E-Book, Deutsch, 320 Seiten
Elbs Shortbread und Shiva
22001. Auflage 2022
ISBN: 978-3-646-93615-5
Verlag: Carlsen Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine herzerwärmende RomCom für Jugendliche!
E-Book, Deutsch, 320 Seiten
ISBN: 978-3-646-93615-5
Verlag: Carlsen Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Bevor Rebecca Elbs die Bedeutung von Buchstaben kannte, bastelte sie Bücher aus buntem Tonpapier und Heftklammern. Seit dem Tag, an dem sie endlich in die Schule durfte, hat sie nicht mehr aufgehört zu lesen und zu schreiben. Nach dem Abitur spielte sie unter anderem Theater in Galway und studierte am Liverpool Institute of Performer Arts (LIPA) in Liverpool. Dass ihr Jugendbuch Shortbread und Shiva ausgerechnet in London spielt, könnte durchaus etwas mit ihrer seither entfachten Sehnsucht nach den Britischen Inseln zu tun haben. Für das Manuskript von Leo & Lucy - Die Sache mit dem dritten L gewann sie 2020 den Kirsten-Boie-Förderpreis. Im Jahr 2022 folgte das Kranichsteiner Kinderbuch-Stipendium des Deutschen Literaturfonds und des Arbeitskreises für Jugendliteratur und der Titel wurde für den Deutsch-Französischen Jugendliteraturpreis 2022 nominiert.
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VÖLLIG UNNÜTZES WISSEN:
Tintenfische haben drei Herzen
»Übernachtet Penelope heute denn nicht bei uns?«, fragt meine Mutter, während sie im Internet nach einem erschwinglichen Saugroboter sucht. Sie scheint richtig enttäuscht zu sein, schon bevor ich überhaupt geantwortet habe.
Ich sehe ihren Gesichtsausdruck nicht, da der Schreibtisch in unserem WG-Wohnzimmer direkt vor dem ehemaligen Buchladen-Schaufenster steht. Aber ich merke ihr die Enttäuschung an der Stimme an: Meine Mutter versucht sie nämlich immer mit übertriebener Lässigkeit zu überspielen.
Ich pfeffere meine Schultasche in die Ecke, lasse mich in unseren Plüschsessel fallen und langsam einsinken. Dann atme ich tief durch. Zum Glück hat jemand den Kamin schon angeworfen. Und der bollert gerade so dermaßen vor sich hin, dass man sich direkt willkommen fühlt.
»Nein, heute leider nicht, Mum. Hat Pen doch heute Morgen beim Frühstück schon gesagt. Morgen ist dieses wichtige Basketball-Spiel in Bristol. Da fahren Pen und Shive gerade hin«, murmele ich, streife mir die Chucks von den Füßen und ziehe mir eins der Sofakissen vor den Bauch.
Um mir gleich darauf mal wieder richtig ausführlich Sorgen darüber zu machen, ob meine Mutter lieber Pen als mich zur Tochter hätte.
Ich könnte es ja sogar verstehen, wenn sie zu der Art von Müttern gehörte, denen es wichtig ist, welche Chancen ihre Tochter auf dem Heiratsmarkt hat. Und zwar aus folgenden Gründen:
1.) Pen ist mindestens so groß wie Shive. Was bedeutet, dass sie sich nur auf die Zehenspitzen stellen muss, um in den Basketball-Korb spucken zu können. Also, von meiner Perspektive aus auf jeden Fall. Und gleichzeitig bringt sie es auch noch fertig, dabei auszusehen, als käme sie gerade aus der Styling-Lounge einer Topmodel-Show.
2.) Sie hat – auch ganz im Gegensatz zu mir – die athletische Figur einer Leistungssportlerin. Was bedeutet, dass sie die Art von Klamotten anziehen kann, bei denen ich nicht einmal weiß, wo oben und unten ist. Oder ob es eigentlich total überteuerte Putzlappen sind.
3.) Pen hat die bad-hair-day-freien blonden Haare eines Shampoo-Models, mit denen sie locker die Hauptrolle in Rapunzel – Neu verföhnt besetzen könnte.
Und deswegen nennt sie jeder außer Shive, meiner Familie und mir meistens Barbie, bewundert sie für ihre göttinnengleiche Erscheinung und will sich mit ihr schmücken.
Wir bewundern sie natürlich auch. Aber hauptsächlich für ihre inneren Werte.
Meiner Mutter sind meine Chancen auf dem Heiratsmarkt allerdings ziemlich egal. Sie hält grundsätzlich nichts davon, sich ein Leben lang und vor allem zu früh »aneinanderzuketten«. Was meiner Meinung nach hauptsächlich damit zusammenhängt, dass sie mit neunzehn, im zweiten Jahr ihres Journalismus-Studiums, meinen Vater heiratete, der ihr Josh, Pheebs und mich einbrockte, bevor er sie mit einem riesigen Wäscheberg und Steuerschulden bis zur IS-Raumstation sitzen ließ (O-Ton meiner Mutter).
Ich finde ja auch, dass ich mir keine Gedanken ums Heiraten machen sollte. Noch nicht jedenfalls. Weil ich verdammt noch mal erst fünfzehndreiviertel bin. Aber ich mache es eben trotzdem. Kann natürlich daran liegen, dass ich in den letzten Monaten sehr viele Jane-Austen-Romane verschlungen habe. Nachdem Pen mich belabert hatte, dass die zum Allgemeinwissen gehören würden. Jedenfalls ist es so, dass es in Jane Austens Romanen immer sehr viel um den Heiratsmarkt geht. Und es war zum Verzweifeln: In wen auch immer die jeweilige Protagonistin verliebt war und wen immer sie auch heiraten wollte, es war immer Shive.
Ich beobachte Josh, wie er frische Petersilie hackt. Schnell wie ein Fernsehkoch. Dem Duft nach gibt es wieder sein neustes Spezialrezept: veganes Bœuf Bourguignon. Abgewandelt aus unser beider Lieblingskochbuch, das Josh seit drei Wochen studiert, als wäre es eines seiner examensrelevanten Bücher über van Gogh.
Mein Bruder teilt nämlich meine Leidenschaft für unseren Herd.
Aber der ist auch ein Prachtstück. Also, der Herd. Älter als unser WG-Mitbewohner Sanders und vollkommen verkrustet. Aber dafür heizt er vor sich hin, dass es eine wahre Freude ist. Und deswegen wird er auch nicht ausgetauscht. Nicht, solange Josh und ich hier wohnen.
Mein Bruder ist natürlich auch schwer in Ordnung. Solange ich meine Herdzeiten im Küchenplan nicht überziehe jedenfalls.
»Machst du dir darüber eigentlich nie Sorgen, Em?«, fragt Josh betont beiläufig.
»Über was genau soll ich mir denn Sorgen machen, Bruderherz?«, frage ich und kraule Murphy, der sich gerade schnurrend auf dem Kissen auf meinem Bauch niedergelassen hat.
»Na, darüber, dass Shive und Pen so viel Zeit miteinander verbringen. Ohne dich. Hast du dir darüber noch nie Gedanken gemacht, Sis? Allein schon das Basketball-Training zweimal die Woche, die ellenlangen Busfahrten zu den Spielen, die ständigen Übernachtungen in irgendwelchen Turnhallen … Jede Menge Möglichkeiten, um … du weißt schon … ich meine, die beiden passen rein äußerlich ja schon perfekt zusammen. Bei meinen Freunden heißen sie ja nicht ohne Grund nur Barbie und Ken«, sagt Josh und löscht sein Gebrutzel mit etwas Zischendem ab.
Ich tippe auf eine von Sanders’ heiligen Bordeaux-Flaschen.
Aber zurück zum Thema: Darüber habe ich mir eigentlich noch nie Sorgen gemacht. Bis gerade eben jedenfalls.
Pen und Shive verbringen wirklich sehr viel Zeit miteinander. Und das auch sehr oft ohne mich. Andererseits verbringe ich auch sehr viel Zeit mit Pen – ohne Shive. Fast unsere gesamte Schlafenszeit zum Beispiel.
Und wenn ich mit Shives Großmutter Amba an ihrer Turbo-Nähmaschine neue Outfits schneidere, ist da meistens auch Shive dabei, ohne – nein, Moment mal, finde den Fehler – meistens mit Pen. Wie konnte ich dieses elementare Detail der Gleichung so lange übersehen?
»Ich glaube, da muss ich mir keine Sorgen machen«, sage ich halb zu mir, halb zu meinem Bruder. »Ich habe das Gefühl, Shive fühlt sich verpflichtet, sich in jemanden aus einer Familie mit indischen Wurzeln zu verlieben. Vielleicht hat er das aber auch schon … oder will das selbst auch … oder … wie auch immer … also, heiraten wird er auf jeden Fall eine Frau, die … wegen Großmutter Amba. Ich weiß es doch auch nicht … es ist kompliziert … Jedenfalls sind ich und Pen da raus. Glaube ich jedenfalls …«
Plötzlich wird mir ein bisschen kalt. Und das, obwohl Murphy dafür gesorgt hat, dass ich das Kissen etwas zur Seite schiebe, und er sich jetzt schnurrend direkt auf meinem Schoß ausgebreitet hat.
»Also echt, irgendwas habe ich bei eurer Erziehung falsch gemacht«, sagt meine Mutter von ihrem Computerplatz aus, ohne sich umzudrehen. »Meine fünfzehnjährige Tochter spricht die ganze Zeit vom Heiraten, als ob es nichts Wichtigeres auf diesem Planeten gäbe, backt Cupcakes und bindet sich die Kochschürzen ihrer Großmutter um. Und mein Sohn denkt, Paare müssten »rein äußerlich« gut zusammenpassen. So wie Penelope und Shiva. Also, was ist das denn bitte für ein Weltbild?« Während sie spricht, tippt meine Mutter weiter wie wild auf ihre Tastatur ein. Und dafür bewundere ich sie schon sehr. Dass sie gleichzeitig reden und tippen kann. Mit allen zehn Fingern. Das muss man erst mal hinbekommen.
»So habe ich das doch gar nicht gemeint, Mum«, sagt Josh und wirft meiner Mutter einen wütenden Blick zu. Dann zerstampft er den frischen Rosmarin im Mörser. »Natürlich müssen Paare rein äußerlich nicht zusammenpassen. Jeder darf mit jedem zusammen sein. Aber bei Barbie und Ken ist es so auffallend, dass sie …«
»Und außerdem«, unterbricht ihn meine Mutter, »warum sollte es eigentlich ein Problem für Em sein, wenn sich ihre beiden besten Freunde ineinander verlieben?«
Joshs hört auf mit dem Mörsern, sieht mich an, schüttelt den Kopf und lächelt mir dann zu.
Ich kraule weiter Murphys flauschigen Nacken, verdrehe die Augen und versuche zurückzulächeln.
Meine Mutter tippt immer noch wie wild vor sich hin. Der Staubsauger-Roboter muss wahnsinnig interessant sein. »Dass ihr beide so fixiert seid auf konventionelle Paarbeziehungen … Aber wahrscheinlich ist das auch wieder meine Schuld. Am Ende hat es nämlich immer die Mutter verbockt. Darüber sind sich Nelle und Sanders übrigens einig. Und auch darüber, dass ihr beiden mit euren Heiratsfantasien den frühen Verlust einer Vaterfigur kompensiert. Nelle und Sanders müssen es wissen. Die haben schließlich beide mal Psychologie studiert.« Meine Mutter hämmert mittlerweile so dermaßen fest in die Computer-Tasten, dass ich mir schon Sorgen um das Ü und das X mache. Die wackeln seit ein paar Wochen nämlich bedenklich.
»Könntet du, Sanders und Nelle bitte endlich damit aufhören, bei euren Wein-Gelagen unser Verhalten zu analysieren? Wenigstens so lange, bis ein Zimmer im Studentenwohnheim frei wird und ich mir diesen Schwachsinn nicht mehr anhören muss?«, fragt Josh, während er den Kartoffelbrei mit dem Schneebesen verdrischt.
»Außerdem hatten wir doch immer schon Sanders, Mum«, komme ich meinem Bruderherz zu Hilfe. »Er war immer eine klasse Vater-Figur für uns. Und Nelle taugt auch ganz gut als Tanten-Imitat. Und Murphy. Murphy haben wir auch. Und der eignet sich für alle möglichen Rollen.« Ich küsse unser schnurrendes...