E-Book, Deutsch, 902 Seiten
Eklund / Holmqvist / Lärn Das kleine Hygge-Haus des Glücks
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-98952-119-3
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Drei Skandinavien-Romane in einem eBook: »Der Himmel über Island«, »Schwedische Herzen« und »Weihnachten auf Saltön«
E-Book, Deutsch, 902 Seiten
ISBN: 978-3-98952-119-3
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Svea Linn Eklund ist nahe der dänischen Grenze aufgewachsen. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Hamburg und schreibt Drehbücher und Romane, unter anderem auch unter dem Namen Mia Löw. Ihre Bücher spielen an den unterschiedlichsten Plätzen der Welt, die sie sich danach aussucht, ob sie vor Ort gern recherchieren würde. Bei dotbooks veröffentlichte Svea Linn Eklund ihre Romane »Der Himmel über Island« und »Rückkehr nach Island«.
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Kapitel 2
Der Schneemann
›Possibly Maybe‹ in voller Lautstärke zu hören, gehörte zu Heklas täglichem Ritual. Jeden Morgen auf dem Weg nach Reykjavík sang sie mit Björk um die Wette. Diesen Song hatte sie damals gesungen. In einer der angesagtesten Karaoke-Bars der isländischen Hauptstadt. Und dann war es geschehen … Hekla konnte nichts dagegen tun. Ihre Gedanken schweiften zurück in die Vergangenheit.
Sie war gerade im ersten Semester gewesen und hatte in einem Studentenwohnheim in Reykjavík gewohnt. Nach der Freiheit, die sie gleich nach ihrem Schulabschluss in der Zeit als Au-pair-Mädchen in Hamburg genossen hatte, hatte sie sich nicht vor stellen können, wieder bei ihren Eltern auf dem Hof zu leben. Nein, damals hätte sie jeden Eid geschworen, niemals mehr dorthin zurückzukehren. In ihrer Studienzeit hatte Hekla auch entdeckt, dass sie sehr musikalisch war und hatte Gitarre gelernt. Nach Dagurs Tod hatte sie sich wochenlang zurückgezogen und wunderschöne Liebeslieder komponiert, die sie aber nur einem einzigen Menschen auf dieser Welt präsentierte: Unnur, die ihr nun bereits seit vielen Jahren in den Ohren lag, damit endlich öffentlich aufzutreten, was für Hekla gar nicht infrage kam. Nicht, dass sie Angst hatte, sich vor Publikum zu präsentieren. Im Gegenteil, sie hielt ja auch Vorlesungen und Vorträge, aber sie wollte diese Songs, die sie ihrem Liebsten gewidmet hatte, mit keinem anderen teilen als mit ihrer Schwester.
Lampenfieber kannte sie jedenfalls nicht. Sie war damals der heimliche Star in der Karaoke-Bar gewesen. Und dort hatte Dagur sie auf der Bühne bewundert. Heiße Blicke. Abend für Abend, bis er endlich die Initiative ergriffen hatte. Das war bei dem Song ›Possibly Maybe‹ gewesen. Er war zu ihr auf die Bühne gekommen und hatte einfach mitgesungen. Björk im gemischten Chor. Der Applaus war rauschend gewesen, und dann hatten sie sich geküsst, ohne vorher je ein einziges Wort gewechselt zu haben. Der Kuss hatte mehr gesagt als tausend Worte. Und dann war plötzlich alles still geworden, als schließlich der Letzte in der überfüllten Bar gemerkt hatte, dass das da vorne keine Bühnenshow mehr war …
Hekla hatte sich zuvor nie viele Gedanken um Männer gemacht und das Gerede ihrer Schwester von der großen Liebe stets belächelt. Aber in dem Augenblick, als Dagur sie auf der Bühne zum ersten Mal geküsst hatte, wusste sie: Das ist sie, die wahre Liebe.
Kein Mensch ? nicht einmal ihre Schwester ? sollte je erfahren, dass sie immer noch jeden Morgen ihren Song hörte und dass kein Tag verging, an dem sie nicht an Dagur dachte. Nein, nach außen war das Kapitel abgeschlossen, und jedem, der es auch nur im Entferntesten wagte, seinen Namen zu erwähnen, fuhr Hekla schroff über den Mund. Hekla war felsenfest davon überzeugt, dass einem die Liebe auf den ersten Blick, bei der sich der Verstand binnen Sekunden offline schaltete, nur einmal im Leben begegnete. Dass man sich auch anders verlieben könnte als mit einem Knall, darüber hatte Hekla noch nie nachgedacht. Nein, sie war sich ganz sicher: Auf ihre Bühne würde kein Mann mehr treten, um mit ihr um die Wette zu singen.
Sie sang gerade aus voller Kehle den Refrain ›Possibly maybe, probably love‹, als sie im Scheinwerferlicht einen Schatten, der plötzlich aus dem Nichts auf die Straße lief, wahrnahm. Erschrocken trat sie auf die Bremse und kam gerade noch zum Stehen. Sie wollte ihren Augen nicht trauen. Vor ihr stand ein wild winkender Schneemann. Er war sehr groß und über und über mit Schnee bedeckt.
Heklas Herz klopfte bis zum Hals. Beinahe hätte sie ihn überfahren. Noch nie zuvor war ihr auf dieser einsamen Straße am Morgen ein Mensch begegnet und schon gar nicht zu Fuß.
Idiot, dachte sie, und schon war sie aus dem Wagen gesprungen. »Sind Sie nicht ganz bei Trost?«, brüllte sie. »Wenn Sie sich umbringen wollen, dann nicht mit meinem Wagen!«
Zu ihrer großen Überraschung grinste der Schneemann nur breit, schüttelte sich den Schnee vom Anorak und streckte ihr die Hand entgegen.
»Sorry, ich wusste mir nicht anders zu helfen. Habe schon befürchtet, hier draußen keiner Menschenseele zu begegnen«, sagte er freundlich.
Hekla zog es vor, seine Hand zu ignorieren. Er sprach ziemlich gutes Isländisch mit einem leichten Akzent, den sie nicht sofort zuordnen konnte, aber wenn er ein Landsmann wäre, würde er ihr wohl kaum am frühen Morgen in dieser Gegend vor den Wagen springen.
»Sind Sie Tourist und haben sich zu einer Nachtwanderung aufgemacht oder was treiben Sie um diese Zeit hier?«, fragte sie unwirsch.
»Ja, so was Ähnliches. Ich bin Däne«, lachte er.
»Däne? Aber Sie sprechen perfekt Isländisch«, gab Hekla verwundert zurück.
»Wenn Sie mir helfen, dann verrate ich Ihnen vielleicht den Grund«, lachte er, aber seine Augen lachten nicht mit.
»Okay, dann steigen Sie meinetwegen ein«, knurrte Hekla. »Ich nehme Sie mit in die Stadt. Hat Ihnen keiner gesagt, dass Sie hier nicht in Disneyland sind und es gefährlich sein kann, wenn Sie sich verirren?«
»Das ist überaus freundlich von Ihnen, dass Sie mich mitnehmen wollen, aber ich bin nicht allein.«
Hekla sah ihn empört an. »Sagen Sie bloß, Sie sind mit der ganzen Familie losgezogen?«
Er lächelte immer noch, was Hekla zutiefst verunsicherte, denn er wirkte äußerst sympathisch unter der tief ins Gesicht gezogenen Kapuze.
»Nein, ich bin mit dem Wagen gekommen«, erwiderte er.
»Mit dem Wagen? Und wo steht der jetzt?«
Der Fremde wand sich. »Das ist ja das Problem. Ich bräuchte da mal eben ein wenig Hilfe.«
Hekla sah sich suchend nach seinem Auto um. Nicht, dass sie wirklich Sorge hatte, er könnte ein Verbrecher sein und sie in eine Falle locken wollen. So etwas passierte in Island so gut wie nie, sondern nur in den einheimischen Thriller Serien. Aber seit es in der Gegend tatsächlich jüngst einen Mord gegeben hatte, war eine gewisse Vorsicht geboten.
Der Fremde zeigte in Richtung einer gesperrten Straße. Auf diesem Weg konnte man im Sommer eine Abkürzung nehmen, wenn man ein entsprechendes Fahrzeug besaß, denn er führte durch einen kleinen Fluss. Im Winter nahmen selbst Einheimische davon Abstand, weil die Gefahr bestand, in das Eis einzubrechen, das sich unter dem Schnee gebildet hatte. Außerdem wies ein nicht gerade kleines Schild daraufhin, dass diese Straße bei Schnee unpassierbar war.
»Wollen Sie etwa behaupten, dass Sie trotz der Warnschilder die gesperrte Straße entlanggefahren sind?«
Er nickte schuldbewusst und schob dabei die Kapuze aus dem Gesicht. »Na ja, ich habe mir den besten Wagen gemietet, den ich bekommen konnte, und da dachte ich …«
»Mannomann!«, schimpfte Hekla, während sie den Blick kaum von ihm ab wenden konnte, denn seine grünen Augen, deren Iris von einem braunen Kranz umgeben war, strahlten so viel Wärme aus, dass sie ihm intuitiv vertraute. Trotzdem ärgerte sie sich maßlos darüber, weil er sich offenbar komplett überschätzt hatte und nun ihre Zeit stahl. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass sie ohnehin schon spät dran war. Und auf ihrem Schreibtisch wartete eine Menge unerledigter Dinge.
»Ich bin noch nie stecken geblieben, und ich fahre immer bei Eis und Schnee«, versicherte er ihr mit Nachdruck.
»Das mag in Dänemark funktionieren, aber hier gelten andere Regeln«, konterte sie. »Und nun führen Sie mich schon zu Ihrem Wagen!«, fügte sie ungeduldig hinzu.
»Wollen Sie Ihren gar nicht zur Seite fahren und abschließen?«, fragte er mit einem Blick auf ihr Auto, das mitten auf der verschneiten Straße stand.
»Ich schließe mein Auto nie ab«, erwiderte sie energisch. »Und um diese Zeit fährt hier kein Mensch. Aber das Anhalten mitten auf der Straße darf nur ich. Für Touristen ist das verboten.«
Wohin er wohl um diese Zeit wollte, fragte sich Hekla, aber sie unterdrückte ihre Neugier. Eigentlich führte der Weg nur zu ihrem Hof und weiter zu dem Gehöft von Magnus. Dahinter wurde er dann zu einer Schotterpiste, die am Fuße des Berges Helgafell endete. Doch dann erinnerte sie sich: Diesen Weg wollte man nun zu einer Straße umbauen, die am Fuße des Berges vorbeiführen und südlich auf die 42 münden sollte. Ein Projekt, dem sie äußerst skeptisch gegenüberstand. Ihrer Meinung nach war diese neue Trasse völlig überflüssig.
Aber die Lokalpolitiker machten sich mächtig stark für dieses Projekt. Man munkelte, dass es um viel Geld ging. Allerdings war man vor Ort nur auf Gerüchte angewiesen, weil über allem der Nebel des Schweigens lag …
Aber was sollte der Fremde auf der Baustelle wollen? Bei diesem Schneefall wurde dort sicher nicht gearbeitet. Es war schon merkwürdig genug, dass überhaupt im Winter gebaut wurde, aber es hieß unter vorgehaltener Hand, dass die zuständigen Politiker ganz schnell Fakten schaffen wollten.
Schweigend stiefelten Hekla und der Mann den verschneiten Weg entlang, als Hekla etwas dunkel Glänzendes, das aus dem Schnee aufragte, entdeckte. Ihr schwante Übles. Der Wagen stand komplett schräg, weil er bis zur Fahrertür im Schnee verschwunden war.
»Es war überhaupt kein Problem, auf der Straße zu fahren, denn so hoch ist der Schnee ja nun wirklich nicht, aber plötzlich hing ich drin«, erklärte ihr der Fremde nun sichtlich aufgeregt.
»Kein Wunder, Sie sind ins Eis eingebrochen«, stöhnte Hekla und betrachtete das Malheur kopfschüttelnd.
»Und könnten Sie mich vielleicht da rausziehen?«, fragte er zaghaft.
»Tut mir leid, ich bin schon viel zu spät. Ich muss zur Arbeit. Außerdem habe ich kein Abschleppwerkzeug im Wagen«, entgegnete sie prompt.
»Ach so«, murmelte der Fremde so...