Ego | Das Schicksal der Seherin | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 305 Seiten

Ego Das Schicksal der Seherin


1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7521-2113-1
Verlag: tolino media
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)

E-Book, Deutsch, 305 Seiten

ISBN: 978-3-7521-2113-1
Verlag: tolino media
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Ich bin eine Seherin - eine, die das Unrecht erkennt, zusammenführt, was zusammengehört, und trennt, was sich nicht mehr braucht. Die junge Priesterin Thanissa erfährt, dass sie als Seherin auserwählt ist, leugnet ihre Bestimmung jedoch. Auf einem heimlichen Ausflug in die Berge gerät sie in Not und wird von einem Mann gerettet. Taio gehört den Rebellen an, die ihre Heimatstadt Zefira zu zerstören versuchen, doch er hilft ihr wider Erwarten, nach Hause zu kommen. Verwirrt und gleichzeitig verunsichert von seinen Erzählungen versucht sie, ihr Leben fortzuführen. Doch nicht nur, dass er ihr nicht mehr aus dem Kopf geht, auch die Wahrheit hinter dem Wohlstand ihrer Heimat überfordert sie. Ein Bündnis mit den Rebellen scheint der einzige Weg, das Unrecht zu beenden, doch weder die Frauen von Zefira noch die Rebellen wollen die Vergangenheit ruhen lassen. Welche Opfer muss sie bringen, um den Teufelskreis zu durchbrechen?

Die Autorin Andrea Ego entdeckte schon in ihrer frühesten Schulzeit Bücher für sich. Das Abtauchen in fremde Welten hat sie von Beginn weg fasziniert. In ihrer Jugendzeit hat sie mit dem Schreiben begonnen und seither hat es sie nie mehr so richtig losgelassen. Andrea liebt neben dem Schreiben ihre Familie über alles, die Schweizer Berge, Schokolade, ihren Garten und das Fotografieren.

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Der Spruch des Orakels
Badamm. Einen Schritt weiter. Badamm. Wieder einen Schritt weiter. Wie ein Berg baute sich der aus Stein gefertigte Kegel vor uns auf. Der Schein der Fackeln tauchte ihn in sanftes, flackerndes Licht und erhellte die mondlose Nacht. Schatten huschten über die Oberflächen. Frauen tuschelten. Anhija vor mir zitterte. Wieder ein Trommelschlag, noch ein Schritt. Die erste der jungen Priesterinnen stand direkt vor dem gähnenden Mund des Kegels, der wie ein Mahnmal in den dunklen Himmel ragte und sich dort verlor. Wir wussten nicht, was uns erwartete. Es gab Gerüchte, die davon erzählten, Priesterinnen hätten den Kegel nicht mehr verlassen. Ich erschauderte. Ihren Knochen wollte ich nicht begegnen, erst recht nicht ihren Geistern. Der nächste Trommelschlag führte eine meiner Mitschülerinnen in die Dunkelheit hinein. Was sie wohl sah? Wie es ihr erging? Anhija drehte sich ängstlich zu mir um. In ihren Augen stand nicht nur die Angst um ihre Freundin, sondern auch ganz besonders vor unserem Schicksal. Im Tempel ausgebildet, in den Künsten unterrichtet, fähig, Krankheiten zu erkennen und zu heilen, waren wir im Moment nicht mehr als ein Spielball des Schicksals. Ein frischer Wind kam auf, umgarnte mein hellbraunes Haar und liess es wieder los. Auf meinen Lippen zeichnete sich ein Lächeln ab, obwohl mir nicht danach war. Ich verspürte keine besondere Lust, das nächste Opfer zu sein, das schon längst überfällig war. Ich schluckte und verdrängte den Gedanken daran. Es wird alles gut, Thanissa. Die Trommelschläge verstummten, die Zeit dehnte sich zu einer Ewigkeit. Nicht einmal die Frauen neben mir tuschelten. Ich kannte sie, sie tratschten zu gern. Doch einmal im Jahr blieben auch ihre Zungen ruhig, nämlich dann, wenn das Orakel den Priesterinnen ihre Bestimmung verriet. Ungeduldig verlagerte ich das Gewicht vom einen Fuss auf den anderen und versuchte, trotz der Fackeln einen Blick auf die Sterne zu erhaschen. Sie hatten mich stets beruhigt, egal, wie schlecht es mir ergangen war. Ihr sanftes Licht, das meinen Weg erhellt, aber nicht überstrahlt hatte – leise Begleiter, die niemand bemerkte, die jedoch stets da waren. Ich mochte den Gedanken. Ein Trommelschlag, so heftig wie der erste Donner eines Gewitters, der sich mit dem grellen Licht des nächsten Blitzes mischte, liess mich zusammenfahren. Mein Herz stieg, brach aus der Brust aus und galoppierte davon. Hälse reckten sich, die Frauen um uns herum sahen nach oben zur Spitze des Kegels. Als würde sie frei über unseren Köpfen schweben, hob sich Marnas weisses, dünnes Leinengewand vom Heim des Orakels und dem dunklen Himmel ab. Sie war wunderschön. »Weise.« Die Menge brach in Jubel aus. Seit fünf Jahren hatte das Orakel keine Weise mehr ernannt. Ihre Zukunft sah rosig aus: Marna durfte den wichtigsten Sitzungen der Anführerinnen beiwohnen, in deren Quartier leben und sich frei in der Stadt bewegen. Bei Fragen würde sie zu Rate gezogen. Ein wenig beneidete ich sie, auch wenn ich wusste, wie hart sie für ihren Traum gearbeitet hatte. Nur selten entsprach das Orakel dem Wunsch der Tempelschülerin, die sich seinem Urteil stellte. Der nächste Trommelschlag führte Dhorea in den Kegel. Während der Ausbildung war sie mir nicht besonders aufgefallen, doch die Zeit mit ihr hatte ich in guter Erinnerung. Sie war still und zurückhaltend, aber auf sie war Verlass. »Dienerin.« Unter normalen Umständen hätte niemand ihre Stimme vernommen, doch dem Orakelkegel war es eigen, einem Klang Fülle zu verleihen, sodass er von der ganzen Stadt gehört wurde. Die Freude fiel deutlich zurückhaltender aus. Dienerinnen gab es jedes Jahr ein oder zwei, obwohl jeweils nur fünf Priesterinnen in den Tempelmauern ausgebildet wurden, sodass sie sich nach den eigenen Fähigkeiten und dem Urteil des Orakels entfalten konnten. Innerlich lachte ich verbittert auf. Worin lag die Freiheit, sich selbst zu entfalten, wenn doch das weitere Leben durch eine einzige, in den Kegel gebannte Stimme in eine Richtung gelenkt wurde? Als Nächstes verschluckte die Dunkelheit Anhija. Sie warf mir einen letzten Blick zu, zögerte und ergab sich schliesslich ihrem Schicksal. Wollten wir leben, hatten wir keine Wahl. Wer sich dem Urteil des Orakels nicht stellte, verlor den Schutz und das Wohlwollen der Stadt. Ich sandte ein Stossgebet zum Himmel und bat darum, dass Anhija eine Berufung fand, die ihr entsprach. In den letzten Jahren waren wir Freundinnen geworden. Wir hatten alles geteilt, Aufgaben zusammen ausgeführt und uns gegenseitig gedeckt, wenn wir uns vom Tempelgelände geschlichen hatten. Ich zitterte. An den Innenflächen meiner Hände trat Schweiss aus, und ich wischte sie am einfachen Leinengewand ab, doch nur Augenblicke später hätte ich schon wieder kein Glas mehr halten können. Das Warten zog sich in die Unendlichkeit. Nicht nur, dass ich die Nächste war, auch das Schicksal meiner Freundin versetzte mich in Unruhe. Immer wieder warf ich einen Blick nach oben, um ihr Gesicht, vielleicht auch einen Zipfel ihres vom Wind aufgeblähten Kleides zu erhaschen. Doch sie blieb verschwunden. Eine Frau ein paar Schritte hinter mir flüsterte ihrer Nachbarin Worte ins Ohr. Selbst das Wispern verstärkte die Spannung, die sich über den Platz legte, auf dem sich die ganze Stadt versammelt hatte. Die Reichen und die Schönen, die Armen und die Arbeiterinnen. Und mittendrin trommelte mein Herz lauter als die Stille. Anhijas helles Gesicht hob sich gegen den Nachthimmel ab. Es strahlte von innen, als sie der Stadt ihre Bestimmung mitteilte: »Dienerin.« In ihren Zügen mischte sich Erleichterung mit Stolz. Sie hatte es sich so gewünscht, in den Häusern oder vielleicht gar im Tempel dienen zu können, den Menschen ihre Gesundheit zu erhalten oder zurückzuerlangen. Sie würde sich in den Dienst der Stadt Zefira stellen. Ein wehmütiges Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Ich freute mich mit ihr, ja, dennoch … Innerlich seufzte ich und wartete auf den Trommelschlag, der mich zum Opfer machte. Es gab fast jedes Jahr ein Opfer. Nur die letzten vier Jahre hatte keine Priesterin ihr Leben als solches verloren. Jemanden musste es treffen, irgendwann. Den anderen dreien hatte das Orakel eine Bestimmung angedacht, die sie sich erträumt hatten und mit der sie einiges erreichen konnten. Als Weise und als Dienerinnen standen ihnen viele Wege und Türen offen. Der Trommelschlag erschütterte den Boden und fegte mich fast von den Beinen. Ich richtete meinen Blick zur Spitze des Kegels, doch Anhija war bereits verschwunden. Mit einem letzten, tiefen Atemzug trat ich ein. Es war dunkel, doch es roch nach Wald und Gewitterluft, nach feuchter Erde und nach … Zuhause. Entschlossen schüttelte ich den Gedanken ab. Der Tempel war mein Zuhause, und das hier roch so gar nicht nach Tempel. »Thanissa, nun ist es also so weit.« Die wohlklingende Stimme drang durch meinen Körper und nahm meinen Geist in Beschlag. »Es freut mich ausserordentlich, dich wiederzutreffen. Als ich dich das erste Mal sah, warst du ein kleines Bündel mit mehr Haaren, als erlaubt sein müssten. Doch in dir sah ich ein Leuchten, das ich erwachen sehen wollte.« Ich drehte mich um die eigene Achse, um der Stimme einen Namen zu geben, doch undurchdringliche Dunkelheit hüllte mich ein. Nicht einmal den Eingang erkannte ich. Ich war gefangen, dem Urteil des Orakels völlig ausgesetzt. Ich holte tief Luft und schloss die Augen. »Wie soll das Opfer aussehen?« Niemand wusste, was sich das Orakel als Opfer für eine von uns ersann. Ein Lachen vibrierte in meiner Brust und mischte sich mit der Angst zu einem rotierenden Klumpen, der meinen Magen in Aufruhr versetzte. »Wieso ein Opfer?« »Weil es jedes Jahr ein Opfer gibt. Fast.« Ich sah keinen Grund, um den heissen Brei herumzureden. Wieder lachte das Orakel. »Meine allerliebste Thanissa, eine junge Frau wie dich opfere ich doch nicht. Du wirst Zefira in eine neue Zukunft führen.« »Ich … Was?« »Du bist eine Seherin. Dein Herz erkennt das Unrecht, deine Ohren hören die Lüge, deine Augen sehen, wo es schmerzt.« Die Stimme des Orakels klang warm, doch die Offenbarung war wie ein Schlag ins Gesicht. Ich verlor den Boden unter meinen Füssen, taumelte. Eine Seherin hatte es seit einer Ewigkeit nicht mehr gegeben. Ich konnte mich nicht einmal an Schriften erinnern, die von dieser Aufgabe erzählten. Man munkelte nur hinter vorgehaltener Hand darüber. Zudem, so wundervoll es auch klang, doch die Aufgabe einer Seherin lastete schwer auf ihren Schultern. »Sie sieht nicht nur, sie verändert auch. Sie führt zusammen, was zusammengehört, und trennt, was sich nicht mehr braucht.« »Wieso hört sich das so verlockend an, obwohl es das nicht ist?«, schlüpften mir die Worte aus dem Mund, die sich immer und immer wieder in meinem Kopf drehten. »Warum soll ich das richten, was andere verbogen haben?« Mit jedem Ton wurde die Brust enger, der Knoten im Bauch fester. Jeder Gedanke war ein Hieb in die Magengrube. Als Seherin war ich verantwortlich. Für alles. Die Erkenntnis machte mir Angst. »Es gibt so viele fähige Frauen in der Stadt, bitte, ernenne eine von ihnen zu deiner Seherin.« »Ich habe keine Wahl, Thanissa. Sie sehen nicht wie du. Jede andere hätte sich an dieser Macht erfreut, dir macht sie eine Heidenangst. Am liebsten würdest du dich im Kräutergarten verstecken und...



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