Ehrnsberger / Hille | Ein Blick in die Schule und zwei dahinter (E-Book) | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 120 Seiten

Reihe: Preselect

Ehrnsberger / Hille Ein Blick in die Schule und zwei dahinter (E-Book)

Geschichten aus dem Schulalltag - wissenschaftlich erklärt
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-0355-0741-6
Verlag: hep verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Geschichten aus dem Schulalltag - wissenschaftlich erklärt

E-Book, Deutsch, 120 Seiten

Reihe: Preselect

ISBN: 978-3-0355-0741-6
Verlag: hep verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Dieses E-Book enthält komplexe Grafiken und Tabellen, welche nur auf E-Readern gut lesbar sind, auf denen sich Bilder vergrössern lassen.

Praxis trifft Theorie: Ein Blick in die Schule und zwei dahinter. Wieso wird Meike plötzlich gut in Bio? Was ging da gerade beim Elternsprechtag schief? Und warum kriegt Sammi seine Hausaufgaben nicht hin? Unterhaltsame Kurzgeschichten gestatten authentische Einblicke in Schulsituationen. Was dahintersteckt, erklären wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Bildungsforschung. Damit gibt das Buch Denkanstösse rundum effektives Lernen und Lehren. Es wendet sich an Lehrer auf der Suche nach Erklärungen und Handlungsalternativen, an Eltern, die sich einen Reim auf gute Schule machen wollen und an die Lehrerausbildung, die nach Wegen sucht, Theorie lebendig werden zu lassen.

Ehrnsberger / Hille Ein Blick in die Schule und zwei dahinter (E-Book) jetzt bestellen!

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Es war Dienstag, kurz nach 10, und gleich würde die dritte Stunde beginnen. Herr Funk stand im Biologie-Vorbereitungsraum und bestaunte die ganze neue Glasware und die Lern-DVDs im Regal. In seiner alten Schule, an der er bis zu den Sommerferien unterrichtet hatte, hatte es keine so moderne Ausstattung gegeben. Mal gucken, was man damit alles für Versuche machen könnte, da würden sich ja ganz neue Möglichkeiten ergeben, den Schülerinnen und Schülern etwas beizubringen. Aber jetzt, jetzt ging es erst mal darum, die neue Klasse kennenzulernen, achtes Schuljahr, Biologie. «Eine ganz normale Klasse, ein paar Interessierte, ein paar weniger Interessierte, ein paar, die immer eine Extraaufforderung brauchen», so hatte sein Kollege Dr. Poggemeier, der sich gerade in die Pension verabschiedete und die Klasse vorher gehabt hatte, sie beschrieben. Funk hatte genickt, er hatte ja selbst schon eine ganze Menge Klassen gesehen und konnte sich daher gut vorstellen, was Dr. Poggemeier meinte. «Aber dann ist da noch die eine, diese eine Meike, die brauchen Sie gar nicht dranzunehmen. Die weiss immer schon alles. Fragen Sie mich nicht, woher, aber wenn Sie der eine Frage am Anfang der Stunde stellen, gibt die Ihnen gleich immer das ganze Stundenergebnis. An sich ja toll, aber die Stunde ist dann meist hin. Ich hab sie immer kurz gehalten. Allerdings: Wenn die die Frage zu simpel findet, kann es sein, dass sie gar nicht antwortet.» Vor Funk sassen 23 Achtklässler, einige schauten ihn, den Neuen, interessiert an, andere guckten aus dem Fenster und ein Schüler kam gerade noch in die Klasse geschlurft. Tatsächlich, eine ganz normale Klasse. Wer ist wohl diese Meike, fragte sich Funk. Ist es die Blonde, die ihr Buch und ihren Hefter ordentlich auf dem Tisch hat? Oder ist es die Grosse in der ersten Reihe, die etwas gelangweilt Kaugummi zu kauen scheint? «Wer kann mir denn sagen, was ihr zuletzt bei Herrn Dr. Poggemeier gemacht habt?», fragte Funk, nachdem er sich kurz vorgestellt hatte. Natürlich wusste er das selbst, er hatte ja ausführlich mit Dr. Poggemeier gesprochen, aber er wollte erfahren, was die Schülerinnen und Schüler noch wussten. Knapp 20 Finger gingen in die Höhe. Er grinste in sich hinein: «Für den ersten Eindruck gibt es eben keine zweite Chance, und die wollen hier wohl alle ihre erste nutzen.» Nach der Stunde, wieder im Biologie-Vorbereitungsraum, ging Funk seine Notizen durch, die direkt neben seinem frisch gezeichneten Sitzplan lagen. Meike hatte sich kein einziges Mal gemeldet. Aber ja, Wiederholungen, vielleicht war es das, was der Kollege mit zu simpel meinte. In den folgenden Wochen lernten Funk und die Klasse sich besser kennen, das Thema «Verdauung und Körper» kam gut bei den Schülerinnen und Schülern an. Alle waren von den Versuchen begeistert, die Funk mit ihnen machte. Eine Schülerin, Tatjana, die nach der Stunde immer noch etwas blieb und beim Aufräumen half, sagte: «So viele Versuche haben wir bei Herrn Dr. Poggemeier nicht gemacht.» Mittlerweile kannte Funk auch die Namen der Schülerinnen und Schüler, und es stellte sich heraus, dass Dr. Poggemeier sie gut beschrieben hatte. Nur Meike bekam Funk nicht zu fassen. Am Anfang des Jahres hatte sie sich ein paar Mal gemeldet, er hatte sie aber nicht drangenommen. Denn er wollte ja nicht, dass sie durch ihre Erklärungen das ganze Stundenergebnis schon in den ersten Minuten vorwegnahm. Ein andermal hatte er sie einfach mal so drangenommen, weil sich sonst niemand meldete. Sie war sichtlich überrascht, vielleicht hatte er sie in einem Moment der Abwesenheit erwischt, aber es gelang ihm, das schnell überzuleiten, jeder konnte ja mal mit den Gedanken woanders sein und er wollte ja niemanden blossstellen: «O. k., Meike, ich denke, du meinst hier das Richtige, auch wenn es jetzt vielleicht nicht ganz so rausgekommen ist. Ich fass das noch mal zusammen …» Sie starrte ihn gross an, protestierte aber nicht. In den Folgestunden meldete sich Meike ein paar Mal zaghaft, aber Funk wollte auch den anderen Kindern eine Chance geben, sich die Lösung zu erschliessen. In einer Gruppenarbeitsphase ging er deshalb zu ihr: «Du, Meike, du hast ja sicher gemerkt, dass ich dich nicht so oft drannehme, wie du dich meldest.» Aus grossen Augen schaute sie ihn an, abwartend, zurückhaltend. «Weisst du, ich mach das, damit die anderen Kinder auch eine Chance haben, auf die Lösung zu kommen. Bei dir», er lächelte sie aufmunternd an, «sehe ich einfach, dass du die richtige Antwort weisst.» Sie starrte ihn weiter an: «Woher wissen Sie das denn?» Funk wollte nicht verraten, dass er es von seinem Vorgänger Dr. Poggemeier wusste, ein paar Geheimnisse muss man ja auch für sich behalten. «Als Lehrer kann man das sehen.» Ein paar Tische weiter fiel ein Becherglas vom Tisch, Funk musste hingehen und so blieb das Gespräch kurz. In den kommenden Stunden ging alles so weiter, Meike meldete sich immer mehr, er nahm sie auch ab und zu mal dran, einfach, damit sie nicht ausstieg. Die Antworten waren nicht ganz so klar und umwerfend, wie Dr. Poggemeier berichtet hatte, mitunter eher etwas zurückhaltend, vielleicht hatte er sie ja doch etwas verunsichert mit seiner Ehrlichkeit. Aber dann kam der erste Biologietest, er fiel durchschnittlich aus, Herr Gauss hätte seine Freude gehabt. Bloss, dass Meike nicht die beste Arbeit hatte. Es hatte nur zu einer Zwei gereicht, einer soliden Zwei, aber mit Abstand die Beste und so weiter, davon war nichts zu sehen. Irgendwas musste hier passiert sein. Denn als er die Arbeit wiedergab und die Mitschülerinnen und -schüler sahen, was für eine Note Meike hatte, wurde das, wenn auch hinter vorgehaltener Hand, kommentiert: «Oha, ne Zwei. Die Meike.» Oder: «Na, da hätte wohl keiner mit gerechnet.» Meike sass nur da und starrte ungläubig auf den Zettel. Bevor er sie aber nach der Stunde dazu befragen konnte, war sie schon draussen. Tatjana, die ihm mal wieder half, den Klassenraum aufzuräumen, goss gerade die Blumen auf der Fensterbank. «Tatjana, du musst mir jetzt mal eins sagen: Was ist denn mit Meike los? Die war ja total überrascht, als ich ihr den Test wiedergegeben habe.» Tatjana, die weiter die Pflanzen pflegte, meinte nur: «Ach, das wäre ich an ihrer Stelle wohl auch gewesen.» «Die hat sonst noch nie eine Zwei geschrieben, oder?» «Nee, soweit ich mich erinnere, war das das erste Mal.» Funk stand jetzt ratlos vor der Tafel: «Aber sie war doch sonst immer Klassenbeste, hab ich da was falsch gemacht?» Jetzt drehte sich Tatjana um: «Klassenbeste? Meike? Niemals! Die war doch sonst immer bei ’ner Vier.» «Aber Herr Dr. Poggemeier, euer alter Lehrer, hat mir doch gesagt, dass die Meike mit Abstand die Beste in Biologie war.» Tatjana, immer noch die Giesskanne in der Hand, starrte ihn an, bis sie laut loslachte: «Ach so, nein, Herr Dr. Poggemeier hat die andere Meike gemeint, die war so unheimlich gut in Biologie, aber die ist doch im Sommer ganz überraschend mit ihren Eltern weggezogen.» Funk ging nach der Stunde beschämt nach Hause und fragte sich, ob er Meike wegen des Missverständnisses zu gut bewertet hatte. Aber als er den Test noch einmal ganz genau durchlas, war das Ergebnis wieder eine Zwei. Und auch sein Kollege, den er um eine Zweitkorrektur bat, kam zu keinem anderen Ergebnis. Funk freute sich durchaus für Meike, auch wenn ihm nicht ganz klar war, was hier passiert war.   Was dahintersteckt
Herr Funk fragt sich, warum Meike plötzlich gut in Bio ist. Licht in die Sache könnten ein paar alte Studien des amerikanischen Psychologie-Professors Robert Rosenthal bringen. In den 1960er-Jahren liess er Studenten mit Ratten experimentieren. Sie sollten die Leistungen von genetisch identischen Laborratten messen. Glaubten sie, Ratten vor sich zu haben, die auf «superschlau» gezüchtet waren, zeigten ihre Messungen genau das an. Meinten sie, es mit genetischen «Dummerchen» zu tun zu haben, sahen sie nur Unfähigkeit. Nun ging Rosenthal einen Schritt weiter. Seine nächste Studie nahm nicht Ratten und studentische Versuchsleiter, sondern Grundschulkinder und ihre Lehrpersonen ins Visier. Dabei absolvierten kalifornische Schüler einen neuen IQ-Test. Ihren Lehrern wurde erzählt, es handele sich um einen Test, der schulische Entwicklungsschübe voraussage. Und wie erwartet kamen die Forscher mit einer Liste von Namen zurück. Was die Lehrpersonen nicht wussten: Welcher Name auf der Liste landete, entschied nicht der Test, sondern der Zufall. Aus jeder Klasse wurden 20 Prozent der Schüler ausgewählt. Die Lehrer sollten von diesen einen unmittelbar bevorstehenden Entwicklungsschub erwarten dürfen. Und nun begann in den Klassenzimmern das eigentliche Experiment. Was in den acht Monaten bis zur nächsten Testung genau geschah, weiss man nicht. Aber es ähnelte wohl dem, was Meike und ihr neuer Lehrer erlebt hatten. Wenn ein Listenkind Fragen halbrichtig beantwortete, wurden diese als zutreffend bewertet. «O. k., ich denke, du meinst hier das Richtige, auch wenn es jetzt vielleicht nicht ganz so...


Ehrnsberger, Jörg
Jörg Ehrnsberger ist Lehrer und Storytellingtrainer und hat in den letzten 20 Jahren Menschen von 6 bis 85 Jahren unterrichtet. Neben seiner Tätigkeit in verschiedenen Schulen hat er die NGO «Teach First Deutschland» mit aufgebaut und ist 2015 für seine Tätigkeit als Storytelling-Trainer von der Bundesregierung mit dem Titel «Kreativ- und Kulturpilot» ausgezeichnet worden. Er bietet häufig Storytellingseminare im Bereich Stadtentwicklung und Partizipation an, macht aber ebenso Storytellingprojekte im Bildungsbereich und für Lehrkräfte.

Hille, Katrin
Dr. Katrin Hille, geboren 1968, studierte Psychologie in Jena und Bamberg.

Jörg Ehrnsberger ist Lehrer und Storytellingtrainer und hat in den letzten 20 Jahren Menschen von 6 bis 85 Jahren unterrichtet. Neben seiner Tätigkeit in verschiedenen Schulen hat er die NGO «Teach First Deutschland» mit aufgebaut und ist 2015 für seine Tätigkeit als Storytelling-Trainer von der Bundesregierung mit dem Titel «Kreativ- und Kulturpilot» ausgezeichnet worden. Er bietet häufig Storytellingseminare im Bereich Stadtentwicklung und Partizipation an, macht aber ebenso Storytellingprojekte im Bildungsbereich und für Lehrkräfte.Dr. Katrin Hille, geboren 1968, studierte Psychologie in Jena und Bamberg.



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