E-Book, Deutsch, 392 Seiten
Eich Die Währung der Politik
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-86854-495-4
Verlag: Hamburger Edition HIS
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine politische Ideengeschichte des Geldes
E-Book, Deutsch, 392 Seiten
ISBN: 978-3-86854-495-4
Verlag: Hamburger Edition HIS
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Sei es durch Bankenkrisen oder Inflation, Schuldenbremse oder Zinsdebatten: Das Thema Geldpolitik ist in der Tagespolitik angekommen. Längst hat sich die Einsicht verbreitet, dass Geld kein neutrales Tauschmittel ist, sondern auch ein Instrument politischer Herrschaft. Gleichwohl fehlt noch immer das Bewusstsein dafu?r, wie eine demokratische Geldpolitik aussehen könnte. Hier setzt Stefan Eich mit seinem Buch an. Die Währung der Politik erzählt die politische Ideengeschichte des Geldes von der griechischen Antike bis in die Gegenwart als eine Geschichte geldpolitischer Krisen. Eich untersucht monetäre Krisensituationen und die politischen Theorien des Geldes von Aristoteles, John Locke, Johann Gottlieb Fichte, Karl Marx und John Maynard Keynes. Dieser Gang durch die Geschichte fu?hrt u. a. durch die Währungskrise 1797 und die Hyperinflation der Zwischenkriegszeit. Nicht zuletzt vermittelt Eich die paradoxe Macht heutiger Zentralbanken, die beispiellose Rettungsaktionen organisieren und dennoch von privaten Banken abhängig sind. Angesichts dieser Herausforderung lohnt es sich, die Kreditscho?pfung sta?rker demokratisch zu steuern und mehr geldpolitische Demokratie zu wagen.
Stefan Eich ist Professor für Regierungslehre an der Georgetown University in Washington.
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Vorwort
»Die Eigenart des Geldes besteht vor allem darin, dass es eine raffinierte Methode ist, die Gegenwart mit der Zukunft zu verbinden.« John Maynard Keynes1 Im Januar 1924 tauchte John Maynard Keynes in die Geschichte der Antike ein. Mit Entsetzen hatte er im Jahr zuvor beobachtet, wie die Weimarer Republik in einer Hyperinflation versank, und daraufhin seinen breit rezipierten Traktat über Währungsreform veröffentlicht, der später prägend wurde für eine neue Ära der Zentralbanken. Jetzt aber schweiften seine Gedanken in die ferne Vergangenheit ab. Keynes war »geradezu manisch damit beschäftigt«, die Geschichte des Geldes bis zu Schuldregistern im alten Mesopotamien zurückzuverfolgen.2 Recht bald stieß er auf historische Zeugnisse über Geldreformen im antiken Athen. Eine ganze Welt der Geldpolitik tat sich unerwartet vor ihm auf. Nur wenige Jahrzehnte zuvor war in Ägypten die auf Papyrus festgehaltene, lange Zeit verschollene aristotelische Schrift Der Staat der Athener entdeckt worden.3 Keynes vertiefte sich in diesen Schatz; die darin geschilderte Geschichte der Geldreformen in Athen und des politischen Gebrauchs des Münzwesens zog ihn sofort in ihren Bann. Nachdem er die Schrift gründlich studiert und Auszüge daraus übersetzt hatte, stand für ihn fest, dass sich die politische Bedeutung des Geldes – ein Thema, das ihm für die Gegenwart so wichtig schien – bis in das antike Athen zurückverfolgen ließ.4 Keynes war mitnichten der erste, der sich durch moderne Geldkrisen in die Vergangenheit versetzt sah. Er befand sich vielmehr in Gesellschaft von Figuren wie Karl Marx, der im Kapital recht schnell auf Aristoteles’ Gedanken über Austausch und Geld zu sprechen kam.5 Wie häufig Krisen des Geldsystems gewissermaßen Wurmlöcher innerhalb der Geschichte geöffnet haben, war für mich bei der Arbeit an diesem Buch geradezu frappierend. Immer wieder wurde ich Zeuge, wie Philosophen, Historikerinnen und Ökonomen auf frühere monetäre Krisen in der Hoffnung zurückkamen, verfügbare theoretische Ressourcen auszuschöpfen und so zur Stabilisierung der eigenen Gegenwart beizutragen. Die Spuren solcher Zeitreisen finden sich oft in den Fußnoten der entsprechenden Werke. So stand am Anfang des vorliegenden Buches eine Untersuchung der Verweise Marx’ auf Aristoteles und Locke, aber auch auf längst vergessene Geldtheoretiker und Pamphletisten. Ähnliche Muster entdeckte ich bei anderen Denkern, die sich in Momenten der Orientierungslosigkeit mit früheren Krisen befassten. Die politische Ideengeschichte des Geldes, wurde mir klar, hat sich in Schichten von Krisen abgelagert. Mit der Freilegung dieser sedimentierten Schichten habe ich eine Art geologische Stratigrafie der politischen Theorie des Geldes unternommen. Dieses Buch gliedert sich so in eine Untersuchung sechs verschiedener Zeitschichten historischer Geldkrisen und ihrer Spuren in der politischen Ideengeschichte. Jeder dieser Augenblicke zeigt, wie ein geldtheoretischer Denker mit einer bestimmten Sackgasse ringt, und deutet auf spätere Kontroversen voraus. Es geht gerade nicht darum, kanonische Denker jeweils einzeln zu lesen oder unverbundene Fallstudien zu Geldkrisen zu unternehmen, sondern um die engen Verbindungen zwischen verschiedenen historischen Momenten und Schriften, die kontrovers rezipiert wurden und in späteren Reflexionen immer wieder Gegenstand waren. Anstatt eine fortlaufende Geschichte des Geldes zu erzählen, offenbart meine Stratigrafie ein geschichtetes System aus metamorphem Gestein, in dem das Gewicht späterer Schichten sich oft darauf auswirkt, was wir in früheren erkennen können. Geld steht in enger Beziehung zu Zeit. Wie Keynes bemerkte, ist es ein Mittel, um die Gegenwart mit der Zukunft zu verbinden. Bereits Aristoteles verstand Geld als gesellschaftliche Lösung für ein zeitliches Problem. Der moderne Staatskredit ließ die Zeitdimension des Geldes noch deutlicher hervortreten. Indem er ein Geflecht aus Forderungen schuf, die die Gegenwart auf die Zukunft bezogen – auf eine Zukunft, die permanent hinausgeschoben werden konnte –, veränderte er den Charakter des Staates und das Verhältnis der Bürger zu ihm.6 Das mit ihm verbundene Aufkommen von Fiatgeld, gedeckt »nur« durch ein Versprechen des Staates, brachte ein neues Verständnis von politischer Zeit mit sich. Geld ist ein Schlachtfeld, auf dem verschiedene Zukunftsvorstellungen miteinander ringen. Im Spannungsverhältnis zwischen einem immer weiteren Erwartungshorizont und einem immer prekäreren Erfahrungsraum fand die monetäre Moderne ihren reinsten Ausdruck in Momenten der Krise.7 Solche Momente waren es auch, in denen immer wieder ein neues Denken über Wesen und Zweck des Geldes hervorbrechen konnte. In ruhigen Zeiten erfahren die vorherrschenden Auffassungen ununterbrochen eine praktische Bestätigung; Momente der Krise dagegen sind von Brüchen und einer Offenheit für neue Gedanken geprägt. Durch Krisen öffnen sich Fenster, die das bislang Unvorstellbare politisch möglich, ja häufig sogar notwendig machen.8 Die Zeitschichten zu begreifen, auf denen wir stehen, hilft uns auch bei der Auseinandersetzung mit der Gegenwart. In der Geschichte konnten Theoretiker den falschen Gewissheiten ihrer Zeit dadurch entkommen, dass sie vergangene Krisen untersuchten und die mit ihnen verbundenen Debatten wieder aufnahmen. Diese Bewegung, in der jeder Ausbruch die jeweils nächste Sackgasse vorbereitet, machen wir uns heutzutage zu eigen. Das vorliegende Buch erzählt in mehreren Episoden eine Geschichte, die einige der zusammengepressten Schichten abträgt, von denen unser heutiger Blick auf Geld bestimmt ist – sowohl das, was wir sehen, wie auch das, was wir nicht sehen können. Die im Folgenden untersuchten Schriften und erzählten Geschichten führen eine historische Methode vor, die die Vernachlässigung des Geldes seitens politischer Theoretikerinnen überwinden kann, indem sie unser Verständnis der politischen Ideengeschichte erweitert und den Begriff der Tradition als ein Krisenprodukt neu fasst. Gleichzeitig schreibe ich selbst während eines monetären Interregnums. Nicht zufällig begann dieses Projekt damit, dass ich mit den politischen Fragen kämpfte, die die Finanzkrise von 2008 aufgeworfen hatte. Als ich damals über das Geld in der griechischen Antike schrieb, tobte gerade die Staatsschuldenkrise in der Eurozone; als ich das Buch abschloss, hatte die Coronapandemie wieder zu außerordentlichen geldpolitischen Maßnahmen und dann zu einem inflationären Preisschock geführt. Bei der Lektüre über historische Geldkrisen und das mit ihnen verbundene politische Denken gewann ich allmählich einen neuen Orientierungssinn. Eine Erkenntnis, die zum Leitfaden für dieses Buch wurde, möchte ich besonders hervorheben. Die in den folgenden Kapiteln geschilderten intellektuellen und politischen Kämpfe sollten uns dazu ermutigen, alte Debatten über Geld und Zentralbanken hinter uns zu lassen, die dem Gegensatz von »Entpolitisierung« und »Repolitisierung« verhaftet bleiben. Mit einer mehrdimensionalen Darstellung der politischen Theorie des Geldes will ich stattdessen zwei Thesen vertreten. Erstens: Versuche, das Geld zu »entpolitisieren«, beruhen auf einem performativen Widerspruch, einem Zaubertrick, insofern sie ihren eigenen politischen Charakter leugnen. Was gemeinhin »Entpolitisierung« heißt, wäre meist treffender als Entdemokratisierung zu bezeichnen. Diese kann sich kritischen demokratischen Fragen nicht entziehen. Mit diesem Buch verbinde ich die Hoffnung, dass es Stimmen, die die vermeintliche »Politisierung« von Geld und monetären Fragen mit Skepsis oder Beunruhigung sehen, zu der Einsicht veranlassen kann, dass sie sich selbst auf dem Schachbrett der Geldpolitik bewegen. Geld ist immer schon politisch, auch dort, wo es als das Gegenteil von Politik ausgegeben wird. Deshalb ist im Folgenden immer wieder von einer Politik der Entpolitisierung des Geldes die Rede. Das bedeutet keine pauschale Disqualifizierung des Rufs nach einer »Entpolitisierung« des Geldes, aber die Werte und Ziele, die ihm zugrunde liegen, müssen in der Sprache der Politik formuliert und vertreten werden. Auch für die Entpolitisierung des Geldes gilt das »Recht auf Rechtfertigung« (Rainer Forst) – das Recht, eine Rechtfertigung für sie zu erhalten.9 Umgekehrt sind aber aus dieser Perspektive auch Rufe nach einer »Politisierung« des Geldes gehaltlos oder sogar gefährlich, wenn sie nicht deutlich machen, auf welche Art von Politik sie zielen. Die Rekonstruktion früherer geldpolitischer Entwürfe führt uns auch vor Augen, wie unterschiedlich die politischen Annahmen und Werte waren, die die betreffenden Autoren mit einer Politik des Geldes verbanden. Unabhängig davon, wie wir diese Entwürfe beurteilen, sollten sie uns dazu ermutigen, uns über die Frage, ob das Geld politisiert oder besser nicht politisiert werden sollte, nicht...