemand interessierte, weil er aus einer anderen Welt kam. Hatte sein Freund eigentlich eine Familie? Gab es so etwas überhaupt dort, wo er zu Hause war? Warteten seine Angehörigen und Freunde vergeblich auf seine Rückkehr? Vincent wusste so wenig über den Superboten. Er hätte ihm mehr Fragen stellen sollen. Aber jetzt war es zu spät. Jetzt würde er ihn nie wiedersehen.
Die Sonne schien von einem wolkenlosen Himmel, die Luft war ungewöhnlich klar. In wenigen Stunden würde hier alles wieder aussehen wie vorher. Nur die Risse in den Straßen und Verbindungsröhren und der mächtige Krater vor dem Haupteingang, in den er vor wenigen Stunden gestürzt war, würden nicht so schnell verschwinden. Vincent war gespannt, wie die Alpha-Gruppe das den Bewohnern erklären würde.
Den Vormittagsunterricht hatte man in die Aula verlegt und den Schülern aller Klassen Filme und Schaubilder über den weltweiten Klimawandel gezeigt. Am Ende wurde ein prominenter Wissenschaftler zugeschaltet, der Fragen zu Naturkatastrophen beantwortete, bevor er jedem von ihnen ein handsigniertes E-Book schenkte und von der Zukunft der Wetterbeeinflussung schwärmte. »Städte wie Eden Park, die es sich leisten können, werden mit dieser Technologie vor schlimmen Unwettern verschont bleiben und sich dadurch von der Willkür der Natur abkoppeln.«
Viel mehr hatte Vincent von dem Vortrag nicht behalten. Alle paar Minuten waren neue Bilder von der vergangenen Nacht vor seinem inneren Auge aufgetaucht. Szenen wie aus irgendeinem Film und nicht aus seinem eigenen Leben. Als hätte er das alles nur geträumt. Warum hatte sein Onkel den Boten so angeschnauzt? Hätte er auf Cornelius gehört, wäre er wahrscheinlich gar nicht mehr am Leben oder weit fort in einer anderen Welt, wo er nicht sein wollte. Das alles würde er seinem Onkel vorhalten, wenn er sich wieder bei ihm meldete. Aber wahrscheinlich war Cornelius eingeschnappt, dass er bei dem Streit im Labor nicht auf ihn, sondern auf den Boten gehört hatte, und ging deshalb nicht an sein Handy. Das würde ihm ähnlich sehen. Mittlerweile war sich Vincent nicht mal mehr sicher, ob gestern Nacht tatsächlich sein Leben auf dem Spiel gestanden hatte. Jetzt, Stunden später, fühlte sich alles wie ein Traum an, ein Abenteuer, das er dank Äsch und seiner Freunde unbeschadet, nein vielleicht sogar geheilt, überstanden hatte. Komisch war es trotzdem, dass sich sein Onkel nicht bei ihm meldete, nach allem, was passiert war. Wollte er denn gar nicht wissen, wie es ihm ging?
Geistesabwesend hörte sich Vincent Leonies übertrieben actionreiche Zusammenfassung der letzten Nacht an. Hier und da ergänzte er die Lücken. Dass er sich nicht daran erinnern konnte, wie er es aus dem Krater zurück in sein Bett geschafft hatte, ließ er unerwähnt. Obwohl die Auslöschungen an seinem Körper, ja sogar die dunkle Narbe an seinem Finger, restlos verschwunden waren, fühlte er sich den ganzen Morgen schon wie in Watte gepackt, als sei er nicht richtig da. Als würde dieses Gespräch gar nicht wirklich stattfinden, sondern nur in seinen Gedanken. Vielleicht träumte er ja tatsächlich immer noch. Er kniff sich unauffällig in den Arm. Der Schmerz kam verzögert bei ihm an. Das war seltsam.
Leonies Handy vibrierte. Hektisch loggte sie sich in ihren Account ein. Fast zeitgleich kehrten die künstlichen Vogelstimmen wieder zurück, und aus den unsichtbaren Lautsprechern plätscherte leise Musik.
»Wie es aussieht, gibt es von uns keine Aufzeichnungen in der Cloud-Datenbank«, sagte Leonie erleichtert. »Allem Anschein nach haben wir es geschafft, unter dem Radar zu fliegen. Nicht mal die fehlenden Hoverboards haben sie bemerkt. Das war alles total . Das macht uns keiner so schnell nach. Einfach perfekt.«
»Es gibt also auch keine Aufzeichnungen von Äsch oder meinem Onkel?«, vergewisserte sich Vincent. Auch seine Stimme hörte sich für ihn fremd an. Sie klang tiefer und härter.
An Leonies verdutztem Blick erkannte er, dass auch ihr die Veränderung nicht entgangen war. Sie bot ihm ein durchsichtiges Pfefferminzblättchen an. Vincent legte das hauchdünne Blättchen auf seine Zunge, bis es sich zischend auflöste und ihm die kratzige Schärfe in die Stirn stieg. Vielleicht hatte er sich ja gestern Nacht auch einfach nur erkältet.
»Danke«, sagte er, räusperte sich mehrmals hintereinander und wünschte sich seine alte Stimme zurück.
Leonie hielt ihm ihr Armband hin. Das Statuslämpchen leuchtete grün. »Sie haben die Tracking-Systeme hochgefahren. Wird nicht mehr lange dauern, dann schalten sie auch den Rest wieder ein.« Sie klickte durch ein Menü, in dem ihre Aufenthaltsorte der letzten zwanzig Stunden vermerkt waren. »Keiner von uns hat Spuren hinterlassen. Damit sind wir aus dem Schneider.«
»Aber Yashi wurde doch in der Altstadt markiert?«, wunderte sich Vincent. Er erinnerte sich daran, wie sich sein Freund selbstlos einer Drohne in den Weg gestellt hatte, um ihn zu beschützen.
»Schau selbst«, sagte Leonie und hielt ihm das Handy hin. Über dem Zeitstrahl, auf dem Yashis Aufenthaltsorte vermerkt waren, blinkten überall Fragezeichen. »Das System hatte ja einen Total-Absturz. Da werden die Sicherheitsabfragen gelöscht.«
Da trat Yashi zu ihnen. Als Sohn des Hausmeisters kam er dorthin, wo sonst nur die Angestellten der Alpha-Gruppe Zugang hatten, und wusste als Erster, wenn es etwas Neues in Eden Park gab. Er hatte den Vormittag geschwänzt. Weil das System erst jetzt wieder aktiviert wurde, würde sein Fehlen unentdeckt bleiben. Sein T-Shirt war verschwitzt, seine Hände schmutzig. Offensichtlich hatte er seinem Vater bei den Aufräumarbeiten geholfen. Er streckte den Rücken durch und stieß einen tiefen Seufzer aus.
»Schade, dass wir keinem davon erzählen können, was gestern Nacht wirklich passiert ist. Dass wir gewissermaßen die Welt und Vincent gerettet haben.« Mit einem überheblichen Grinsen ließ er seinen Blick über die anderen Tische schweifen, an denen sich die Schüler gegenseitig die Videoausbeute der vergangenen Nacht zeigten. Einige prahlten damit, unter welchen Gefahren sie die Filmaufnahmen gemacht hatten. Die Stimmung war regelrecht aufgeheizt, seit sich herumgesprochen hatte, dass es ein paar Videos unter die Top10 der internationalen Real-Life-Video-Charts geschafft hatten und damit viel Geld verdient wurde.
»Schaut sie euch an, diese ahnungslosen Langweiler«, raunte Yashi Leonie und Vincent zu. »Die haben nicht die geringste Ahnung, was wirklich hinter dem Sturm steckt. Hätten wir das gestern Nacht gefilmt, hätten wir ausgesorgt. Da müssten wir nie wieder in die Schule gehen und könnten Autogramme verteilen. Wir wären Superstars.« Er klopfte sich gegen die Brust. Leonie verpasste ihm einen Stoß in die Rippen. »Jetzt komm mal wieder runter. Ich sehe hier nur einen, auf den die Bezeichnung zutrifft.« Sie lächelte Vincent an.
»Schon gut«, schnaubte Yashi. »Du kannst einem auch echt die Laune verderben.« Er...