Ehlers Die Hyäne von Hamburg
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-95441-302-7
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 2, 300 Seiten
Reihe: Kommissar Kastrup
ISBN: 978-3-95441-302-7
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Jürgen Ehlers ... wurde 1948 in Hamburg geboren und lebt heute mit seiner Familie auf dem Land. Seit 1992 schreibt er Kurzkrimis und ist Herausgeber von Krimianthologien. Er ist Mitglied im »Syndikat« und in der »Crime Writers' Association«. Sein erster Kriminalroman »Mitgegangen« wurde in der Sparte Debüt für den Friedrich-Glauser-Preis nominiert. Bei KBV veröffentlichte Jürgen Ehlers bislang sieben historische Kriminalromane und zuletzt im Frühjahr 2015 den Thriller »Der Wolf von Hamburg«.
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Die sechste Kugel
Sonntag, 15. November 2015
Der Tag begann damit, dass Alexander Nachtweyh gut gelaunt ins Büro kam. »Jetzt geht es rund«, sagte er. »Jetzt machen die Franzosen Ernst. Sie haben Raqqa bombardiert.«
»Ja.« Mehr sagte Vincent nicht.
Alexander starrte ihn an, dann begriff er schließlich: »Oh, entschuldige! Da habe ich überhaupt nicht dran gedacht. Deine Frau kommt doch aus Syrien. Das war doch Syrien, oder? Oder war das Irak?«
Vincent blickte auf. »Meine Frau kommt aus Syrien«, sagte er. »Aus Raqqa, um genau zu sein. Sie ist hier, aber ihre Familie, die ist noch in Raqqa.«
»Das habe ich nicht gewusst«, sagte Alexander, plötzlich ernüchtert.
Vincent sah ihn aus traurigen Augen an. »Das vergessen wir manchmal«, sagte er, »dass da unten, wo die Bomben hinfallen, nicht nur Terroristen wohnen, sondern auch ganz normale Menschen.«
* * *
Bernd Kastrup war wieder draußen in Trauns Park. Er war mit den Ergebnissen der Geländeuntersuchungen nicht zufrieden. Fünf Schüsse waren abgefeuert worden, und vier Projektile waren aus dem Rasen von Trauns Park geborgen worden. Das fünfte Geschoss war im Krankenhaus aus der Schulter von Julia Dachsteiger entfernt worden. Damit schien alles geklärt. Es blieb jedoch die Diskrepanz zwischen dem, was die Ohrenzeugen gehört zu haben glaubten, und dem, was die Experten rekonstruiert hatten. Kastrup blieb dabei: Er hatte acht Schüsse gehört.
Die Experten hatten nur den Kopf geschüttelt und darauf hingewiesen, dass bei solchen Gelegenheiten die Zeugenaussagen immer sehr unzuverlässig seien. Kastrup wollte das nicht gelten lassen. Er hielt sich für einen zuverlässigen Zeugen. Es musste einen dritten Schützen gegeben haben. Julia Dachsteiger zum Beispiel.
Dagegen sprach allerdings, dass er ja unmittelbar nach der Schießerei mit der jungen Frau zusammengetroffen war, und dass sie kaum eine Gelegenheit gehabt hatte, sich der Waffe unauffällig zu entledigen. Im Rahmen der Spurensicherung hatte Kastrup darauf gedrungen, dass das Gebüsch am Rande des Parks sorgsam abgesucht wurde. Das war getan worden, und es hatte sich keine weitere Schusswaffe gefunden.
Andererseits war es denkbar, dass die Frau die Waffe in der Tasche ihres Mantels verborgen hatte. Er hatte natürlich keine Leibesvisitation vorgenommen. Abgesehen davon, dass er das gar nicht gedurft hätte, war es ihm zu dem Zeitpunkt auch völlig unsinnig erschienen, da die Frau ganz offensichtlich ein Opfer der nächtlichen Schießerei gewesen war und dringend ärztlich versorgt werden musste. Aber wenn sie nun Opfer und Täter zugleich gewesen war?
Der Gedanke war ihm erst hinterher gekommen. Er hatte früh an diesem Morgen im Krankenhaus angerufen und gefragt, was mit der Kleidung der Verletzten geschehen sei. Man hatte ihm gesagt, dass all die Kleidungsstücke, die bei der Schießerei beschädigt worden waren, auf Wunsch von Frau Dachsteiger inzwischen entsorgt worden seien. Nein, etwas Besonderes sei dabei nicht aufgefallen. Was in den Taschen war, habe die Frau natürlich zurückbekommen. Ihr Portemonnaie zum Beispiel. – Eine Schusswaffe? Nein, eine Schusswaffe sei nicht gefunden worden. Auch kein Messer. Nicht einmal ein Pfefferspray.
Kastrup hatte bei der Waffendienststelle nachgefragt, wie lange es dauern würde, bis man nachgewiesen hatte, welches Projektil aus welcher der beiden Waffen abgefeuert worden war. Ein bis zwei Wochen hatten die Herrschaften vom LKA 36 geantwortet. Das hatte Bernd Kastrup befürchtet. Aber aufgrund der bisherigen Befunde am Tatort sah er auch keine Möglichkeit, auf eine beschleunigte Untersuchung zu drängen. Er würde sich in Geduld fassen müssen.
Bernd Kastrup war nicht geduldig. Er wusste, dass Christian Habbe, ein Kollege, mit dem er schon öfter zusammengearbeitet hatte, gelegentlich mit einem Metallsuchgerät auf Schatzsuche ging. Jetzt hatte er sich mit Habbe in Trauns Park verabredet. Er sah auf die Uhr. Kastrup war zu früh dran; Habbe konnte noch immer pünktlich eintreffen.
Und da kam er auch schon. Er hatte sein Metallsuchgerät dabei. »Wo soll ich anfangen?«, fragte er.
Bernd Kastrup wies den Kollegen ein. »Hier auf der Wiese haben die beiden Dealer gestanden. Da drüben bei der Bank stand die Frau, die angeblich zufällig zugegen war.«
»Glaubst du, dass sie die beiden erschossen hat?«
Kastrup schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich nicht. Aber ich glaube, dass noch irgendjemand da war, der geschossen hat. Nicht nur die beiden Dealer. Ich habe acht Schüsse gehört, und die beiden Toten haben nur fünf Schüsse abgegeben.«
»Und wo hat der Mann oder die Frau deiner Meinung nach gestanden?«
»Das weiß ich nicht.«
»Bernd, ich frage dich das, weil wir mit diesem Gerät nicht den ganzen Park absuchen können. Dann hätten wir sehr lange zu tun. Das Gerät ist ziemlich empfindlich, wir werden alles Mögliche finden, Nägel, Heftzwecken, selbst dieses silberne Papier, das im Inneren von Zigarettenschachteln steckt. Wir sollten da anfangen zu suchen, wo die Chance am größten ist. Wo würdest du dich hinstellen, wenn du da unten im Park jemand erschießen wolltest?«
»Hier oben auf den Deich«, sagte Kastrup. »Etwa da, wo wir jetzt stehen. – Das ist zumindest die eine Möglichkeit. Und bei Tag ist es sicher die beste Möglichkeit. Wer bergab schießt, der ist im Vorteil, weil er sieht, wo er hinschießt.«
»Und die andere Möglichkeit?«
»Genau am entgegengesetzten Ende der Rasenfläche. Das wäre nachts vielleicht günstiger. Da steht man selbst im Schatten, und man sieht sein Ziel gegen das Licht der Straßenbeleuchtung.«
»Hast du das ausprobiert?«
»Nein. Vielleicht ist das falsch. Vielleicht ist es trotzdem besser, wenn man von oben schießt. Ich weiß es nicht. Wir müssen beiden Möglichkeiten in Erwägung ziehen.«
In diesem Moment setzte heftiger Regen ein. Kastrup zog eine Baskenmütze aus der Tasche, Habbe setzte eine Kapuze auf.
»Sollen wir die Aktion nicht lieber vertagen?«, fragte er.
Kastrup schüttelte den Kopf. »Dein Gerät ist doch wasserfest, oder?«
Ja, das Gerät war wasserfest. Sie machten sich an die Arbeit. Es war genau so, wie Habbe vorausgesagt hatte. Sie fanden allerlei Kleinkram, sogar mehrere Münzen, aber kein Geschoss. Bernd Kastrup war schon nahe dran aufzugeben, als das Gerät wieder ein klares Signal aufzeichnete.
»Hier«, sagte Christian. Sie waren inzwischen am oberen Hang des Deiches angelangt.
Bernds Aufgabe war es, an der entsprechenden Stelle nachzugraben. Der Spaten, den er mitgebracht hatte, war zwar gut geeignet, um die Grasnarbe zu durchstechen, aber er förderte sehr viel mehr Bodenmaterial zutage als nötig.
Christian überprüfte den Aushub mit dem Metallsuchgerät. »Hier irgendwo.«
Bernd grub mit den Fingern nach.
»Schokoladenpapier?«, fragte Christian.
Nein, dies war kein Schokoladenpapier. Dies war ein kleiner, harter Gegenstand. Ein Gegenstand aus Metall. »Das ist es«, sagte Bernd Kastrup.
Ja, das war es. Sie hatten die sechste Kugel gefunden. Damit war ganz klar, dass eine weitere Schusswaffe im Spiel war. Damit war ebenfalls ganz klar, dass ein dritter Schütze am Tatort anwesend gewesen sein musste. Und dieser dritte Schütze war nicht Julia Dachsteiger. Auf dem Weg nach Hause würde Kastrup eine große Dose Katzenfutter kaufen.
* * *
»Ich interessiere mich für einen Hund«, sagte Jennifer.
»Für einen Hund?« Der Mann aus dem Tierheim sah sie misstrauisch an. Offenbar traute er ihr nicht zu, eine liebevolle Hundemutter zu werden. Er hatte recht. Jennifer mochte keine Hunde. Sie hatte Angst vor ihnen. »Ich habe vorhin mit Ihrem Kollegen telefoniert«, sagte sie.
»Mit Tarzan? Der hat nachmittags frei.«
»Tarzan?« Der Mann hatte sich ihr als Rolf vorgestellt.
»Ja, das ist Tarzan.«
Offenbar hatte er seinen Kollegen nicht ins Bild gesetzt. Jennifer erläuterte ihr Anliegen.
Der Mann hörte nicht zu. »Wir haben viele Hunde«, sagte er. »Im Augenblick sind es 126 Tiere. Da ist für Sie bestimmt etwas Passendes dabei. – Haben Sie denn schon einmal einen Hund gehabt?«
Nein, Jennifer hatte noch nie einen Hund gehabt, und sie wollte auch keinen Hund haben. »Es geht um einen Kriminalfall ...«
»Ja, das ist ein Problem. Es werden viele Hunde aus Süd- und Osteuropa eingeschmuggelt. Viele davon sind krank, und wir wissen gar nicht, wie wir ...«
»Das tut mir leid«, unterbrach ihn Jennifer. »Wir suchen jedenfalls nach einem Schäferhund, der in den letzten Tagen...




