E-Book, Deutsch, Band 8, 192 Seiten
Reihe: Sina-Reihe
Einwohlt Die Welt und ich
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-401-80601-3
Verlag: Arena
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 8, 192 Seiten
Reihe: Sina-Reihe
ISBN: 978-3-401-80601-3
Verlag: Arena
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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ZWEITES KAPITEL, IN DEM SINA VOM REISEFIEBER GEPACKT IST
»Wer, wenn nicht du?« Keshinis Worte drehen sich immer noch in meinem Kopf, während ich in der Umkleidekabine nachmittags für das Training meine Basketballschuhe schnüre.
Den gesamten Morgen über habe ich mir während des Unterrichts ausgemalt, wie ich als Austauschschülerin durch Spanien reise, wie ich auf Spanisch einkaufe, ins Kino gehe. Und wie ich mich fließend mit den Einheimischen unterhalte und nicht mehr als Touritussi verarschen lassen muss. Ich freue mich riesig – und gleichzeitig frage ich mich, ob ich wirklich so mutig bin und mich alleine in eine fremde Gastfamilie traue. Am Ende vergehe ich vor lauter Heimweh und Einsamkeit und weine stundenlang wie diese Laurence vor mich hin. Was, wenn die Gastfamilie nicht nett ist? Oder der
Gastvater mich betatscht. Oder ich mein Geld verliere und einsam und verlassen mitten in der Großstadt stehe, ohne Handy, weil mir das geklaut wurde … Aber Keshini hat schon recht, ich bin ja sonst nicht so, vielleicht sollte ich einfach aufhören, darüber nachzugrübeln, schließlich war ich schon mal alleine unterwegs und habe das ganz gut hingekriegt. An Bubión habe ich solch schöne Erinnerungen, die netten Leute im Dorf, der großartige Ausblick von den Bergen bis hin zum Mittelmeer. Und an Mateo, den ich eigentlich vergessen sollte, weil ja Yannis mein Freund ist …
Ich bin sooo aufgeregt!
Test: Finde anhand der folgenden Checkliste heraus, ob du dich für einen Schüleraustausch eignest. Je mehr Kreuzchen du machen kannst, desto besser!
Ich bin eine zuverlässige, engagierte Schülerin.
Ich habe viele Freunde, bin gut sozial vernetzt und hilfsbereit.
Ich habe gute bis sehr gute Noten im Fach Spanisch/Französisch/Englisch.
Mir fällt es nicht schwer, versäumten Stoff nachzuholen.
Ich bin anpassungsfähig und flexibel.
Ich bin freundlich und kann offen auf Menschen zugehen.
Ich leide nicht unter Heimweh.
Ich habe Lust auf Projektarbeit.
Ich stehe voll und ganz hinter meiner Schule.
»Sina, jetzt pass doch mal auf«, reißt mich die Leineweber aus meinen Gedanken. »Das ist jetzt schon das dritte Mal, dass Billa dich anspielt und du nicht reagierst.«
Erschrocken reiße ich mich zusammen, seufze ein Sorry Richtung unserer Kapitänin, die mich missbilligend anschaut. »Liebeskummer, oder was?«, zischt sie im Vorbeirennen.
Womit sie das zweite Problem des Tages anspricht. Ich habe seit vorhin nämlich richtig, richtig Streit mit Yannis. Diesmal hat er es zu weit getrieben mit seiner Bemerkung, ich würde meine Zeit mit einer »Minderheitensprache« verplempern, die nur in wirtschaftlich schwachen Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit gesprochen würde, selbst wenn es eine Weltsprache sei. Ich solle mal genau hingucken, was aktuell in Spanien los sei, über zwanzig Prozent ohne Arbeit und kein wirtschaftlicher Aufschwung in Sicht. Und meine Idee, jetzt auch noch an einem Schüleraustausch mit Spanien teilzunehmen, hält er für das Allerletzte, dann bliebe ja mein Englisch komplett auf der Strecke und spätestens nach der Diskussion beim Marshall hätten mir doch die Augen aufgehen müssen, worum es wirklich geht: Auf dem internationalen Arbeitsmarkt sei man konkurrenzfähig nur mit Englisch.
»Wirst schon sehen, was du davon hast«, hat er mich angemacht und den Kopf geschüttelt über so viel Unverständnis meinerseits. »Spanisch zu lernen – das ist vielleicht witzig und cool, aber langfristig bringt dir das gar nichts. Denk mal an deine Zukunft.«
»Kann dir doch egal sein, was geht dich das an!«, habe ich zurückgeschrien, ich bin wirklich laut geworden, denn seine abfälligen Bemerkungen in letzter Zeit über alles, was mit mir, Sprache und Schüleraustausch zu tun hat, gehen mir wirklich auf den Zeiger. Blöderweise hat sich dann auch noch Milli eingemischt, weshalb ich jetzt nicht nur mit Yannis verkracht bin, sondern auch mit ihr.
»Meine Meinung zu Spanisch kennst du, so einen Austausch braucht kein Mensch! Spar dir die Zeit und lerne lieber intensiv für deinen nächsten Vokabeltest. Noch eine Fünf und du kannst deine gute Englischnote knicken«, hat sie achselzuckend behauptet. Vor Empörung ist mir glatt die Spucke weggeblieben.
Wissen denn meine Freunde immer noch nicht, dass ich trotzig sein kann?! Jetzt erst recht!
Kurz darauf hat mich Julia belagert und mich mit ihrer Begeisterung für die Spanischreise derart mitgerissen, dass ich keine Gelegenheit hatte, Milli und Yannis ernsthaft meine Meinung zu geigen. Aber das werde ich nachholen, das verspreche ich, so wahr ich Sina Rosenmüller heiße!
»Endlich ein paar Tage weg von zu Hause«, hat Julia gesagt, »du glaubst ja gar nicht, welchen Stress wir zurzeit mal wieder wegen Ashley haben. Seit sie nicht mehr zu den Spektralen geht, hat sie sich so einer Punker-Clique angeschlossen.«
Dazu muss man wissen, dass Sorgenkind Ashley es endlich geschafft hat, von ihren Drogen- und Alkoholproblemen loszukommen. Dafür ist sie bei dieser Sekte ein- und ausgegangen, deren Guru aber in einer spektakulären Aktion festgenommen wurde, weil er verfassungsfeindlich agiert hat. Auch Julia trifft sich nach wie vor mit seinen ehemaligen Anhängern, sie hat mir lange Zeit nicht verziehen, dass ich maßgeblich für die Festnahme von Shivowanati Murutikeya verantwortlich war (aber das ist eine andere Geschichte).
Mitleidig guckte ich Julia an, Püttners Familientrouble wünsche ich niemandem. Uns verbindet seit Jahren eine konstante Hassfreundschaft, mir geht ihre Streitsucht auf den Geist, sie wiederum neidet mir mein sorgenfreies Dasein – und Yannis, in den sie wie alle Mädchen aus der Klasse verliebt war (oder ist). »Das Gute daran ist«, erzählte Julia weiter und kicherte, »dass Ashley plötzlich Tierärztin werden will. Sie büffelt gerade wie eine Irre und will doch noch ihr Abi machen.«
»Was? Sag das noch einmal?« Verblüfft habe ich sie angeschaut. BONG!!! In diesem Moment trifft mich der Basketball hart an der Schläfe und haut mich auf den Boden.
Ich sehe lauter Sternchen … bin ich ohnmächtig? BIN ich überhaupt noch?
Ich komme wieder zu mir, als mich ein Schwall Wasser im Gesicht trifft.
»Geht’s noch?«, fauche ich. »Ich habe heute schon geduscht.« Empört richte ich mich wieder auf und tupfe mich mit dem T-Shirt trocken.
»Hauptsache du bist wieder wach!« Eine besorgte Frau Leineweber geht neben mir in die Hocke, Billa neben ihr mit einer leeren Flasche in der Hand grinst mich an.
»Sina, Mädchen, was ist nur los mit dir, so kenne ich meine Top-Spielerin ja gar nicht! Am besten gehst du dich sofort umziehen und verschwindest. Noch einen K.-o.-Schlag kann ich hier nicht dulden.« Frau Leineweber klopft mir aufmunternd auf die Schulter, ein schriller Pfiff trommelt die anderen Mädchen zu einem Passtraining zusammen – ich bin entlassen. Noch immer völlig benommen rappele ich mich auf die Beine, gestützt von Kleo.
»Jetzt mach dir doch nicht wegen des Schüleraustauschs solche Sorgen, du musst ja nicht mit«, versucht sie, mich zu beruhigen, die als meine ehemals beste Freundin natürlich sofort geschnallt hat, was mit mir los ist. Sie macht Frau Leineweber ein Zeichen, dann begleitet sie mich in die Umkleidekabine. »Ich hatte gedacht, du freust dich drauf …«
»Das ist es ja gar nicht«, schniefe ich und reibe meine Schläfe. Wer immer von meinen Mitspielerinnen hier eine auf Nowitzki gemacht hat, hatte Power, ohne Frage.
»Aber was ist es dann?« Kleo guckt mich fragend an. »Doch nicht etwa, weil Yannis und Milli anderer Meinung sind?«
»Mmmh.« Missmutig packe ich meine Trainingsklamotten zusammen. Ich fühle mich hundeelend und habe Kopfweh.
Habe ich eine Gehirnerschütterung?
Da lacht sie plötzlich frei raus und ich weiß nicht, was an meinem Elend so lustig ist. »Wenn’s weiter nichts ist. Lass dich von denen doch nicht ins Bockshorn jagen, du bist doch sonst nicht so.«
Und dann erzählt sie mir, was sie von all dieser Globalisierungs- und Internationalisierungsdebattenkacke hält und dass sie keine Lust hat, sich von irgendwelchen Kapitalisten instrumentalisieren zu lassen, die denken, Geld und Englisch beherrschen die Welt.
Ich höre ihr nur mit halbem Ohr zu, denn was mich eigentlich die ganze Zeit über quält: Was werden meine Eltern dazu sagen, wenn ihre Tochter diesmal an einem »richtigen« Schüleraustausch teilnimmt und mit ihren vierzehn Jahren für vierzehn Tage alleine in die Ferne reist. Ohne Ersatzmama und Ersatzgeschwister. Werden sie es erlauben?
Nach einer unruhigen Nacht mit viel Nachdenken und Magengrummeln kann ich es am nächsten Tag kaum erwarten, dass es zur großen Pause klingelt und wir wie verabredet Pilar im Spanischraum treffen. Aufgeregt...