E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Ehebrecht-Zumsande / Gräwe / Mönkebüscher Out in Church
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-451-82752-5
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Für eine Kirche ohne Angst
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-451-82752-5
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Jens Ehebrecht-Zumsande, geb.1971, Religionspädagoge und Supervisor DGSv, Leiter des Grundlagenreferates »Kirche in Beziehung« im Erzbistum Hamburg, Mitinitiator von #Liebegewinnt und #OutInChurch, www.ehebrecht-zumsande.de Veronika Gräwe, geb.1990, Religionswissenschaftlerin und Doktorandin Pastoralpsychologie, Co-Sprecherin Katholisches LSBT+ Komitee. Bernd Mönkebüscher, geb. 1966, Priesterweihe 1992, seit 2007 Pfarrer in Hamm, outete sich Anfang 2019, Mitinitiator von #mehrSegen, #Liebegewinnt und #OutInChurch, www.wegwort.de. Gunda Werner, geb. 1971, Dr. Theol., Professorin für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum. Publikationen im Bereich der Fundamentaltheologie, Dogmatik, Dogmengeschichte, Forschungsschwerpunkt zu Judith Butler, Machtanalysen und Michel Foucault. Dr. Michael Brinkschröder, geb. 1967, Kath. Theologe und Soziologe, Religionslehrer an einer Berufsschule in München, Co-Sprecher des Katholischen LSBT+ Komitees, Leiter der kath. Arbeitsgruppe des European Forum of LGBT Christian Groups.
Autoren/Hrsg.
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Teil 2
Den ganzen Menschen sehen
1. Zeugnisse lesbischer und schwuler Ordensleute und Priester
»Hier spricht Papst Franziskus …«1
James Alison
Ich denke, die Geschichte beginnt 1994, als ich nach ganzen sechs Jahren als Priester erkannte, dass ich nicht länger so tun konnte, als ob gleichgeschlechtliche Liebe falsch sei. Der verängstigte Junge, der die offizielle Linie akzeptiert hatte, nach der er objektiv ungeordnete Neigungen habe und der Zölibat deswegen eine Verpflichtung sei, war endlich erwachsen geworden. Verbunden mit dieser Erkenntnis stellte sich eine ganze Reihe weiterer Erkenntnisse ein, die alle miteinander verbunden waren. Erstens, dass jegliche Gelübde oder Versprechen nichtig sind, wenn eine der Parteien die andere beim Ablegen derselben angelogen hat. Und in diesem Fall hat die kirchliche Autorität mich und so viele andere angelogen in Bezug darauf, wer wir sind.
Während Menschen wie ich bereuen können, dass wir zuließen, dass diese Lüge Einfluss auf die Formung unserer Seelen nahm, sind die römischen Kongregationen leider nicht in der Lage, ihre Unwahrheit, die so viele von uns übernommen haben, zu diskutieren oder zu berichtigen. Gleichzeitig wusste ich: Sollte ich als Theologe arbeiten wollen (mein Traumberuf: Professor am Priesterseminar wie mein geliebter Lehrer in Brasilien, der verstorbene Ulpiano Vázquez Moro SJ), müsste ich bei dieser Lüge mitspielen. Und welchen Wert sollte es haben, als Theologe zukünftige Priester zu unterrichten, wenn ich sowohl in meiner Lehre als auch in meiner Vorbildfunktion darüber lügen und schweigen müsste, wer die meisten von uns sind? Doch andererseits: Welchen Wert würde ein loyaler und bekennender Theologe, der jedoch versucht, innerhalb seines Einflussgebiets die Wahrheit zu sagen, außerhalb der kirchlichen Strukturen haben? In beiden Fällen: gar keinen.
Da beides für mich keine Lösung war, verließ ich die kirchliche Welt, die ich so liebte und in der ich gehofft hatte, mein Leben zu verbringen, und sprang sozusagen ins kalte Wasser des »echten Lebens«. Von dort aus »watete« ich langsam durch einen Nervenzusammenbruch, durch Arbeitslosigkeit und endlich hinaus aus dem finanziellen Infantilismus, in den wir Kleriker so leicht hineingeführt werden. Als mir klar wurde, dass ich nur ein Gast, aber kein Mitglied der Dominikaner gewesen war (für deren Lehren, Gastfreundschaft und manche lebenslange Freundschaft ich nichts als Dankbarkeit empfinde), schrieb ich 1996 einen Brief an die Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, in dem ich meine Geschichte erzählte, die Ungültigkeit meiner Gelöbnisse und Versprechen erklärte und anbot, meine Ordination aufzuheben. Daraufhin erreichte mich ein Dreizeiler, in dem die Gültigkeit meiner Ordination bestätigt, ich jedoch aufgefordert wurde, die Laisierung zu beantragen. Um das zu tun, hätte ich wieder Lügen erzählen müssen. Also folgte ich dem Rat eines Kirchenrechtsanwaltes und tat nichts – und hörte nichts.
Währenddessen erwachte ich langsam aus der zähneklappernden, depressiven Lähmung, in die ich gefallen war. Dank der Ermutigung einiger weltlicher Freunde begann ich, wieder theologisch produktiv zu werden. Und endlich traute ich mich, die Gottesdienstleitung zu übernehmen und zu predigen, wenn ich von unterschiedlichen Gastgeber*innen darum gebeten wurde, die aber alle genug wussten, um darüber nicht empört zu sein. Und so stellte ich fest, dass ich im Zweifelsfall als Priester handeln konnte, solange das keinen Skandal verursachte. Das war einfacher, als es mir zunächst erschienen war, denn diejenigen, die mich als schwulen Priester skandalös fanden, würden mich wohl kaum einladen, einen Gottesdienst zu leiten. Meine Versuche, Bischöfe oder Kardinäle zu sprechen, die meinen kirchenrechtlichen Status hätten »lösen« können, wurden regelmäßig zurückgewiesen – und mehr als einer von ihnen behauptete, es sei unklug für ihn, sich mit mir zu treffen. Viele Briefe blieben unbeantwortet. Ein paar freundliche, Mitra tragende Schwule waren zwar erfreut, sich mit mir zu unterhalten, machten aber gleichzeitig deutlich, nichts für mich tun zu können.
Über zehn Jahre vergingen. Schließlich fragte mich ein ordnungsliebender Dominikaneroberer, ob ich damit einverstanden sei, dass er sich um den Papierkram kümmere, um meine Mitgliedschaft im Orden aufzuheben. Ich hatte keine Einwände gegen das Vorgehen, da ich meine Mitgliedschaft schon vor Langem für nichtig erklärt hatte. Allerdings konnte ich an dem Prozess nicht mitwirken. Ich hätte vorgeben müssen, dass es etwas gibt, für das ich eine Dispens benötigte. Zum Glück war das aus seiner Sicht kein Problem. Ihm reichte es, dass ich die Benachrichtigung über den Vorgang erhalten hatte, dem aber nicht zustimmen musste. Er war so freundlich, den zuständigen Stellen zu erklären, dass ich Gewissensgründe geltend gemacht habe. Schließlich erhielt ich ein Dokument, das bestätigte, dass weder die Dominikaner noch ich Verpflichtungen dem jeweils anderen gegenüber hätten. Es bestätigte aber auch, dass ich ein unbescholtener Priester ohne Inkardination sei, jedoch inkardiniert werden könne, sollte ein Bischof kühn genug sein, mich zu nehmen.
Ein paar Jahre später fand ich mich in Brasilien als Begleitung eines angehenden LGBT-Apostolats wieder. Auf ein frühes Schreiben an den örtlichen Kardinal erfolgte keine Antwort. Als er mich später zu sich rief, zeigte er sich verärgert darüber, dass ein Zeitungsinterview, das ich gegeben hatte, unglücklicherweise gleich neben einer Kolumne erschienen war, die er anlässlich des CSD verfasst hatte. Er akzeptierte meine Erklärung, dass es nicht meine Absicht gewesen war, ihm die Schau zu stehlen – schließlich war ich lange nicht vor Ort gewesen und wusste nichts von den Plänen dieser Zeitung. Jedoch sagte er mir sehr deutlich, dass er mich laisieren wolle. Dazu brauchte er mein Einverständnis. Das ich ihm nicht gab. Bei einem späteren Treffen mit der gleichen Forderung konfrontiert, bot ich ihm an, dass er mich in seiner Erzdiözese inkardinieren könne, wenn er wolle (wodurch ich ihm Kontrolle über mich gegeben hätte). Er lehnte sofort ab. Kurz danach – inzwischen war Franziskus Papst geworden – erwirkte er eine Veränderung im kanonischen Recht und initiierte das Verfahren einer erzwungenen Laisierung. Diese Art von Verfahren war eigentlich darauf ausgerichtet, Bischöfen die Berechtigung zu geben, Priester von ihrer Liste zu streichen, die, ohne die notwendigen Formalitäten erledigt zu haben, vor vielen Jahren die Kirche verlassen hatten, um zu heiraten und nun nicht auf Briefe antworteten. Ein völlig anderer Fall als meiner.
Etwa ein Jahr später bekam ich einen Brief von der Kongregation für den Klerus – auf Latein verfasst –, der mir mitteilte, dass ich zwangsweise aus dem klerikalen Stand entfernt worden sei und dass es mir verboten sei, zu lehren, zu predigen oder einen Gottesdienst zu leiten. Es sei nicht möglich, in Berufung zu gehen. Sogar für jemanden wie mich, der sich die kafkaeske Natur der vatikanischen Bürokratie nur zu gut vorstellen kann, war es schockierend, Gegenstand eines Prozesses zu sein, in dem es nicht notwendig ist, den Angeklagten über die ihm vorgeworfenen Vergehen zu informieren, in dem eine Rechtsvertretung verboten ist und in dem für die Rechtskräftigkeit des Urteils die Unterschrift des Verurteilten nicht erforderlich ist. Ein Freund wies mich darauf hin, dass ein Urteil, in dem die Strafe ohne Information über die Anklagepunkte und ohne Rechtsbeistand auferlegt wird, in jedem Rechtssystem eindeutig ungültig sei. Ich war geistig einigermaßen auf die juristischen Feinheiten vorbereitet und wusste, dass ich mich von solch einer Gewalt nicht unterkriegen lassen sollte, trotzdem führte die unmissverständliche Botschaft an mich – »Dein Priestertum ist nichts wert« – zu einer tiefen Depression.
Immer noch labil, konnte ich ein paar Monate später mit meinem ehemaligen Novizenmeister sprechen, der nun Bischof war. Seine Reaktion kam prompt und war mehr, als ich zu hoffen gewagt hatte: »Das ist absurd. Sie brauchen Leute wie dich in diesen Zeiten an ihrer Seite. Schreib nicht dem Papst; dein Brief wird nie durchkommen. Ich werde eine Privataudienz beantragen und ihn bitten, das zu regeln.« 18 Monate später hatte der Bischof seine Privataudienz und überbrachte einen Brief von mir, in dem ich gegen das Berufung einlegte, von dem die Kongregation behauptete, dass eine Berufung nicht möglich sei. In meinem Brief hatte ich darauf hingewiesen, dass der gesamte Prozess den Beigeschmack des »selbstreferenziellen Kurialismus« hat, den Franziskus so oft kritisiert hat. Und dass ich genau das getan hätte, wozu er uns öffentlich ermutigt hatte: das Evangelium »an den Rändern« zu verkünden und »ein wenig Aufruhr zu erzeugen«. Ich legte ihm in dem Schreiben meine Gewissensüberzeugung dar, dass ich das, was er öffentlich gesagt hatte, nicht mit dem lateinischen Dokument, das mir in seinem Namen zugesandt worden war, in Einklang bringen könne, und schlug vor, dieses Dokument daher als nicht gültig zu betrachten und weiterzumachen wie bisher.
Ich bat ihn, sofern möglich, meine Situation als Normalfall anzuerkennen – nicht, um mir persönlich einen Gefallen zu tun, sondern als Teil der Öffnung der seelsorglichen Arbeit für LGBT-Menschen in der Kirche. Denn so könnten diese in Zukunft aus der Ich-Perspektive sprechen, predigen und verkünden, ohne daran gebunden zu sein, in klerikaler Unehrlichkeit über Menschen wie sie selbst als »jene dort« zu sprechen....