E-Book, Deutsch, Band 1, 416 Seiten
Reihe: Hugo Hawksworth
Edmondson Der Tote in der Kapelle
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-641-20597-3
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, Band 1, 416 Seiten
Reihe: Hugo Hawksworth
ISBN: 978-3-641-20597-3
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Elizabeth Edmondson wurde 1948 in Chile geboren, wuchs in Indien auf und studierte später in Oxford. Schon als Kind entdeckte sie ihr Talent zum Schreiben und veröffentlichte später unter ihrem Klarnamen und ihrem Pseudonym Elizabeth Aston erfolgreich über 30 Romane. Mit »Lady Helenas Geheimnis« gelang ihr der große Durchbruch in Deutschland. Ihre Kriminalromane »Der Tote in der Kapelle« und »Mord auf Selchester Castle« avancierten in Großbritannien zum Publikumsliebling. Elizabeth Edmondson lebte mit ihrer Familie zuletzt in England und Italien. Im Januar 2016 verstarb sie unerwartet nach kurzer, schwerer Krankheit.
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Kapitel eins
England, 1953
Szene 1
Als sie Selchester erreichten, schmerzte Hugos Bein höllisch. Er musste die Zähne zusammenbeißen und bemühte sich, nicht jedes Mal zusammenzuzucken, wenn er in einen anderen Gang schalten musste. Georgia saß neben ihm; sie bedachte ihren Bruder ein oder zwei Mal mit einem kurzen Seitenblick, bekundete jedoch kein Mitgefühl. Mehr als einmal hatte sie ihm schon klargemacht, dass er sich daran gewöhnen müsse, da der Zustand seines Beins nun einmal so war, wie er war. Dieser praktische und pragmatische Umgang mit seiner Verletzung gefiel ihm im Grunde gut. Doch im Moment war er in Gedanken nicht bei Georgia oder dabei, wie es zu seiner Verletzung gekommen war, und er trauerte auch nicht dem hinterher, was es für ihn bedeutete. Er stellte sich einzig und allein die Frage, ob er durchhalten würde, bis sie Selchester Castle erreicht hatten und er aus dem Wagen steigen konnte. Sie hatten auf der Fahrt häufiger Pause gemacht, als er es in den alten Zeiten getan hätte, doch es blieb eine vierstündige Fahrt von London hierher, und es war seine längste Zeit am Steuer, seit er angeschossen worden war.
Sie fuhren nun durch die kleine Stadt und eine breite Straße aus dem 18. Jahrhundert mit zurückgeschnittenen Bäumen auf beiden Seiten entlang. Georgia hatte einen alten Reiseführer ausgegraben, in dem stand, dass die Ursprünge der Stadt Selchester bis in Römerzeiten zurückreichten. Sie las Hugo den Eintrag vor, der daraufhin gereizt erwiderte: »Natürlich reicht sie zurück bis in Römerzeiten, denk doch mal an ihren Namen.«
»Das ist kein Grund, patzig zu werden. Viele Römerstädte sind einfach spurlos vom Erdboden verschwunden, diese hier aber nicht. Sie hat offenbar eine Menge Geschichte auf dem Buckel. Es gibt eine Kathedrale – St. Walburga, was für ein sonderbarer Name –, deren Ursprünge bis in alle Ewigkeit zurückreichen. Früher war es einmal eine Abtei, aber alle Mönche wurden 1542 von diesem grauenhaften Heinrich VIII. auf die Straße gesetzt. Pest … hmm, nicht so schlimm, nicht so wie in London. Hier steht, die Earls von Selchester waren im Bürgerkrieg königstreu und haben die Burg sechs Wochen lang gegen die Truppen von Cromwell verteidigt. Das ist nicht ganz korrekt, in Wirklichkeit war es die Gräfin von Selchester, die das Schloss verteidigt hat. Sie scheint eine schneidige Lady gewesen zu sein; sie und ihre Bediensteten haben die Parlamentstruppen drei Wochen lang in Schach gehalten. Ihr Göttergatte, der Earl, war irgendwo unterwegs. Typisch Mann.«
»In diesem Reiseführer steht bestimmt nicht, dass der Earl ihr Göttergatte war«, entgegnete Hugo, während er anhielt, um eine Frau mit einem Kinderwagen die Straße überqueren zu lassen.
Die Straße verzweigte sich zu einem Gewirr mittelalterlicher Gassen; einige der Fachwerkhäuser hatten Obergeschosse, die über den Gehsteig hinausragten. »Die Straße heißt Snake Alley«, informierte ihn Georgia, während sie das Buch in ihrer Hand konsultierte. »Mir gefallen die Namen hier, einige sind wirklich sonderbar.«
Sie fuhren durch einen Torbogen, der in die Überreste einer alten Stadtmauer eingelassen war, und dann über eine antike Brücke, die einen beschaulichen Fluss überwölbte. »Die Abzweigung sollte jetzt bald kommen«, sagte Hugo. »Sie muss gleich auf der anderen Seite dieser Brücke sein.«
Georgia stieß einen triumphierenden Schrei aus, der ihren Bruder fast dazu veranlasst hätte, eine Vollbremsung zu machen. »Schau!« Ein verwittertes hölzernes Hinweisschild, auf dem »Selchester Castle« stand, wies auf ein schmiedeeisernes Tor.
Es stand offen, und während Hugo von der Straße abbog und hindurchfuhr, sagte er: »Das Tor ist sehr schön. Ich frage mich, wie es wohl davor bewahrt wurde, im Krieg eingeschmolzen zu werden.«
»Beziehungen«, mutmaßte Georgia.
»Wahrscheinlich wegen des Kriegsministeriums.« Hugo lenkte den Wagen um die erste Kurve der Auffahrt. »Die haben die Burg requiriert, und ich schätze, sie brauchten das Tor und eine Wache.«
Sie fuhren um eine weitere Kurve, es ging bergauf, und Georgia stieß einen vulgären Pfiff aus. Hugo bremste und richtete seine Aufmerksamkeit auf die Burg, deren massive Steinmauern aus dem Hang herauszuwachsen schienen. Schmale Schlitze für Bogenschützen kündeten von ihrer Zeit als Festung; modernere Stabkreuzfenster zeugten von friedlichen Zeiten.
Ein Symbol der Macht, dachte Hugo. Selchester Castle beherrschte die Landschaft, so wie seine Bewohner über Jahrhunderte hinweg über die Stadt geherrscht haben mussten.
»Donnerwetter!«, staunte Georgia. »Als du gesagt hast, wir würden in einer Burg wohnen, dachte ich, es wäre so ein Haus mit Zinnen, aber das hier hat den Namen verdient. Sie hat sogar Türme. Sieht aus wie aus einem Märchen.«
Oder aus einem Horrorfilm, dachte Hugo unwillkürlich.
Sie fuhren das letzte Stück der etwa eine Meile langen Auffahrt hinauf und dann durch einen Torbogen, der in den Burghof führte.
»Ein Fallgitter«, stellte Georgia fest, während sie sich aus dem Fenster lehnte und hinaufblinzelte. »Das ist alles fürchterlich beeindruckend. Meinst du, wir werden in den Stallungen untergebracht oder im Gesindequartier?«
Hugo war dermaßen darauf fixiert, den Wagen endlich anzuhalten und auszusteigen, dass er auch die Unterbringung in einer Pferdebox in Kauf genommen hätte. »Ich soll nach links zu den Stallungen fahren«, erklärte er. »Nein, soweit ich weiß, werden wir dort nicht untergebracht. Sie stellen dort die Wagen ein.«
»Dann dort entlang«, sagte Georgia. Dabei wies sie auf einen weiteren Torbogen, der sich unterhalb einer hübschen Turmuhr, deren Zeiger bei zehn nach elf stehen geblieben waren, in der Mauer befand.
Der Wagen rumpelte über den kopfsteingepflasterten Hof. Bei jedem Rütteln verzog Hugo das Gesicht, bis er schließlich dankbar den Wagen auf einem freien Platz in einer Art Scheune zum Stehen brachte.
Er lehnte sich auf seinem Sitz zurück, nahm die Hände vom Lenkrad, schloss die Augen und stieß einen langen Seufzer aus.
»Kopf hoch, altes Haus«, sagte Georgia. »Wir haben es geschafft. Du kannst dein Bein in ein Senfbad oder Bittersalz oder in irgendetwas stecken, was ihm guttut. Ich nehme an, du wirst ein oder zwei Tage auf einem Bein herumhüpfen, aber immerhin sind wir angekommen, und dein kostbares Auto auch. Ich hatte dir doch gleich gesagt, wir hätten den Zug nehmen sollen.«
Hugo wünschte sich mittlerweile von Herzen, sie hätten es tatsächlich getan, doch Georgia hatte Recht. Er war hier, und sein Auto auch.
Seine erste Wahl als Unterkunft waren Zimmer in Selchester Castle nicht gewesen. Doch Sir Bernard hatte ihm geschrieben, das große Gebäude sei unbewohnt, mit Ausnahme eines Mitglieds der Familie und ein paar Angestellten, die sich um alles kümmerten. »Lord Selchester ist vor ein paar Jahren verschwunden, daher steht das Schloss unter treuhänderischer Verwaltung. Sie werden es dort bequemer haben, als wenn Sie in einer Pension im Ort absteigen.«
Hugo war sich nicht sicher, ob bequem das Adjektiv war, das er gewählt hätte. Dieses riesige und uralte Gebäude sah nicht so aus, als hätte einer seiner Erbauer oder einer seiner Bewohner jemals Wert auf Bequemlichkeit gelegt. Es zeugte von Krieg und Macht, nicht von Kissen und gutem Essen.
Während er zum Kofferraum des Wagens humpelte, tauchte ein Mann, der aussah wie ein großer Gnom, aus den Stallungen auf, legte in einer sehr bäuerlichen Geste den Finger an die Stirn und sagte: »Überlassen Sie das mir. Ich kümmere mich um Ihr Gepäck und das der jungen Lady.«
Hugo streckte ihm die Hand entgegen. »Ich bin Hugo Hawksworth, und das ist meine Schwester Georgia.«
Der Mann nickte ihm erneut zu und stellte sich ebenfalls vor: »Mein Name ist Ben. Wir haben Sie erwartet. Wenn Sie durch diese Tür dort drüben gehen und dann den Gang entlang, kommen Sie in die Küche. Dort finden Sie Miss Freya.«
Georgia hatte ein Pferd betrachtet, das neugierig über eine halbhohe Stalltür lugte. Als Ben mit dem Daumen in Richtung der Tür zeigte, wandte sie ihre Aufmerksamkeit Hugo zu und flüsterte: »Er sieht aus wie aus einem Film. Die Schürze, und überhaupt.«
»Findest du nicht, dass hier alles aussieht wie im Film?«, gab Hugo zurück.
Bruder und Schwester schauten die Steinmauern hinauf, die über ihnen emporragten. Bestrebt, den Bann zu brechen, plapperte Georgia schließlich: »Komm, lass uns sehen, ob du es bis in die Küche schaffst, ohne hinzufallen.«
Mit Hilfe seines Stocks schlug sich Hugo recht wacker auf dem Kopfsteinpflaster, war dann aber doch froh, als er im Gebäude angekommen war, wo er es nur mit Bodenfliesen aufnehmen musste.
»Meine Güte, ist das riesig«, flüsterte Georgia ehrfürchtig. »Ich frage mich, was in all diesen Zimmern ist. Wenn die Küche hier ist, kann das hier ja nicht mal zum Haupttrakt des Schlosses gehören.«
»Das muss einmal das Zentrum der alten Burg gewesen sein«, erklärte Hugo. »Mit Destillierräumen, Waschküche, Bügelzimmer, Vorratskammer, dem Zimmer der Haushälterin und weiß Gott was noch alles. Man brauchte früher eine Menge Personal, um ein Gebäude dieser Größe betreiben zu können. Da sind wir. Das muss die Küchentür sein.«
Aus der Küche waren Stimmen zu vernehmen, also drückte Hugo auf die Klinke und humpelte hinein. Georgia folgte ihm.
Auf der Schwelle blieb er stehen und schaute sich in dem großen Raum um. Ein langer Holztisch in der Mitte, ein alter gusseiserner Herd und ein moderner Küchenherd....




