Edinger | Wissensraum, Labyrinth, symbolischer Ort | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 300 Seiten

Edinger Wissensraum, Labyrinth, symbolischer Ort

Die Universitätsbibliothek als Sinnbild der Wissenschaft

E-Book, Deutsch, 300 Seiten

ISBN: 978-3-7445-1014-1
Verlag: Herbert von Halem Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Ist die Bibliothek im Zeitalter von Internet, Wikipedia und E-Books vom Aussterben bedroht? Im Gegenteil: Unzählige atemberaubende Bibliotheksneubauten entstanden gerade in den letzten zehn Jahren. Die Bibliothek ist nicht nur ein Ort der Bücher, vielmehr ermöglicht sie ein breites Spektrum an Zugängen zu Informationen und stellt vielfältige (Multimedia-)Arbeits- und Leseplätze zur Verfügung. Empirisch begründet geht die Autorin der Frage nach, inwiefern die zunehmende Beliebtheit von Bibliotheken sich aus deren symbolischer Architektur, typischen Verhaltensregeln wie dem Schweigegebot oder der Omnipräsenz der Materialität der Bücher speist. Dazu wird vor dem Hintergrund der Raum- und Architektursoziologie sowie der Informations- und Bibliothekswissenschaften eine vergleichende Fallstudie entwickelt, in deren Zentrum Universitätsbibliotheken von Oxford und Konstanz stehen. Mittels Beobachtungen, Fotodokumentationen, Interviews, Mental Maps und Architekturplänen werden materielle, soziale, systemische und symbolische Raumstrukturen umfassend analysiert. Diese Strukturen können subjektiv und kollektiv ganz unterschiedlich ausgelegt werden: Menschen erfahren Bibliotheken als 'Ordnung der Bücher', als angsteinflössende Labyrinthe oder als eine Art zweites Zuhause. Es wird deutlich, dass Bibliotheken inkludierend, exkludierend und distinktiv wirken – je nach materiell-räumlich-sozialer Gestaltung. Es eröffnet sich ein Zugang zu Wahrnehmungsmustern, Sinnzuschreibungen, Raumaneignungen und raumbezogenen Identitätsprozessen im ältesten Wissensraum der Wissenschaft.
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2 Wissenschaftliche Ausgangslage
„Der Bücherliebhaber sammelt Bücher, um eine Bibliothek zu haben. Das klingt selbstverständlich, aber die Bibliothek ist nicht eine Summe von Büchern, sondern ein lebendiger Organismus mit eigenem Leben.“ Umberto Eco32 2.1 Theoretischer Hintergrund
Die Untersuchung von Bibliotheken als Wissensräume setzt die theoretische Auseinandersetzung mit den Begriffen Raum und Wissen voraus. Im Laufe der für diese Arbeit essentiellen empirischen Analysen zeigt sich, dass Raum und Wissen gleichermaßen einbezogen werden müssen, um Wissensräume erklären zu können. Die Diskussion beider Begriffe macht deutlich, dass den Definitionen von Wissen und Raum in sozialwissenschaftlichen Disziplinen ähnliche, wenn nicht sogar die gleichen Definitionsstrukturen zu Grunde liegen. Somit sollen beide Begriffe im Folgenden gleich stark berücksichtigt und anschließend kombiniert und in den Begriff des Wissensraums überführt werden. Im Fahrwasser des spatial turn33 ist es einerseits unerlässlich, die eigene Position in der Raum- und Architektursoziologie transparent darzustellen, andererseits sind die Ausführungen und Erläuterungen der Raumtheorien und ihrer zugehörigen Raummodelle inzwischen mehr als redundant. Aus diesem Grund beschränken sich die folgenden Darstellungen auf die wichtigsten Eckpunkte der Raumtheorie(n) und es werden nur jene ausführlich behandelt, die für die vorliegende Arbeit wesentlich sind. Von entscheidender Relevanz sind außerdem aktuelle empirische Raumstudien, dazu gehören die Environment-Behavior-Studies, raumsoziologische Studien, Studien zu Wissensräumen sowie insbesondere Bibliotheksstudien. Um dem interdisziplinären Charakter der vorliegenden Arbeit gerecht zu werden, werden einige wegweisende empirische Raumstudien aus unterschiedlichen Untersuchungsfeldern vorgestellt. Auf der Basis dieser wissenschaftlichen Ausgangslage wird dann ein Disziplinen-übergreifendes Raumkonzept entwickelt, das sowohl theoretisch als auch empirisch einsetzbar ist. 2.1.1 Raum: Absolut, relativ und relational gedacht
Raum – ein Begriff, der ebenso wie Zeit, schwer fassbar ist. David Harvey listet zu Beginn seines für die Raumwissenschaften als klassisch geltenden Texts „Space as a key word“34 einige sehr unterschiedliche Bedeutungen und Kontexte für die Verwendung des Wortes Raum (space) auf und betont die sprachliche Komplexität, die sich hinter dieser Vielzahl von Bedeutungen und Kontexten verbirgt. Trotz dieser Bedeutungsvielfalt weist die historische Entwicklung der Raumverständnisse inzwischen auf eine kanonische Begriffsordnung hin, die sich in Raummonographien, Lehrbüchern und Forschungsberichten manifestiert und bereits beim Lesen der Inhaltsverzeichnisse erkennbar wird.35 Ausgehend von antiken Raumvorstellungen bis hin zum Cyber-Space lassen sich drei zentrale Raumkonzepte ausmachen: Absolut, relativ und relational.36 Der absolute Raum entspricht dem dreidimensionalen, messbaren, geometrischphysikalischen Raum. Er basiert auf der Vorstellung des Raumes als Container, welcher endlich ist und durch klare Grenzen definiert wird. Der Container oder Behälter kann mit Inhalt gefüllt, aber auch leer gedacht werden.37 Raummodelle, die auf dieser Vorstellung von Raum als absolut basieren, operieren mit den Dualitäten von Raum und Körper, Hintergrund und Handlung, Innen und Außen.38 Diese Raumvorstellung lässt sich zurückverfolgen bis in die Antike bei Platon und Aristoteles und ist bis heute im alltäglichen Sprachgebrauch vorherrschend.39 In der deutschen Sprache wird dies vor allem deutlich bei der Verwendung von Raum als Synonym für ein abgeschlossenes, begrenztes Zimmer. Gegenwärtig findet die Vorstellung vom absoluten Raum im Bereich der Sozialen Arbeit Anwendung,40 z.B. in der Festlegung von Stadtteilen und Gebietszuschnitten des Programms Stadt- und Ortsteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – Die Soziale Stadt.41 Unbeachtet bleiben dabei soziale Komponenten und die Wahrnehmung des Raumes durch die Menschen, die in diesem Raum wohnen und agieren.42 Der absolute Raumbegriff wurde immer wieder in Frage gestellt. Theophrast, ein Schüler Aristoteles', setzte dem bereits entgegen, dass Raum „eine Ordnungsbeziehung von Körpern ist“.43 Diese auf Beziehungen basierende, relative Auffassung von Raum wird vor allem von Gottfried Wilhelm Leibniz im 18. Jahrhundert wieder aufgegriffen und betont. Sie erfährt dank Albert Einsteins Relativitätstheorie einen konjunkturellen Aufschwung.44 Marcus Schroer spricht von einer sich durch alle Epochen ziehenden, historischen „Opposition“ des absoluten und des relativistischen Raumbegriffes.45 Raumdefinitionen und Raummodelle pendeln zwischen den Polen absolut und relativ. Dies macht die Schwierigkeit deutlich, die mit der Definition des Begriffes Raum einhergeht und zeigt, dass neben den sozialen sowohl materielle Komponenten als auch die Beziehung der Komponenten zueinander nicht unbeachtet bleiben können. Soziale Komponenten spielen bis zu diesem Punkt keine Rolle. Die Positionen des Materiellen und des Sozialen innerhalb des allgemeinen Verständnisses von Raum sind weitgehend variabel. Raum – sozial gedacht – finden wir bei Emile Durkheim als soziale Kategorie, die sich mittels kollektiver Zuschreibungen konstituiert. Der Raum als Gesamtes wird aufgeteilt auf unterschiedliche Gesellschaftsteile und soziale Gruppen. Sozial klassifizierter Raum ebenso wie sozial klassifizierte Zeit sichern Termine sowie Orte und die Teilnehmenden sozialer Praxis und somit die soziale Ordnung.46 Durkheim geht davon aus, dass sich die soziale Ordnung im Raum einschreibt.47 Dieser Raum als materieller Ausdruck des Sozialen wird von Henri Lefebvre erneut aufgegriffen. In Lefebvres Triade entsteht Raum aus dem Zusammenspiel von räumlicher Praxis, Raumkonzeptionen und Räumen der Repräsentation. Hier wird dem (materiellen) Raum bereits eine zentrale Stellung eingeräumt. Jedoch ist das Verhältnis von materiellem Raum und sozialem Raum nicht ausgeglichen reziprok. Raum ist Ausdruck des Sozialen, dies wird ausführlich behandelt. Die entgegen gerichteten Auswirkungen des Raumes auf das Soziale bleiben jedoch unterbelichtet. Eine weitere Verlagerung des Blickwinkels auf den Begriff des Raumes nimmt Pierre Bourdieu48 vor. Die Konzeption einer umfassenden Sozialstruktur beschreibt Bourdieu als Sozialen Raum bzw. Sozialraum. Dieser bezieht sich auf die Gesamtheit aller sozialen Positionen und bildet die Sozialstruktur mit allen existierenden Milieus und sozialen Subgruppen ab. Der soziale Raum ist eine „abstrakte Darstellung“49 zur Abbildung von Relationen, die sich die Metapher des Raumes zunutze macht. Um dies leisten zu können, spannt Bourdieu den sozialen Raum über die folgenden drei Dimensionen auf: Kapitalvolumen, Kapitalstruktur und soziale Laufbahn.50 Zum Verständnis des sozialen Raums bei Bourdieu ist eine kurze Einführung zum Kapitalbegriff vorteilhaft.51 Bourdieu definiert drei Arten des Kapitals: Das ökonomische, das kulturelle und das soziale Kapital. Das ökonomische Kapital entspricht weitgehend den marxschen Produktionsmitteln. Es umfasst den materiellen Besitz. Ökonomisches Kapital führt laut Bourdieu jedoch noch nicht zu höchsten gesellschaftlichen Positionen und Macht, sondern erst in Kombination mit den anderen Kapitalarten entfaltet es seine Wirkungskraft. Das kulturelle Kapital ist in erster Linie Bildungskapital.52 Kulturelles Kapital wird vor allem über die Familie und die schulische Ausbildung angeeignet. Je höher der Bildungsgrad der Familie ist, desto mehr kulturelles Kapital kann an die nachfolgenden Generationen weitergegeben werden – kulturelles Kapital kann somit analog zum ökonomischen Kapital vererbt werden. Hier und bei der Schulbildung spielt das ökonomische Kapital ebenfalls eine Rolle, da je nach finanziellen Möglichkeiten unterschiedliche Bildungsangebote wahrgenommen werden. Auf diese Weise werden Bildungsprivilegien und Hierarchien erhalten und ausgebaut. Das kulturelle Kapital umfasst neben Kompetenzen und Kenntnissen (inkorporiertes Kulturkapital) und institutionell verliehenen Bildungsabschlüssen (institutionalisiertes Kulturkapital) auch Kulturobjekte (objektiviertes Kulturkapital). Dieses objektivierte kulturelle Kapital ist eng mit dem ökonomischen verbunden, die Anschaffung von Kulturgegenständen setzt ein gewisses finanzielles Potential voraus. Das soziale Kapital liegt in den Beziehungen zu anderen Menschen, auf die zurückgegriffen werden kann. Es ergibt sich vor allem aus Gruppenzugehörigkeiten. Ökonomisches und kulturelles Kapital sind gegenseitig konvertierbar und können einander stark beeinflussen. Je mehr von diesen beiden Kapitalarten vorhanden ist, desto leichter wird der Zugang zur jeweils anderen Art. Entscheidend ist jedoch nicht nur das Kapital-Gesamtvolumen, sondern auch die Kapitalstruktur, das heißt das Verhältnis von ökonomischem, kulturellem und sozialem Kapital zueinander. Die Kapitalstruktur entscheidet gemeinsam mit dem Kapitalvolumen über die Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen. Die soziale Laufbahn gibt...


Dr. Eva-Christina Edinger ist freiberufliche Wissenschaftlerin und Dozentin. Sie studierte Soziologie, Philosophie, Kunst- und Medienwissenschaften in Konstanz, Frankfurt a.M. und Innsbruck und wurde 2014 an der Universität Konstanz promoviert. Neben der Promotion war sie an der Pädagogischen Hochschule Nordwestschweiz als Leiterin der Stabstelle Lehrentwicklung und Mitarbeiterin der Fachstelle 'Digitales Lehren und Lernen in der Hochschule' tätig. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten zählen: Raumsoziologie, materielle und virtuelle Lernräume, Bibliotheken, Design Thinking und Human Centered Design.


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