Buch, Deutsch, Band 12, 176 Seiten, Format (B × H): 120 mm x 205 mm, Gewicht: 210 g
Reihe: Caracol Prosa
Roman
Buch, Deutsch, Band 12, 176 Seiten, Format (B × H): 120 mm x 205 mm, Gewicht: 210 g
Reihe: Caracol Prosa
ISBN: 978-3-907296-29-5
Verlag: Caracol Verlag der Autorinnen & Autoren
Herbst 2009. An einem Klassen- treffen in Zürich begegnen sich Sven, Mathematiker und selbst- ständiger Ingenieur, und die Journalistin Esther nach vierzig Jahren erstmals wieder. Sven fühlte sich während seiner Schulzeit zur ei- genwilligen Esther aus einer Familie ostjüdischer Provenienz hinge- zogen, war aber zu schüchtern, ihr seine Gefühle zu gestehen. Was damals ein unbestimmtes Glimmen war, wird vier Jahrzehnte später eine ernsthafte Beziehung. Als Sven einen Lehrauftrag an ei- ner Tokyoter Universität erhält, bittet er Esther, mit ihm nach Japan zu ziehen. Esther fühlt sich wohl in ihrer neuen Umgebung, stellt aber bald fest, dass sie körperlich zunehmend schwächer wird. Während eines beruflichen Zwischenstopps in der Schweiz sucht sie einen Arzt auf.
Am Tag ihrer Abreise aus Japan im März 2011 ist Sven an einer Frühlingsgrippe erkrankt und erlebt das Erdbeben und die Nachrichten von Fukushima im Fieberwahn im kleinen Tokyoter Apartment, wo er auf Esthers Rückkehr wartet. In ihren neuen Roman lässt Viviane Egli eigene Lebensstationen mit einfließen. Ihre Beschreibung der historischen Momente ist eindrücklich, zum Beispiel die Situation in Tokyo nach den verheeren- den Ereignissen des 11. März 2011.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Tokyo nannte ihn heute seinen Gast, vibrierte gelassen in seinen düsteren Börsennachrichten, bot ihm seine weiche vorprogrammierte Freundlichkeit und Glückseligkeit des Moments. Diese bewusste Gegen wart war es, die ihn in Tokyo betörte, die letzten Male, jetzt wieder. Er war Teil, ging mit gut beweglichen Knien, die heute nicht schmerzten, mit den vielen anderen wieder über einen der Zebrastreifen und war im Einklang mit sich wie schon lange nicht mehr. Der nasse Asphalt spielte mit den Menschen und ihren Schritten ein Spiel, die Pfützen lockten, das sanfte Klatschen, das er mit seinen Schritten verursachte, gehörte ganz ihm, für eine, zwei Sekunden, dann überließ er dies wieder dem nächsten hinter ihm. Das Nachtdunkel war die Bühne aller farbigen Werbung rundum, sanfte Berieselung, keine Aggression um ihn. Er war Gast. Auffälliger Gast, in Ruhe gelassen von Tokyo, in den Fängen von Tokyo.
Zum dritten Mal passierte er einen der Zebrastreifen der Kreuzung. Nun war er wieder an seinem Ausgangspunkt. Es war Magie, der er gern nachgab. Er lauschte den Wortfetzen, gedehnte japanische Silben und beistimmende Lautmalereien. Er bedauerte es nicht, nicht alles zu verstehen. Morgen oder übermorgen würde das Bedauern da sein. Aber nicht an diesem ersten Abend, der ihm allein gehörte. [...]
Nach etwa einer halben Stunde Shibuya nahm er ein Taxi und ließ sich in den Stadtteil Asakusa fahren. Der Rummelplatz mit den Bahnen und den Buden war geschlossen, der Duft der Süßigkeiten lag noch in der Nachtluft. Er ging den verlassenen verbarrikadierten Buden entlang und suchte die eine Straße mit den Werkstätten, die ihm vor zwei Jahren bei einem Abendspaziergang in diesem Quartier so gefallen hatte. Es war still, kaum Autos, immer wieder ein Fahrrad, das langsam an ihm vorbeifuhr.